„Es gibt nichts anderes als Scheitern, für niemanden“

Warum Roger Willemsen mit dem Fernsehen aufhört.

Was ist passiert, Herr Willemsen?

Eigentlich nichts. Ich habe schon seit zwei Jahren gesagt, daß ich langsam meiner Selbstauflösung entgegensende. Es gibt keine Notwendigkeit, nichts Zwingendes mehr in meiner Fernseharbeit. Fernsehen ist ja außerdem ein so kindliches Medium, daß man das erwachsene Arbeiten eher außerhalb von ihm versuchen muß.

Was ist aus Ihrem Versuch geworden, ein paar Punkte gegen den Trend zu setzen; Sendungen zu machen, die Sie selbst gerne sehen würden?

Ich habe zuletzt eine Sendung namens „Gipfeltreffen“ gemacht, in der immer zwei Personen zusammengeführt werden. Da ist schon die Frage, ob die vom damaligen ZDF-Unterhaltungschef Viktor Worms vorgeschlagene Kombination „Hansi Hinterseer trifft Eva Herman“ eine ist, die notwendigerweise durch mich vermittelt werden muß. So richtig lassen sich meine Vorstellungen von dem, was man da sinnvollerweise machen könnte, nicht vereinbaren mit dem, was ein sehr quotenorientiertes Fernsehen will.

Die böse Quote.

Nicht nur. Ich habe seit über zwei Jahren ein Musikmagazin im ZDF, das, wie ich mit einem gewissen Stolz sage, große Namen versammelt hat: Pierre Boulez, Herbie Hancock, Woody Allen, eines der letzten TV-Interviews von Isaac Stern… Ich glaube, es ist noch nie ein einziger Artikel über dieses Magazin erschienen.

…die Sendung steht auch nicht einmal auf der ZDF-Homepage.

Es gibt Leute, die mich in der Bahn ansprechen: Wann machen Sie mal wieder eine Fernsehsendung? Selbst Journalisten fragen: Wann kommen Sie mal wieder? Dann antwortet man: Na ja, ich mach‘ ja zwei Sendungen seit einiger Zeit…

Ihnen fehlt der Zuspruch.

Wirklich nicht. Aber die Lektüre eines Quotenprotokolls macht einem klar, daß das Publikum das, was man selber am beliebigsten, am notwendigsten fand. Dann erkennt man, daß man nicht mal ein Promille der deutschen Öffentlichkeit vertritt. Und zu versuchen, Minderheiteninteressen auf ein Massenpublikum zu übertragen, ist eine Anstrengung, bei der man sich irgendwann aufreibt.

Klingt ganz schön verbittert.

Ach was. Es ist überhaupt nichts Dramatisches daran, wenn man selbst entscheidet, daß das Fernsehen einfach nicht das richtige Medium ist für das, was man machen will. Oder haben Sie mich je dabei erwischt, Karl Moik sein zu wollen? Wenn sich das resignativ anhört, dann deshalb, weil ich dieses Ideal des gesellschaftlichen Wirkens nicht mehr habe. Man glaubt immer, man könnte die Einsamkeit dadurch reduzieren, daß man Komplizen findet. Das hört irgendwann auf, weil die Gesellschaft resistent ist gegen jede Wirkung, die aus dem Geistigen kommen könnte, so daß man sich daran nicht mehr abarbeiten muß.

Haben nur Sie sich verändert oder das Fernsehen auch?

Als ich vor elf Jahren anfing, habe ich — wie wir wohl alle — gehofft, daß das Fernsehen eine Entwicklung zum Besseren macht. Ich kannte ja kein Fernsehen, weil ich keins hatte. Die erste Hoffnung war, daß im Pay-TV vielleicht ein kompaktes, Minderheiteninteressen berücksichtigendes Programm entstehen würde. Es dauerte nicht lange, da war das Premiere-Programm schlechter als Kabel 1. Die nächste Hoffnung war, daß die Werbekunden die Zuschauer nicht nur quantifizieren, sondern auch qualifizieren würden: Eine Million in einer bestimmten Sendung verkauft mehr Carling Black Label als Hans Meiser, also würde die Reform des Fernsehens von den Werbekunden ausgehen. Das geschah auch nicht. Inzwischen lohnt es sich nicht, mit Fernsehleuten irgendeine Diskussion jenseits der Quote zu führen. Ich bin noch bei Mitternachtssendungen, die zur Hälfte Musik waren, mit Quotenerwägungen konfrontiert worden. Einmal bin ich für das Musikmagazin im Kriegsgebiet im Kongo gewesen, habe Papa Wemba auf seinem Rückweg aus dem Pariser Exil nach Kinshasa beobachtet; drei Mitarbeiter hatten einen schweren Autounfall. Als wir zurückkamen, haben wir als erstes gerümpfte Nasen gesehen: „Was ist das denn für Musik? Da ist ja wieder nichts zum Mitklatschen dabei.“

Aber ist Ihr Abschied nicht auch ein persönliches Scheitern?

Es gibt nichts anderes als Scheitern, für niemanden.

Wird Ihnen nicht fehlen, erkannt zu werden, auf der Bühne zu stehen?

Das ist mir wirklich fremd.

Sagen Sie jetzt nicht, daß Sie uneitel sind.

Von den 4000 Formen der Eitelkeit, die es gibt, besitze ich einige, aber die gehören nicht dazu: weder die physische noch die, erkannt werden zu wollen. Wenn man das elf Jahre macht und glaubt immer noch, es sei schön, erkannt zu werden, ist man im infantilen Stadium steckengeblieben. Spätestens im dritten Jahr muß man aufhören, aufs Cover der „Fernsehwoche“ zu wollen. Ich hab‘ das bei alten Männern immer pikant gefunden, wenn Erich Böhme Pixie-Malbücher in Wohnwagen ausfüllt, weil es das Frühstücksfernsehen möchte.

Es bleibt keine Enttäuschung?

Warum denn — es ist meine Entscheidung. Schwer ist es nur, mich von den Freunden zu trennen, mit denen ich gearbeitet habe. Die Firma wird in sehr kleinem Maßstab weiter produzieren, gelegentliche Dokumentationen. Wenn ich auf irgendwas stolz bin, dann darauf, einen Film gemacht zu haben, der in 13 Länder verkauft worden ist: der Film über Michel Petrucciani. Das ist eine der wenigen Sachen, wo ich denke: Darin steckt eine Spur von Eigenleistung.

Was machen Sie in Zukunft? Wer Ihre Bibliographie ausdruckt, verstopft minutenlang den Drucker. Sie wollen doch nicht etwa noch mehr schreiben?

Na ja: Das nächste ist ein Buch über eine „Deutschlandreise“, die ich für das „SZ-Magazin“ gemacht habe. Dann habe ich den Auftrag, ein Theaterstück zu schreiben. Ich habe einfach das Gefühl, daß ich nicht mehr als Hebamme auf jedem dritten Podium sitzen soll, um die Meinungen anderer Leute ins Licht zu bringen.

Verschwindet das Fernsehen auch aus ihrem Fokus als Beobachter?

Ich halte bestimmte Sendungen nicht mehr aus, die ich früher mit so Konträrfaszination angesehen habe, die mich gegruselt haben. Wenn es mich heute gruselt, schalte ich doch um. Ich kann nur ein paar Minuten Raab sehen — es langweilt mich zu Tode, ich kann dieses ganze Zähnefletschen und Sichbreitmachen und Dickhodigdaherkommen nicht mehr sehen. Dafür kann ich lange an Phoenix hängen und sehe mir jede Afghanistan-Reportage an, weil das meinem Wirklichkeitshunger dann doch entgegenkommt.

Eigentlich ist es doch ein furchtbarer Gedanke, daß das Fensehen seine Möglichkeiten nicht nutzt.

Die ersten Funktionsbestimmungen des Fernsehens waren: ein Medium, in dem sich Gesellschaft reflektiert, in dem Minderheiten miteinander in Kommunikation treten, in dem Entfremdungsschranken überwunden werden. Gegenüber dieser Matrize verhält sich unser Fernsehen wie eine Satire. Man wundert sich, daß noch kein Musterprozeß darüber geführt wurde, daß der Aufklärungsanspruch des Rundfunkstaatsvertrages jeden Tag falsifiziert wird. Der Kulturpessimismus hat aber für mich kein Pathos mehr. Ich bin einfach ein Material, das verschlissen wird, ein Markenartikel, der irgendwann sein Verfallsdatum überschritten hat. Eigentlich wie Anke Huber.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung