Wir über uns

Im August habe ich in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ darüber geschrieben, wie Journalisten nach der Love-Parade-Katastrophe in Duisburg plötzlich alle wussten, dass man das doch vorher hätte wissen müssen, dass das nicht gut gehen konnte. Eine größere Nebenrolle in dem Artikel spielte Götz Middeldorf, der Duisburger Lokalchef der „Neuen Ruhr Zeitung“ (NRZ):

Die „International Herald Tribune“ zitierte ihn mit den Worten: „Wir waren die einzige Zeitung, die gesagt hat: Nein. Stoppt das. Die Stadt ist nicht vorbereitet. Wir können nicht mit diesen ganzen Leuten fertigwerden.“

Fragt man Middeldorf nach dem entsprechenden Artikel, faxt er einem tatsächlich einen Kommentar vom 3. Dezember 2009 mit der Überschrift: „Stoppt die Loveparade!“ In dem geht es aber mit keinem Wort um die Frage, ob die Stadt für so viele Besucher gerüstet ist. Es geht ausschließlich ums Geld. „Es ist grotesk, ja geradezu pervers“, empörte sich Middeldorf damals, „den Duisburgern über Jahre millionenschwere Kürzungen im Bildungs- und Kulturbereich zuzumuten und zumeist ortsfremden, feierwütigen Jugendlichen einen Tag zum Abfeiern zu bieten.“

Auf Nachfrage räumt Middeldorf ein, dass Sicherheitsbedenken nicht das Thema waren. „Wir waren immer gegen die Loveparade, aber aus anderen Gründen.“ Dann muss die „International Herald Tribune“ ihn mit seinem Lob für die eigene, einzigartige Weitsichtigkeit wohl falsch verstanden haben? „Das vermute ich mal“, antwortet Middeldorf. „Das ist nicht ganz richtig.“ Er klingt nicht zerknirscht.

Insoweit diese Zeilen als Kritik an der Berichterstattung der Zeitung und dem peinlichen und irreführenden Selbstlob ihres Duisburger Lokalchefs verstanden werden konnten, muss ich das revidieren. In Wahrheit hat Middeldorf besondere journalistische und redaktionelle Leistungen erbracht, schon vor der Love Parade kritische Fragen gestellt und danach die Meinungsführerschaft bei der Berichterstattung erobert.

Das wird dem NRZ-Mann von einer Institution attestiert, die es wissen muss: der NRZ. Wie die NRZ vergangene Woche berichtete, überreichte NRZ-Herausgeber Heinrich Meyer dem NRZ-Lokalchef den nach dem NRZ-Gründer benannten Dietrich-Oppenberg-Preis, der von der NRZ verliehen wird.

Anders als bzw. genau wie bei der Love-Parade-Katastrophe hätte man das vermutlich kommen sehen können.

40 Replies to “Wir über uns”

  1. Jetzt kann ich es ja sagen: ich werde wohl Sascha-Lobo-Preisträger 2010. Dieser Preis, der von mir für besondere und hervorragende Sascha-Lobo-Haftigkeit vergeben wird, wird jährlich durch eine aus mir bestehende Jury nach einem ausgewogenen und gerechten Verfahren an mich verliehen (Mehrfachauszeichnungen möglich). Die (von mir) begehrte Trophäe in stilisierter Form von mir wird mir von mir im Rahmen einer Sascha-Lobo-Gala übergeben, live übertragen auf saschalobo.com. Zu den Preisträgern der letzten Jahre gehörten Sascha Lobo (2004), Sascha Lobo (2006 & 2007), Brad Pitt (2008 gemeinsam mit Konstantin Neven DuMont) und Sascha Lobo (2009). Medienpartner sind mein Twitteraccount sowie meine Facebook-Page.

  2. @Sascha Lobo:

    Ganz großes Kino
    Schauen Sie doch öfters mal
    in unserem Verein vorbei
    Es gibt auch garantiert
    ganz viel zu lachen
    Das versprechen wir Ihnen

    Wenigstens hat der Stefan
    noch einen gut bezahlten Job
    Das können wir armen Dichter
    leider nicht von uns behaupten
    Und die 10,000 anzuschaffen
    klappt auch nicht mehr so gut wie früher.

  3. Hahaha… die sind so dummdreist, das ist ausnahmsweise mal lustig. Ob die manchmal vor dem Spiegel stehen und genau hinschauen?

  4. Soweit ich weiß wird besagter Preis immer an NRZ-Mitabeiter verliehen. Vor diesem Hintergrund ist der Witz des vorletzten Absatzes dann doch nicht mehr so spitzfindig wie man es vom Witze-Macher Niggemeier gewohnt ist.

  5. @ David. Was natürlich noch viel absurder ist. Eine Zeitung verleiht großkotzig einen Vorname-Nachname-Preis nur für eigne Leute!

  6. @Alberto Green.

    Ja, früher nannte man das „Mitarbeiter des Jahres“, Vorname und Nachname richteten sich da allerdings nach denen des Preisträgers.

  7. @David: Dann wäre der Witz sogar noch einen Tick besser gewesen:

    „Das wird dem NRZ-Mann von einer Institution attestiert, die es wissen muss: der NRZ. Wie die NRZ vergangene Woche berichtete, überreichte NRZ-Herausgeber Heinrich Meyer dem NRZ-Lokalchef den nach dem NRZ-Gründer benannten Dietrich-Oppenberg-Preis, der von der NRZ an Mitarbeiter der NRZ verliehen wird.“

    (Der letzte Satz des Artikels ist sogar noch besser als der verbesserte vorletzte, finde ich.)

  8. Tach,

    was haben die bunten Kommentare zu bedeuten? Ist das KND? Immer noch? Wieder? Oder jemand ganz anderes?

    @Artikel: Der letzte Satz ist sehr schön. Der vorletzte auch, ebenso wie der vorvorletzte.

  9. Ich wollte hinzufügen, dass ich den „Sebastian (auf stefan-niggemeier.de)-Preis“ seit Jahren anstrebe, mir dieser aber bisher nicht verliehen wurde. Ich denke mal wegen der harten Konkurrenz an Sebastians.

    Ich denke der Grund liegt auch darin, dass ich als weiteren Preis eine eigene, farbliche Hervorhebung einfordere, Stefan aber nicht dazu in der Lage ist, das von mir gewünschte lila-blau-getupft umzusetzen. Ich sage: Skandal!

    (aber gut zu sehen, dass die KND-Färbung weiterhin funktioniert)

  10. Das, was den „Dichter“ oben so rosa-lila macht. Man nennt es glaube ich auch die DuMont-Rotverschiebung. Je weiter sich der Kommentar von der Realität entfernt, desto roter wird er ;-)

  11. Und? Das ist doch alles nichts neues. Die ÖR machen mit dem Grimme-Preis doch auch so. Da wird die ganze Veranstaltung allerdings mit Zwangsabgaben finanziert, was einen erheblich schlechteren Eindruck macht. Bei der NRZ ist wenigstens niemand gezwungen denen Geld zu dafür zu geben.

  12. @Klaus: Informierst Du Dich eigentlich über sowas, bevor Du sowas schreibst? Iss aber nur ne rhetorische Frage…

  13. „In Wahrheit hat Middeldorf besondere journalistische und redaktionelle Leistungen erbracht, schon vor der Love Parade kritische Fragen gestellt und danach die Meinungsführerschaft bei der Berichterstattung erobert.“
    Das finde ich so gut an diesen Internet-Blogs: dass man hier so transparent mit den eigenen Fehlern umgeht. Kann sich schließlich jeder mal irren.

  14. @Mathias (#5)
    Lobo-Hudel-Ei (mit Iro?), bitte schön. Wir wollen doch nicht die bedeutungsschwangeren Bindestriche vergessen…

  15. Wenn ich es richtig im Gedächtnis habe, war „derwesten.de“ am kritischsten, man beachte auch die Kommentatoren:
    http://www.derwesten.de/kultur/musik-und-konzerte/loveparade/Loveparade-wird-zum-Tanz-auf-dem-Drahtseil-id3293127.html#comments

    Zitat:
    „Das schlimme an dieser Geschichte ist doch, daß man anschließend diese organisatorischen Vollidioten noch nichtmals zur Verantwortung wird ziehen können.
    Was die da machen, ist höchstgradig kriminell. Was ist denn, wenn zu dem Chaos noch Panik kommt, was ist dann? Panik heißt Flucht, und Flucht heißt Ausdehnung. Wohin soll sich diese Masse an Menschen ausdehnen, wenn was schief geht, und Panik ausbricht?
    Gruß
    #8 von voltago , am 20.07.2010 um 19:36

  16. Naja wobei diese Art von medialer Selbstbeweihräucherung/Befriedigung(?) allerdings nur die Spitze des Eisberg ist.

    Seit Bodo Hombach bei der WAZ-Gruppe aufgetaucht ist, rückt er den ganzen Laden immer mehr ins BILD-Niveau.
    Gelegentlich kommt dann immer der Ruf nach kostenpflichtigen „Content“.
    Toller Content, einem eigenen Mann den eigenen Preis zu geben und dann darüber zu schreiben.

    Fehlt eigentlich noch eine Gewinner/Verlierer-Rubrik.
    Da kann dann Herr Hombach bei der NRZ Gewinner des Tages werden….

  17. Ich find das gut, dass Stefan Niggemeier auch mal etwas revidiert und über die Ehrung des Kollegen berichtet. Ehre wem Ehre gebührt.

  18. Die Frage ist doch doch wohl eher lauten, was Miriam Meckel nicht in dieser Diskussion verloren hat.

    Oder anders ausgedrückt: das Satireheft passt doch wunderschön zum Thema, und wenn man etwas weniger spitzfindig ist auch noch viel besser ;-)

    Wobei das keine Häme sein sollte sondern nur ein lustiges Fundstück. Vielleicht ist Middeldorf ja auch vorhanden, das ist dort ja nur eine Leseprobe. Ansonsten wäre es ein Kandidat for #201

  19. Ungläubiges Kopfschütteln und würgen zugleich kommt mir da …
    Danach kann ich wohl auch nicht mehr davon ausgehen, dass die WAZ-Gruppe einigermaßen unvoreingenommen über das Ereignis berichtet.

  20. KRITISCHE FRAGEN haben im Vorfeld viele Leserbriefschreiber gestellt, ohne verständnisvolle Antworten zu erhalten, natürlich.
    Ein paar sind gelistet auf „ChillOut – ChillOff“, 2.Beitrag :
    http://www.booklookerforum.de/viewtopic.php?f=17&t=7059

    Und zur Erinnerung noch Fritz Pleitgen, Chef der Kulturhauptstadt Ruhr.2010 :
    „Kritik übte er auch daran, dass stattdessen „in nicht akzeptabler Weise“ nach einem Hauptschuldigen gesucht worden sei.“
    „Und was empfindet er, wenn er dort selbst auf Plakaten als Verantwortlicher gebrandmarkt wird: „Das belastet mich nicht, so lange ich mit mir selbst im Reinen bin“, sagt Pleitgen. „Und das bin ich.“

  21. […] Wenn die NRZ schreibt, dass nicht nur die Fernsehteams die NRZ in der Berichterstattung „weit vorne” sahen, stimmt das natürlich. Auch die NRZ sah die NRZ in der Berichterstattung weit vorne und hatte sich schon im vergangenen Jahr dafür und für die „Erarbeitung der Meinungsführerschaft” mit einem Preis ausgezeichnet. […]

  22. Viele Leute in Duisburg sind froh dass mitteldoof gegangen ist. Permanente SPD-Propaganda als Lokalnachrichten zu verkaufen funktioniert selbst in Duisburg nicht mehr!

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