Stephanie

Ich wollte eine Kritik über die „Johannes B. Kerner“-Show vom Donnerstag schreiben, in der er mit der 14-jährigen Stephanie sprach, die fünf Wochen in der Gewalt eines Sexualtäters war. Aber das verbietet sich. Diese Sendung war nicht für mich gemacht oder für die anderen Zuschauer. Anscheinend war sie überhaupt auch eigentlich keine Fernsehsendung. Sie war Teil der Therapie des mißbrauchten Mädchens. Und damit es da gar keine Mißverständnisse geben konnte, bestand die Sendung zu einem wesentlichen Teil daraus, genau dies ununterbrochen zu betonen. „Stephanie will zeigen, daß der Täter sie nicht gebrochen hat“, sagte Kerner zur Einführung. Er fragte die Mutter, „warum ist es jetzt wichtig für Ihre Tochter, daß Sie sich selbst zur Wort melden kann“, und sie antwortete: „Wir wollen zeigen, daß Stephanie nicht gebrochen ist“. Stephanie wiederholte das. Stephanies Psychologin bestätigte das. Stephanies Vater sagte, das Fernseh-Interview mit Kerner sei ein „Bestandteil der Therapie oder zur Genesung“. Stephanies Anwalt sagte, ihre öffentlichen Auftritte seien wichtig, „damit sie therapiert wird, damit sie sich selbst therapiert“.

Offenbar stellte die „Johannes B. Kerner“-Show ihre Sendezeit also selbstlos in den Dienst der guten Sache.

Es war, zugegeben, eine der erträglicheren Sendungen Kerners. Weil er sich ganz im Hintergrund hielt und auf die Rolle des Stichwortgebers beschränkte. Und weil die Sendung bewußt, wie Kerner sagte, auf alle Beschreibungen der unbeschreiblichen sexuellen Übergriffe verzichtete (die standen ja auch schon in unerträglicher Liebe zum Detail in der Schwesterzeitschrift von „JBK“, dem „Spiegel“).

Nein: Als Fernsehkritiker steht mir da kein Urteil zu. Was weiß denn ich, wie gut es für Stephanie war, ihre Geschichte vor Millionen Menschen zu erzählen? Und natürlich ist es ein schön, wenn Journalisten (und Showmaster wie Kerner) für ihre Arbeit plötzlich das Kriterium entdecken, ob das, was sie tun, auch gut ist für die Betroffenen.

Aber dieser schale Geschmack im Mund will einfach nicht weggehen. Wie praktisch für die Medien dieser Welt, wenn sich das rumspricht unter den Stephanies und Nataschas dieser Welt: Daß die beste Therapie für sie ist, wenn sie den Medien genau das geben, was die von ihnen haben wollen.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

5 Replies to “Stephanie”

  1. Wenn ich mit dem Fahrrad zum Training fahre, komme ich an dem Gymnasium vorbei, in das Stephanie an jenem Morgen gehen wollte. Und unwillkürlich erinnere ich mich immer wieder an die Zeit, als hier in der Umgebung die Zettel mit den verzweifelten Suchmeldungen aushingen. Damals hatten die Ermittler den Fall scheinbar schon aufgegeben. In der Presse wurde die Theorie von einem ausgerissenen jungen Mädchen verbreitet.

    Ich denke, dass dieser Fernsehauftritt und auch der SPIEGEL-Artikel dazu dienen sollen, das Interesse der Öffentlichkeit wachzuhalten. Die Familie nutzt ihre Chance, auf die immer noch völlig unbegreiflichen Fehler der Ermittlungsbehörden hinzuweisen. Diese Fehler hätten Stephanies Tod bedeuten können.

    Während sich Blogger vielleicht vernetzen würden, um gemeinsam auf solche Mißstände hinzuweisen, sieht die Familie eben im Interesse der Medien ihre einzige Chance. Das kann man sicher unterschiedlich bewerten, aber ich kann es ein wenig nachvollziehen.

  2. „ich“ in der fas. sogar mehrfach. sag mal, gibt das keine schläge auf die finger vom chef? ich dachte das sei in der faz/fas verboten? alle anderen autoren veranstalten zum teil zeilenlange eiertänze, nur um das böse „ich“ zu vermeiden.

  3. Haben Sie Kinder?

    Ich habe eine Tochter und einen Sohn. Ich weiß intelektuell, dass die Wahrscheinlichkeit, dass den Kinder so etwas wie Stephanie widerfährt sehr gering ist, viel geringer, als z. B. durch einen Verkehrsunfall ums Leben zu kommen.

    Trotzdem habe ich Angst davor. Und gebe mir Mühe, dafür Sorge zu tragen, dass nichts passieren kann. Auch im Straßenverkehr.

    Und genauso wie ich meine Kinder in einem geeigneten Kinderrückhaltesystem angeschnallt in einem ziemlich sicheren Auto besonnen durch die Gegend fahre, halte ich es für eine gute Idee, dafür Sorge zu tragen, dass so jemand wie der Täter im Fall Stephanie, nie wieder die Möglichkeit hat, seine Tat zu wiederholen.

    Des Weiteren – stefanolix hat das ja schon ausgeführt – muss auch die Rolle von Polizei und Staatsanwaltschaft hinterfragt werden.

    Ich verstehe sowohl die Motivation von Stephanie als auch die der Eltern, das öffentlich zu machen. Und ob die damit auch noch Geld verdienen oder ob JBK damit Quote macht ist mir total egal.

    Vielleicht hilft es Stephanie persönlich nicht oder nicht so sehr, wie sich die, die sich um sie kümmern gehofft haben. Es hilft auf jeden Fall all denjenigen, die Stephanie nicht nachfolgen werden.

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