Moderator schweigt, Quote steigt.

Das ZDF hat seinen Boulevard der Tränen gefunden, und so darf Johannes B. Kerner ab 2002 viermal pro Woche ins Leere schauen.

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Public Relations sind eine feine Sache, machen aber viel Arbeit. Gut, daß man sie sich jetzt sparen kann. Wenn ein Fernsehsternchen mit Massenanziehungskraft noch ein bißchen Werbung braucht für seine Show, räumt das ZDF gerne eine Stunde Sendezeit frei, läßt es plaudern, erfüllt redaktionelle Wünsche und verbreitet die Folgen seines Auftritts in Shows und Magazinen quer durchs Programm. Diese Möglichkeit gibt es ab nächstem Jahr täglich! Rufen Sie heute schon an, um einen Termin zu vereinbaren: Die freundlichen Menschen bei der „Johannes B. Kerner Show“ haben ein offenes Ohr für Sie.

Es war nämlich so, daß Frau Feldbusch der „JBK“-Redaktion am Freitag vergangener Woche sagte, sie wolle beim verabredeten Auftritt anläßlich ihrer neuen Show gerne „mehr erzählen“. Die Redaktion war dafür empfänglich, aber nicht so empfänglich, daß sie die anderen Gäste kurzerhand ausgeladen hätte. Man fühlte beim ZDF vor, ob man eine Sondersendung machen könnte, und das ZDF sagte: „Machen wir gerne.“

Der Rest ist Geschichte. Unbekümmert veranstaltete das ZDF eine Sendung mit einer Verona Feldbusch, die redete, als wäre sie auf Speed: schnell, sprunghaft, nicht zu bremsen, und dann, von einer Sekunde auf die nächste, im Tal der Tränen. Jede Redaktion, der es um Anstand oder Abstand gegangen wäre, hätte Feldbuschs Zusammenbruch aus der aufgezeichneten Sendung herausgeschnitten. Doch Feldbusch wollte, daß er gezeigt wird, und weil es der Redaktion und dem Sender mit dieser Show allein um die Quote geht, ließ man alles drin und informierte die „Bild“-Zeitung.

Das ist kein langer Weg. Markus Heidemanns, Redaktionsleiter bei „JBK“, arbeitete bis 1995 bei „Bild am Sonntag“; sein Bruder Martin ist heute bei „Bild“ zuständig für Fernsehen und Show. In der Öffentlichkeit hat man manchmal noch Skrupel, das Offensichtliche zuzugeben, und so dementierte das ZDF, daß die Fotos aus der Sendung, die die „Bild“-Zeitung vorab veröffentlichte, vom Sender stammten. Es ist also nur ein Zufall, daß die ZDF-Fotogalerie im Internet Aufnahmen enthält, die auch „Bild“ druckte.

Es spricht in der Regel nicht für die Qualität einer Sendung, wenn ihre intelligentesten Beiträge von Dieter Bohlen stammen. Am Donnerstag abend war es so. Als Bohlen am Ende eines viertelstündigen Verhörs, bei dem der ermittelnde Beamte Kerner nicht merkte, daß der Beschuldigte bereits längst und mehrmals ein Geständnis abgelegt hatte, entnervt rief: „Das klingt jetzt pathetisch, aber wir haben Krieg in Afghanistan, Milzbrand und wer weiß was, und auf der ,Bild‘-Zeitung les‘ ich jeden Tag einen Scheißdreck, der vor fünf Jahren war. Gibt es wirklich nichts Wichtigeres? Ist das wirklich wichtig, ob zum Beispiel irgendein Pipi-Mädchen über mich erzählt, daß ich sie angegraben hätte?“

Interessanterweise hat jemand anderes vor einem halben Jahr ähnliche Fragen gestellt: Dieter Stolte, Intendant des ZDF, bei den Mainzer Tagen der Fernsehkritik, ein bißchen professoraler formuliert natürlich.

Er kritisierte die „Verdrängung der Weltgeschehnisse mit Hilfe von Real-Life-Soaps und Fun-TV“, rief ins Publikum „Wo bleibt die Realität?“ und fragte: „Wie gewinnt man in einem öffentlichen Medium Aufmerksamkeit für die Politik, wenn die vergleichsweise privaten Nebensächlichkeiten des sogenannten ,Kleinen Mannes‘ im Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit stehen? Die sich selbst inszenierende Spaßgesellschaft ist im Begriff, ihren Realitätskern zu verspielen, wenn wir uns nicht ernsthaft bemühen, jene Dinge in den Mittelpunkt unseres Mediums zu rücken, die auch im Mittelpunkt der Gesellschaft stehen. Wo die Mittel und Wege egal sind, um als Ziel und Zweck lediglich Spaß zu erreichen, verlieren Fernsehprogramme Inhalt, Gehalt und Gestalt, aber auch Stil, Niveau und Würde.“

Fragt man den ZDF-Unterhaltungschef Manfred Teubner, wie ihm die Sendung mit Verona gefallen habe, antwortet er: „Ich habe mich dabei amüsiert. Das ist irgendwo auch ein Spaß.“

Teubner kann weiterlachen, denn anders, als nach Stoltes Sonntagsrede zu vermuten wäre, spricht vieles dafür, daß Kerner exakt die Art Unterhaltung macht, die Stolte schätzt. Andere Moderatoren berichten, daß Stolte sich früher gerne darüber beschwerte, wenn sie politisch geworden seien, und den dringenden Wunsch äußerte, keine Politiker mehr in Unterhaltungssendungen einzuladen. Politikergattinnen, soll Stolte vorgeschlagen haben, die wären doch mal schöne Gäste.

Bei Kerner wäre eine solche Ermahnung überflüssig. Der redet mit den Politikern so, als wären sie ihre eigenen Gattinnen. Einmal, im Wahlkampf 1998, hat er sich gewünscht, Kohl und Schröder in die Sendung zu bekommen – aber sie dürften nicht über Politik reden. Nur über Skat.

Das ist Unterhaltung nach dem Geschmack des ZDF, entsprechend dem System Stolte: Niemandem wehtun. Kerner ist perfekt dafür. Der Mann, der vom Januar an viermal pro Woche auf Sendung gehen und das öffentliche Profil des ZDF prägen wird wie Günter Jauch und Harald Schmidt das von RTL und Sat.1, würde nie mit einer eigenen Position, einer kontroversen gar, in Erscheinung zu treten wagen. Nur als Bohlen ihm unterstellte, er drohe bestimmt auch mal seiner Frau, sie umzubringen, da widersprach er, ohne abzuwiegeln. Es war das einzige Mal.

Kerner signalisiert in jeder Sendung, daß er am liebsten unsichtbar wäre, um bloß niemandem zu nahe zu kommen. Schon wenn er aus der Kulisse vors Publikum tritt, ist er merkwürdig verkrampft, demonstrativ locker, mit der Andeutung einer ironischen Distanz, als wollte er sagen: „Ich trete jetzt mal so auf. Aber falls es Ihnen nicht gefällt, dann meine ich’s gar nicht so.“ Diese Haltung, diese Unsicherheit, diesen Krampf behält er bei: Wenn ihm eine Frageformulierung doch nicht glatt genug gelungen ist und beim Gesprächspartner eine Gegenreaktion hervorruft, zieht er sich auf ein defensiv-naives „Ich frag ja nur“ zurück, gegenüber Bohlen auch in der Variante: „Ich halt mich da völlig raus.“ Er lehnt sich zurück, weit weg von seinen Gästen, liest seine gelben Fragekarten, und wenn er sich vorbeugt, ist er geschützt durch eine feste Schreibtischburg. Die Leere, die von ihm ausgeht, versucht er dadurch zu konterkarieren, daß er eine Hand im Gesicht hat, am Kinn, an der Schläfe, in Posen, die Nachdenklichkeit simulieren.

Ein Kollege erzählt, Kerner habe ihm anvertraut, er sei überrascht, wie leicht es sei, die „JBK“- Show zu machen: „Je weniger ich mache, desto besser sind die Quoten.“ Das ist treffend erkannt. Es erklärt die Form, zu der Kerner über die Jahre gefunden hat. Inzwischen wirft er seinen Gästen oft nur Stichworte hin und läßt sie einfach plaudern. Bei Verona kam er minutenlang nicht zu Wort.

Es ist aufschlußreich, welche Mißverständnisse sich ergeben, wenn man mit ZDF-Verantwortlichen über die Sendung redet. Fragt man Manfred Teubner, ob er nicht ein Problem damit habe, daß sein Sender Frau Feldbusch eine knappe Viertelstunde Zeit gab für nichts als Werbung für ihre neue Sat.1-Show, dann sieht er das Problem nicht im allgemeinen, sondern im konkreten: „Wir werden unterm Strich bestimmt ein ganz deutliches Übergewicht haben für eigene Protagonisten, die für ZDF-Sendungen Cross-Promotion machen.“

Der Fall Feldbusch zeigt, daß das ZDF inzwischen das Instrumentarium beherrscht, talentierten Protagonisten entsprechenden Raum zu geben, so daß sie nicht mehr zur privaten Konkurrenz von Explosivexklusivextrablitz wechseln müssen. In „Hallo Deutschland“ und „Leute heute“ werden die Themen professionell durchgenudelt, mit Cliffhanger, „Auch morgen wieder“-Versprechen und „exklusivem“ „JBK“-Interview.

Die Boulevardmagazine von RTL und Sat.1 könnte das neugefundene Profil des ZDF mit dem täglichen Kerner das Fürchten lehren – vor allem, da der bestens vernetzt ist. Bohlen, der ihn duzte, aber von Kerner trotzig zurückgesiezt wurde, schrieb für „JBK“ die Titelmusik; der „Spiegel“ liefert als Co-Produzent der Sendung zur Not mal ein freundliches Stück.

Teubner sagt zwar, eine Medienpräsenz wie bei Feldbusch werde man wohl nur in den seltensten Fällen erreichen. Und es werde Gäste geben, die „eine größere Relevanz haben“. Aber er sagt über die Heul-Show auch dies: „Das ist eine Lautstärke, die man beim ZDF so nicht kannte. Aber es ist eine, die man vielleicht auch mal anschlagen sollte. Das ist doch das, was die Leute sehen wollen.“

Man kann Teubner kaum einen Vorwurf machen, auch Kerner nicht. Der eine ist nun mal für Unterhaltung zuständig, der andere tut, was er kann, und beide machen das, was die Leute sehen wollen: im Schnitt gut zwanzig Prozent Marktanteil. Wem man einen Vorwurf machen kann, das sind die Leute, die es zulassen, daß diese Programmfarbe, der „boulevardeske Talk, in dem es ganz bestimmt nicht um die nächste Rentenreform geht“ (Teubner), im kommenden Jahr eine tragende Programmfläche im ZDF wird. Programmdirektor Markus Schächter sagte vor kurzem in einem Interview, er sei sicher, mit dem täglichen „JBK“ „mehr Lebendigkeit, Heutigkeit und Interessantheit ins Programm“ zu bringen.

Das stimmt in einer Hinsicht zweifellos: Der alte Kritikervorwurf, für Unterhaltung müßten anspruchsvolle Sendungen weichen, greift hier nicht. Nur dienstags laufen auf dem künftigen „JBK“-Platz Dokumentationen; sie wechseln auf den Sonntag. An drei von vier Werktagen aber wiederholt das ZDF nur alte Krimis. Mangels Geld gab es in der Zeit, die der Sender jetzt hochtrabend „zweite Prime Time“ nennt, ohnehin schon nichts Gehaltvolles mehr, das Kerner verdrängen könnte.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung