Ein Talktraum

Eine andere Frau für den Sonntagabend: Sat.1 schenkt uns Bettina Rust.

Für eine Frau, die gerade vor dem größten Karrieresprung ihres Lebens steht, ist Bettina Rust erfrischend morbide. Sie stellt sich vor, wie es wäre, wenn sie gleich beim Verlassen des Restaurants von einem Auto überfahren würde und die ganzen 183 Artikel, die über sie und ihren neuen „Talk der Woche“ erschienen sind (Stand letztes Wochenende), mit einem Mal für die Katz wären – „das ist so eine lustige virtuelle Welt“. Sie malt sich aus, daß sie heute abend in der Live-Sendung von einer spontanen Gesichtslähmung befallen wird, und überlegt sich, ob das die zu erwartenden Verrisse am Dienstag überhaupt noch negativ beeinflussen könnte. Und wenn man sie fragt, ob sie froh ist, daß in ihrer ersten Sendung neben den beiden Alpha-Männchen Harald Schmidt und Otto Schily auch der Frauenversteher Giovanni di Lorenzo zu Gast ist, antwortet sie: Ja, „weil der dann die Moderation übernehmen kann, wenn ich ohnmächtig werde. Mein Lieblingsszenario ist, daß ich ausrutsche, auf Schilys Schulter kippe und seine Personenschützer mich dann erschießen.“

Vielleicht ist Bettina Rust gleichzeitig der bestgelaunte und negativste Mensch der Welt. Fröhlich erzählt sie, wie sie das Angebot von Sat.1-Geschäftsführer Roger Schawinski, die neue Sonntags-Talkshow des Senders zu moderieren, immer wieder ablehnte, bis ihr Freunde sagten, „was läßt du dich denn so bitten, bist du bekloppt: Wenn man mit sie-ben-und-drei-ßig noch so ’ne Chance kriegt . . .“

Und obwohl sie das schon ein Dutzend Mal gefragt worden sein muß, hat sie immer noch keine richtige Antwort, warum sie dann doch ihre ganzen Bedenken über Bord geworfen hat (einmal abgesehen von dem Satz: „Ich hab‘ meine Anteile an einem Hundesalon verkauft und mich dann gefragt, wo kommt denn jetzt die Kohle her“). Aber auf die ernste Frage, worauf sie sich freut bei diesem Abenteuer, was das Tolle daran ist, folgt eine lange, lange Pause. „Ist doch klar“, sagt sie danach, und die Pause geht weiter. „Liegt doch auf der Hand.“ Pause. „Lustigerweise fällt mir nur ein, was andere sagen: Ist doch eine Chance! Ist doch eine Herausforderung! Wenn ich ein bißchen ehrgeiziger wäre, dann würde mir klar sein: Das ist der Job, den wollten ganz andere Leute haben, ganz tolle Journalisten.“

Und Ulrich Meyer. Man muß sich den „Akte“-Moderator vorstellen, der von neun getesteten Moderatoren der einzige war, der neben Rust in die engere Wahl kam, was er einem in diesem Moment alles erzählen würde: von seiner Kompetenz, seiner Erfahrung, davon, daß es für ihn Zeit war, diesen neuen Schritt zu gehen, den er sich zutraut, absolut. Und dann sitzt da statt dessen diese Frau, die in den vergangenen Jahren Texte für das Sat.1-Frühstücksfernsehen gesprochen und einmal die Woche eine Radiosendung moderiert hat, und sagt: „Das Leben war ganz gut so. Die Sprecherarbeit war in Kombination mit Radio Eins echt eine schöne Sache. Vorbei. — Jetzt bin ich Weltstar geworden.“

Nach dem letzten Satz hält sie dann inne und scheint die Sekunden zu zählen, bis ihre Gegenüber ihn begriffen haben. Auf die Frage, wie ihr Journalisten begegnen, antwortet sie: „Im Moment ist da eine gewisse Neugier. Die Leute glauben noch nicht hundertprozentig, daß ich es an die Wand fahre.“

Die selbstironischen Sprüche von Bettina Rust wirken auf eine merkwürdige Weise gar nicht kokett. Dazu scheint hinter ihnen zuviel ernsthafte Distanz zu liegen: zu sich selbst, ihrer Arbeit, der ganzen Branche. Sie traut dem Ganzen nicht. Es ist keine Unsicherheit, die sie ausstrahlt, ganz im Gegenteil: offensiv geht sie auf die Menschen zu. Aber die Gespräche mit ihr scheinen von einer elementaren Skepsis durchzogen: „Ich beneide Menschen, die ganz oft sagen: Ja, ist das toll! Die die totale Befriedigung und so einen Kick erleben. Den hatte ich noch nicht oft in meinem Leben. Ich war dankbar, als ich ihn in meinem Studium hatte, als ich einen Radioworkshop mitmachte und zum ersten Mal in meinem Leben dachte: Ja, Radio! Es könnte Radio sein! Ich wußte nie, was ich werden sollte. Andere wußten das schon mit zwölf.“

Seit ihrem 15. Lebensjahr hat sie in der Kneipe gearbeitet. Das kann man sich gut vorstellen, genau so ein Typ ist sie: auf eine burschikose Art attraktiv, ein bißchen taff, ein Profi im Spiel mit dem unbekannten Gegenüber, zwischen Frotzeln und Flirten.

Nun wird sie Talkmasterin. Sie war das schon einmal, vor zwölf Jahren, als sie auf Premiere die Sendung „0137 Night Talk“ moderierte und mit unbekannten Anrufern über Gott, Sex und die Welt plauderte. „Damals ist man mir mit viel Wohlwollen begegnet, wurde meine ,Authentizität‘ gelobt, wo ich schon dachte: Wie absurd ist das? Wo bin ich denn hier reingeraten? Das jetzt ist natürlich eine andere Liga. Manche sagen, das sei sogar erste Liga.“

Okay, das war jetzt kokett. Natürlich weiß sie, daß ihre Gesprächssendung eine der wichtigsten für Sat.1 in diesem Herbst ist, jedenfalls was das Image des Senders angeht, und daß sie ununterbrochen mit Sabine Christiansen verglichen werden wird, weil sich beide Sendungen ein bißchen überschneiden, auch wenn der „Talk der Woche“ ganz anders sein soll: schnell, unterhaltsam, eine Art gehobener Stammtisch, an dem drei Prominente über vier in weitestem Sinne gesellschaftspolitische Themen reden. Wenn alles gutgeht, wird sie bald das sein, was man „A-Promi“ nennt. Mit Folgen, die für jemanden wie sie vielleicht nicht nur angenehm sind. „Ich hoffe, daß ich von Anfang an gar nicht so reizvoll bin, daß man auf die Idee kommt, irgend so einen Paparazzo auf mich anzusetzen, der guckt, ob ich im Parkverbot stehe (ja, tue ich in der Regel!), ob ich bei H&M einkaufe (immer!), ob ich auf Flohmärkte gehe und damit gebrauchte Dinge in mein Leben lasse (ja!).“

An Fotoshootings hat sie sich noch nicht gewöhnt („der totale Horror. Ich pose nicht gut, und ich pose nicht gerne“). Und daran, sich im Fernsehen zu sehen. Vor der Kamera fühlt sie sich deshalb nicht unwohl, sagt sie, weil sie nicht sieht, was dabei herauskommt. „Ich möchte mir keine Sendung mit mir angucken“ – sonst würde sie nur jede Kleinigkeit an sich selbst und an ihrer Arbeit kritisieren. Viele Leute raten ihr in diesen Tagen, selbstbewußter aufzutreten, aber sie sagt: „Was ich tue, ist sehr selbstbewußt. Es ist vielleicht nicht einhundert Prozent selbstsicher. Mir ist sehr wohl bewußt, daß es auffliegt und daß ich mir keinen Gefallen tue, wenn ich mich verstelle und einen auf dicke Hose mache.“

Die Sendung „Hörbar Rust“ auf Radio Eins, die sie auch in Zukunft moderieren wird, nennt sie „ein Geschenk“. Zwei Stunden lang plaudert sie mit einem prominenten Gast und erfüllt seine Musikwünsche. Der Sendung fehlt alles Spektakuläre, außer daß sie – an guten Tagen – ganz außerordentlich entspannt und entspannend ist.

So unangestrengt muß sie auch im „Talk der Woche“ sein, wenn er gut werden soll. Gerade ihre unstrukturierte Art zu fragen, soll bei Schawinski angekommen sein, das Fehlen jeder wissenden Attitüde, das gut vorbereitete, aber dann einfach laufende Gespräch. Das wird vermutlich nicht auf Anhieb gelingen, drei, vier Sendungen brauche sie bestimmt, sagt Bettina Rust. Vorher sind da noch zu viele Erwartungen, zuviel Anspannung und, natürlich, zuviel Skepsis. „Ich muß da reinfinden. Ich muß das finden, was andere in mir sehen. Ich kann das nicht einfach aktivieren, sondern ich weiß, das kommt, wenn ich entspannt bin. Und ich hoffe, daß es dazu kommt.“

Und dann sagt sie noch den Satz: „Aber wenn die Sendung ,Talk der Woche‘ und Bettina Rust richtig gute Freunde werden, dann werde ich glühen wie eine Lampe.“

Das würde man gerne erleben. So eine wie sie hat dem Fernsehen gefehlt. Jetzt muß nur noch die Sendung gut werden, und wenn nicht die erste, vielleicht die dritte oder vierte. Einige Monate Durchhaltevermögen hat Schawinski versprochen. In die Testsendungen und Proben durfte man nicht reinschauen — die Nervosität beim Sender ist groß. Aber wenn er auf Nummer Sicher gehen wollte, hätte er gleich Ulrich Meyer nehmen können.