Mick Werup

Nach dem Tod von Robert Enke habe ich hier einen Eintrag über den sogenannten Werther-Effekt geschrieben. Er beginnt mit dem Satz: „Die Medien arbeiten seit einer Woche daran, die Zahl der Selbstmorde in Deutschland in die Höhe zu treiben.“

Es gab dafür vielfältigen Widerspruch. Einige waren der Meinung, es sei unrealistisch anzunehmen, dass Medien anders über Suizide von Prominenten berichten könnten. Andere sagten, es sei nicht Aufgabe von Journalisten, Informationen zurückzuhalten, selbst wenn sie eine negative Wirkung haben könnten. Manche bestritten, dass es überhaupt den von mir beschriebenen Zusammenhang zwischen der Berichterstattung über Selbsttötungen und der Zunahme von Selbsttötungen gebe.

Die Nachrichtenagentur dpa berichtete am 23. November 2010, dass die Zahl der Suizide nach dem Tod von Robert Enke sprunghaft angestiegen sei:

Für den November 2009 registrierte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden die höchste Steigerungsrate des Jahres. In anderen Monaten hatte es zum Teil Rückgänge gegeben.

Zudem war im Dezember auffällig, dass sich im Vergleich zum Vorjahr doppelt so viele Männer zwischen 20 und 25 Jahre das Leben nahmen.

Wie das Bundesamt auf Nachfrage mitteilte, ist in Deutschland die Zahl der Selbsttötungen im November 2009 um rund 15,5 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat angestiegen. Im Dezember waren es insgesamt noch 10,7 Prozent.

Nach Angaben der Deutschen Bahn nahm die Zahl der Schienensuizide drastisch zu. Der Vorstandsvorsitzende Rüdiger Grube sagte dem „Spiegel“, dass sich die Zahl der Menschen, die sich täglich von einem Zug überrollen lassen, nach dem Suizid von Robert Enke verfünft- bis versechsfacht habe, „wochenlang“.

Ich komme darauf, weil sich Mick Werup anscheinend das Leben genommen hat. Er hatte den Sohn Chris in den „Drombuschs“ gespielt und damit meine Fernsehbiographie maßgeblich mitgeprägt.

Die Boulevardzeitungen ignorieren auch diesmal wieder die zentralen Empfehlungen, durch die sich die negativen Folgen der Berichterstattung über Suizide minimieren ließen. „Bild“ und „Berliner Kurier“ machen groß mit dem Fall auf, sie und andere berichten detailliert über die Umstände des Todes, nennen mögliche Motive, wecken Verständnis und Mitleid.

Anders als vielleicht bei Robert Enke, dessen Sterben in jeder Hinsicht öffentlich geschah, kann mir niemand erzählen, dass das unvermeidlich war. Dass man diese Nachricht nicht auch klein, ohne Foto, abstrakt hätte vermelden können. Wenn man es gewollt hätte. Ich bleibe dabei: Der Preis für diese Art der Berichterstattung lässt sich in Menschenleben zählen.

Die Online-Version des „Bild“-Artikels von Mark Pittelkau und Thomas Knoop endet mit den Worten:

Zuletzt schien Werup der Tod als einziger Ausweg, seinem unendlich verlorenem Dasein zu entfliehen.

Das ist ein unfassbarer Satz. Nicht nur, weil er sich wie Werbung für die Selbsttötung als Ausweg aus schwierigen Situationen lesen lässt und vermutlich von Gefährdeten auch genau so verstanden wird.

Sein unendlich verlorenes Dasein? Immerhin musste er nicht für „Bild“ arbeiten.

 

Vermieden werden sollte in der Berichterstattung nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention u.a.

  • einen Suizid auf der Titelseite oder als „TOP-News“ erscheinen zu lassen
  • ein Foto der betreffenden Person (besonders auf der Titelseite) zu präsentieren und Abschiedsbriefe zu veröffentlichen.
  • den Suizid als nachvollziehbare, konsequente oder unausweichliche Reaktion oder gar positiv oder billigend darzustellen bzw. den Eindruck zu erwecken, etwas oder jemand habe „in den Suizid getrieben“. („Für ihn gab es keinen Ausweg“).
  • die Suizidmethode und den Ort detailliert zu beschreiben oder abzubilden

218 Replies to “Mick Werup”

  1. Medien berichten über die Selbsttötungen, Konsequenz: Es gibt mehr Selbsttötungen.
    SN berichtet über die gestiegene Zahl der Berichte über Selbsttötungen.
    Heisst das, das es jetzt durch diesen Blogeintrag mehr Berichte über Selbsttötungen geben wird, die ultimativ wieder zu mehr Selbsttötungen führen?
    Ich denke schon.

  2. Möchtest Du einen Keks, S.?

    Netter Versuch, aber wenn Du eine ernsthafte Diskussion hättest beginnen wollen, hättest Du sicherlich verstanden, dass es einen verdammt großen Unterschied gibt zwischen einer kurzen Erwähnung, dass Person X Selbstmord begangen hat (mehr macht Niggemeier in diesem und ähnlichen Artikeln nicht) und einer ausführlichen, tagelangen, detaillierten und teilweise glorifzierenden Beschreibung der Vorkommnisse.

  3. Herr Schwarzmeister kann offensichtlich nicht zwischen „Artikel über Selbsttötungen“ und „Artikel über Artikel über Selbsttötungen unterscheiden“.

    Anders ausgedrückt: ich finde es toll, dass Herr Schwarzmeister glaubt, stefan-niggemeier.de hätte 12 Millionen Leser.

  4. @S. Schwarzmeister: Jein. Vielleicht lesen Sie sich die verlinkten Seiten durch, welche Faktoren besonders gefährlich sind (Fotos, Details, Emotionalisierung, Motive etc.).

    Trotzdem haben Sie nicht ganz unrecht. Auch solche Meta-Berichte sind nicht ohne Risiko. Ich glaube allerdings, dass es insgesamt einen positiven Effekt hat, wenn sich mehr Journalisten sich der besonderen Problematik bewusst werden.

  5. @Schwarzmeister:
    Was schlägst du vor? Die Medien einfach machen lassen? Vielleicht erreicht man mit solchen Beiträgen wir hier bei manchen ein Umdenken. Solch ein Fall tritt doch bestimmt erneut auf.

  6. Zwischen den Personen Enke und Werup liegt m.E. ein gewaltiger Unterschied, der sich auch in der Berichterstattung niederschlägt bzw. niederschlagen wird. Enke war der erfolgreiche Fußballer, ein Idol mit hübscher Frau und toller Karriere. Werup war – sieht man von den Drombuschs ab – ein mäßig erfolgreicher Schauspieler, der bis heute aus dem Blickfeld der Zuschauer/Leser verschwunden war. Diese Unterschiede werden dazu führen, dass Werup morgen schon vergessen und die Gefahr von Nachahmern eher gering sein wird. Bei Werup wird nichts glorifiziert, es bleibt für die meisten nicht die quälende Frage nach dem „Warum?“.

  7. @4 wenn das Ziel ist, dass bei der Berichterstattung in Zukunft „die zentralen Empfehlungen, durch die sich die negativen Folgen der Berichterstattung über Suizide minimieren ließen“ berücksichtigt werden wäre es aber wahrscheinlich besser diese Empfehlungen an dieser Stelle ober gar prominent über/unter dem Artikel noch einmal zu verlinken bzw. noch einmal kurz zusammenzufassen.

  8. Volle Zustimmung. Vor allem deshalb, weil hier nicht so getan wird, als dürfe man gar nicht erst über Suizid berichten. Man darf, auch wenn so mancher den Journalisten gerne das Gegenteil vorschreiben möchte. Gerade erst wieder erlebt: Die Polizei hat mich ungefähr mit der gleichen Verachtung wie einen Kinderschänder behandelt, bloß weil ich in einem solchen Fall nachgefragt habe. Schnell war dann klar: Kein öffentliches Interesse, keine Nachricht. Gar kein Grund zur Aufregung. Manchmal muss man allerdings über Selbsttötung schreiben – sei es, weil es sich um eine prominente Person handelt, sei es, weil das Geschehen mitten in der Fußgängerzone stattgefunden hat. Dann kann man das Thema zurückhaltend behandeln – eben ohne Bild, ohne reißerische Hauptzeile, ohne heuchlerische Adjektive. Vielleicht nur als Kurzmeldung. So steht es ja auch im Pressekodex: Zurückhaltung. Nur sollten wir um Himmels willen keine Denk- und Schreibverbote einführen.

    Auch bei der Causa Enke gab es die Option, pietätvoll zu berichten. Mehr noch: Eine Zunahme der Selbsttötungen hätte nicht zwangsläufig die Folge sein müssen, hätten nur mehr Kollegen in diesem Zusammenhang über die Ursachen geschrieben. Warum nicht kurz die Fakten wiedergeben und dazu ein Hintergrund über Depression und ihre Behandlungsmöglichkeiten? Der einzelne Journalist hätte auf diese Weise seine Informationsaufgabe erfüllt und dennoch nicht nur den bloßen Voyeurismus bedient. Diese Chance haben allerdings nur wenige Zeitungen und Sender genutzt.

  9. „Das ist ein unfassbarer Satz. Nicht nur, weil er sich wie Werbung für die Selbsttötung als Ausweg aus schwierigen Situationen lesen lässt und vermutlich von Gefährdeten auch genau so verstanden wird.“

    Aber IST es das nicht? Ein Ausweg? Zwar vielleicht nicht der Beste, aber es setzt dieser Situation (was auch immer es sei) ein Ende.

  10. @Girlyman

    Stimmt schon. Aber da wir nicht wissen, was nach dem Tod kommt und es bei den Angehörigen i.d.R. riesiges Leid verursacht herrscht hier in unserem Kulturkreis die Ansicht, dass eine Selbsttötung nicht unbedingt wünschenswert ist. Womit wir wieder bei dem verantwortungsvollen Umgang mit einer derartigen Nachricht und dem Werther-Effekt wären…

  11. @ 1,2,3,4
    Was nicht so durchkam, war dass mein erster Beitrag sehr überspitzt, fast schon ironisch gemeint war. Mir kam es jedoch darauf an, auf die meiner Meinung nach durchaus lustige, schizophrene Wirkung dieses Beitrags (den ich in seinem Inhalt voll unterstütze) hinzuweisen.

  12. @Humpty
    Die Frage nach dem Warum bleibt trotzdem. Wenn jemand drei Monatsmieten im Rückstand ist, ist Selbstmord doch nun wirklich keine Lösung! Wie wäre es mit Jobsuche und einem Gang zu einer Schuldnerberatung? Das wäre eine Lösung.

    Gerade darum sehe ich eine gleich hohe Gefahr wie bei Robert Enke einen Werther-Effekt bei einer depressiven Person auszulösen, da sich z.B. viele Harz IV Empfänger mit Mick Werups Lebensumständen identifizieren können.

  13. Ich muss was zum letzten Satz loswerden: Ich finde es irgendwie tröstlich und ermutigend, dass ein erfahrener und abgeklärter Medienjournalist auch nach 7 Jahren Bildblog dem Objekt seiner Berichterstattung hin und wieder noch ganz unironisch mit der angemessenen Wut begegnen kann. Das meine ich ganz ehrlich – ein großer Teil der gesellschaftlichen Akzeptanz der Bild-Zeitung kommt m.E. von Leuten, die es eigentlich besser wissen sollten, sich aber nach all den Abgründen der letzten 50 Jahre irgendwann in mal mehr, mal weniger bitteren Zwecksarkasmus geflüchtet haben.

  14. Grundsätzlich darf doch jeder seinem Leben ein Ende setzen, wenn und wann er das möchte, oder? Warum soll es medial nicht erwähnt werden, wenn jemand von gewissem Bekanntheitsgrad das tut? In den Medien totgeschwiegen verschwindet doch nicht das Wissen der Menschen über diese Möglichkeit das Leben zu beenden. Natürlich gibt es über Selbstmorde übertriebene Berichterstattung, die so nicht stattfinden dürfte. Im aktuellen Fall sehe ich aber keine Vergleichbarkeit zu Enke. Falls es bei der Verbotsforderung nur um den Nachahmereffekt geht – es gibt überall Menschen, die zu Schrecklichem in der Lage sind. Ob nun über Amokläufe berichtet wird, Tötung von Mitmenschen aus welchen Gründen auch immer, Blendung von Piloten mit Laserpointern etc. Weil prinzipiell Nachahmung droht, dürfte über viele Dinge nicht berichtet werden.

  15. @StefanTimmendorf:

    Lesen Sie den letzten Satz im Bild-Artikel nochmal.

    Wenn das nicht jenseits von sachlicher Berichterstattung ist lesen Sie glaube ich zu viel „Das Goldene Blatt“.

  16. Man könnte auch einmal zwischen Tat-anregung und Tat-grund unterscheiden. Schließlich bringt sich nicht jeder, der einen solchen, in der Tat sehr unappetittlichen, Artikel liest auch im Anschluss selbst um. Irgendwas muss also noch zwischen dem Artikel und der Tat vermitteln. Ich möchte „persönliches Urteil“ und „Wille“ vorschlagen. Gründe für ein jeweiliges Handeln sind immer nur bei der konkreten Person selbst abzufragen möglich (wenn möglich), niemals die bloß automatische Folge einer Ursache Artikel. Und die Frage ob nicht zumindest ein Teil der statistisch darstellbaren Häufung im Anschluss an solche Berichte sich andernfalls schlicht auf eine längere Zeit verteilt hätten muss offen bleiben.

  17. @16 „Verbotsforderung“ ist vielleicht die falsche Formulierung. Wenn man in der Praxis nachhakt, stößt man an so etwas wie ein Tabu. Offizielle Stellen – etwa Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst – geben bei Suizid so gut wie keine Informationen heraus, außer in außergewöhnlichen Fällen. Die Kritierien sind für Journalisten nicht immer nachvollziehbar; ferner ist es quasi Berufskrankheit, bei Maulkörben aller Art skeptisch zu werden – auch wenn das Vorgehen der Behörden in den meisten Fällen wohl in Ordnung geht. Natürlich ist der Journalist frei in seiner Berichterstattung und kann sich seine Informationen auch auf anderen Wegen beschaffen, aber bei diesem Thema spürt er schnell den Versuch, seine Arbeit auszubremsen. Egal, wie seine Absichten denn nun geartet sind. (Klar, es gibt Aasgeier. Kein Thema. Aber auch mindestens genauso viele seriöse Kollegen. Und nochmal: Mitunter ist Suizid-Berichterstattung legitim.) Die andere Seite ist der Pressekodex – also die Selbstverpflichtung. Darin ist lediglich von Zurückhaltung die Rede. Das ist natürlich eine schwammige Angelegenheit. Aber ist es zu blauäugig, an die Verantwortung des Einzelnen zu glauben? Für diese würde ich nämlich in jedem Fall plädieren. Dann brauchen wir erst gar keine Maulkörbe.

    Umso wichtiger ist es übrigens, über die möglichen Folgen seiner Arbeit informiert zu sein. Dazu trägt diese Diskussion auch bei.

  18. Hallo Sebastian, mir geht es bei meinem Posting um Berichterstattung generell. Den Bild-Artikel kannte ich nicht, ich habe es andernorts gelesen, da gabs keine so widerlich einfühlsamen lyrischen Ergüsse. wie im letzten Satz. Darauf kann ich ebenso gut verzichten wie auf insgesamt übertriebene Berichterstattung à la Enke. Aber dass es v.a. im Falle Prominenter ein Thema ist, dabei bleibe ich. Meinetwegen können Sie gern auch bei Ihrer Schlussfolgerung bleiben, wenn Ihnen selbst das stilistisch nicht etwas zu nah am Feind ist…

  19. Während meines Psychologiestudiums besuchte ich ein Seminar über Suizid und Suizidprävention bei Peter Fiedler in Heidelberg. Auch unter den Studis gab es in der ersten Stunde Leute, vom „Recht auf diese Entscheidung“ und von einem „freiwilligen Beenden des Lebens“ sprachen. Allerdings waren das Leute, die das Thema lediglich vom Hörensagen kannten und viele sahen im Suizid was cool Existenzialistisches. Fiedler wurde ärgerlich und sagte zu Suizid einen Satz, den ich nie vergessen werde: „Niemand stirbt frei und niemand stirbt willig.“
    Nach allem was ich später und bis heute gelernt und erlebt habe, stimmt das. Hinter jedem Suizid steckt verdammtes Elend. Sieht man von den Fällen ab, in denen Menschen durch extreme und nicht therapierbare körperliche Umstände gepeinigt werden, wären die übrigen Fälle durch rechtzeitiges Erkennen und geeignete Prävention meist zu verhindern.
    Eine Berichterstattung, die betont, wie Umfeld und Hinterbliebene trauern, oder sich Vorwürfe machen, präsentiert einem Suizidwilligen die aus seiner Sicht positiven Folgen: Beachtung durch Andere und teils auch Bestrafung von Menschen, die ihn verletzt oder missachtet haben.
    Das kann für entsprechend disponierte Menschen der letzte Kick sein, den Suizid doch zu vollziehen. Die Statistiken dazu sind völlig eindeutig.
    Aber das ist keine freie Entscheidung. Suizidwillige entwickeln einen Tunnelblick, der Alternativen ausblendet und die Selbsttötung als einzigen Weg aufzeigt. Insofern dürfen wir nicht von psychisch stabilen Lesern ausgehen, die einen Suizid rational einschätzen, sondern wir sollten an die Menschen denken, die schon auf der Kippe stehen und für die solche Berichte die Bestätigung ihrer Fantasien sind.
    Es stimmt: Die ausführlichen Berichte über Suizide kosten Menschenleben.

  20. Es gibt eine juristische Definition dessen, was man hierzulande als „Mord“ bezeichnen kann:

    „Mörder ist, wer
    aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
    heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
    um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
    einen Menschen tötet.“ (Stgb, 211)

    Ich mag den Ausdruck „Selbstmord“ nicht.

  21. Ich kann den Werther- Zusammenhang, den jeder Journalist am ersten Tag seines Volontariats lernt bestätigen und zwar aus der bitteren Praxis:

    Die Redaktion (einer niedersächsischen Tageszeitung), der ich vor einigen Jahrzehnten angehörte beschloss über den Suizid eines Jugendlichen ausnahmsweise einen kleinen Bericht, ohne Foto zu veröffentlichen, weil der Junge vom einzigen Hochhaus der Innenstadt mitten auf die belebte Fußgängerzone sprang. Dies hatten mindestens tausend Leute wahrgenommen. Tausend Menschen hätten sich darüber gewundert, wenn die fast daneben residierende örtliche Zeitung nicht darüber berichtet hätte. So argumentierte unsere Chefredaktion.

    Nach der Veröffentlichung begann in der Kleinstadt (und nur dort) eine zweiwöchige Welle ca. zehn bis fünfzehn Suizide, deren Opfer nach dem Vorbild von allen möglichen Hochhäusern der Stadt sprangen, ohne dass wir jemals wieder darüber berichtet hätten.

    Den Werther- Effekt gab es immer und wird es immer geben. Deswegen berichtet auch kein seröser Journalist über die wahre hauptsächliche Ursache aller Bahnverspätungen, drei bis vier täglichen Selbsttötungen auf den Schienen.

    Die groß inszenierte Trauerfeier im Niedersachsenstadion diente meiner Meinung nach lediglich der (finanziellen) Reputation des an Enkes Verzweiflung nicht ganz schuldlosen DFB. Die geschickt gewählte Ausrede, damit würde das Thema Depression endlich mal in der Öffentlichkeit diskutiert ist oberfaul. Tatsache ist, dass bei einem Suizid alle Versicherungsleistungen verfallen und meiner Meinung nach das Geld des DFB sicher sehr hilfreich war, über das Thema öffentlich und freiwillig zu sprechen. Unter den psychischen Folgen leiden Angehörige der Opfer und Bahnmitarbeiter noch heute.

    Deswegen kann ich es ertragen, wenn beispielsweise die Bundeswehr einen vermutlich versehentlich ausgelösten Kopfschuss beim Waffenreinigen(!) als Unfall deklariert und ich verstehe alle Journalisten, die dies nicht weiter recherchieren (wollen oder dürfen). Diese Kollegen sollten sich dann aber wenigstens künftig jeglicher Durchhalte- Berichterstattung enthalten.

    Es gibt eben zwei Seiten der Ethik- Medaille, die nicht überschritten werden darf, ohne dass man sich ein Leben lang schuldig macht: Sensationsgier und Ignoranz der Zusammenhänge.

  22. Hm, irgendwie gibt das keinen Sinn.
    Menschen haben das Recht (imo) und die Möglichkeit ihr Leben selbstständig zu beenden. Menschen die sich nach dem Tod von Enke umgebracht haben, habe es nicht wegen Enke getan.
    Hier wird eine Klausalität beworben die es nicht gibt.
    Ich behaupte mal ganz kühn, die Zahl der Selbstmorde aufs Jahr verändert sich durch solche Medienberichte nicht, lediglich der Zeitpunkt der Selbstmorde konzentriert sich eher im Bereich der Berichterstattung.

    btw: wer ist Mick Werup und falls sich jetzt massenhaft Leute auf ihrem Dachboden erhängen; immer noch besser als vor der Zug zu springen.

  23. Diese Art von Verwantwortungsethik für Jornalisten ist einfach falsch und niemand sollte sich davon einschüchtern lassen.

    Journalisten sind Dienstleister für Information und Unterhaltung. Niemand möchte geschont werden, niemand möchte eine pädagogisch verbrämte Variante irgendwelcher Geschichten lesen.

    Danke, Tschüss.

  24. Ich halte das für ein zweischneidiges Schwert: Ist den der „Werther-Effekt“ das einzige derartige Phänomen, bei dem die Art journalistischer Berichterstattung greifbare Auswirkungen in der Welt hat? Und wer zieht da wo eine Grenze? Darf man dann denn noch eine Weinkritik veröffentlichen? Ich meine: Nachher trinkt den jemand, der ansonsten trocken geblieben wäre.

    Verantwortung basiert meiner Meinung nach auf nachvollziehbaren Kausalitäten. Und diese ist meines Erachtens nicht mehr gegeben, wenn sich jemand einen Artikel über einen Suizid zum Anlass nimmt, Suizid zu begehen. Da ist der Artikel wohl Anlass, aber kaum ursächlich verantwortlich.

    Auch sehe ich die Formulierung mit dem „unendlich verlorenen Dasein“ als nicht so schlimm an. Der Tote wird es so empfunden haben, sonst hätte er sich ja nicht erhängt.

  25. Wer vor den Zug springt, ist ein Egoist, der Hunderte, Tausende Unbeteiligte mit rein zieht.

    Noch krasser ist das „Berichten“-Problem aber bei den Attentätern:

    Warum gibt es sein Columbine ständig Schulschießereien? Klar, wenn man schon im Leben nichts hinbekommen hat, so kommt man wenigstens noch in die Zeitung.

    Bald gibt es auch noch mehr tote 9jährige Mächen.

    Totschweigen wie in der Tätarä ist sicher nicht die Lösung. Tolle Heldenfotos des Attentäters samt Videospiel zum Nachschießen aber auch nicht.

  26. @Wolf #24: Wie kommen Sie denn auf dieses schmale Brett,

    dass bei einem Suizid alle Versicherungsleistungen verfallen

    Ich fürchte, Sie sehen zu viele Krimis.

  27. Der Satz der „Bild“-Schreiber ist grammatikalisch eine Katastrophe. Aber nicht nur das macht es eben aus, dass im Falle von Selbsttötungen auch nur mäßig Prominenter die Rührungsmaschine mit diesem auftrumpfenden, voyeuristsichen Unterton angeworfen wird. Der Boulevard zieht seinen Nektar aus solchen zur Not herbeiphantasierten Konstruktionen. Das wird sich nicht ändern – Werther-Effekt hin oder her.

    Ich frage mich im vorliegenden Fall: Wer hat „Bild“ oder wem auch immer diese Story zukommen lassen? Warum ist es nicht möglich, dass Prominente Hand an sich legen, ohne dass dies in deutungsgeschwängert durch die Gazetten rauscht? Und wer ist derjenige, der für dreissig Silberlinge die Menschlichkeit an windige Reporter verkauft?

  28. Im Kern läuft die Diskussion wieder auf den Gegensatz von Gesinnungs- und Verantwortungsethik hinaus. Und die meisten Journalisten sind eben – aus guten Gründen – „Gesinnungsethiker“. Ich glaube aber, dass man das eine tun kann, ohne das andere zu lassen: Man kann über Suizid informieren, allerdings in einer verantwortungsbewussten Weise. Beispiel Sprung vom Hochhaus und Nachahmer: Warum nicht ein Interview mit einem Psychologen über Depression und ihre Behandlung? In diesem Kontext kann man auch sagen, dass es da in der Kleinstadt gerade eine Suizid-Serie gibt. Einige Kommentatoren haben das Grundproblem ja schon erkannt: Wenn wir hier fixe Grenzen der Berichterstattung einziehen, Tabuthemen schaffen, wo hören wir damit auf? Jeder Text hat irgendeine Wirkung auf seine Leser. Wer sagt mir denn, dass ich keine Nachahmer inspiriere, wenn ich über den erfolgreichen Bankraub in der Nachbarschaft berichte? Auch hier nennt die Polizei mit genau dieser Begründung oft nur wenige Details.

  29. Hat Bildblog nicht kürzlich darüber berichtet, dass manche Menschen vom Boulevard zum Star gemacht werden, nur um den Bericht über den Tod zu rechtfertigen, obwohl der Betreffende in einer Ferienserie, die nur in den USA läuft, nur einmal kurz zu sehen war? ( Rhetorische Frage)

    Ich musste jedenfalls daran denken, als ich las, dass der „Drombusch-Star“ Mick Werup sich umgebracht habe, und im Artikel der Bild explizit gemutmaßt wurde, dass der Freitod mit seiner Erfolglosigkeit als Schauspieler zu tun habe.

    Ärsche.

  30. ich füge nur hinzu, dass es doch ein Unterschied ist, über einen Weinkonsumenten zu berichten, oder jemanden dazu zu animieren, Suizid zu begehen.

    Jede suizidale Handlung ist mit Gewalt verbunden, die in erster Linie gegen die Überlebenden gerichtet ist: „Seht ihr, was ihr mit mir gemacht habt! Hättet ihr früher auf mich/meine Launen etc. geachtet, würdet ihr jetzt nicht flennen…“

    Das Einzige, was diese Menschen vor ihrem Suizid zurückschrecken lässt ist die Tatsache, dass sie die von ihnen initiierten Folgen dieser Gewalthandlung nicht mehr genießen können. Eine zutiefst unbefriedigende Situation, die in den meisten Fällen die Protagonisten vor ihrem letzten Schritt bewahrt.

    Wenn aber in Aussicht steht, dass eine Zeitung darüber berichtet, die Trauergemeinde ein ganzes Stadion füllen könnte oder auch nur die Chance besteht, dass der eigene Suizid mit dem „berühmten“ Fall in Verbindung gebracht werden könnte, entsteht die fatale Initialzündung, „es“ jetzt zu tun.

    Jede Berichterstattung über Suizide hat einen ähnlichen Effekt, wie das Versprechen, nach dem Tod im Paradies zu landen. Dafür sind sogar geistig gesunde Menschen bereit zu sterben, beispielsweise im Krieg, eine Bereitschaft, die in diesem Fall stets durch pompöse Trauerfeiern erhalten und forciert wird.
    Dies ist ein, seit Jahrhunderten aus politischem Kalkül kanalisierter Werther- Effekt, mit treuer Hilfe der Kirchen. Das Heilsversprechen „Gott mit uns“ steht nicht ohne Zweck auf fast jedem Koppelschloss. Erst Frau Käßmann versuchte, diese unheilige Allianz zu stoppen.

    Ich will an diesem Beispiel nur zeigen, dass der Werther- Effekt latent in all unseren Handlungen und Wünschen steckt, Spuren zu hinterlassen. Wenn wir schon nicht in der Lage sind, Kriege zu verhindern, so sollten wir potentiellen Suizidpatienten eine klare Botschaft mitteilen: Auch wenn Du vom Stadiondach springen solltest, interessiert das Niemanden.

  31. Ich habe jetzt oben auch noch eine Auswahl der Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention für die Berichterstattung nachgetragen; weitere Links auch zu Studien etc. in meinem Enke-Eintrag. Es gibt übrigens auch Auswertungen, die untersucht haben, ob sich durch die Berichterstattung nur der Zeitpunkt der Suizide verschiebt, aber nicht die Zahl erhöht. Das scheint nicht der Fall zu sein (ist aber naturgemäß schwer zu beweisen).

  32. @34: Ich denke, dass das höchstens auf einen Teil der Menschen zutrifft, die ihr Leben beenden möchten.
    Ich würde bei einer Übertragung des Prinzips auf eine Amoklauf oder Selbstmordattentäter eher zustimmen, da dort der Gang in die Öffentlichkeit gegeben ist und andere Menschen mit einbezogen werden.
    Aber ich denke, dass jemand, der sein Leben (möglicherweise im Stillen) beenden möchte, der verzweifelt ist, vielleicht depressiv, hoffnungslos, nicht unbedingt nur an die Überlebenden denkt.

    Zu verallgemeinern, dass „[d]as Einzige, was diese Menschen vor ihrem Suizid zurückschrecken lässt […] die Tatsache [ist], dass sie die von ihnen initiierten Folgen dieser Gewalthandlung nicht mehr genießen können“ finde ich ziemlich einseitig und unterstellt allen, die in dieser Situation sind, eine Boshaftigkeit, die ich nicht gerechtfertigt finde.
    Natürlich lassen sie in vielen Fällen Menschen und Trauer zurück, aber wer sind wir denn zu entscheiden das Leid der Trauernden über das derjenige zu stellen, die das Leben nicht mehr ertragen, aus welchen Gründen auch immer?
    Jedem Suizidalen die gleiche Denkweise zu unterstellen scheint mir nicht sehr durchdacht.

  33. @Wolf in #24: Danke! Ich erlebe das in meiner eigenen Familie, jedes Jahr mehrere Male. Und immer ist es für die Person hinterher das allergrößte Glück, wieder einmal einen Weg aus dem Tunnel heraus gefunden zu haben. Und für mich auch.

    Enke war für meine Familie die absolute Katastrophe, ist es bis heute. Und zwar genau aus dem Grund, dass es als plausible Lösung dargestellt wurde, sich das Leben zu nehmen.

    Alle anderen: natürlich hat jeder das Recht selber zu entscheiden, was er mit seinem Leben macht. Aber Menschen mit einer psychischen Krankheit oder Störung (und darüber reden wir letzten Endes) sind eben gerade nicht in der Lage, frei zu entscheiden. Und sind meistens die ersten, die genau das zugeben werden.

  34. @Wolf

    Ich sehe das genau andersherum: In dem Moment, in dem Journalisten auch die abstrusesten Reaktionen auf jeden Artikel miteinkalkulieren müssen, ist der freie Journalismus am Ende.

    Nein, ich sehe in dem angesprochenen Artikel kein wertvolles Stück Journalismus, das zu schützen wäre. Zu schützen ist aber ein Journalismus, der nicht über waghalsige Kausalketten für jedwede im Zusammenhang mit einem Artikel stehende Tat zur Verantwortung gezogen wird.

    Wie hätte das denn mit der Verantwortung ausgesehen, wenn sich ein Herr DuMont nach wochenlanger – wohlbemerkt selbstverschuldeter – Demütigung hier aus dem Leben verabschiedet hätte? Wäre Niggemeier daran schuld gewesen?

    Darf in Ihrer Welt noch über hohe Brücken berichtet werden oder ist das dann auch gleichzusetzen mit dem Todesstoß für einen, der springen will?

  35. Die zynische Betrachtung „das nur der Zeitpunkt“ sich ändern würde, zeugt von der Unkenntnis das es deutlich mehr leute gibt die über besagten Fluchtweg eine lange Zeit ernsthaft überlegen und es dann am Ende doch zu schaffen, wieder ein erträgliches bis glückliches Leben zu führe als solche, die die Flucht durchziehen…

    mal davon ab das Depressionen auch behandelbar sind, solange der Patient noch lebt…

  36. @Horst (#25):
    Solche Aussagen machen mich richtig wütend! Ein Suizid ist nie und nimmer eine freie Entscheidung. Ihre „kühne Behauptung“ entbehrt jeglicher Grundlage. Einem Suizid liegt in den seltensten Fällen eine gründliche und durchdachte Entscheidung zugrunde, meistens handelt es sich um höchst impulsive Taten in einer zeitlich sehr begrenzten, subjektiv als ausweglos empfundenen Situation heraus. In solch einer Situation ist die reißerische Berichterstattung das Tröpfchen, das das Fass zum Überlaufen bringt. Überlebt jemand aber und erlebt, dass die Situation so ausweglos gar nicht war, dann kommt es auch später nicht mehr zu einem Suizid.

    Meine beste Freundin aus Jugendtagen hat sich mit 20 Jahren das Leben genommen. Danach gab es Arschlöcher, die so saublöd daherredeten wie Sie und sich sogar verstiegen, es wäre „besser so für sie“, weil sie psychische Probleme hatte. Sie war eine junge, hübsche, intelligente Frau, die es verdient hätte, zu erleben, dass auch sie glücklich werden kann. Zum Zeitpunkt ihres Suizids hatte sie eine Psychose, die heutzutage gut behandelt werden kann. Ihre Mutter nahm sich zwei Jahre später das Leben und ihr Vater wurde daraufhin in die Psychiatrie eingewiesen. Wer sich auch nur ein bisschen mit dem Thema vertraut macht, der wird niemals etwas so unsagbar Dämliches und im Grunde Menschenverachtendes daherfaseln wie „Freiheit, sein Leben zu beenden“. Solche Entscheidungen sind alles, aber nicht „frei“.

  37. Ich vermisse eine Angabe der konkreten Anzahl der Suizide. Die Steigerungsraten sind ohne weitere Angaben ziemlich wertlos. Wenn sich gestern einer umgebracht hat und heute zwei, dann ist die Steigerungsrate bei 100%. Wenn es gestern keiner war, liegt die Rate schon bei uneinholbaren unendlich.

    Oder ist eine Metanachricht der Form, dass sich 100 Leute [Zahl willkürlich geraten] wegen der Enke-Berichterstattung das Leben genommen haben, auch schon wieder schädlich.

  38. In Journalistenschulen wird das Thema behandelt. Der „Werther-Effekt“ ist statistisch nachweisbar (Achtung, pdf: http://www.ipsilon.ch/uploads/media/Werther-Effekt_1__01.pdf), also wird der Umgang mit dem Thema diskutiert. Ganz grundsätzlich kann man sagen: Wenn ein berechtigtes öffentliches Interesse an einer Berichterstattung besteht (z.B. weil die Person, um die es geht, prominent ist oder weil der Suizid einen Einfluss auf das Leben der Leser hat, etwa durch eine längere Unterbrechung des Bahnverkehrs), dann wird berichtet, und zwar möglichst nüchtern und zurückhaltend. Und soweit ich das sehe, wird das zumindest in der seriösen Lokalpresse auch weitgehend verantwortungsvoll gehandhabt.
    Es geht nicht um Schreib- oder Denkverbote, es geht um die Frage: Was hat der Leser davon, dass wir als Medium ihm ein bestimmtes Thema präsentieren oder nicht.

    Das Problem liegt eher darin, dass in bestimmten Medien (Boulevard, die unangenehmeren Ecken des Magazinjournalismus etc.) die Erfahrungen aus Journalistenschulen, Presseethik etc. als etwas wahrgenommen werden, das man am Verlagstor abgeben sollte.

    Mick Werup war mir nahezu unbekannt. Die Berichterstattung bringt mir nichts, bis auf eine gewisse Sensibilisierung für Vereinsamungstendenzen bei erfolglosen Schauspielern. Aber mal ehrlich: Dass es diese Tendenzen gibt, wusste ich schon vorher. Meiner Meinung nach ist jede (auch eine zurückhaltende) Berichterstattung zu diesem konkreten Fall ungerechtfertigt.

  39. Offensichtlich macht es bei der Beurteilung einen himmelweiten Unterschied, ob man aus eigenem Erleben oder qualifiziertem Wissenserwerb weiß, worüber man redet, oder eben nicht.

    Das ist traurig, ist doch die Bewertung psychischer Probleme durch das Umfeld häufig der wichtigste Grund, auf eine Therapie zu verzichten bzw. sie zu verschweigen.

    Und jetzt nochmal in unsachlich: Wenn Ihr alle wüsstet, worüber Ihr hier so schlau daher redet! @5zjunge: Du hast gar nix verstanden, echt nicht. Aber, exklusiv für Dich, hier ist eine Zahl: 5387. Ist das jetzt viel oder wenig?

  40. > Jede suizidale Handlung ist mit Gewalt verbunden, die in
    > erster Linie gegen die Überlebenden gerichtet ist: „Seht ihr, was
    > ihr mit mir gemacht habt! Hättet ihr früher auf mich/meine
    > Launen etc. geachtet, würdet ihr jetzt nicht flennen…”

    Diese Aussage ist schon ganz schön dreist. Sowas hört man normalerweise nur von religiösen Menschen, die in dieser Hinsicht eine ausgeprägte Intoleranz haben. Der Freitod (oder Suizid) ist teil des im Grundgesetz garantierten Rechts auf freie Entfaltung der Persöhnlichkeit. Denjenigen die sich dafür entscheiden nun vorzuwerfen sie verletzen andere weil sie ihren eigenen Weg gehen ist einfach eine billige Argumentation, niemand hat die Pflicht zu leben nur damit andere glücklicher sind. Und im Gegensatz zu deiner Unterstellung sind die meisten vollzogenen Suizide wohl kaum eine Abrechnung mit irgendwen (dafür hat jemand der eh mit dem Leben abgeschlossen hat viel bessere Wege), sondern eine persöhnliche Entscheidung.

    Und an alle die „Man muss Suizide am jeden Preis verhindern“-Verfechter (inkl. her Niggemeier): Es gibt keinen logischen Grund am Leben zu bleiben für das Indivium selber (es sei denn hier hat jemand die älteste Frage der Menschheit gelöst). Wer dies also trotzdem fordert dehnt nur seine eigenen Moralvorstellungen auf andere aus, genau wie es teilweise Religionen tun. Daher ist es imho Heuchelei bei anderen Themen auf die persöhnliche Freiheit zu pochen und bei diesem, wo es einem nicht passt, zu argumentieren das dürfe es nicht geben.

  41. Wie in #40 schon richtig geschrieben, gibt es weit mehr Suizidgefährdete, die im letzten Moment zurückschrecken, als die, die es durchziehen. Viele suchen dann nur nach der Abhängigkeit, weil es ihnen leichter fällt, den letzten Schritt in andere Hände zu legen; sei es der Nahestehende, der einen mies behandelt hat und jetzt mal sehen soll, was er davon hat, die ganze Welt, der mit der Inszenierung ihre Schlechtigkeit vor Augen geführt werden soll oder eine einfache Wenn-dann-Bedingung („Wenn es jetzt an der Tür klingelt, dann spring ich!“).

    Mit Statistiken zu dem Thema kann ich nicht aufwarten, aber ich habe mit einigen Depressiven und auch Sozialarbeitern (und der Schnittmenge) gesprochen, die das bestätigen. Anlässe, die einem die letzte Konsequenz, „das bisschen Mut“, abnehmen, werden gesucht und angenommen.

    Es wird sich wohl kaum einer umbringen, weil es ihm prominent vorgemacht wurde. Aber viele, die schon ernsthaft gefährdet sind, werden es zum Anlass nehmen. Es ist eine zweifelhafte Courage, die ihnen gegeben wird und die sich dann in positiven Formulierungen wie „dem Leben selbst ein Ende setzen“, „den Freitod wählen“ oder „selbstbestimmt abtreten“ wiederfindet.

    Ich finde, man sollte, wenn man denn berichtet, das Ganze mit der einzig wahren Konsequenz ausdrücken: Er/sie hat sich das Leben genommen.

  42. Es stimmt schon, dass eine Selbsttötung immer auch ein Akt der Gewalt ist. Die meisten Suizidalen verbinden mit ihrer Tat eine Botschaft. Meine Freundin hat sich in der Schule umbebracht, die sie nach einem ersten Aufenthalt in der Psychiatrie nicht mehr aufnehmen wollte (@ joshtree: „Das ist traurig, ist doch die Bewertung psychischer Probleme durch das Umfeld häufig der wichtigste Grund, auf eine Therapie zu verzichten bzw. sie zu verschweigen“ ganz genau!). Ihre Mutter hat sich exakt zwei Jahre nach ihrer Tochter am selben Tag das Leben genommen. Trotzdem finde ich den Beitrag von Wolf (#34) sehr zynisch, denn die Qualen, die so ein Mensch durchlebt und die sie letztendlich zu so einer Tat bringen, sind ja durchaus echt.

  43. @5zjunge:

    2.

    Du bist jetzt der Zweite, der hier in den Kommentaren zu faul war, Google zu benutzen. Das ist eine Steigerung von 100% der Leute, die ’ne Meinung absondern ohne gewillt zu sein, auch nur 5 Minuten nachzudenken.

    Oder besser: wer keine Ahnung hat und der Ansicht ist auch noch patzig nach mehr Information verlangen zu müssen, disqualifiziert sich wirklich selbst.

    Und sollte sich vielleicht raus halten.

  44. Die Frage, ob es einen Nachahmungseffekt gibt, ist eine empirische und sie ist eindeutig beantwortet: Es töten sich mehr Menschen mit Disposition zum Suizid, als ohne diese Berichterstattung.
    Das sind Menschen, denen man helfen könnte, wenn sie noch am Leben wären. Depression, die häufigste Ursache, kann man behandeln
    Das weiß ich aus meiner Ausbildung und früheren Arbeit als Psychologe und aus eigener Erfahrung.
    Als Journalist muss ich mich fragen, ob ich den Nachahmungseffekt in Kauf nehme.
    Ich jedenfalls nicht.
    Und diese Sprüche vom „Recht auf selbstbestimmtes Lebensende“ regen mich auf.
    Ein Suizid ist für die Betroffenen ebenso wenig eine freie Entscheidung wie bei Alkoholsüchtigen, die sich zu Tode saufen.

  45. @ 45: Wenn Sie ein wenig älter werden und einen nahen Verwandten verlieren, werden Sie sehen, dass ihr Kommentar nicht cool, wissenschaftlich, philosophisch ist, sondern nur doofer Rotz.

  46. @ 51

    Wenn ein naher Verwandter von mir Suizid begeht, dann ist das letzte woran ich denke ihm vorzuwerfen dass er nicht an mich gedacht hat, als er diesen Entschluss gefasst hat. Wie egoistisch muss man denn sein um dies als Argument gegen die Entscheidung eines anderen anzuführen?
    Anonsten kannst du deine Weisheitsbeiträge aber auch gerne mit Arguementen untermauern, selbst im Alter schadet es nicht.

    @ 47

    Und wieso soll das ein guter Grund sein?

  47. Sicher, Bild schreibt geschmacklos. Und es ist zynisch, dass fast vergessene Prominente plötzlich eine Titelseite wert sind, wenn sie sterben – oder eben sich selbst umbringen.
    Aber das kann keine Grund dafür sein, die Berichterstattung über (wirklich) Prominente einzuschränken.

    Was wäre denn sonst im Fall Marylin Monroe passiert – nur mal so als bekanntestes Suizid-Beispiel?

    Und die Begründung, die Berichterstattung wegen des Nachahmer-Effekts massiv einzudämmen, halte ich für einen Gang über dünnes Eis.
    Hieße dies beispielsweise auch, dass Kriegsberichterstattung eingeschränkt werden solle? Oder das Berichten über Kriminalität?

    Journalisten müssen über das berichten, was auf dieser Welt passiert. Schränkt man sie in dieser Tätigkeit ein, ist das Zensur.

    Entscheidend ist, dass auch Journalisten wissen sollten, was Takt und was Menschenwürde ist. Falsch gewählte Worte machen einen solchen Bericht kritikwürdig – aber nicht seine Platzierung auf der Seite eins oder seine Zeilenlänge.

  48. @Claus
    Nein, Zensur ist, wenn nicht mehr frei über alles berichtet werden darf/kann. Mit dem Drang, über alles berichten zu müssen, hat das nichts zu tun.

  49. @Agent Smith (#45)
    Aus medizinischer Perspektive ist die bloße Ankündigung, Gewalt gegen sich oder Andere ausüben zu wollen, eine Rechtfertigung für eine stationäre Aufnahme in einer Psychiatrie, da akute Lebensgefahr besteht. Eine „schwere depressive Episode“ ist nun mal eine Krankheit und hat mit Logik, Freiheit, geschweige denn mit dem im Grundgesetz verankerten Recht auf „freien Entfaltung der Persönlichkeit“ nichts zu tun. Dieses Recht hat ein Grippevirus auch nicht.

  50. Freie Entscheidung? Ein Ausweg?

    Ich glaube, einige hier kleben in ihrer Vorstellung zu sehr an schwülstigen Samurai Filmen oder haben noch keine persönliche Bekanntschaft mit dem Thema gemacht…
    Für letzteres kann man diejenigen aber beglückwünschen…

    Danke für #22

  51. @Agent Smith,#45:

    klar, Grundgesetz, freie Entfaltung der Persönlichkeit, Entscheidungsfreiheit und so.

    Wir reden hier aber nicht von Menschen, die sich aus rationellen Überlegungen für einen Freitod entscheiden ( also z.B. solchen, die furchtbare Krankheiten ohne Aussicht auf Heilung haben ).
    Wir reden von der Masse, die emotional oder psychisch gestört sind, also krank sind, und gar nicht mehr in der Lage, eine „vernünftige“, rationelle Entscheidung zu treffen. Diese Leute brauchen unsere Hilfe, damit sie wieder erkennen, dass das Leben lebenswert ist; und nicht noch mehr Leute, die ihnen sagen, dass Selbstmord eine „Lösung“ ist.
    Bei solchen Problemen von einer „freien Entscheidung“ zu sprechen, ist schon sehr zynisch.

  52. Ich finde, Suizide müssen mit ihren Hintergründen öffentlich diskutiert werden, weil sich in ihnen gesellschaftliche Probleme ausdrücken, die es zu ä n d e r n gilt, nicht zu verschleiern.

    Ich halte diese restriktive Berichterstattung für moralisch bedenklich, weil sie eine gesellschaftliche Manipulation darstellt und dabei ein diskriminierendes, unterdrückendes, kleinbürgerliches?/ Falsch verstandenes christliches? / kapitalistisches? soziales Konzept durchdrückt, das dem Menschen die Möglichkeit nimmt, für sich zu entscheiden, dass er nicht mehr mitspielen will. Mit was für einem Recht eigentlich?
    Es scheint mir hinter diesem durchsichtigen Deckmantel der ‚Menschlichkeit‘ oft einfach mehr darum zu gehen, die „Gesellschaft“ am „reibungslosen Funktionieren“ zu erhalten, der Einzelne soll nicht stören (schon garnicht während der Stoßzeit springen!), sondern funktionieren, sich eingliedern, weitermachen, nicht auffallen, Mund halten. So werden natürlich existente Strukturen der Diskriminierung reproduziert. Selbstmorde sind doch von der nicht funktionierenden, diskriminierenden Gesellschaft ausgelöst – natürlich will jene sie als Folgen ihrer Dysfunktionalität unterdrücken! Insofern ist eine Haltung des Einfach-unter-den-Teppich-kehren reaktionär.
    Es sollten vielmehr die individuellen Gründe für Suizide einmal – in der Presse – öffentlich diskutiert werden: warum zum Beispiel bringt sich eine überforderte Mutter um? Was ist das Problem in unserer Gesellschaft? Sexismus? Benachteiligung von Frauen? Katholische Familienbilder? Diskriminierender Arbeitsmarkt? Gesellschaftliche Benachteiligung? Finanzielle Unsicherheit? Fehldende Perspektiven? Wie kann man das verbessern?
    Das würde vielleicht langfristig viel mehr Suizide verhindern helfen.

  53. > Aus medizinischer Perspektive ist die bloße Ankündigung,
    > Gewalt gegen sich oder Andere ausüben zu wollen, eine
    > Rechtfertigung für eine stationäre Aufnahme in einer Psychiatrie,
    > da akute Lebensgefahr besteht.

    1. Gewalt „gegen sich oder Andere“ im gleichen Satz unterzubringen zeigt schon dass dies keine objektive Aussage ist. Gewalt gegen andere ist natürlich nicht akzeptabel, da hat der Gesetzgebe die Pflicht einzuschreiten. Das ist nicht der Fall bei Entscheidungen zum eigenen Leben.

    2. Das ist nicht die medizinische Sicht, sondern die gesetzliche und im übrigen auch nur dann wenn derjenige (bei Suizidabsicht) nicht im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte ist. Da der Gesetzgeber das Recht auf Suizid aber gerne aushebeln möchte, nimmt er das praktisch bei allen Suizidabsichten an.

    > Eine „schwere depressive Episode” ist nun mal eine Krankheit
    > Dieses Recht hat ein Grippevirus auch nicht.

    Psychische Krankenheiten sind nicht mit einem Grippevirus vergleichbar. Sie sind als Abweichung der Persöhnlichkeit von der Normalität definiert während ein Virus ein Fremdkörper ist der den Körper angreift. Das ist aber ein ganz anderes Thema was an dieser Stelle etwas lange dauern würde auszudiskutieren.
    Fakt ist dass das Recht auf Suizid besteht und daran ändert sich weder etwas dadurch das Ärzte Suizid als krankhaft einstufen noch das es anderen nicht gefällt.

  54. > die sich aus rationellen Überlegungen für einen Freitod
    > entscheiden ( also z.B. solchen, die furchtbare Krankheiten
    > ohne Aussicht auf Heilung haben ).

    Aha, nur der körperlich unheilbar krank ist kann zu dem logischen Schluss kommen Suizid begehen zu wollen.

    Drehen wir die Sache doch mal um und nehmen wir an ich würde Suizid begehen wollen. Mit welcher logischen Begründung kannst du mich davon überzeugen dass dies falsch ist – also wiederlegen das ich selber eine logische Entscheidung getroffen habe?

  55. @58: Blödsinn! Wenn Du an ihn glaubst, danke Gott dafür, dass Du nicht die geringste Ahnung hast, was für nen Schmarrn Du da schreibst. Ich werde mal meiner Frau erzählen, dass ich durch die Offenlegung ihrer Notlage etwas an den gesellschaftlichen Umständen ändern werde.

  56. @61: Wenn sich nicht durch ein Offenlegen etwas ändert, wie denn sonst? Neben Suiziden aufgrund medizinischer Diagnose wie manischer Depression sind doch offensichtlich viele Selbstmorde als Reaktion auf gesellschaftlichen Druck zu interpretieren. Auch das mit dem Müttern ist kein Witz. Du hast doch auch sicher die Fälle der überforderten Schüler in Japan gehört. Da kann man doch nicht sagen, dass die alle individuell „krank“ sind. Da stehen größere gesellschaftliche Zwänge dahinter. Warum sollten diese nicht angesprochen werden? Nur so kann doch gesellschaftliche Veränderung stattfinden!

  57. @5zjunge (#42): In dem verlinkten „Spiegel“-Gespräch spricht der Bahn-Chef von „normalerweise“ drei bis vier Bahnsuiziden täglich. Rechnen Sie’s selbst aus.

    (Warum klicken Menschen nicht auf Links?)

  58. Glaubt man manchen, führt uns die Sarrazin-Debatte direkt in eine Neuauflage des Dritten Reichs. Obwohl die BILD durchaus wohlwollend über Sarrazin berichtete, blieben darauf zurückzuführende Straftaten aus. Erstaunlicherweise steigt trotz all der „Hetzer“ nicht die rechte Gewalt, sondern seit Jahren die linksmotivierten Straftaten. Und nicht die NPD oder die Union legt kräftig zu, sondern die GRÜNEN.

    Soviel zum Thema Einfluss der Medien auf unser Verhalten. Bei manchen Amokläufern wurden Computerspiele gefunden, Lennon-Mörder Mark David Chapman hat sich vor der Tat Salingers „Fänger im Roggen“ gekauft. Und?

    Auch wenn dieser Artikel sehr gut in die Welt eines BILDbloggers passt: Trotz der Hofierung von Westerwelle würden laut Umfragen nur vier Prozent FDP wählen. Andere Umfragen sagen sechs Prozent. Was ist wahr? Kleinkram, nicht? Zwei Prozent entsprechen ja nur 1,2 Mio. Wahlberechtigten. Medienwirksam zitiert werden die besonders miesen vier Prozent. Niggemeier, greifen Sie ein!

    Noch einmal: Trotz der Übermacht der BILD stehen die GRÜNEN so gut da wie nie. Trotz Dschungelcamp-Berichterstattung werden die Quoten kaum die 20-Uhr-Tagesschau oder Rosamunde Pilcher überflügeln. Wir hatten SPD-Kanzler und haben Ökostrom. Trotz BILD. Vielleicht hatten wir Rot-Grün auch nur wegen BILD?

    Wir sind eben keine Lemminge, die sich von den Klippen oder vor die Züge stürzen, weil irgendwer was schreibt. Wie war es nach dem Tod von Kirsten Heisig, nach den Badewannenfotos von Barschel? Stieg nach Möllemann die Nachfrage nach Fallschirmkursen? Fielen Hunderte Depressive kamikazeartig vom Himmel? Greifen wir alle nach Koks und Zwangsprostituierten, weil Michel Friedman mit ihnen viel Spaß hatte?

    Nein, lieber Stephan Niggemeier, man könnte ebensogut einen Zusammenhang zwischen der vielzitierten dunklen Jahreszeit und der Bereitschaft zum Suizid herstellen. Einen solchen Zusammenhang gibt es aber nicht.

  59. @ Agent Smith (#45): Vielleicht muss nicht um jeden Preis jedes Leben retten. Aber wenn Leute, die aus welchen Gründen auch immer nicht mehr ganz zurechnungsfähig sind, die die Wirklichkeit selektiv und verzerrt wahrnehmen und ihre Situation und ihre eigenen Möglichkeiten nicht mehr einschätzen können, ihrem Leben ein Ende setzen, ist das schon aus Prinzip eine Fehlentscheidung.
    Dass die meisten Selbsttötungen zumindest einen Anteil von Schrei nach Aufmerksamkeit enthalten, ist auch eine Binsenweisheit. Und dieser Schrei nach Aufmerksamkeit hat nun einmal die Wirkung, den Hinterbliebenen das Leid dessen um die Ohren zu hauen, der sich selbst getötet hat. Da steckt durchaus etwas Gewalttätiges den Hinterbliebenen gegenüber drin, egal ob das im konkreten Fall beabsichtigt ist oder nur Nebenwirkung ist.
    Wer sich wirklich freiwillig (also bei voller Zurechnungsfähigkeit, nach nüchterner Abwägung aller relevanten Tatsachen) zur Selbsttötung entschließt, wird sich sowieso nicht im Gefolge eines anderen das Leben nehmen, sondern unabhängig, zu einem frei gewählten Zeitpunkt und mit einer rational gewählten Methode. Wenn das aber überhaupt vorkommt, dürfte es eine ganz seltene Ausnahme sein. Und um die Leute geht es auch nicht, sondern um diejenigen Suizidgefährdeten, die dem Werther-Effekt unterliegen und die situationsbedingt nur glauben, dass eine freie Wahl haben.

  60. @ Horst (#25):
    Ergänzend zu inga (#41) und VonFernSeher (#46) möchte ich noch folgendes anmerken:
    (…) habe es nicht wegen Enke getan.
    Hier wird eine Klausalität beworben die es nicht gibt.

    Sie werfen Ursache und Anlass durcheinander. Wer sich im Rahmen des Werther-Effekts selbst tötet, tut das, weil er gravierende Probleme hat und keinen anderen Ausweg sieht. Aber das prominente Vorbild, über das groß berichtet wird, kann der Anlass, der letzte Anstoß zu der Tat sein.
    Ich behaupte mal ganz kühn, die Zahl der Selbstmorde aufs Jahr verändert sich durch solche Medienberichte nicht, lediglich der Zeitpunkt der Selbstmorde konzentriert sich eher im Bereich der Berichterstattung.

    Das müsste sich überprüfen lassen (es sind hier, glaube ich, Links zum Thema erwähnt worden). Aber selbst wenn Sie recht hätten – indem Sie zugeben, dass Selbsttätungen nach Medienberichten über Selbststötungen gehäuft auftreten, gehen Sie selbst auch von einem Zusammenhang aus.

    Kann sein: Mancher hätte sich früher oder später sowieso getötet. Aber wenn (zum Beispiel angestoßen durch entsprechende Medienberichte) eine solche Tat vorgezogen wird, ist keine Hilfe mehr möglich. Wenn jemand mit Selbstmordgedanken keinen solchen Anstoß erlebt und stattdessen (erstmal) weiterlebt, besteht wenigstens prinzipiell die Möglichkeit, dass er Hilfe erhält, sich sein Zustand bessert und er sich am Ende eben nicht selbst tötet. Und sogar wenn der Effekt nur minimal ist – jedes Leben, das gerettet wird, ist es wert.

  61. Was mich an solchen Diskussionen, insbesondere über dieses Thema, immer wieder beeindruckt: Wie sehr sich Leute gegen Tatsachen wehren, die ihnen nicht gefallen.

    Der Werther-Effekt ist wissenschaftlich gründlich untersucht. Das bedeutet nicht, dass diese Studien eine absolute Wahrheit darstellen, sie können diverse Schwächen haben oder alle denselben logischen Fehler machen. Aber wer ihnen widersprechen will, sollte das auf der Grundlage von Fakten machen. Stattdessen gibt es auch hier wieder zahlreiche Kommenatoren, die dem ein bloßes „Kann ich mir nicht vorstellen“ entgegensetzen und das für ein Argument halten.

    Oder Claus (#53): Er meint, man müsse nur einfühlsam über Suizid berichten, eine Platzierung auf Seite 1 könne nicht schaden. Er liefert keinen Beleg dafür. Das ist halt sein Gefühl. Wenn er sich entscheiden muss zwischen seinem Gefühl und wissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema, gibt er seinem Gefühl recht.

    Ich bin mir sicher, er ist damit nicht alleine. Das ist eine zutiefst menschliche Eigenschaft, das nicht glauben zu wollen, was uns unlogisch erscheint, selbst wenn jemand mit uns die Belege Schritt für Schritt durchgeht.

    Aber die hier bei einigen sichtbare Bereitschaft, sich einfach auf ein „Glaub ich nicht“ oder „Kann nicht sein“ zurückzuziehen oder von „waghalsigen Kausalketten“ zu reden, ohne – mutmaßlich – sich nur mit einer einzigen Herleitung dieser Kausalketten (oder wenigstens Korrelationen) beschäftigt zu haben, die ist schon beeindruckend.

    Ganz schön erkennt man das auch an dem Kommentar von 5zjunge, wenn er schreibt:

    Oder ist eine Metanachricht der Form, dass sich 100 Leute [Zahl willkürlich geraten] wegen der Enke-Berichterstattung das Leben genommen haben, auch schon wieder schädlich.

    Da schwingt kindischer Trotz mit. Ja, das ist auch schon wieder schädlich, denn wenn ich es richtig verstehe, ist das Tabu, das Selbsttötungen umgibt, in diesem Fall hilfreich und Nachrichten, die Gefährdeten das Gefühl geben, dass sie nicht allein sind und der Suizid eine durchaus weit verbreitete Praxis, sind nicht ungefährlich.

    Ja, wir können und sollen darüber streiten, was die richtigen Konsequenzen für Journalisten u.a. aus diesen Zusammenhängen sind. Aber die Zusammenhänge lassen sich nicht bestreiten. Wer einfach sagt „Kann ich mir nicht vorstellen“, ohne sich mit den Fakten zu beschäftigen, demonstriert ein erstaunliches Desinteresse an der Realität.

  62. @60
    Aha, nur der körperlich unheilbar krank ist kann zu dem logischen Schluss kommen Suizid begehen zu wollen.

    So ist es. In allen anderen Fällen ist es einfach nur eine unendliche Dummheit. Ich hab bspw. so einen Fall in der Familie, die sich nach dem Tod ihres Mannes ganze 5 Jahre lang in einer schweren depressionssspirale befunden hat, meinte, sie warte nur noch auf den Tod aber Gott habe sie mit einer guten Gesundheit gestraft, die es sich mit meiner Schwester verschissen hat weil sie ihr quasi zu ihrer Krebserkrankung gratuliert hat und meinte, sie würde an ihrer Stelle nichts machen und einfach daran sterben. Sie hat sich nach eigenen Angaben nur deswegen nicht umgebracht weil sie sehr katholisch ist und ihrer Mutter das auch nicht antun wollte. Es erschien ihr jahrelang als eigentlich das einzig logische. Bis sie vor ein paar Monaten einen neuen Mann kennengelernt hat, den sie im Sommer heiraten will.

  63. (Kommentar #64 hatte ich vor dem Posten meines Kommentars noch nicht gelesen, bestätigt ihn aber auf das Eindrucksvollste. Es geht nicht um Wahlabsichten, es geht um Menschen, die gefährdet sind, sich das Leben zu nehmen. Die Zahl dieser Menschen, die das dann tatsächlich tun, nimmt signifikant zu, wenn Medien über Suizide in der Form berichten, wie es „Bild“ und „Berliner Kurier“ gestern getan haben.

    Das ist keine Glaubensfrage, sondern lässt sich empirisch beweisen. Oder widerlegen. Der Werther-Effekt ist an vielen Beispielen empirisch belegt worden.)

  64. #71: „so wie dieser Torwart“ – Du hast Recht, aber so oft, wie ich diese Worte gehört habe, brauche ich keine Empirie mehr. Aber sie sollte eigentlich helfen, subjektive Erfahrungen zu untermauern. Nur zur Kenntnis nehmen muss man sie.

  65. @69
    Ich sehe da keinen Wiederspruch zu meiner Aussage. Auch die ICD Kataloge nenne Symptome die als Abweichung des Normalen definiert sind sind. Nur mal ein Beispiel: „übermäßige Inanspruchnahme durch Phantasien und Introvertiertheit;“, „wenn überhaupt, dann bereiten nur wenige Tätigkeiten Freude;“. Das sind zwei ICD Symptome zur Klassifizierung einer Krankheit. So oder so ähnlich sehen viele psychische Krankheitsmerkmale aus.

    (Im übrigen will ich damit nicht ausdrücken dass alle psychsichen Probleme erfunden sind oder Ärzte hier nicht helfen können, es geht nur direkt um den Kontext das die Suizidabsicht per Definition fast immer als psychische Krankheit gesehen wird)

  66. Nr. 64 ist eine peinliche Lachnummer.

    Im Übrigen zeigt sich dieses Desinteresse bzw. die „Also das kann ich mir jetzt aber üüüüberhaupt nicht vorstellen, also ist es nicht wahr, wenigstens höchst zweifelhaft“-Getue hervorragend bei all den Einwanderungs- und Integrationsthemen. Wenn ein Deutscher nicht weiß ist, dann glaubt der Otto Normaltrottel: „Nee, is nicht. Nie im Leben ist deeer deutsch“. Witzigerweise steht das zu der weit verbreiteten Grundannahme, dass „die“ sich gefälligst zu integrieren (lies: unter Aufgabe der eigenen Identität vollständige Anpassung an die als urdeutsch empfundene Bevölkerung) haben. Ju-hu!

  67. Den Werther-Effekt gibt es. Daran zu zweifeln, kann nicht der Ausgangspunkt der Diskussion sein. Es gibt ihn einfach.

    Die Frage ist, wie viele vergleichbare Effekte es gibt. Ein Magazin berichtet über eine „toughe“ Frau bei der Bundeswehr. Daraufhin bewerben sich doppelt so viele Frauen wie vorher dort. Im ersten Einsatz nach der Ausbildung kommen drei davon ums Leben. Ist das Magazin schuld?

    Jeder journalistische Text kann das Verhalten der Leser ändern, er sollte es vielleicht sogar. Hier in Texten über Selbsttötungen einen Sonderfall zu sehen, halte ich für nicht begründbar.

  68. @Agent Smitth, #60:

    ich bin kein Psychologe ( das dürften die meisten hier im übrigen nicht sein ), aber ich denke, wer eine schwere psychische Krankheit wie z.B. eine Depression hat, ist meist aufgrund eben dieser Krankheit gar nicht mehr in der Lage, seine Umgebung, seine Lebenssituation, korrekt wahr zu nehmen. Dementsprechend sind auch die Entscheidungen die man unter solchen Umständen trifft, nicht logisch, nicht rational.
    Diese Menschen treffen solche Entscheidungen eben nicht freiwillig, da ihr freier Wille durch die geistige Krankheit eingeschränkt ist.

    Das mit der unheilbaren körperlichen Krankheit war nur ein Beispiel, aber es ist das in Bezug auf Sterbehilfe / Selbstmord aus freiem Willen am besten dokumentierte, denke ich.

    Was deine Frage angeht, du müsstest mir erst mal einen deiner Ansicht nach logischen Grund nennen, aus dem du dich umbringen möchtest ( ausgenommen die o.g. unheilbare Krankheit ). Ich will natürlich nicht ausschliessen, dass es einen solchen gibt, aber einfallen will mir im Moment keiner.
    Die Erhaltung der eigenen Existenz ist normalerweise eines der wichtigsten Prinzipien jedes Lebewesens, vielleicht nur noch übertrumpft von der Erhaltung der eigenen Art. Aber darum kann es ja hier nicht gehen. Wenn man sich zu einem solchen Schritt entschliesst, hat das meist eher persönliche Gründe.

  69. @Stefan Niggemeier #70: Nicht missverstehen: Ich widerspreche dem Werther-Effekt nicht. Mir ist das Modell von Ursache und Wirkung in Deinem Artikel zu schlicht, weil es um Menschen geht. Nein besser: Weil es um Leben und Tod geht.

    Die Gründe für Suizide sind vielfältig. Man muss zumindest hinterfragen, ob die Häufung der Suizide in den besagten Monaten nicht auch reiner Zufall sein kann.

    Diese Art der Medienberichterstattung ist nicht neu, man kann sie abgründig finden. Aber um ein klares Bild zu erhalten und Fakten zu schaffen, müsste man ähnliche Berichte mit Suizidzahlen vergleichen. Und das wäre ein echter Knaller!

    Noch besser wäre es, die Motive der Selbst“mörder“ zu kennen. So wie der Artikel hier steht, sagt er nur: Da gibt es einen Zusammenhang. Ich sage: Ein Zusammenhang ist im Einzelfall nicht auszuschließen.

    Freitod ist ein schwieriges Thema. Jeder hat das Recht, über den Zeitpunkt seines Todes selbst zu entscheiden. Artikel wie Deiner haben immer einen Beigeschmack von „das war doch unnötig“ und „man hätte vielen sicher helfen können“. Ich maße mir da kein Urteil an und gehe davon aus, dass die meisten weder in den Tod getrieben noch durch die Medien zum Suizid animiert wurden.

  70. Sie befinden sich gerade in einem falschen Interialsystem. Bei einer Krankheit steht nicht die Normalität im Zentrum, sondern das Leiden eines Menschen.

    Beispiel das Symptom: „übermäßige Inanspruchnahme durch Phantasien und Introvertiertheit;”. Ein Künstler, der die meiste Zeit seines Lebens mit seiner Kunst verbringt und glücklich ist, ist nicht krank und würde auch nie zum Arzt gehen.
    Jedoch kann ich mir keinen glücklichen Menschen vorstellen, der sich Gedanken macht, sich das Leben zu nehmen. Die Ursache dieses Denkens liegt im Leiden, daher ist er auch krank.

    Nur weil die Verbreitung von Depressionen mit vier Millionen Deutsche sehr hoch in Deutschland ist und deshalb viele Menschen solche Gedanken haben, sollte man diese nicht als „normal“ definieren, hinnehmen und rücksichtslos mit ihnen umgehen. Dieses Minimum an Verantwortungsgefühl sollte man von jedem Journalisten erwarten dürfen.

  71. @Matthias Schumacher:

    Aber um ein klares Bild zu erhalten und Fakten zu schaffen, müsste man ähnliche Berichte mit Suizidzahlen vergleichen. Und das wäre ein echter Knaller!

    Das ist viele Male gemacht worden, verfolge die Links, lies die Literatur. Es ist ein echter Knaller.

    (Hilfe.)

  72. Sehn Sie darin Trotz? Ich finde es erstaunlich, dass ein Stefan Niggemeier dpa mit einem aussagearmen Teil zitiert, während an anderen Stellen sinnfreie Meldungen zu Statistiken aller Art auseinandergenommen werden.

    Dass es einen Grund gibt, warum das Zitat so aussieht (#68) wie es aussieht, ist da beruhigend. Die Vermutung dahinter teile ich allerdings nicht. Ich glaube nicht, dass die Information über diese Metazahl einen Unterschied für Gefährdete macht, bzw. eher mässigend ist. Die Aussicht, nur einer von vielen Nachahmern zu sein, treibt sicher nicht an.
    Der Kritik in dem Blogeintrag nimmt es aber Schärfe.

  73. @5zjunge: Aha, Sie „glauben“ das also nicht. Gut, dann es wird es nicht so sein.

    (Die dpa-Meldung, aus der ich zitiere, enthält auch die absoluten Zahlen. Sie stehen auch in dem Link unter #27.)

  74. @ Matthias Schumacher (#77): Soso, Sie widersprechen dem „Werther-Effekt nicht“. Sie „maßen“ sich nur nicht an, an ihn zu „glauben“. Wahnsinn. Suizid ist ein Phänomen, das bestens erforscht ist, von Soziologen, von Psychologen, von Medizinern. Wenn Sie z.B. die Motive interessieren, können Sie bei Durkheim mal anfangen und sich bis zu aktuellen Artikeln durcharbeiten. Aber warum sollte man sich die Mühe machen, die entsprechenden Forschungsergebnisse zu lesen, wenn man stattdessen auch wild herummeinen kann?

    Ich vermute ja, dass diese Scheuklappenhaltung eine massive psychische Abwehrreaktion gegenüber dem Thema Selbsttötung ist. Diejenigen, die bei meiner Freundin am lautesten „war wohl besser so“ und „ist doch ihre Entscheidung“ geblökt haben, waren auch vorher die, die sie aufgrund ihrer psychischen Erkrankung fallengelassen haben wie eine heiße Kartoffel. Diese Ausgrenzung war übrigens der Grund, warum sie ihre Therapie abgebrochen und Medikamente rundheraus verweigert hat. Leute, die trotz entsprechender empirischer Evidenz so einen Müll erzählen, haben einfach zu große Angst, irgendwie hineingezogen zu werden und sich dann womöglich schuldig zu fühlen.

  75. @Stefan Niggemeier #81: Die Welt hat eine Scheibe!

    Ich habe eine Meinung. Für Urteile sind Richter und Niggemeier zuständig.

    Falls Du meinst, dass ausnahmslos jeder Suizid falsch ist und mit allen Mitteln verhindert werden muss, dann ist das in Ordnung. Ich sehe das etwas anders, wobei gerade der Freitod auf der Schiene eine ganz besondere Dimension hat. Es gibt Zugführer, die Kerben in ihre Schlüssel ritzen…

    Du weißt ja, wie es mit Zahlen, Daten, Statistiken und Studien ist. „Deutschland schafft sich ab“ ist voll davon. Glaubst Du deshalb gleich daran?:)

    Sicher weißt Du, dass seit Sonntag die „Drombuschs“ wieder auf 3sat laufen. Ich saß so da, schaute – in Jugenderinnerungen versunken – und fragte meinen Nebenmann „Macht der noch irgendwas. Man hat nie wieder was von dem gehört, oder?“ Montag wusste ich Bescheid.

  76. MTV hat es bei Cobain damals vorbildlich gehandhabt! Gut, dass die an den Werther-Effekt „geglaubt“ haben!

    @73: „Suizidabsicht per Definition fast immer als psychische Krankheit gesehen wird“ Suizidabsicht ist „per definitionem“ ein Symptom! Weder notwendig noch hinreichend für eine Störung!

    @77: „Man muss zumindest hinterfragen, ob die Häufung der Suizide in den besagten Monaten nicht auch reiner Zufall sein kann.“
    Das hat man getan und BingoBongo – die Antwort war „Nein, kein Zufall! Überzufällige Häufung!!!“ So läuft Empirische Forschung… Ist es Zufall? Oder nicht?

  77. @Matthias Schumacher (#86): Man muss wissenschaftliche Ergebnisse nicht glauben. Man kann sie nachprüfen. Sarrazins „Zahlen, Daten, Statistiken und Studien“ halten zu großen Teilen einer Überprüfung nicht stand. Der Werther-Effekt schon. Seit Jahrzehnten. Immer wieder. Und wieder. Und wieder. Aber meinen können Sie natürlich, was immer Sie wollen. Aber ich darf Sie dafür für doof halten, wenn ich will.

  78. @inga #85: Sie sind offenbar noch immer sehr mitgenommen. Tut mir leid für Sie und besonders für ihre Freundin. Ich pflege allerdings nie zu blöken. Ich nehme mir die Freiheit, an das zu glauben und das zu meinen, was ICH will. Offensichtlich deckt sich das hier nicht ganz mit dem, was Sie glauben, meinen und wollen. Ich werde den Teufel tun, hier Ihre persönlichen Erfahrungen zu kommentieren. Und da Sie mich nicht kennen, empfehle ich Ihnen, sich die Erstellung weiterer Psychogramme zu sparen – und uns zu ersparen. Ferndiagnosen sind rundum abzulehnen.

  79. @86 Vielleicht nicht direkt zum Thema, aber die Berufsgruppe, die unter Suiziden im Gleis am meisten zu leiden hat, das ist die Gruppe der Lokführer. Der Zugführer hält sich bei den Fahrgästen auf (wenn welche da sind). Ich schreibe das nicht, weil ich sonst nicht schlafen kann, sondern weil es nahezu jeder Journalist verwechselt bzw. nicht vernünftig recherchiert.

  80. @Matthias Schumacher (#88)

    „Sie sind offenbar noch immer sehr mitgenommen.“
    und

    „Und da Sie mich nicht kennen, empfehle ich Ihnen, sich die Erstellung weiterer Psychogramme zu sparen – und uns zu ersparen. Ferndiagnosen sind rundum abzulehnen.“

    Meinen Sie nicht, dass sollte dann auch für Sie gelten?

  81. @Stefan Niggemeier
    Glauben heißt nicht wissen und ich kann mich nicht in alle Gefährdeten soweit reindenken, dass ich das auschliessen könnte. Von daher ist die Zitatkürzung verständlich und auch in Ordnung.

    Ich halte aber dieses zusätzliche Detail für deutlich weniger gefährdend (wenn überhaupt) als den Meta-Bericht selbst, die beabsichtigte Wirkung des Berichtes dadurch aber geringer.

  82. @#88: ich willl nicht unhöflich sein, aber für mich klingt das eher nach Realitätsverweigerung, als nach Meinung.

    Klar können Sie glauben und meinen, was Sie wollen. Aber wenn das – wie im Falles des Werther-Effektes – so offensichtlich den Tatsachen widerspricht, sollten Sie sich vielleicht schon fragen, ob diese Haltung noch sinnvoll ist.

    Oder haben Sie einfach für sich beschlossen, nur die Art von wissenschaftlichen Studien zu akzeptieren, die auch in ihr Weltbild passen ?

  83. Seid Ihr die, die sonst immer unter den Artikeln bei bild.de kommentieren? Oder bist Du es, Konstantin?:)

    @Dollar Brand: Danke, wieder was gelernt. So arrogant und unbelehrbar bin ich doch gar nicht!

    Smileys zu ignorieren und klare Aussagen wie „Ich widerspreche dem Werther-Effekt nicht“ umzudeuten, sind Kunststücke, die ich noch nicht beherrsche. Obwohl ich sonst verdammt perfekt bin. Ich gehe dann mal üben, spätestens Ende nächsten Monats komme ich wieder und möchte aussagekräftige Zahlen zum Werup-Effekt.

  84. @Matthias Schumacher
    In Ihrer Aufzählung haben Sie das Statistische Bundesamt vergessen. Das richtet nicht und meint nicht, das zählt und bei Sterbefällen auch sehr genau. Gerade im Bereich der Todesursachen gibt es daher sehr wenig Spielraum, in der eine Manipulation möglich wäre.

    Ich habe mir gerade mal kurz die Mühe gemacht und die genannten Zahlen mit mit denen aus der Statistik der „Todesursachen in Deutschland“ abgeglichen. Daher weiß ich: Sie stimmen.

    @Stefan Niggemeier (#82)
    Manche Menschen wollen nicht „wissen“, sie wollen lieber „meinen“. Wie sagt Schopenhauer? „Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.“

  85. Naja, so lange Sie das Kunststück „ein Geisterfahrer?! Hunderte!“ so gut beherrschen, ist ja alles in Ordnung. Ich meine, Sie widersprechen ja nicht nur dem Werther-Effekt, sondern auch sich selbst andauernd. Und Ihr letzter Absatz ist schlicht widerlicher Zynismus. Da helfen auch keine Smileys.

  86. @#96: naja, in #77 schreiben Sie zwar „ich widerspreche dem Werther-Effekt nicht“, gehen aber gleichzeitig davon aus, „dass die meisten weder in den Tod getrieben noch durch die Medien zum Suizid animiert wurden.“

    Also, was jetzt ? Sie können nicht beides haben.

  87. @Post 4 / Stefan

    Bevor ein BILD Journalist seinen Stift wegen einem Beitrag auf diesem Blog beiseite legt, wird der Papst evangelisch. Aber ich denke mal, dass Du auf die mehr seriösen Zeitungen ansprichst. Aber diese werden es wahrscheinlich nicht so ausschlachten wie der Boulevard.
    Ich möchte auch gar nicht sagen, dass der Blog nicht wertvoll ist, aber ein BILD Mitarbeiter verdient seine Brötchen nicht, weil er sich Gelegenheiten, die Emotionen hervor rufen entgehen lässt. Besonders Todesfälle / Suizide sind da gefragt.
    Die Macht hat nun mal große Wirkung auf die geistig Schwachen. :/

  88. @ Matthias Schumacher (#86):Ich sehe das etwas anders, wobei gerade der Freitod auf der Schiene eine ganz besondere Dimension hat.

    Was ist das denn für eine ganz besondere Dimension? Das Lokführer regelmäßig traumatisiert werden? Dass Sanitäter und Feuerwehrleute die sterblichen Überreste der Leute von der Lok, aus dem Fahrwerk und dem Gleisbett kratzen müssen? Die freuen sich sicher über jeden einzelnen Fall.

    Es gibt Zugführer, die Kerben in ihre Schlüssel ritzen…

    Kennen Sie so einen Lokführer, oder ist dazu mal was im Fernsehen gelaufen? Ich könnte mir höchstens vorstellen, dass man auf diese Art zu verhindern versucht, dass belastende Erlebnisse einem zu nahe kommen. Das dürfte dann mit dem schwarzen Humor etwa von Polizisten und Medizinern vergleichbar sein.

    Und weil manche Lokführer sich angeblich für jeden, der sich ihnen vor die Lok schmeißt, eine Kerbe in den Schlüssel (was für Schlüssel?) ritzen, ist so eine Selbsttötung auf den Schienen weniger schlimm?

    (#89): Ich nehme mir die Freiheit, an das zu glauben und das zu meinen, was ICH will.

    Diese Freiheit hat Ihnen inga in #88 ja auch gar nicht abgesprochen. Im Gegenteil. Und ich rege mich über Ihre Äußerungen genauso auf, ohne dass sich jemand mir Nahestehendes das Leben genommen hätte und ich mir deshalb herablassen sagen lassen müsste, noch sehr mitgenommen zu sein. Meine Fresse.

  89. @M. Schumacher

    (Ich maße mir da kein Urteil an und gehe davon aus, dass die meisten weder in den Tod getrieben noch durch die Medien zum Suizid animiert wurden.)

    Sich selbst in einem Satz so widersprechen zu können, das hat schon was. Chapeau.
    Ansonsten finde ich ihren schnoddrigen Schreibstil hier nicht passend. Das augenscheinliche Bemühen, „cool“ zu wirken, ist in diesem Kontext besonders peinlich.

  90. Hi Stefan,

    hätte ich nicht gedacht, dass das solche Auswirkungen hat. Mir kommt die hohe Zahl der Freitode schon immer merkwürdig vor. Wie viele täglich in Deutschland? 10, 20 Menschen.

    Wie geht man damit um? Wie lässt sich helfen, ohne, dass die Möglichkeit des Freitods propagiert wird? Schwierig. Auf jeden Fall einer guter Artikel.

    Ich habe mal in einem solchen Zug gesessen. „Technische Störung“. Eine halbe Stunde auf den Gleisen gestanden und gewusst, da ist jetzt jemand tot. Hatte mich mitgenommen.

    Viele Grüße

    Jens

  91. „Soll sich doch umbringen, wer will.“
    Das ist eine Meinung. Nicht übermäßig human. Aber Menschenfreundlichkeit ist ja keine Vorbedingung der Meinungsfreiheit.

    Aber hier geht es doch um etwas ganz anderes: Gibt es eine Pflicht der Medien, über einzelne Selbstmorde (ausführlich? reißerisch?) zu berichten? Auch dann, wenn man um die Folgen (weitere Selbstmorde, „Werther-Effekt“) weiß?

    Ich sage: Nein. Und das ist meine Meinung.

    Wenn jemand zu der Meinung kommt: „Ja, die Berichterstattung muss auch erfolgen, wenn es das Leben von Menschen kostet“, dann ist das auch eine Meinung. Die ich nicht teile, aber im Sinne der Meinungsfreiheit gerne hinnehme.

    Zu ganz anderem Urteil könnte, vielleicht muss die Meinungsfindung kommen, wenn es um ein über den Einzelnen hinaus gehendes und damit gesellschaftlich relevantes Phänomen geht. Z.B. starker Anstieg der Suizidrate. Oder Suizid-Serie in französischen Unternehmen wg. Arbeitsüberlastung. Oder so genannte Selbstmord-Attentäter.

    Aber all dies war nicht das Thema von Niggemeiers Blog-Beitrag.
    Sondern Niggemeiers nachvollziehbar entrüsteter Hinweis darauf, dass bestimmten Medien der Werther-Effekt ganz offenbar scheißegal ist.

  92. Naja M. Schumacher sagt nicht, dass es den Werther-Effekt nicht gibt.

    Er glaubt nur, dass er keine große Auswirkung hat und die Statistiken übertrieben sind bzw. es sich dabei um eine gehäufte Anzahl von Zufällen handelt. Es geht im Detail glaube ich darum, dass die Berichterstattung nicht Ursache des Selbstmordes ist. Es gibt eben keinen Zusammenhang. Nicht weil, es irgendwelche Hinweise gäbe, sondern weil Matthias Schumacher das sagt! Zumindest habe ich keinerlei Argumente gefunden.

    „Freitod ist ein schwieriges Thema. Jeder hat das Recht, über den Zeitpunkt seines Todes selbst zu entscheiden. Artikel wie Deiner haben immer einen Beigeschmack von „das war doch unnötig” und „man hätte vielen sicher helfen können”. Ich maße mir da kein Urteil an und gehe davon aus, dass die meisten weder in den Tod getrieben noch durch die Medien zum Suizid animiert wurden.“

    Der Punkt ist jetzt, dass hier viele sagen: „Hey wenn ich die Chance habe den Tod eines Menschen zu verhindern, indem ich weniger reißerisch berichte, dann tue ich das und es ist richtig das zu tun“

    M.Schumacher sagt: „Naja, man muss nicht jeden retten. Bei einigen kann ich verstehen, dass sie sich umbringen, also lasst sie doch einfach machen. Wenn die Berichte dazu beitragen, dass sich einige mehr umbringen, dann geschieht dies nur früher oder es passiert endlich. Verhindern muss man sowas allerdings nicht, da das schon in Ordnung ist.“

    Somit gibt es den Werther-Effekt und er hat auch Auswirkungen, aber man muss nicht darauf achten, weil jeder das Recht auf Selbstmord, aber nicht das Recht auf Hilfe und Rücksichtnahme hat!

  93. @103: „Wie geht man damit um? Wie lässt sich helfen, ohne, dass die Möglichkeit des Freitods propagiert wird?“

    Bei Kurt Cobain war ein wichtiger Faktor, dass gezeigt wurde, wie seine Frau auf dessen Tod reagiert hat, nämlich mit Trauer, Wut, Hass, Verzweiflung… Der Fokus lag auf den negativen Folgen des Suizids, da war erstmal null Idealisierung! Und dann wurden 24 Stunden-Sorgentelefone geschaltet!

    Man geht z.B. auch davon aus, dass die Kirche dadurch, dass sie Suizid verurteilt und es keine herkömmlichen Begräbnisse etc. gab (gibt?), sehr erfolgreich Suizidprävention betrieben hat!

    Ein anderer wichtiger Punkt ist natürlich Aufklärung! Darüber, dass Hilfe möglich ist, dass oftmals ein extremer Tunnelblick den Suizidgedanken, -handlungen vorausgeht, der sich aufweiten lässt, dass man Suizidankündigungen anderer immer ernst nehmen soll, dass man den Blick für Anzeichen schärft… dass ein Gang zum Psychotherapeuten kein Zeichen von Schwäche ist…

  94. Was machen wir dann mit dem Selbstmord in der Literatur? Den Werther an Schulen und Unis verbieten? Filme, in denen Selbstmörder vorkommen aus den Kinos verbannen? Die Frage muss als Analogie erlaubt sein.

  95. Hm Martin, waren die Leiden damals Lehrstoff?

    Ich glaube eher nicht.

    Mehr noch, was ist Ihnen lieber, das Buch I’m schulischen Kontext zu behandeln oder lieber jeden Schüler irgendwann das Buch selbst zufällig zu finden und zu lesen?

    Ganz davon ab: an welchen Schulen ist das Buch überhaupt I’m Legrapparat?

    Bei uns war es nicht dabei.

  96. „Der Vorstandsvorsitzende Rüdiger Grube sagte dem „Spiegel”, dass sich die Zahl der Menschen, die sich täglich von einem Zug überrollen lassen, nach dem Suizid von Robert Enke verfünft- bis versechsfacht habe, „wochenlang”.“

    Gibt es viele Menschen, die sich täglich von einem Zug überrollen lassen? Ich hatte angenommen, den meisten gelinge dieses Kunststück nur einmal.

    (Sorry, der musste raus.)

  97. @109

    Ich bin nicht der Meinung, dass der Witz dieser Spitzfindigkeit in einem gesunden Verhältnis zur Geschmacklosigkeit steht.

    Man MUSS eben nicht alles schreiben, was einem in den Sinn kommt – das war doch wohl auch das Thema des Blogeintrags.

  98. @Martin
    In der Tat gab es von 1775 bis 1825 ein Verbot des Buches in Leipzig, nach dem viele Menschen ums Leben gekommen sind. Da an deutschen Schulen durchweg pädagogisch geschultes Personal (5 Jahre Studium und zwei Jahre praktische Ausbildung) arbeitet, das weiß wie man diesen Stoff aufzuarbeiten hat, damit eben keine Nachahmungstaten in der Klasse stattfinden, ist eine Diskussion über ein Verbot an Schulen überflüssig.

    Was die Universitäten oder Kinofilme angeht, sehe ich ein größeres Problem. Da muss jeder Dozent, Professor, Produzent oder Autor selbst die Verantwortung für seine Schuld tragen, wenn durch seine Anregung Nachahmungstaten stattfinden sollten. Ähnlich wie bei Journalisten, ist unter diesen Berufsgruppen der Werther-Effekt jedoch oft nicht bekannt und wenn doch, so wird er gerne ignoriert.

  99. unabhängig davon, dass es sicherlich unterschiedliche meinungen zum freitod geben mag (ja, auch ich habe es letztes jahr als vielbahnfahrer erleben müssen, dass verhältnismäßig viele freitode nach dem enke-tod auftraten – in dieser „saison“ war ich erst einmal betroffen), finde ich, dass man niemanden ermuntern muss durch formulierungen wie: „sah keinen ausweg“ etc..

    darüber hinaus: nicht über alles, was quote oder leser bringt, muss berichtet werden. auch wenn in zeiten von echtzeitkommunikation das wort „ethik“ nicht mehr bekannt ist, diskretion und respekt vor einem einzelschicksal sollten möglich sein. der tod stellt einen schlussstrich dar, der als solcher von allen respektvoll gezogen werden sollte….

  100. @JO

    „Da muss jeder Dozent, Professor, Produzent oder Autor selbst die Verantwortung für seine Schuld tragen, wenn durch seine Anregung Nachahmungstaten stattfinden sollten.“

    Mir stellen sich da alle Körperhaare auf, wenn ich das lese. Ich frage ganz gezielt: Wenn jemand über ein schnelles Auto schreibt, dann trägt er Schuld, wenn jemand sich daraufhin dieses Auto kauft und vor einen Baum fährt? Wenn jemand einen Film über Klippenspringer macht, dann trägt er Schuld, wenn jemand sich daraufhin diesem Hobby widmet und sich verschätzt? Was ist mir Sportübertragungen oder Krimalfilmen, die Vorbild für jedweden Unsinn herhalten könnten?

    Warum ist der Werther-Effekt so singulär, warum wird für vergleichbare Effekte nichts vergleichbare Zurückhaltung eingefordert? Vielleicht, weil dann nichts mehr geschrieben oder gezeigt werden könnte?

  101. JO:

    („Da an deutschen Schulen durchweg pädagogisch geschultes Personal (5 Jahre Studium und zwei Jahre praktische Ausbildung) arbeitet, das weiß wie man diesen Stoff aufzuarbeiten hat, damit eben keine Nachahmungstaten in der Klasse stattfinden, ist eine Diskussion über ein Verbot an Schulen überflüssig.“)

    Von Amts wegen unbedenklich? Könnte glatt von einem Studienrat stammen. Meine Güte, jeder von uns war doch auf einer Schule und kennt zur Genüge Lehrer, die pädagogische Nullen waren und sind.

    Ansonsten: man muss nicht alles schreiben, was man weiß. Man muss aber auch kein generelles Verbot für Berichte über Suizide aussprechen. Es wäre schon viel erreicht, wenn Journalisten wie Blogger generell etwas mehr Sensibilität im Umgang mit dem Freitod zeigen würden.
    Insofern sind Stefan Niggemeiers Blogbeiträge dazu ein wertvoller Denkanstoß.

  102. @struwwelpeter: Selbstverständlich trägt jeder die Verantwortung für sein Tun, egal in welchem Beruf er oder sie tätig ist. Und wenn sich herausstellt, dass ein Film über Klippenspringer dazu führt, dass massenhaft Leute bei diesem Hobby sterben, dann muss man als Filmemacher diese Tatsache selbstverständlich in seine Entscheidung einbeziehen, ober er einen Klippenspringerfilm machen soll oder nicht. Dass man die Konsequenzen seines Handelns überdenken sollte ist doch Grundlage jeglichen moralischen Verhaltens. Ich verstehe echt Dein Problem damit nicht.

  103. @struwwelpeter

    …warum wird für vergleichbare Effekte nichts vergleichbare Zurückhaltung eingefordert?

    Wird doch. Es wird doch jedes Jahr murmeltiermäßig über Polenböller berichtet, nach Zanardis Unfall war Schluss mit Nascar im ÖR und muss ich wirklich an die ganzen „Don’t try this at home. No, really. Don’t.“ und die Diskussionen über Essstörungs-Dokusoaps in der ARD erinnern? Kann keine Singularität feststellen.

  104. Ich bin mir nicht sicher, was mir lieber ist: das Thema „Suizid eines Prominenten“ in jeder Klatschzeitung breit gelatscht oder tot geschwiegen sehen. Gerade in letzterem Fall wird sich die „Neuigkeit“ andere Kanäle suchen. Und tatsächlich glaube ich, dass es (gerade im Internet) Kanäle gibt, die noch hemmungsloser und ohne jede Ethik über einen solchen Suizid berichten würden als die bekannten deutschen Tratschblätter.

  105. @ Altwein (#118): Totschweigen verlangt ja auch keiner. Stefan Niggemeier plädiert, wenn ich das richtig verstehe, für eine wirklich zurückhaltende Berichterstattung. Ohne Fotos, ohne heuchlerisch einfühlsame Rührprosa, ohne Verklärung oder Glorifizierung. Eine Berichterstattung über die Selbsttötung von Robert Enke war wahrscheinlich kaum vermeidbar, dazu war der Mann zu prominent. Aber man hätte das wesentlich weniger geschmacklos tun können und damit die Zahl der Nachahmer erheblich reduzieren können. Wäre natürlich dem Umsatz abträglich gewesen, und das darf natürlich nicht sein.

    Je mehr Medien sich auf vernünftige Berichte beschränken, desto weniger Schaden dürften die schwarzen Schafe anrichten. Obwohl natürlich eine bestimmte große deutsche Boulevardzeitung bei ihrer Reichweite auch ganz allein eine beachtliche Werther-Welle loszutreten in der Lage sein dürfte…

    Ich denke, es ist ähnlich wie mit Schaulustigen. SWR3 hat die eine Weile lang immer Gaffer genannt, um deutlich zu machen, dass es nicht ok ist, Rettungskräften im Weg zu stehen, durch sensationslustbedingtes langsames Vorbeifahren an Unfallstellen Staus und das Risiko von Auffahrunfällen zu verursachen und – drastisch gesagt – anderen beim Sterben zuzuschauen. Ähnlich soll es bei Selbsttötungen sein: es soll deutlich werden, dass es nicht cool ist, dass es nichts bringt und niemand was davon hat.

  106. @ Struwwelpeter
    In der ARD gab es einmal einen Film: Tod eines Schülers inklusive, seiner Auswirkungen. Daher wird auch sehr besonnen und verantwortungsvoll mit diesem Thema umgegangen.

    Ein Medienprofi, gerade wenn er sich Journalist nennt, sollte das wissen und da tun was inga (116) sagt. Auch wenn manch einer es noch immer nicht wahr haben will: Massenmedien wirken und sie verändern die Welt. Darum wollen doch auch so viele ins Fernsehen…

  107. „zuletzt schien werup der tod als einziger ausweg, seinem unendlich verlorenen dasein zu entfliehen.“

    das schlimmste an diesem satz ist für mich die wilde spekulation. oder – noch schlimmer – das vorgetäuschte insiderwissen.
    ___

    „niemand stirbt frei und niemand stirbt willig.” (#22)

    und wie lebt man? ich selbst lebe – mal auf den ursprung heruntergebrochen – nur aufgrund der tatsache, dass sich diverse zellen zu dem zusammengeballt haben, was ich nun als „ich“ bezeichne. ich bin in meinem leben extrem unfrei. ich kann nicht frei wählen, ob ich essen oder trinken möchte. zur aufrechterhaltung meines lebens muss ich essen und trinken. wie frei bin ich also?
    wie frei ist mein wunsch mein leben zu erhalten? bin ich willig zu einem lebenden geworden? wohl kaum.
    das macht die obige these nicht grundsätzlich falsch, lässt sie in meinen augen aber wie eine halbwahrheit erscheinen, der neben dem aspekt des sterbens der aspekt des lebens entzogen wurde.
    ___

    #70
    das beispiel hat leider sehr wenig aussagekraft. wie viele menschen stehen diesem positiven beispiel gegenüber, die sich trotz intensiver bemühungen und inanspruchnahme von hilfe ihr leben lang unzulänglich, wert- und nutzlos fühlen und tausende von schlechten tagen verbringen? der arroganz von aussagen, wie: „das wird schon wieder“, steht die unbestreitliche logik entgegen, dass das niemand wirklich sagen kann. es kann sogar noch schlechter werden.

    nach der phase des totschweigens jeglicher psychischer erkrankung in der gesellschaft sind wir nun an dem punkt, an dem jede psychische erkrankung gefälligst geheilt zu werden hat. würde jemand einem an krebs erkrankten patienten das recht absprechen, eine therapie zu verweigern? ist ein solcher patient nach den massstäben, die wir für einen patienten mit psychischer erkrankung ansetzen, vom psychologischen standpunkt aus in der lage, eine solche entscheidung zu treffen? sprechen wir von selbsttötung, wenn ein solcher patient stirbt? wohl kaum.

    #54
    auch eine selbstzensur ist – wie der name schon sagt – zensur. zugrunde gelegt ist eine persönliche ethik, die auf andere kaum zu übertragen ist.

  108. @ webfalcon, # 122
    Das Zitat bezieht sich auf den Suizid und soll klar machen, dass ein Suizid eben nicht auf freier und rationaler Entscheidung beruht.

    Wer heute pauschal über Alkoholabhängige oder Heroinsüchtige sagt, sie hätten ein Recht auf Rausch und brauchen deshalb keine Hilfe, macht klar, dass er von der Problematik nichts versteht und wird deshalb mit Recht nicht als qualifizierter Diskussionspartner angesehen.
    Leute, die pauschal von einem Recht auf Suizid reden, fallen für mich in dieselbe Kategorie.
    Ich hatte als Psychologe während eines halbjährigen Praktikums in einer Psychiatrie mit Leuten zu tun, die Suzid versucht haben und deshalb eingeliefert worden sind. Ehrlich gesagt habe ich keinen erlebt, der therapeutische Gespräche als unerwünschte Einmischung in sein Leben angesehen hat. Alle hatten verdammt viel zu erzählen und waren verdammt froh, dass ihnen jemand zuhört.
    Ich habe in einem Hospiz Leute kennengelernt, die sich wegen unerträglicher Schmerzen umbringen wollten. Mit einer entsprechenden Behandlung (z. B. Morphinpumpe) werden diese Leute weitgehend schmerzfrei und haben eine hohe Lebensqualität – auch wenn das Ende dieses Lebens absehbar ist.
    Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die sich das leistet. Es wäre schön, wenn sich das Bewusstsein durchsetzte, dass Verzweiflung, Leid und Elend zu Suiziden führen und man diesen diesen Menschen helfen kann.

    Natürlich ist es einfacher zu sagen „wer sterben will, soll sterben“. Aber zu einer humanen Gesellschaft gehört für mich, dass ich auch für meine Mitmenschen Verantwortung übernehme.
    Und als Journalist übernehme ich Verantwortung für das, was ich schreibe. Das bedeutet, dass ich für bestimmte Medien und über bestimmte Themen _nicht_ schreibe und auch erkläre, warum das so ist.

  109. @ struwwelpeter #114
    Mal abgesehen von den sehr guten Einwänden von inga und VonFernSeher, außerdem ist es ja wohl ein großer Unterschied über WAS berichtet wird.

    Das vorgebrachte Beispiel mit dem schnellen Auto und dem da durch verursachten Unfalltod benötigt eine weitere Bedingung, nämlich, dass man mit diesem Auto dann einen tödlichen Unfall hat.

    Eine Aufforderung zum Selbstmord durch glorifizierende Berichterstattung benötigt, neben der Veranlagung der Person zu Depression (aber der Unfallfahrer muss auch gerne schnell fahren wollen) keine weiteren Bedingungen, denn das zu erreichende Ziel einer Selbsttötung ist IMMER der TOD!

    Klar, bei Rezepten fürs Grillen im Sommer kann theoretisch der Grill Feuer fangen (deshalb gibts übrigens die Hinweise keinen Spiritus zu verwenden) und ein Kind könnte sterben – aber das alles benötigt weitere Bedingungen.

    Der Werther-Effekt benötigt keine.

  110. @ webfalcon
    Für Dich waren nur die ersten beiden Zeilen.

    Ich habe leider nicht deutlich gemacht, dass der Rest als allgemeiner Beitrag gedacht war und sich nicht im Besonderen an Deine Adresse richtet.
    sorry.

  111. @122: „wie viele menschen stehen diesem positiven beispiel gegenüber, die sich trotz intensiver bemühungen und inanspruchnahme von hilfe ihr leben lang unzulänglich, wert- und nutzlos fühlen und tausende von schlechten tagen verbringen? der arroganz von aussagen, wie: „das wird schon wieder“, steht die unbestreitliche logik entgegen, dass das niemand wirklich sagen kann. es kann sogar noch schlechter werden.“

    Genau solche Überlegungen kenne ich von mir selbst. Ich leide unter Depressionen etwa seit ich 20 bin. Bin ich, wie zum Glück seit vielen Jahren, symptomfrei, kann ich diese Sätze schlicht nicht nachvollziehen. Ich kann überhaupt nicht verstehen, warum ein Mensch nicht mehr leben will, aber in depressiven Phasen kann ich mir nicht vorstellen, dass es jemals besser werden könnte. So wie jemand, der gerade akuten Liebeskummer hat, sich nicht vorstellen kann, dass er sich jemals wieder in einen anderen Menschen verlieben kann. Und dann passiert es doch. Der erste Liebeskummer erwischt einen kalt und unbarmherzig, aber später, wenn man die Erfahrung gemacht hat, dass der Schmerz vergeht, dann kommt man besser damit klar. Es fühlt sich furchtbar an, aber man weiß, man muss einfach durchhalten. So erlebe ich es mit Depressionen auch: Weil ich meine ersten Depressionen überlebt habe, weiß ich nun, rein vom Kopf her, dass ich durchhalten muss, wenn es mir schlecht geht. Und dass es wieder vorbei gehen wird. Ich hoffe, wenn ich mal wieder in eine depressive Phase abrutsche und das vergessen haben sollte, dass mich dann jemand davon abhält, mir was anzutun. Notfalls mittels Einweisung in die Psychiatrie per Gerichtsbeschluss.

    Es gibt Menschen, die so schreckliche Dinge erlebt haben, dass sie vielleicht nie wieder auf die Beine kommen werden. Oder denen bislang weder eine Therapie noch Medikamente helfen konnten. Aber es ist eine Anmaßung, irgend jemanden abzuschreiben und zu sagen: Ja, der ist tot besser dran als lebendig.

  112. Danke, inkognito.

    Genau so seh ich das nämlich auch. Nur weil ICH dazu in der Lage bin, meine Gefühle in die Perspektive zu setzen „Es wird irgendwann besser“ heißt es einfach nicht, dass andere es nicht eben genau in die entgegen gesetzte Richtung sehen.

    Dieses Transitive, was hier viele sehen, die sich, wie Stefan das wunderbar herausgestellt hat, überhaupt nicht mit dem Thema beschäftigen wollen, weil es nicht in ihre eigene kleine Vorstellungswelt passt, gibt es für für viele hunderttausende wenn nicht Millionen von Menschen nicht.

    Wer weiß denn als Teenager, dass es jemals besser wird, wenn man die erste Trennung durchmacht? Nur weil ICH Das weiß und ohne Medikamente eine positive Einstellung zum Leben habe heißt es eben NICHT, dass der Rest der Welt auch genau so mental „gesund“ ist, wobei eben „ungesund“ einfach nur bedeutet, dass man sich selbst Schaden zufügen möchte.

  113. Ich stimme Ihren Ausführungen vollumfänglich zu, Herr Niggemeier. Gewissenlos und unverantwortlich, wie die Medien und insbesondere die BILD mit dem Thema Prominentensuizid umgehen.

  114. Vielleicht schon mal dran gedacht, dass die Lebensumstände für viele Menschen immer fürchterlicher werden und DESHALB die Zahl der Suizidenten ansteigt und NICHT, weil Medien über Selbsttötungen schreiben? Nein, an so etwas denkt Niggemeier sicherlich nicht.
    Es ist auch spießig und verknöchert und wie immer typisch Niggemeier-heuchlerisch, Suizid als nicht akzeptabel hinzustellen (was er ja tut, wenn er verurteilt, dass man Suizid als Ausweg sehen kann und auch in diesem Sinne einen Satz formuliert).

  115. @ gruenenase (#130): Dann bin ich gespannt auf Ihre Erklärung der folgenden Tatsachen:

    1. Nach groß aufgemachten Medienberichten über Selbsttötungen Prominenter und über spektakuläre Selbsttötungen häufen sich Selbsttötungen. Hat sich derjenige, über den da groß berichtet wurde, aufgrund einer bundes- bzw. sprachraumweit stattgefundenen schubartigen Verschlechterung der Lebensumstände das Leben genommen, und die ganze Werther-Welle danach ist ebenfalls nur der natürliche Ausdruck dieser plötzlichen allgemeinen Verfürchterlicherung? Welche Anzeichen gibt es für solche wellenartigen Verschlechterungen der Lebensumstände, wie misst man sowas?

    2. Die Leute, die sich nach den oben erwähnten Medienberichten das Leben nehmen, wählen überdurchschnittlich oft dieselbe Methode der Selbsttötung wie das Objekt der Berichterstattung. Sind das Modeerscheinungen? Wodurch wird sowas zur Mode wenn nicht durch Medienberichte? Die wenigsten werden sich in Selbstmörderklubs über den letzten Schrei in Sachen Selbsttötung austauschen.

  116. @gruenenase: bei allem Respekt, wie kann der eigene Tod überhaupt der Ausweg aus irgend etwas sein, wenn man dabei das Leben verliert ? Selbstmord ist kein Ausweg, es ist eine Sackgasse.

    Selbstmord als Ausweg, als „Lösung“ für ein Problem hin zu stellen, ist nicht bloss zynisch, es ist verabscheuenswürdig.

    my 2c

  117. @ grunenase
    Steile These. Dumm ist nur, dass die Zahl der Suizide nicht ansteigt sondern seit 1980 fällt und sich inzwischen pro Jahr gegenüber damals fast halbiert hat. Ich komme grad nicht drauf, wie wir da die Korrelation mit den postulierten immer schwieriger werdenden Lebensumständen hinbekommen.
    Der Werther-Effekt ist, auch wenn sich die Aussage wiederholen sollte, ganz klar nachgewiesen. Die Häufung bezieht sich nicht auf die absolute Zahl, sondern immer auf die Zeit nach „prominenten“ Fällen.

    Ich habe in meinem mittelweit gefassten Kollegen-/Freundes-/Bekanntenkreis schon fünf Suizide erlebt. In jedem Fall waren depressive Erkrankungen die Ursache, die Lebensumstände waren in allen Fällen weitgehend unproblematisch.

    Ich habe aber auch einen Freund, der kurz davor stand und dem durch massives Eingreifen seiner Frau und seines Umfeldes geholfen werden konnte. Dazu waren lange Klinikaufenthalte und intensive behandlungen notwendig. Er steht inzwischen wieder mitten im Leben und ist dankbar, dass man ihm geholfen hat. Soviel zum Thema „Ausweg“. Um diese Fälle geht es. Wenn es dort in der kritischen Phase einen „prominenten“ Suizid gegeben hätte, wäre M. jetzt möglicherweise tot und zwei Kinder wären ohne Vater groß geworden.

    Im Zusammenhang mit dem Enke-Tod gab es in dem großen Medienmüllhaufen ein paar journalistische Lichtblicke, die das Thema sehr gut und sehr verantwortungsvoll behandelt haben. Den Rest braucht es nicht.

  118. @ B.Schuss (#132): Naja, Selbsttötung ist insofern ein Ausweg, als man sich dadurch einer Situation endgültig entziehen kann. Dass man aller Wahrscheinlichkeit nach selbst nichts mehr davon hat, ist eine andere Sache.

    Dass es einem aber so dreckig gehen kann, dass man diesen Weg wählt, kann ich prinzipiell nachvollziehen. Es dürfte Szenarios geben, in denen eine Selbsttötung tatsächlich attraktiv aussehen kann. Dann nämlich, wo es nicht darum geht, etwas zu gewinnen, sondern etwas (z.B. unvermeidbare und unerträglcihe Schmerzen welcher Art auch immer) zu vermeiden. Ein Beispiel dafür kommt in „Heißer Sand“ von C. C. Bergius vor (Bruchgelandeter, schwerverlwetzter Pilot setzt sich eine Überdosis Morphium, bevor er bei lebendigem Leib von Termiten gefressen wird).

    Aber um solche Fälle geht es hier natürlich nicht. Insofern stimmt es: Selbsttötung ist kein Ausweg, sondern eine Sackgasse und praktisch immer eine Fehlentscheidung.

  119. „dass die Lebensumstände für viele Menschen immer fürchterlicher werden“

    Sagt wer? Machen Sie woran fest? Gegen den längst bewiesenen Werther-Effekt mit Kaffeekränzchen-Rhetorik fernab aller Fakten ankämpfen zu wollen, ist doch schon arg gewagt.

  120. Natürlich kann niemand einem suizidalen Menschen garantieren, dass sein Leben bald besser werden wird, und Platitüden wie „wird schon wieder“ helfen nicht.
    Was aber helfen kann, ist die Botschaft: Es kann besser werden. Die Möglichkeit besteht fast immer, auch wenn es bis dahin oft ein harter Weg ist. Sobald der Mensch tot ist, kann nichts mehr besser werden – das ist eine absolute Tatsache.

    Der wichtigste Faktor, der mich in meiner von Depression geprägten Jugend vom Suizid abgehalten hat, waren Schuldgefühle gegenüber meinen ohnehin schon gebeutelten Eltern.
    Haben diese Schuldgefühle irgendwas an meinen Problemen geändert? Nein. Mir ging es immer noch dreckig. Aber zumindest haben sie mich davon abgehalten, einen absolut irreversiblen Schritt zu vollziehen, und darüber bin ich heute sehr froh.

    Ab und zu lese ich gewisse Artikel und habe wieder Gedanken wie: Hat doch jeder das Recht, sich umzubringen, das kann doch auch eine logische Entscheidung sein. Das ist meist ein Alarmzeichen dafür, dass meine geistige Verfassung wieder in ungesunde Regionen abrutscht und ich Hilfe brauche. Ganz bestimmt brauche ich aber keine Menschen, die mich in dieser ungesunden Haltung auch noch bestätigen.

  121. sollten die empfehlungen der deutschen gesellschaft für suizidprävention eingehalten werden, dann habe ich nicht die geringste vorstellungskraft, wie berichterstattung dann funktionieren soll? im zugrunde liegenden fall dürfte doch über nichts berichtet werden, das einigermassen einblick in das leben des schauspielers geben würde. ein verweis auf lange misserfolge könnte den suizid schon nachvollziehbar erscheinen lassen. eine konzentrierte wiedergabe der wenigen erfolge wäre eine verlogene darstellung, die sich von selbst verbieten würde. was bleibt also? in der samstagsausgabe der zeitung die zeile:
    „suizide in unserer stad in der letzten woche: 3“.
    was für ein trauriger umgang mit dem individuum.
    ___

    die meisten aussagen hier, die dem suizid den auswegstatus aus einer psychischen erkrankung absprechen, legen immer die sichtweise aussenstehender zugrunde und lassen völlig ausser acht, dass es nach dem tod keinen erkenntnis mehr gibt. es gäbe vielleicht auch andere auswege, dem toten sind sie jedoch nicht mehr wichtig. den überlebenden/hinterbliebenen sind sie wichtig. sie gipfeln in der erwartung, dass psychisch kranke durchhalten müssen.
    ich möchte keinem derjenigen, die von einem suizid abgehalten wurden und jetzt ein glückliches leben führen, seine erkenntnis absprechen und jedem wünsche ich von herzen weiterhin zufriedenheit. sie sollten aber überlegen, dass sie im falle eines erfolgten suizids eben diese erkenntnis gar nicht gehabt hätten.
    „er/sie hätte ein so schönes leben haben können“, ist einer dieser standardsprüche, die nach einer erfolgten selbsttötung wie von selbst aufkommen. die möglichkeit, dass es auch ein ganz schreckliches und tragisches leben hätte werden können wird – wie von mir schon mal erwähnt – völlig in abrede gestellt.

    ich möchte an einen fachkundigen leser die frage stellen, die ich bereits einmal gestellt habe: wie verhält es sich, wenn ein krebspatient trotz guter heilungschancen eine therapie ausschlägt? und – bei einer steigenden anzahl psychisch erkrankter – nicht auf die spitze getrieben: wie verhält es sich, wenn ein psychisch kranker patient an krebs erkrankt und trotz guter heilungschancen auf eine therapie verzichten möchte? wird da zwangstherapiert? ich habe keine ahnung, freue mich aber über über eine antwort.

    @ paranoid-android
    an sie möchte ich – unabhängig von der mir nicht bekannten praxis – die frage stellen, ob sie, der sie mit einer psychischen erkrankung vorbelastet und damit für mich aussagekompetent sind, im falle eine schweren, aber therapierbaren, physischen erkrankung (z. b. krebs) frei entscheiden können, ob sie eine solche therapie wollen, oder ob sie es für angebracht halten, sie einer zwangstherapie zuzuführen? ich möchte nicht, dass sie mich für zynisch halten. ich möchte einfach nur eine antwort von jemandem, der das besser reflektieren kann.

  122. @webfalcon:

    NEIN

    Warum? Nun weil Sie gerade versuchen, das Diskussionthema von der Art der Berichterstattung (der Glorifizierung des Suizids) auf das Thema „Gibt es berechtigte Gründe für Suizid“ zu verlegen.

    Darum geht es hier nicht.

    Führen Sie sich einmal eines einfach vor Augen: wenn es da draußen nur EINE EINZIGE Person gibt, die sich ZUSÄTZCHLICH umbringt, anstatt Hilfe zu suchen, dann ist es verdammt nochmal sinnvoll, sich gefälligst mit der Berichterstattung zurück zu halten.

    Denn was geht IHNEN PERSÖNLICH verloren, wenn in der Zeitung NICHT steht, auf welche Art ein Prominenter sich umgebracht hat?

    Pellen Sie sich einen auf die Berichte? Finden Sie das toll? Sind Sie so morbide, dass Sie NICHT auf dieses Aufgeilen am Suizid anderer verzichten können? Halten Sie es für Zensur, wenn man Sätze wie „Er sah keinen Ausweg mehr, alle seine Freunde müssen damit leben, dass sie ihm nicht helfen konnten“ verzichten müssen?

    Diese krampfhaften Beispiele von irgendwelchen Schwerkranken, die doch ein Recht hätten, sich umzubringen.

    Es geht hier nicht um das Recht auf Freitod. Das ist ein anderes Thema. Es geht hier auch nicht um das Recht auf unterstützten Suizid.

    Es geht darum, dass sich EVENTUELL Menschen umbringen, denen hätte geholfen werden können. Das ist ALLES worum es hier geht. Hören Sie doch bitte auf, sich auf die Leute einzuschießen, die sagen „Suizid ist eine Sünde“ oder „Suizid ist verboten“ oder was weiß ich. Das ist hier NICHT das Thema, genau so wenig wie „Die Leute, die sich umbringen, sollten sich was schämen“ oder „Ich kann mir das nicht vorstellen, dass es so ist“.

    Ich weiß, was ihr Gedankengang ist im Moment und es lohnt sich absolut und sicherlich, solcherlei Gedankenspiele durchzudiskutieren, nur sind Sie damit hier am falschen Platz. Machen sie sich einfach eines klar. jedes Mal, wenn Sie sich hinstellen und für das Recht auf Freitod kämpfen und vertreten, dass es eine Lösung ist (ob es so ist oder nicht, hängt von Fall zu Fall ab, deshalb finde ich das kontruieren von irgendwelchen Krebskranken sowas von sinnfrei in einer allgemeinen Diskussion), geben Sie einem Suizidgefährdeten Futter dafür, es jetzt doch einfach zu tun.

    Ist das so schwer zu verstehen?

  123. Zur allgemeinen Diskussion:

    Ich leide seit meiner Kindheit an schweren Depressionsschüben mit stark ausgeprägten Todesehnsüchten. Was mich am Leben hält ist – so glaube ich – grundsätzlich die Tatsache, dass ich jederzeit gehen kann wenn ich es nicht mehr aushalte. Ich bezeichne das als Freiheit, andere als zwanghaft oder krank. Beides mag richtig sein.

    In meiner Familie habe ich zwei Suizide zu beklagen und schmerzlich war es für uns Hinterbliebene. Natürlich ist es möglich, dass diese Familienmitglieder heute sagen könnten – sofern sie eben noch leben würden – dass es besser war zu bleiben. Dem ist nun aber nicht so und wir leben damit weiter. Und es ist nicht möglich darüber zu diskutieren, was nun besser ist. Das empfinde ich als Anmaßung und eben auch respektlos gegenüber den Verstorbenen, den niemand kann das Leid, die Hilflosigkeit (nach)empfinden, welches sie empfunden haben und jeder kommt eben auch anders mit Lebenssituationen zurecht und kein Leid ist meßbar!

    Ich habe mich nie an aktuellen Prominenten orientiert, die Suizide begangen haben, wohl aber habe ich in meinen Todessehnsüchten Größen wie Kleist oder Gogh oder Klaus Mann und sogar literarischen Figuren wie Werther oder der Perserin aus „Ja“ Raum in meinen Gedankenqualen gegeben.

    Nun aber zum eigentlichen Thema:

    Unsäglich finde ich die Ausschlachtungen der Medien, wenn Prominente Suizid begehen! Und das auch mal ganz davon abgesehen, was das für einen Effekt hat! Der bekannte Effekt allerdings ist nicht von der Hand zu weisen und umso schlimmer ist es, wenn sich Medien nicht darum scheren, wenn es Ihnen nur darum geht, eine Schlagzeile zu haben. Wen interessieren die Namenlosen, die an diesem Rattenschwanz hängen und die nicht VIP sind? Nach dem Tod von Robert Enke sprach ich zu Weihnachten mit einem Mann von der freiwilligen Feuerwehr nahe Bremen, der mir erzählte, dass die Freitode auf Schienen kurz nach dem Tod Enkes massiv zugenommen haben. Und ich möchte nicht behaupten, dass alle die Schmonzetten gelesen haben aber der Hype darum war so groß, dass man kaum daran vorbeikam. Und dann ist es doch unmöglich den Werther – Effekt zu verneinen! Und dann ist es doch unmöglich zu übersehen, dass dieser Medienumgang die Idee begünstigt das Leben nicht weiterleben zu können.

    Ich finde es gut, dass Sie Herr Niggemeier, wiederholt dieses Thema aufgreifen. Nur habe ich die Befürchtung, dass sich nichts daran ändern wird! Es gibt zu viele Gaffer, die alles bis ins kleinste Detail darüber wissen wollen um dann den Kopf vor Empörung zu schütteln oder geheucheltes Mitleid empfinden. Diese ätzende Betroffenheit, die den Deppressiven in der Nachbarschaft aber nicht mit einschließt oder diese massive Empörung, bei der keinerlei Versuche, dieses Handeln zu verstehen, Platz haben. Ambivalente Gedankenspiralen sind häufig nicht gefragt (ist natürlich nicht nur bei diesem Thema so). Dennoch: Hören Sie bitte nicht auf damit!

  124. @Sebastian

    Da ist es wieder, das Argument: „Wenn es da draußen nur eine einzige Person gibt…“ Was, wenn man eine Person retten könnte, in dem man Tag für Tag nur noch dieses in die Zeitung schreibt: „Alles wird gut. Es gibt keine Probleme.“ Wäre das in Ihren Augen gerechtfertigt? Keine Artikel über Gefahren mehr, keine Hintergrundberichte, keine Todesanzeigen, weil ja das Leben eines jeden Menschen es rechtfertigt, auf alles, was einen depressiven Menschen in den Selbstmord treiben könnte, zu verzichten.

    Dann wünsch ich Ihnen viel Spaß bei der Rettung jedes einzelnen Menschen. Ich hoffe, die wissen das dann auch entsprechend zu schätzen.

  125. @struwwelpeter: Natürlich, wenn dem so ist… Gibts denn empirische Beweise, daß miese Nachrichten, zB das Erdbeben von Haiti, die Wirtschaftskrise 2008 die Suizidrate signifikant hochgetrieben haben?

    Wenn ja, dann hat ihr Vorschlag durchaus Potenzial.

  126. Ach struwwelpeter was unterhalt ich mich eigentlich mit Ihnen. Wenn Sie offenbar so sensationsgeil sind, dass sie auch noch die Anzahl und Marke der Pillen wissen müssen, mit der sich ein Prominenter umgebracht hat, bitte. Ich hab schon weiter oben drauf hingewiesen. Gehen Sie auf rotten.com da können Sie Ihre Lust an Details ausleben, inklusive Fotos von überfahrenen Kindern und Springern.

    Bei Ihnen hängt doch zu Hause die Kurt Cobain Gedächtnis-Tapete mit passendem Muster an der Wand, gelle?

    Wofür kämpfen Sie hier eigentlich? Das Recht auf möglichst realem Seelenschmerz?

  127. @Sebastian

    Woher nehmen Sie die Hinweise auf meine Sensationsgeilheit? Aber lassen Sie es, auf dieses Niveau komm ich nicht ‚runter.

  128. Stimmt. Ihrer Merkbefreitheit kann hier offensichtlicher Weise niemand etwas entgegen setzen.

    Sie wollten bestimmt nur darauf hinweisen, dass es um’s Prinzip und Pressefreiheit geht, und dass Sie Sätze wie „Wenn nur ein…“ nicht ertragen können, und deshalb kommentiert haben.

    Das nennt man gemeinhin Trollen. Von daher – gerne. Lassen Sie’s einfach.

  129. Eine Meinung, die einem nicht gefällt, als „Trollen“ zu bezeichnen, ist immer das Ende einer jeden Diskussion im Web. Auch wenn’s Ihnen nicht gefällt: Das, was ich schreibe, entspricht tatsächlich meiner Meinung.

    Daran, dass sie meine Sichtweise nicht teilen, kann und will ich nichts ändern. Nur klarstellen, dass ich den Werther-Effekt anerkenne, mich aber schwer tue mit den Konsequenzen für jedwede Form von Journalismus, das mag ich schon noch mal.

    Und jetzt suhlen Sie sich weiter in Selbstgerechtigkeit. Aber Vorsicht: Das fühlt sich für Sie zwar sauber an, ist es aber nicht.

  130. Kaufmännisch ist die Sache klar: Je Promi, desto Schlagzeile, je toter, desto cash.

    Journalistisch wäre die richtige Frage wohl:
    Welche wesentliche, weltbewegende Information ginge der Gesellschaft verloren, wenn man die Einzelheiten NICHT berichten würde? Welches Risiko ginge eine Zeitung ein, wenn sie einfach mal die Fresse hält?

    Keins.

    Und das macht diese klebrige Schein-Betroffenheit der Boulevard-Medien umso widerlicher. Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte…..hoffentlich verschwinden die Print-medien bald in ihrer Gesamtheit von der Bildfläche, es ist um keinen von diesen abgewichsten Halunken schade.

  131. Aber nicht doch.

    Der Hinweis auf Todedanzeigen im Zusammenhang auf das Thema, auf Hintergrundberichte, wenn Stefan doch das Geschwülste der Bild kritisiert hat. Und dann der Glaube, dass das das Gleiche ist.

    Sie haben doch in Wirklichkeit gar keine Meinung zum Thema, sondern nur irgendeine Meinung und genau wie Andere weiter oben keine Lust, sich mit dem Thema mit dem gebührenden Willen zum Nachdenken auseinander zu setzen.

  132. Wissen Sie was, Sebastian: Ich stimme Ihnen einfach zu. Sie haben Recht, wenn Sie schreiben, dass jeder, der nicht zu Ihrer Sicht der Dinge kommt, sich nicht genug mit den Dingen auseinandersetzt. Ich gebe mich geschlagen, von mir aus gebe ich auch zu, dass ich irgendwo geschrieben habe, dass Hintergrundberichte oder anderes „das Gleiche“ seien wie der Text der Bild. Wenn Ihnen das hilft, dann freuen Sie sich über Ihren großen argumentativen Sieg. Ich gönnen Ihnen den vom Herzen.

  133. Na toll, Zickenkrieg bei so einem ernsten Thema…

    Zurück zum Thema. Ich möchte mich zu der These äußern, die ich #114 von struwwelpeter entnehmen kann: Dass der Werther Effekt singulär behandelt würde, obwohl auch andere Berichterstattungen in letzter Konsequenz zum Ableben von Menschen führen können.

    Das stimmt natürlich und ist in meinen Augen trotzdem falsch. Ich halte es nämlich für einen Unterschied, ob Menschen mit schnellen Autos oder bei Extremsport verunglücken und so um’s Leben kommen, oder ob sie sich mit fester Selbsttötungsabsicht das Leben nehmen.

    Im ersten Fall gehen Menschen bewusst erhöhte Risiken für ihr Leben ein, weil sie sich davon ein Mehr an Lebensqualität durch das, was ich den „Kick“ nenne, erhoffen.

    Im zweiten Fall führt häufig eine Krankheit wie Depression, die das Argument der Willensfreiheit ad absurdum führt, zu der Selbstötungsabsicht. Und es ist erwiesen, dass die Zahl der Suizide nach gewissen Berichten steigt.
    Solche groß aufmachenden, sensationsheischenden Artikel machen Auflage, weil sie unsere Betroffenheitslust befriedigen. War das Opfer prominent, bildet man sich ein, es zu kennen und kann sich hübsch betroffen fühlen. Das macht Auflage, die bekannten Folgen sind egal: Dass von anderen Menschen mit noch unausgeführter Suizidabsicht eine Vorbildfunktion erkannt wird, die zusätzlich animiert.

    Ich persönlich finde den qualitativen Unterschied zwischen den beiden Szenarien offensichtlich. Mir stellt sich nicht die Frage, ob jede Berichterstattung über alles potentiell Lebensgefährliche den gleichen strengen moralischen Kriterien unteworfen sein muss. Meistens reicht es, verantwortungsvoll auf Risiken hinzuweisen.
    Nur wenn die Berichterstattung selbst das Risiko verursacht, ist strengere Zurückhaltung agebracht.

    Ergo finde ich die These der Ungleichbehandlung eigentlich gleicher Dinge aus #114 nicht haltbar.

    Warum das aber in so einem Niveaulimbo münden muss, ist mir schleierhaft. Und ja, dazu gehört nicht nur einer und nein, ich habe speziell bei diesem Thema gar kein Verständnis dafür.

  134. @ Pinto (#147): (…) hoffentlich verschwinden die Print-medien bald in ihrer Gesamtheit von der Bildfläche, es ist um keinen von diesen (…)

    Glauben Sie denn, die Boulevardleute werden im Internet besser, feinfühliger, anständiger? Ob Bild und Konsorten auf Papier oder im Internet erscheinen, ist völlig egal, die zugrundeliegende Mentalität bleibt dieselbe und führt zu genau derselben Art der Berichterstattung. Online haben sie allerdings noch mehr Möglichkeiten, können Videos einbinden und u. U. sogar live vom Ort des Geschehens streamen. Da steht uns, was Skrupel- und Geschmackslosigkeit angeht, sicher noch einiges bevor. Kann gut sein, dass man sich in ein paar Jahren fast die, ahem, gute, harmlose, fast intellektuelle gedruckte Bild zurückwünscht…

  135. Ab welchem Ausmaß von Schaden/ Leid/ Opfern (ich finde keinen Bergiff der mir wirklich zusagt) muß man denn eine journailstische Berichterstattung ändern? Der Umgang mit dem Thema Suizid ist zwar besonders kontrovers, aber evtl. fordert ein Artikel über Wein mehr Menschenleben, ein Artikel über gute Zigarren, über schnelle Autos, über Stromverkabelung für Heimewerker, Krankenpflege daheim, ein spezielles Spielzeug oder über ein Bericht über die Notwendigkeit von Impfungen.

    Wann wird Berichterstattung (moralisch) unzulässig? Dann, wenn man einen Effekt statistisch gut belegen kann? Wenn Expertenmeinungen es sagen? Wenn die eigene Meinung es einem nahelegt?

    Dass Artikel, die auf abstoßende Weise mit einem sensibelen Thema umgehen, indiskutabel sind, ist auch meine Ansicht. Aber dass Information evtl einen Preis hat, einfach weil Wissen nicht immer universell positiv ist (siehe Alkohol, Tabak, schnelle Autos, Impfungen oder Suizid), der auch auf diesem Weg gezahlt wird, macht für mich schon Sinn. Die Aussage, dass Suizid immer und universell falsch ist, würde ich nicht unterschreiben.

    Ich finde das Thema wahnsinnig komplex.

  136. @StickyP: Nochmal: Wann Berichterstattung moralisch zulässig ist, mag zwar subjektiv sein. Aber es muss doch klar sein, dass Einflussnahme auf Selbsttötungen eine ganz andere Qualität hat, als Einflussnahme auf den Lebenswandel von Menschen, die sich dann freiwillig Risiken aussetzen.

    Es geht nicht um die Bezifferung der Opfer, sondern darum, wie sie welche werden.

    Wer meint, seine Lebensqualität verbessern zu wollen, indem er raucht, trinkt, Porsche fährt, oder Fallschirm springt, der soll das tun.

    Wer suizidgefährdet ist und durch die Medien ein Vorbild vorgesetzt kriegt ( ach guck, der hat’s also durchgezogen ), der wird doch von diesen Medien ganz direkt und sehr konkret gefährdet. Das scheint bei manchem wie Reklame anzukommen ( immerhin steigen hinterher die Sebstmordzahlen ).

    Das ist Unverantwortlichkeit eines ganz anderen Maßes, als Artikel über Bier und Zigaretten.

  137. @155: Zitat: „Aber es muss doch klar sein, dass Einflussnahme auf Selbsttötungen eine ganz andere Qualität hat, als Einflussnahme auf den Lebenswandel von Menschen, die sich dann freiwillig Risiken aussetzen.“

    Warum? Menschen, die beispielsweise Suchtgesteuert mit einem Artikel über Suchtmittel (Tabak, Alkohol, Adrenalin, etc) konfrontiert werden, werden wahrschein ähmlich „frei“ mit der Materie umgehen. Evtl wird ein suizidaler mensch deutlich mehr Zeit mit eine inneren Debatte verbingen als ein Alkohilker, das Endresultat wird aber in beiden Fällen ähnlich verheerend sein.

    Ich sage nicht, dass ein Mehr an Verantwortung falsch ist, aber warum es nur so selektiv greifen soll, das scheint mir doch ein klein wenig suspekt. Die Angehörigen eines Toten der an Leberzirrhose, Lungenkrebs oder an einem Autounfall stirbt, werden wohl kaum weniger erschüttert sein als die Angehörigen eines Suizidalen. Die Entscheidung des einen, das Leben zu „verspielen“ ist ok, die Entscheidung des anderen sein Leben „aufzugeben“ nicht? Das empfinde ich als wertend, und es gefällt mir nicht.

  138. @FG
    Ich hoffe, ich werde jetzt nicht zu kleinlich. Auch ich habe auf der Seite des Statistischen Bundesamtes gelesen, dass die Zahl der Vorsätzliche Selbstbeschädigung seit 20 Jahren abgenommen hat. 1983 lag sie bei 24 Personen von je 100 000 Einwohnern und 2002 bei 13,5. Das stimmt also.
    Schauen Sie sich jedoch die Zahlen für 2008 an, so gab es 9.451 (11,5) Suizide und 2009 9 571 (11,7). Die Anzahle ist also leider gestiegen, wie auch der werden auch in dem von Sebastian verlinkten Artikel (#27) berichtet.

    @StickyP
    Zu ihrer Unterscheidungsfrage kann ich Ihnen einen kleinen Einblick geben. Was Berichte, also Werbung, für Drogen wie Alkohol oder Zigaretten angeht, gibt es klare und immer schärfer werdende Richtlinien wann und wo man darüber berichten darf.

    Wenn es um technische oder medizinische Berichte geht, kommt es ganz darauf an. Für Firmen sind hierfür die sogenannten „Technischen Redakteure“ zuständig, für die regulären Medien Fachjournalisten. Kommt jemand durch eine falschen Berichterstattung zu Schaden oder gar ums Leben, so trägt der Redakteur nach EU Richtlinien dafür sowohl die Verantwortung als auch die Konsequenzen.

    „… Wann wird Berichterstattung (moralisch) unzulässig? Dann, wenn man einen Effekt statistisch gut belegen kann? Wenn Expertenmeinungen es sagen? Wenn die eigene Meinung es einem nahelegt? …“

    Nein! Um genau diese Fragen zu klären studiert man erst einmal Medizin, ein Naturwissenschaftliches Studium, Maschinenbau, Technische Redaktion ö.ä., macht danach ein Studium Fachjournalismus und begibt sich dann ins Volontariat. Je nach Fachgebiet sind selbstverständlich alle nationalen, europäischen und internationalen Gesetze und Standards zu befolgen für die unterschiedliche Gremien zuständig sind. Die bekannteste ist die IEEE. Sie haben recht, es ist sehr komplex.

  139. @ 157/ JO: Ich bin Laie. Das nurmal vorweg, zu meiner Qualifikation. Ich habe aber ganz ernsthaft ein Verständnisproblem und finde auch, dass die Diskussion hinkt.

    Man kann doch einen offenen Bericht nicht mit Werbung vergleichen? Stellen Sie sich doch einmal vor, morgen ist in der Bild eine ganzseitige Anzeige „Exitus – der Ausweg. Das erste 100% wirksame Suizid-Mittel“. Da wäre doch sie Hölle los. Und wenn diese Anzeige im Endeffekt nur einen Bruchteil der Leben fordert wie z.B. eine Marlboro Werbung oder eine Kampagne für Vodka.

    Solange viele Dinge, die nachweisbar viele Menschenleben kosten, legal sind, kann ich diese „ultimative“ Empörung nicht nachvollziehen. Offensichtlich sind Kosten in der Währung Menschenleben an vielen Stellen zulässig. Auch in sehr unnötigen, dummen oder unverständlichen Wegen. Solange das so ist, empfinde ich die Diskussion als wertend, weil anscheinend Menschenleben situationsabhängig unterschiedlich viel wert sind/ Schutz verdienen.

  140. @StickyP: Wenn sich jemand mit der Absicht der Selbsttötung trägt und sich dann durch ein breites Medienecho, das der Suizid eines Prominenten hervorruft, in guter Gesellschaft wähnt und anhand dieses Vorbildes den Mut zum letzten Schritt fasst: Würden sie den Effekt nicht auch wie den einer Reklame bewerten?

    Und wieso gelingt es mir nicht, den Unterschied zwischen einem Selbstmörder und einem Konsumenten diverser Risiken deutlich zu machen? Der eine möchte sterben, der andere nicht. Der eine will sein Leben aufgeben, der andere dessen Qualität ( vermeintlich ) erhöhen. Dabei ist er sich der Risiken meist bewusst. Jemanden zu Entscheidungen zu verführen, die vielleicht im Tod enden ( Porsche kaufen, mit dem Zigarrenrauchen anfangen, etc. ) und jemanden direkt zum Tod zu verführen: Dieser himmelweite Unterschied muss doch deutlich sein.

    Ich kann jemanden auf einen Weg setzen, an dessen Ende ein Abgrund ist. Man kann nicht ermessen, wie weit es bis dorthin ist. Vielleicht kommt man zeitlebens nie bis dort. Unterwegs gibt es sowieso genug Möglichkeiten, abzubiegen.

    Ich kann jemandem, der vor dem Abgrund steht aber auch in’s Ohr flüstern: Spring!

    Was finden sie schlimmer?

  141. *seufz* Wenn ich mal so einen ruhigen Kopf behalten könnte – ich bin immer schon einen Schritt weiter.

    Faulersack stellt es schön heraus. Wenn Todesanzeigen und Hintergrundberichte gleichgestellt werden mit Artikeln wie „Impfungen verursachen Autismus“ (was dutzendfach widerlegt wurde, aber wodurch höchstw. mehrere Infektionen durch geringere Immunisierung hervorgerufen wurden und Menschen starben) oder „Rauchen gar nicht so schlimm wie gedacht“ in den 60ern…

    Es wird einfach so getan, als gäbe es im Journalismus gar keine Ethik, als ob sich nicht jeder Autor vor dem Schreiben eines Artikels die Quellen nehmen würde, um dann einen fundierten Bericht auf Basis der gerade verfügbaren wissenschaftlichen Materialien zu schreiben, und ausgewogen zu berichten. Es ist eine Sache wenn man sagt „Es ist noch nicht abschließend zu sagen, ob die Erderwärmung stattfindet und von Menschenhand gemacht wurde“ im Jahr 2000 oder im Jahr 2010, aber im Jahr 2010 einen Artikel zu schreiben nach dem Motto „Es gibt keine Erderwärmung“ ist genau so falsch wie einen Suizid eines Prominenten zu glorifizieren – und dabei reicht schon das genaue Beschreiben der Tat an sich, weil es einfach zu Nachahmern führt.

    Ich verstehe einfach nicht wie man dann leichtfertig sagen kann, dass eine Todesanzeige den gleichen Effekt hätte. Mir laufen solcherlei Anzeigen hin und wieder über den Weg bei der Lektüre der Tageszeitung – wie kann man das gleichsetzen? Ich verstehe das einfach nicht. Und es macht mich sauer. Todesanzeigen sind reserviert, nennen niemals die Ursache des Todes und oftmals stehen Menschen darin aufgelistet, die zurück bleiben – aber nicht wie sehr sie leiden, wie sehr sie die Person vermissen etc. pp., wie es in den rührseligen Artikeln zum Thema Prominententod immer wieder und wieder vorkommt. Todesanzeigen sind keine Gaffer-Artikel.

    Und mir fällt wirklich kein Thema ein, bei dem der darauf folgende Tod von Menschen so akut ist. Da handelt es sich um Tage nach dem Artikel – selbst bei der MMR-Impfung und Autismus-Geschichte handelt es sich um Jahre, mit immer neuen, fundierten Artikeln und einer breiten Diskussion.

    Ich bin einfach wahnsinnig frustriert in Anbetracht der Tatsache, dass ich mich häufig mit Menschen unterhalte, die einen Suizid in erwägung ziehen und dann dasitze und verzweifelt versuche, Lebensqualität heraus zu stellen. Und dann muss ich allen ernstes sachlich bleiben und erläutern, warum eine Todesanzeige keine Werbung für einen Selbstmord ist. Ich könnte echt heulen wenn ich sowas lesen muss.

  142. @StickyP
    Leider verstehe ich Sie nicht. Könnten Sie mir daher bitte einmal ein Beispiel nennen, bei dem in dieser Form Artikel oder Beiträge verfasst und veröffentlicht wurde?

    Generell gilt immer §5.1 des Grundgesetzes:
    Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern […] Eine Zensur findet nicht statt.
    Was immer wieder gerne vergessen wird ist der folgende Satz,
    §5.2 des Grundgesetzes:
    Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

    Wenn nun irgendwer in der Zeitung oder im Internet etwas veröffentlicht, gilt daher immer der Pressekodex, und zwar für jeden! Viele Dinge sind in der Tat gefährlich und fordern Menschenleben. Es ist jedoch nicht gestattet in einer auffordernden Art darüber zu berichten. Sollten Sie so etwas jemals sehen, so haben Sie die Möglichkeit, dieses beim Deutschen Presserat anzuzeigen.

  143. @ StickyP und auch struwwelpeter:

    faulersack hat es eigentlich sehr gut auf den Punkt gebracht, es gibt einen Unterschied zwischen einem Mann, der in einem Autohaus Sportwagen verkauft und einem Mann der auf der Golden Gate Bridge mit einem „Spring‘ doch!“ Plakat herumläuft.

    Welcher Unterschied das ist, dürft ihr nun raten :P

  144. Ja schön es gibt also einen „Werther-Effekt“, so waht?
    Was soll jetzt denn die Konsequenz daraus sein? Nicht mehr darüber zu berichten, weil „man es ja nicht unbedingt wissen muss“?
    Klar muss ich nicht unbedingt wissen ob sich irgendein abgehalfterter Seifenoperndarsteller erhängt hat. 99% der Dinge die in der Zeitung stehen muss ich nicht unbedingt wissen, das meiste ist nicht überlebensnotwendig.
    Aber wer bitte schön maßt sich an zu entscheiden wer was zu wissen hat?
    Wie soll das ganze denn bitte weitergehen? Keine Mohammed-Karikaturen mehr drucken, weil sonst irgendwelchen irren Islamisten mit gewaltätigen Protesten reagieren?
    Gar nichts mehr berichten, wodurch sich irgendein Durchgeknallter zu irgendwas angestiftet fühlen könnte?
    Konsequent zu Ende gedacht, sähe dann irgendwann jede Zeitung so aus wie die Weihnachtsausgabe der Bild: „Heute nur gute Nachrichten.“
    Die Top-Nachricht wäre dann immer irgendwas à la „Victoria Beckham wieder schwanger.“
    Aber wahrscheinlich würde auch dann wieder ein besonders Wohlmeinender irgendeine „Studie“ aus dem Hut zaubern, laut der sich nach derartigen Schlagzeilen reihenweise unfruchtbare Frauen vor den Zug werfen.

    Ich erwarte von Journalisten die Welt so abzubilden wie sie ist, und nicht so wie einige Gutmenschen sie gerne hätten.
    Ich möchte nicht in Watte gepackt werden, auf die Schere im Kopf von Journalisten kann ich gut verzichten.

  145. @164: Bevor du dich an einer Diskussion beteiligst, solltest du vielleicht mal den Text und vielleicht auch den/die Enke-Artikel lesen. Das könnte die Qualität deiner Beiträge spürbar erhöhen. *gnihihi*

  146. @LV

    So etwas darfst du hier nicht schreiben, sonst wirst du hier gleich als böser, böser Troll beschimpft. Die setzen diese Schere mit Vergnügen an, und ich denke, es macht denen einfach Spaß, sich ein paar Mal im Jahr als Menschenretter zu fühlen, während die von Springer wieder zig Leute in den Tod springen lassen.

    Gerade die Sache mit Robert Enke zeigt doch zweierlei: 1. Es gibt leider den Werther-Effekt. 2. Niemand hat eine Idee, wie man denn angemessen darüber schreiben soll. Enkes Selbsttötung totschweigen? Wohl kaum denkbar. Die Art der Selbsttötung totschweigen? Undenkbar. Und wo eine Selbsttötung ist, da wird man Gründe hinterfragen, und schnell auf eine Depression stoßen. Hier könnte man dann aufhören detaillierter zu werden – aber all das scheint ja auch für die Nachahmer schon auszureichen.

    Wo genau jetzt übrigens der Unterschied zum Alkohol- oder Zigarettensüchtigen ist, der durch die ständige Konfrontation in den Medien sich zum Rückfall genötigt sieht, wird mir auch nicht klar. Vielleicht ist Mitleid mit Depressiven gerade „in“, mit Süchtigen weniger.

  147. @struwwelpeter
    Ihr 2. Punkt ist doch aber völlig falsch. Es gibt sehr genaue Empfehlungen, wie man angemessen über Suizide berichten sollte. Stefan hat das PDF mit den Empfehlungen oben verlinkt und die wichtigsten Punkte auch zitiert. Warum tun diejenigen hier, die angeblich keine Trolle sein wollen, immer so, als sei eine Vermeidung des Werther-Effekts gleichbedeutend mit einem Verbot jeglicher Berichterstattung.

    Und auch dass Sie und andere hier immer so tun, als sei es gesellschaftich akzeptiert, Menschen zum Rauchen, Saufen oder Rasen zu verleiten, ist doch völlig an der Realität vorbei. Ich weiss nicht, wann Sie das letzte Mal Zigarettenwerbung im Fernsehen, Kino opder auch nur in Zeitschriften gesehen haben … ist schon lange her, oder? Wie kommen Sie denn darauf, dass der Zigarettensüchtige in den Medien ständig mit dem Gegenstand seiner Sucht konfrontiert wird? Ich weiss auch nicht, wie alt Sie sind … vielleicht können Sie sich auch noch an einen Song aus den 80ern erinnern, der mit den Worten „Mein Maserati fährt 210, schwupps, die Polizei hat’s nicht gesehen, ich geb Gas. Ich will Spaß, ich will Spaß“. Den haben eeinige Radiosender damals als Aufforderung zu verantwortungsloser Raserei gesehen und deswegen nicht gesendet. Usw. usf.

    Das beharrliche Wiederholen irgendwelcher Meinungen abseites jeglicher Fakten und Realität nennt man gemeinhin übrigens „trollen“.

  148. Ich troll mich dann mal. Frohes Weltverbesseren weiterhin – aber immer schon vom Schreibtisch aus!

  149. @JO 157
    Es stimmt, dass die Zahlen 2009 leicht gestiegen sind, das allein ist aber kein Beleg für den Werther-Effekt im Enke-Fall (den ich nicht bestreite, allerdings habe ich auch kein belastbares Zahlenmaterial dafür). Ich wollte ja lediglich darauf aus, dass die These von den „immer schwieriger werdenden Lebensbedingungen“ nicht haltbar ist.

  150. @ StickyP (#156) und struwwelpeter (#166): Ein wesentlicher Unterschied zwischen einem Alkoholiker/Raucher/Raser, der durch Artikel über oder Werbung für Alkohol/Tabak/schnelle Autos wieder zum Trinken/Rauchen/Rasen verleitet wird und später an den Folgen stirbt und einem, der sich in der Folge eines Zeitungsartikels über eine Selbsttötung das Leben nimmt, ist der folgende: Für eine Selbsttötung kann man sich, bei entsprechender Vorbelastung, aus einem Impuls heraus entschließen. Eine Selbsttötung geht u.U. sehr schnell und ist unumkehrbar. Den Alkoholiker/Raucher/Raser bringt die nächste Flasche/Kippe/Fahrt in der Regel nicht gleich um, und die allermeisten von denen sterben gar nicht am Trinken/Rauchen/Rasen.

    Selbsttötung ist irreversibel, und das macht das Thema so besonders. faulersack hat es in #160 schon geschrieben: Bei einem Suizidgefährdeten, der am Abgrund steht, ist es wichtig, ihm nicht noch „Spring“ ins Ohr zu flüstern.

  151. @StickyP: Drogen oder Gewalt verherrlichende Artikel/Filme etc. stehen doch genau so in der Kritik. Als „Clockwork Orange“ in London Jugendliche dazu animierte, wie im Film Leute brutal zu überfallen, wurde er in England nicht mehr öffentlich gezeigt (was sicherlich diskutierbar ist). „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ sollte aufklären, stellte aber offenbar die Lebenswelt der Christiane F. für manche gefährdete Jugendliche in für sie glorifizierende Weise dar. Dies wurde dem Buch durchaus angekreidet. Nur konnte Kubrick im Vorfeld nicht damit rechnen, dass sein Werk solche Folgen hatte, erschüttert hat es ihn dennoch. Journalisten, die über Selbsttötungen berichten, wissen aber, was sie damit anrichten können. Und tragen dann entsprechend die Verantwortung.

  152. @172 Stefan

    Wäre echt mal Zeit. :)

    Dass der z.B. Kommentator aus #64 auf seiner Seite Herrn Steinhöfel verlinkt hat, der ja bekanntermaßen ebenfalls für die PI-Dödels schreibt verwundert jetzt bei seinen faktenresistenten Beiträgen auch eher weniger. Irgendwie schließt sich der Kreis immer wieder…

  153. @168
    Jaja, die Schreibtischweltverbesserer sind schon ein witziger Haufen.
    Im Internet gegen die ach so pöhsen Boulevardmedien zu stänkern ist wahrlich eine heroische Tat, billiger kann man sich kaum im Gefühl der eigenen moralischen Überlegenheit suhlen.

  154. Genau. Frechheit. Diese elitären Schnösel mit ihrem Internet-Dings, was lediglich 59 Millionen Deutsche benutzen.

    Wenn diese ganze Information-Elite wenigstens mit Zigarette, Korn und Schnaps vor dem Computer sitzen würde.

    Aber so… pfui!

  155. @LV

    Man lebt von dieser moralischen Überlegenheit aber anscheinend ganz gut. Schade, dass ich mich zu so viel Bigotterie dann aber doch nicht herablassen möchte.

    Wie stand es hier eigentlich um die Folgen journalistischer Arbeit, als ein ganz offenkundig etwas neben sich stehender Verlagserbe über Monate am Nasenring durch die Arena geführt wurde? Ich glaub, ich weiß die Antwort: Das ist dann GANZ ETWAS ANDERES.

    Was sang noch gleich Pippi Langstrumpf so schön?

  156. @ LV und struwwelpeter: Macht doch ein Niggemeier-Blog auf, so eine Art Bildblog-Klon. Da könnt Ihr dann detailliert die ganzen billigen, bigotten Schreibtischtätergutmenschen*dummheiten zerlegen, die der Mann hier ständig veröffentlicht. Da kämt Ihr sicher mit Schreiben nicht nach und es wäre der absolute Renner.

    @ Sebastian: Haste mal Feuer? Prost!

    * Sorry, SN, das musste da rein.

  157. Psst. Irgendwann merkt er, dass er selbst vor’m Rechner sitzt.

    Aber um mal zurück zum Thema zu kommen: die eine Person, mit der ich mich regelmäßig über das Thema unterhalten habe, ob es denn „noch Sinn macht, weiter zu leben“ kenn ich nur über das Internet.

    Ich schäme mich auch ganz doll dafür, dass ich ihn nicht persönlich kenne und trotzdem zugehört habe. Per Chat. Ich Gutmensch ich.

  158. @struwwelpeter
    In Deutschland darf niemand, der krank ist, entlassen werden. Wer bin ich, dass ich das Urteil von vielen Chefredakteuren, eines Verlages, eines Vaters bezweifeln würde?

    Ich habe es oben schon gesagt: Krankheit bedeutet, ein Mensch leidet und nicht, ein Mensch denkt anders als der Mainstream oder wie man es selbst gerne hätte. Hier beginnt nämlich Toleranz und Meinungsfreiheit. Nicht nur Sie, sondern auch viele andere, wollen einfach nicht verstehen, was was das Wort „krank“ bedeutet; wahrscheinlich da Sie es inflationär benutzen und auf alles anwenden, was Ihnen fremd ist oder Sie missbilligen. Das ist billige Rhetorik.

  159. Mir geht bei solchen Berichterstattungen in der Presse meist folgendes durch den Kopf:

    Schreibt man, der Suizid sei „ausweglos“ gewesen, so heißt dies doch, man könne die Gefühle des Selbstmörders nachvollziehen und verstehen. Fraglich ist für mich, ob dies überhaupt möglich ist, zumindest für jemanden, der nicht (mehr oder weniger akut) suizidgefährdet ist. Ich kann nachvollziehen, dass ein Mensch verzweifelt ist, ich kann mir vorstellen, dass jemand keinen Ausweg aus seiner Situation sieht. Ich kann mir aber nicht vorstellen, oder nachvollziehen oder was auch immer, dass jemand so weit geht, sich das Leben zu nehmen und damit so vielen anderen Menschen Leid zuzufügen (vor allem wenn man z.B. vor einen Zug springt.) Vielleicht geht es dabei nicht allen so wie mir, aber dennoch schwanke ich aus diesem Gesichtspunkt jedesmal wenn ich so etwas in der Presse lese zwischen Abscheu über das geheuchelte Mitleid und der Frage, ob man dem Autor des Textes nicht dringend helfen müsste.

    Ich meine das übrigens durchaus ernst und ohne Ironie, ich denke tatsächlich so.

  160. @JO

    Bitte unterlassen Sie doch haltlose Mutmaßungen darüber, was für mich das Wort „krank“ bedeutet und wie oft ich es für was benutze.

    Ich verwende das Wort „krank“ hier nicht ein einziges Mal.

    Der vorletzte Satz Ihres Beitrag ist eine einzige Unverschämtheit. Auch eine Nazikeule in ein Tuch gehüllt ist eine Nazikeule.

  161. @struwwelpeter
    Den Schuh ziehen Sie sich gerade selbst an. Ihr verwendeter Begriff „neben sich stehen“, gehört er in das Sprachfeld „gesund“ oder „krank“? Würden Sie beim Thema bleiben, klare Begriffe verwenden und nicht ständig persönliche Angriffe auf andere oder sich selbst starten, würden sie sich selbst und andere, nicht so nerven.

    Zurück zum Thema: siehe David (#180)

  162. @JO

    Ich nerve mich selbst keineswegs.

    Ich verwende klare Begriffe. Welchen meiner Begriffe Sie willkürlich wie interpretieren, ist mir scheißegal.

    Ich habe auf Sie keine Lust mehr.

    Hör ich da ein Aufatmen?

  163. @David:
    „..(mehr oder weniger akut) suizidgefährdet ist…[…………]
    Ich kann mir aber nicht vorstellen, oder nachvollziehen oder was auch immer, dass jemand so weit geht, sich das Leben zu nehmen und damit so vielen anderen Menschen Leid zuzufügen “

    Es ist so, dass depressive Menschen im eigenen Leid so gefangen sind, dass der Gedanke an das Leid der Mitmenschen nur noch schwach ausgeprägt ist.

    Es sei mir gestattet, hier mal wieder Hamlet zu zitieren. Ein Leidender, dem Psychologen und Psychiater ein hohes Maß an Egozentrik bescheinigen, eine Eigenschaft, die nicht nur eine Charakterschwäche, sondern durchaus, in Verbindung mit Depression, ein Symptom sein kann.

    „Denn wer ertrüg der Zeiten Spott und Geißel,
    Des Mächtigen Druck, des Stolzen Mißhandlungen,
    Verschmähter Liebe Pein, des Rechtes Aufschub,
    Den Übermut der Ämter und die Schmach,
    Die Unwert schweigendem Verdienst erweist,
    Wenn er sich selbst in Ruhstand setzen könnte
    Mit einer Nadel bloß? Wer trüge Lasten
    Und stöhnt‘ und schwitzte unter Lebensmüh?
    Nur dass die Furcht vor etwas nach dem Tod,
    Das unentdeckte Land, von des Bezirk
    Kein Wandrer wiederkehrt, den Willen irrt,
    Dass wir die Übel, die wir haben, lieber
    Ertragen als zu unbekannten fliehn….“

    Der Gute hat ja zum Schluss übrigens seinen Nicht-Schwager Laertes (Bruder der Ophelia) gewissermaßen als Lokomotive missbraucht.

    „Der Rest ist [sei] Schweigen.“

  164. @175,

    Ich will nicht völlig ausschließen, dass Ihren Zeilen ein tieferer Sinn innewohnt, der mir lediglich verborgen blieb.
    Es ist allerdings auch gut möglich , dass Sie einfach nur mit Zigarette,Korn und Schnaps vor dem Computer sitzen und sich an den blinkenden Buchstaben erfreuen.

  165. Es ist nicht verwerflich zu schreiben, welche Form des Suizids ein Suizident wählte, und auch nicht, Suizid als Ausweg zu sehen.
    Was verwerflich ist, sind die 26 Zeilen abfälligen Spotts über Mick Werup, die die FAS heute, _9 TAGE NACH_ dem freiwilligen Tod Mick Werups auf Seite 12 in die Öffentlichkeit schmiert. Dazu wird sich Niggemeier gewiss nicht äußern. Wer ist überhaupt zuständig für dieses heftig unnötige „Das war’s“?

  166. Ich hätte das nicht mit einem Vorwurf an SN verbunden, aber den Impuls, auf diesen ekelhaften FAS-Text hinzuweisen, hatte ich auch. Was für ein kaputter, abgestumpfter Typ muss man sein, um so zynisch auf den Tod eines Menschen zu reagieren? Oder bestellt die FAS ihre „Das war’s“-Kolumne etwa bei denselben Arschlöchern schlechten Menschen, die für RTL „DSDS“ produzieren?

  167. Als ich Kommentar 188 schrieb, kannte ich noch keinen Namen, bin aber nach kurzer Google- und Gedächtnisrecherche froh, dass ich mit den Adjektiven nicht ganz daneben lag (und auch nicht mit den Hauptwörtern). Schönen Sonntag.

  168. Als ich eben in der taz einen Artikel über Reaktionen aus der arabischen Welt auf die Ereignisse in Tunesien las, musste ich spontan an diese Diskussion hier denken. Ich zitiere einmal den relevanten Absatz:

    Die Selbstverbrennung, Auslöser für die Jugendrevolte in Tunesien, fand ebenfalls Nachahmer. Vor dem ägyptischen Parlament setzte sich ein Mann in Brand, der ins Krankenhaus gebracht wurde. In Algerien kam es seit vergangener Woche gleich zu vier Selbstmordversuchen. Und in der mauretanischen Hauptstadt Nouakchott zündete sich ein 42 Jahre alter Geschäftsmann in seinem Auto an.

    Ernst gemeinte Frage aus aufrichtigem Interesse an Stefan und die überzeugten Verantwortungsethiker hier in den Kommentaren (ich selbst bin mir bei der normativen Positionierung in dieser Frage noch nicht sicher, wenngleich ich in jedem Fall für eine extrem reduzierte Berichtersattung plädieren würde. Ich sehe aber schon Schwierigkeiten bei der Frage der Grenzziehung, wenn man erst mal verantwortungsethisch argumentiert – und andere Probleme, die jetzt nicht interessieren müssen): Wie geht man mit so einem Fall um?

    Mehrere junge Männer bringen sich um, auf außergewöhnliche (und vermutlich außergewöhnlich schmerzhafte) Weise, weil sie an ihren Lebensumständen und dem System verzweifeln; und plötzlich löst das Ganze eine politische Bewegung aus. Dass es Nachahmer geben würde, war wohl abzusehen. Erst recht jetzt, da diese Bewegung einen Autokraten nach 23 Jahren aus dem Amt spülte – die Suizide also zusätzlich mit Beduetung aufgeladen wurden.

    Rechtfertigt die politische Relevanz in diesem Fall (und etwaigen künftigen ähnlichen Fällen) eine Berichterstattung? Tat sie das schon, als noch nicht abzusehen war, wohin die Demonstrationen führen würden? Tut sie es jetzt?
    Immerhin scheinen die Suizide ja Auslöser der Demonstrationen gewesen zu sein, eine Darstellung des Verlaufs unter Weglassung der Suizide (oder auch nur der besonders schockierenden, weilungewöhnlichen und wohl extrem schmerzhaften Methode) kaum wirklich nachzuvollziehen ist.

  169. Ich glaube das geht eher in die Richtung 72 Jungfrauen Herr Schaible.

    Ansonsten geht es einfach darum, so zu berichten, wie es die I’m Beizrag von SN mehrfach verlinkten Richtlinien vorschlagen.
    Das ist kein Zwang aber jeder Jounalist der sich nicht dran hält muss einfach mit „mehr“ als Resultat seiner Arbeit rechnen.

    Es geht überhaupt nicht um Selbstzensur sondern darum, sachlich zu sein. Um Mäßigung. Um eine Sau weniger, die durch’s Dorfgetrieben wird.

    In Anbetracht der Medienwelt heute ist der wilde Gegenwind gegen diese „Guidelines“ zur journalistischen Ethik meiner bescheidenen Meinung nach eh ein Scherz.

    Ich mein ich stell mir grad mal Glenn Beck oder Keith Olbermann vor wie sie so ein Dokument lesen. Oder Rush L.

    Oder jeder Boulevard-Journalist.

    Die kriegen sich doch vor Lachen nicht mehr ein…

  170. 72 Jungfrauen? Hier? Wo? Hä?

    Ansonsten: Ja, eine Sau weniger, sachlich, nüchterner, gemäßigt – bitte immer.
    Die oben zitierten Guidelines, die ich an sich auch unterstützen würde, sagen aber auch, vermieden werden solle…

    • den Suizid als nachvollziehbare, konsequente oder unausweichliche Reaktion oder gar positiv oder billigend darzustellen bzw. den Eindruck zu erwecken, etwas oder jemand habe „in den Suizid getrieben“. („Für ihn gab es keinen Ausweg“).
    • den Suizid romantisierend oder idealisierend darzustellen
    (”Im Tod mit seiner Liebsten vereint“)
    • die Suizidmethode und den Ort detailliert zu beschreiben
    oder abzubilden (z.B. ein bestimmtes Hochhaus, eine
    bestimmte Brücke) oder Orte zu erwähnen, an denen Sui-
    zide gehäuft vorkommen.

    In diesem Fall muss man aber wohl nennen: Suizidmethode, Ort, die Umstände (Guter Schulabschluss, keine Arbeit, Obst verkaufen, damit Familie ernähren, Behörden legen Steine in den Weg), die den Schluss zulassen, er sei dazu getrieben worden. Und dass die Geschichte, mit dem Suizid hätte(n) dieser Mann (und der andere) eine die Regierung stürzende Bewegung ausgelöst, idealisiert zumindest implizit.

    Heißt: Ich kann als Journalist, will ich halbwegs vollständig informieren (was auch immer das fr einen jeden bedeuten mag), gegen die Richtlinie verstoßen – und ja, wie Sie sagen, ich muss dann mit einem „mehr“ als Resultat meiner Arbeit rechnen, ziemlich sicher, egal, wie sachlich ich berichte.

    Wie sollte ich mit diesem konkreten Fall umgehen, wenn ich Journalist in Tunesien wäre?

  171. Herr Schaible, der IST-Zustand ist, dass sich eh keiner dran halbwegs daran hält, und Sie eiern rum dass wenn man ja alles ganz genau machen will…

    Ja nee. passt schon. Schlägt in die gleiche Kerbe wie der Satz mit den Todesanzeigen weiter oben.

    Und ich kann mich immer nur wiederholen: wenn ich heutzutage etwas nicht weiß, dann schmeiße ich den Halbsatz in Google.

    Hier, ich hab das mal für Sie gemacht:

    http://www.google.de/search?q=72+Jungfrauen

  172. @Sebastian

    Sie sind, ich erlaube mir mal, das so so schreiben, ein unerträglicher Diskutierer.

  173. Ach so, ich dachte, vielleicht sei das hier der richtige Ort, um normativ die Konsequenzen für Journalisten, also eben genau Soll-Zustände aus solchen Zusammenhängen zu diskutieren.
    Vielleicht kam ich darauf, weil der Hausherr schrieb:

    Ja, wir können und sollen darüber streiten, was die richtigen Konsequenzen für Journalisten u.a. aus diesen Zusammenhängen sind.

    Sei’s drum.

    (Und ich habe trotz ihres Links nicht begriffen, was dieser Fall mit 72 Jungfrauen zu tun haben soll. Vielleicht erklären Sie es mir, vielleicht auch nicht. Ist aber auch egal.)

  174. Und Sie können keine Kommaregeln :-)

    Mal ganz im Ernst: die Richtlinie sagt aus, dass man den Ort nicht nennen soll. Was ist damit wohl gemeint, aus der Sicht eines Suizidgefährdeten?

    a) Land, Stadt

    oder

    b) Land, Stadt, Straße, Hausnummer, Beschreibung der Örtlichkeit eventuell mit Fotos

    Ganz ehrlich, ich habe gar keine Lust, sachlich zu diskutieren, wenn sich so krampfhaft wie es es nur eben geht eine Situation konstruiert wird, in der man die Regeln nicht einhält, ohne auch nur eine Sekunde über die Intention von

    – Journalisten, die Artikel schreiben wollen, ohne Menschenleben zu gefährden
    – den Psychologen, die die Richtlinien aufgestellt haben
    – Suizidgefährdeten

    Gedanken macht.

    Ich meine die pure Ironie die sich niederschlägt wenn Herr Schaible „Ich kann als Journalist…“ hinschreibt, seinen Kommentar aber mit „72 Jungfrauen? Hier? Wo? Hä?“ anfängt, um dazwischen im Prinzip zu verdeutlichen, dass er die Richtlinien jetzt das erste Mal gelesen hat.

    Diese Ignoranz, die einem da entgegen schlägt. So nach dem Motto „Ich bin zu faul, mich mit dem Thema zu beschäftigen, möchte aber trotzdem an der Diskussion teilnehmen“.

    Mit welcher Begründung fordert man dann ein, dass ordentlich diskutiert wird? Mach Du Dir bitte die Mühe, mich zivilisiert zu behandeln, aber ich, ja ich benehm mich wie die der Trunkenbold bei der Familienfeier. Respekt bitte, egal wie ich daher komme.

  175. @Jonas Schaible:

    mein Hinweis ging in die Richtung, dass die Selbstverbrennung als Akt der Demonstration zumeist von religiösen Menschen verwendet wird. In Tunesien leben Moslems

    http://de.wikipedia.org/wiki/Huri

    (Das ist übrigens der erste Treffer in der Google-Suche). Warum das jetzt nach dem 11. September und der Terrorismusgefahr erklärungsbedürftig gewesen ist, verstehe ich ehrlich gesagt nicht. Wenn Ihnen das zu konstruiert erscheint… bitte.

  176. Konstruierter als die Frage danach, ob die Suizide in Tunesien in den Medien genannt werden sollten?

    Ihnen ist schon klar, dass in Tunesien, einem autokratischen Staat, darüber so einfach gar nicht berichtet werden konnte (!) und dass in Deutschland erst über die Gewalt in Tunesien berichtet wurde, als der selbe Autokrat bereits auf dem Weg ausser Landes gewesen ist, und die Suizide im Prinzip nachgeliefert wurden als Grund für die Gewalt. Jedenfalls in den deutschen Medien.

    Ging Ihre Frage also in die Richtung, dass in den Ländern, wo sich jetzt Nachahmer angezündet haben, also in Marokko und Ägypten etc. pp., dort die Journalisten bitte an die Richtlinien halten möge, die Stefan Niggemeier den deutschen Journalisten ans Herz gelegt hat, am Beispiel eines deutschen Schauspielers und eines deutschen Fußball-Nationaltorwarts?

    So konstruiert ungefähr?

  177. Ich verstehe auch nicht, wieso es beim Selbstmord in Tunesien nicht möglich sein sollte, zu vermeiden

    • den Suizid als nachvollziehbare, konsequente oder unausweichliche Reaktion oder gar positiv oder billigend darzustellen bzw. den Eindruck zu erwecken, etwas oder jemand habe „in den Suizid getrieben“. („Für ihn gab es keinen Ausweg“).
    • den Suizid romantisierend oder idealisierend darzustellen
    (”Im Tod mit seiner Liebsten vereint“)
    • die Suizidmethode und den Ort detailliert zu beschreiben
    oder abzubilden (z.B. ein bestimmtes Hochhaus, eine
    bestimmte Brücke) oder Orte zu erwähnen, an denen Sui-
    zide gehäuft vorkommen.

    Den Ort kann man wohl nennen, die Umstände, die zum Suizuid geführt haben auch. Problematisch wird es bei den „Details“ und der entsprechenden Sprache. Gegen ein nüchternes Berichten der Tatsachen sagt ja niemand etwas, das ist halt Journalismus. Wenn man aber das lodernde Feuer beschreibt,dass sich um den armen Selbstanzünder schlängelt, und jammernd darstellt, dass der gebeutelte Tropf nur so aus seiner Misere entkommen konnte, dann werden die Richtlinien nicht mehr eingehalten.

    Und eigentlich ist es doch gar nicht so schwer, bei solchen Geschehnissen nicht mit der Dramatik der Gossenjournaille zu berichten und keine reißerischen Bilder zu verwenden. Notwendig ist es jedenfalls nicht. Und mehr wird nach meinem Verständniß ja auch gar nicht in den Richtlinien gefordert. Es geht also nicht darum ganz oder gar nicht zu berichten, sondern darum, wie berichtet wird.

  178. Ich bin dafür, dass Kommentare, die Absätze wie die letzten zwei aus #198 enthalten, irgendwie weggefiltert werden. Oder auch Kommentare, in denen steht, dass man eigentlich gar nicht sachlich diskutieren möchte… huch, ist ja der selbe.

    @Jonas Schaible: Ich persönlich sehe einen Unterschied darin, ob ein Selbstmord als Aufmacher benutzt wird, um Auflage zu erzielen, oder ob man über die politischen Konsequenzen eines bestimmten Selbstmordes berichtet. Nur, wenn es solche Konsequenzen gibt, ist überhaupt eine gesellschaftliche Relevanz gegeben, aus der dann eine Berichterstattung resultiert.

    Die sich anbahnenden gesellschaftlichen Veränderungen in Tunesien waren vom Volksempfinden her vielleicht lange überfällig – die so plötzlich gefallene Hemmschwelle deutet darauf hin – aber nichtsdestotrotz finde ich es problematisch, wenn der Auslöser ein Suizid sein soll, der dann dementsprechendes Glorifikationspotential hat. Wer kann beantworten, ob es nicht auch später soweit gekommen wäre, wenn sich niemand angezündet hätte?

    Deshalb finde ich es falsch, die Selbstverbrennung groß zu thematisieren, unter dem Vorwand, sie sei DER Auslöser gewesen. Auslöser war offenslichtlich das Regime, dass die tunesische Gesellschaft über Jahre mit großem Zorn aufgeladen hat.

    Wenn ein Tropfen ein Fass zum Überlaufen bringen kann, muss jemand es vorher erstmal voll gemacht haben. Das sollte der eigentlich Stoff für die kommende Berichterstattung sein.

    Ich denke, auch dieser Selbstmord, obwohl weitreichende Konsequenzen nach sich ziehend, sollte kaum anders behandelt werden, als die oben verlinkten Richtlinien es fordern. Warum Sie z.B. den Hintergrund des Opfers genauer beleuchten möchten, ist mir unklar.

  179. Ich sag mal so: wenn die unsachlichen Fragen bereits rausgefiltert werden, erledigen sich meine zynisch-ironischen Reaktionen darauf von selbst.

    faulersack und alter Jakob, ihr habt jetzt beide en detail erklärt, warum man eine Örtlichkeit nicht näher beschreiben sollte, und gefragt, warum man den Hintergrund eines Selbst-Anzünders näher beleuchten sollte.

    Sind das nicht zwei Fragen die bereits in den Richtlinien beantwortet werden? Ganz ernsthaft. Wieso soll man jedes noch so stumpfe Beispiel was angebracht wird sachlich widerlegen wenn sich die Antworten bereits in den Quellenangaben im Original-Beitrag von Stefan Niggemeier befinden? Warum muss man Tro… Leuten die nicht ernsthaft am Thema interessiert sind, aber trotzdem irgendwas sagen wollen zum Thema, ihre Beispiele haarklein auseinander nehmen? Wieso ist es besser, da sachlich drauf zu reagieren?

    Ich komm mir bisweilen vor als ob ich auf dem Kirchplatz stünde, vor dem Kirchtum mit der großen Uhr drin. Die mit den 2 Meter langen Zeigern. Es hat schon zwei Mal laut geläutet. Und dann kommt jemand an und fragt „Sie haben doch sicher ein Handy, können Sie mir sagen wie spät es ist?“

    Es ist sicherlich einfacher (und freundlicher) wenn man solcherlei Dinge einfach kurz erklärt und beantwortet. Ich versteh nur den Sinn dahinter nicht warum Leute, die sich lieber weniger Arbeit machen, von der Mühe derjenigen Leben sollen, die ihre (doofen) Fragen dann auch noch freundlich beantworten.

    Sorry aber es ist einfach total unverständlich für mich, warum man Todesanzeigen oder die Hintergründe für einen Suizid oder die Nennung von Suiziden in Tunesien als nachdenkender Mensch als schlechte Beispiele erklärt braucht.

  180. @Sebastian

    Und sehen Sie, genau DAS ist ihr Problem: Ihnen erscheint Ihre eigene Meinung so evident wie die Uhrzeit, wenn Sie auf dem Kirchplatz stehen. Ihnen fehlt jeglich Bereitschaft einzusehen, dass andere eine andere Meinung vertreten dürfen und schreien Ihre Meinung in immer anderen Worten und mit ansteigender Lautstärke immer wieder durch den Kommentarbereich, denn schließlich ist es ja keine Meinung, sondern die unumstößliche Wahrheit.

    Manchmal aber gehen Kirchturmuhren falsch.

  181. @Sebastian: Das, was sie für zynisch-ironisch halten ist arrogant und unverschämt. Sie erdreisten sich, die Fragen anderer Kommentatoren als unintelligent zu bewerten, veröffentlichen das im Internet und weisen dann darauf hin, dass man so etwas doch eigentlich nicht auch noch sagen müsste.

    Warum tun Sie’s dann? Wenn Ihre Intelligenz Sie daran hindert, freundlich zu sein, könnten Sie es wenigstens vermeiden, aktiv unfreundlich zu sein.

    Am wenigsten zum Thema tragen übrigens Leute bei, die nur Kommentare schreiben, um anderen Leuten zu erklären, sie trügen nichts zum Thema bei. Von solchen als Troll bezeichnet zu werden, ist der Gipfel der Unverschämtheit.

    Und: Wenn jemand anhand hypothetischer Situationen die Allgemeingültigkeit der hier diskutierten Richtlinien in Frage stellt, ist das themenbezogen und darf diskutiert werden. Was Diskussionskultur vorraussetzt. Und ein wesentlicher Teil dieser Kultur ist, Fragen nicht zu dummen Fragen zu erklären, nur um den Fragenden zu diskreditieren. ( Ich bin ja viel schlauer als wie du )

    *kopfschüttelnd ab*

  182. @Jonas Schaible (#192): Ich habe darauf keine verbindlichen Antworten; ich glaube, es gibt sie auch nicht. Natürlich ist es immer eine Abwägungsfrage, und leider muss man als Journalist diese Abwägung zwischen Informationsrecht und -pflicht einerseits und möglichen negativen Folgen andererseits in der Regel noch treffen, ohne diese Folgen vorher genau zu kennen.

    Ich glaube, dass es schon ein Fortschritt wäre, wenn dieser Gedanke über die Folgen beim Publizieren überhaupt eine größere Rolle spielte — das Ergebnis einer solchen Abwägung wird bei relevanten Nachrichten immer angreifbar sein.

  183. Von welchen „Meinungen“ sprechen Sie denn, Herr faulersack?

    Ich denke Sie haben da des Pudels Kern gut eingerenzt. Ich habe vielleicht ein Handy. ICH kann sicherlich auch erklären, warum eine Todesanzeige keine Werbung für Suizid ist.

    Aber erklären Sie mir doch mal genauer, wo hier Meinungen von mir diskreditiert wurden. Wer hat hier eine Meinung geäußert? Ich sehe hier die ganze Zeit nur ein krudes Beispiel nach dem anderen, wo erklärt werden soll, warum das schlecht ist, so oder so zu berichten, oder aber es wird gefragt, wie man denn berichten sollte bzw. es wird festgestellt, dass die Regeln ja eh gebrochen werden.

    Es wird sich überhaupt nicht mit dem Quellmaterial beschäftigt bzw. Dies verstanden und wenn doch dann möchte man es gerne erklährt haben.

    Der nächste Schritt, der dann kommt, ist übrigens ein „Finde ich trotzdem nicht“ und ein wehementes Bestehen darauf, dass das so doch gar nicht sein kann. Siehe weiter oben.

    Ja vielleicht geht die Uhr ja falsch. Aber warum wird nicht jemand gefragt, der ne Uhr hat? (sprich: warum liest man sich das Thema nicht anderswo an?) Warum ist das zu viel Arbeit? Warum fragt man lieber hier mit den krummsten Sachen, die man gerade im Kopf hat oder die in den Nachrichten waren, die irgendwie was damit zu tun haben?

    Hat sich in Deutschland jemand nach der Berichterstattung über Tunesien angezündet? Kommen Todesanzeigen in den Artikeln über den Werther-Effekt vor? Ist „Hintergrund“ nicht genau das, was vermieden werden soll und steht das nicht in den Richtlinien? Warum glauben Sie, dass es jetzt bei Ihrem Gegenüber ankommt, wenn Sie sagen „Ich glaube den Hintergrund brauch keiner“ wenn es die Studien zum Werther-Effekt klar belegen? Mehr noch – glauben Sie dass „Ich glaube 2+2 ist 4“ ist die richtige Antwort auf eine Frage „Ich versteh nicht ganz – 2 Mal zwei soll 4 sein?“. Sie glauben das nicht. Sie wissen das. Sie müssen das nicht diskutieren. Sie können sagen „Ja das ist so“ und freundlich bleiben dabei.

    Ich bin halt so unfreundlich und sage „da kann wer sein Mathebuch nicht lesen“. Ich gemeiner Mensch ich.

  184. Diese Abwägung zwischen Informationsrecht und negativen Folgen von Informationen ist eine sehr schwierige. Dass diese vor dem Hintergrund des Werther-Effekts mal diskutiert wird, ist durchaus gut, auch wenn ich die Einzigartigkeit des Werther-Effekts weiter anzweifle und somit auch die Sonderstellung der entsprechenden Richtlinie.

    Leider bleiben am Ende dann doch nur Binsenweisheiten: Journalisten sollten sich ihrer besonderen Verantwortung bewusst sein. Sie sind es aber nicht. Trotzdem hat es einen Wert, Werte immer wieder einzufordern.

  185. @Sebastian: Magst Du nicht mal rausgehen? Eine rauchen? Einen Spaziergang machen? Vielleicht sogar Holz hacken oder eine Mülltonne umtreten? Und erst dann den nächsten Kommentar schreiben?

  186. Er hat schon Recht. Die haben alle den Text nicht verstanden und können nicht richtig lesen (glauben aber, sie könnten es).
    Ist grundsätzlich wahrscheinlich das größte Problem der Menschheit. So simpel!

  187. Ich habe den Eindruck, es gibt ein Grunddilemma dabei, auf einer Metaebene über dieses Thema zu schreiben. Einerseits muss man es, weil man gerade das Nennen von Details anprangert. Andererseits wird jede Diskussion automatisch sehr theoretisch. Und dann kommen schon sehr praxis- und lebensferne Thesen auf.

    Das zweite Problem ist, dass der Tod (in der Form, dass er einem nahegeht) immer das größte Tabuthema ist. Das erzeugt automatisch Abwehrmechanismen. „Mit solchen Leute habe ich nichts zu tun!“ Geht man jedoch davon aus, dass einen eine Krankheit so weit treiben kann, weil man nicht mehr klar sieht, und theoretisch jeder eine solche Krankheit bekommen kann, dann erzeugt das Unsicherheit. Es könnte einem ja selbst passieren. Um sich damit nicht weiter beschäftigen zu müssen, lautet die Reaktion: „Nein, das ist freier Wille!“

    Sehr geehrter Herr Niggemeier, wenn Sie das nächste Mal etwas zu dem Thema schreiben, zitieren Sie doch aus den Kommentaren hier.

    Ich denke da an Gereon Hoffmann (#22, #123), Wolf (#34), Joshtree (#38), inga (#41), incognito (#126), Unsinn (#140). Da haben Sie im Grunde alles zusammen: Menschen, die suizidgefährdete Personen betreut haben; Hinterbliebene (Freunde, Verwandte); Angehörige von suizidgefährdeten Personen, Depressive (und tatsächlich Gefährdete). Es ist wichtig, nüchtern über so ein Thema zu schreiben – das ist wohl der Berufsethos eines Journalisten. Es scheint aber auch wichtig zu sein, solche Eindrücke zu schildern, sonst bleibt die Diskussion zu abgehoben.

  188. @Kunar
    Ich sehe da bloß kein Grunddilemma. Man kann ja durchaus eindrucksvoll berichten, ohne sich in Sturm-und-Drang-Bildern zu verlieren. Ein schönes Beispiel dafür ist für mich die 37°-Reihe. Wenn es alle so täten, wären solche Artikel hier wohl nicht notwendig.

  189. At least 13 cases of people setting fire to themselves in protest have been recorded in the Middle East since Bouazizi, an unemployed university graduate, doused himself with petrol and set himself alight in the city of Sidi Bouzid on December 17.

    Nur, weil ich es eben gelesen habe. Vielleicht möchte der eine oder andere ja doch noch einmal über meine Fragen weiter oben nachdenken.

  190. Übrigens: Nach dem von Stefan Niggemeier zitiertem Ende wirbt BILD für „BILD.de-Unterhaltung“ bei Facebook… Setzt der Geschmacklosigkeit die Krone auf.

Comments are closed.