Die Eurovision ist unglücklich, tut aber nichts dagegen

Die Europäische Rundfunkunion EBU, die sich als Vorkämpfer für Meinungs- und Medienfreiheit ausgibt, findet es „sehr bedauerlich“, dass die Behörden in Aserbaidschan auch während des Eurovision Song Contest keine friedlichen Proteste zugelassen und mehrere Demonstrationen gewaltsam aufgelöst haben. Das sei „eindeutig nicht vereinbar mit dem Recht auf Demonstrationsfreiheit“, sagte mir Annika Nyberg Frankenhaeuser, die neue Medien-Direktorin der EBU, auf Nachfrage.

Beschwert hat sich die EBU bei der Regierung darüber nicht.

„Wir sind nicht glücklich über das, was hier passiert ist“, sagte Nyberg Frankenhaeuser in Bezug auf die Zerschlagung mehrerer friedlicher Demonstrationen. Die EBU habe das Thema aber gegenüber dem Regime noch nicht angesprochen. Sie konnte auch nicht sagen, wann, in welcher Form und bei welcher Gelegenheit das stattfinden könnte. Es sei aber wichtig, über diese Fragen nachzudenken.

Von sich aus hat sich die EBU zu dem Thema nicht erklärt.

Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty hatten die EBU aufgefordert, klar Stellung zu beziehen. Nach Ansicht von Amnesty hat die EBU der Regierung in Aserbaidschan einen Freifahrtschein gegeben, hart gegen Kritiker vorzugehen.

Euronews hatte am Mittwoch berichtet, die EBU hätte die aserbaidschanische Regierung um eine Erklärung für Berichte gebeten, dass Journalisten verhaftet wurden. Die entsprechende Meldung wurde auch im offiziellen EBU-Blog verlinkt. Sie bezieht sich jedoch nicht auf die Entwicklungen der vergangenen Tage. Angesprochen hat die EBU das Thema zuletzt bei einem Workshop mit Regierungsvertretern und Menschenrechtlern in Genf, der von den teilnehmenden Bürgerrechtsgruppen als Debakel wahrgenommen wurde.

So wenig die aserbaidschanische Regierung sich genötigt sah, sich wegen der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit während des ESC toleranter zu geben, so wenig sah sich die EBU genötigt, Druck auf das Regime auszuüben. Die Organisation will sich auch in Zukunft um das Land und seinen Mitgliedssender Ictimai kümmern, unter anderem mit einem Workshop später im Jahr. Aber dann ist ihre Position natürlich ungleich schwächer als in diesen Tagen, in denen das Regime in Baku ein Interesse daran hat, eine öffentliche Kontroverse mit dem Veranstalter des ESC zu vermeiden.

Anders als die ARD behauptet, hat sich die EBU von der Regierung nicht die Zusage geben lassen, „während des ESC Menschenrechte wie die Pressefreiheit, Redefreiheit, Versammlungsfreiheit oder Reisefreiheit zu garantieren“. Sie hat diese Zusage nur für die Teilnehmer des ESC bekommen. Deshalb ist die EBU nach den Worten von Frau Nyberg Frankenhaeuser auch trotz der Repressionen in Baku vor und während des ESC der Meinung, dass die Regierung ihre Garantie eingehalten hätte.

Anfang des Monats hatte ich für „Spiegel Online“ mit Ingrid Deltenre, der Generaldirektorin der EBU, gesprochen:

SPIEGEL ONLINE: Die EBU hat sich von der aserbaidschanischen Regierung Garantien geben lassen, dass sie im Rahmen des Grand Prix die Menschenrechtskonvention achten wird und die Freiheit und Sicherheit aller Beteiligten und Berichterstatter gewährleistet. Ist das nicht zynisch: Wir schaffen einen künstlichen Mini-Rechtsstaat in einem Land, wo das Recht sonst nicht respektiert wird?

Deltenre: Die Kritik könnte ich verstehen, wenn es so wäre. Aserbaidschan hat als Mitgliedsland des Europarats die europäische Menschenrechtskonvention unterschrieben, die gilt für das ganze Land.

Die Kritik könnte sie verstehen, wenn es so wäre.

13 Replies to “Die Eurovision ist unglücklich, tut aber nichts dagegen”

  1. Herr Niggemeier,
    als Frau Deltenre sagte, Aserbaidschan habe die europäische Menschenrechtskonvention unterschrieben, haben Sie da weitergefragt? Z.B. ob sie sie Berichte von Amnesty schon einmal zur Kenntnis genommen hat u.s.w.

  2. Die wunderbare Anke Engelke hat mit ihrem kleinen Spruch zur Punktevergabe weitaus mehr bewegt und getan als die gesamte Schar der EBU/NDR-Apparatschiks. Auch Peter Urban hat die platte Propaganda-Bilder-Show, die Brainpool dem Vernehmen nach auf Druck der Regierung hat machen müssen, ein ums andere Mal mit guten Worten gerade gerückt.

    Dass die ARD die Tourismuszentrale von Aserbaidschan als Werbepartner eingebunden hat, beweist erneut die Unsensibilität der Sender-Verantwortlichen. Gibt es denn wirklich niemanden in der Sender-Hierarchie, der solchen Aufgaben gewachsen ist?

  3. Die Europäische Rundfunkunion EBU, die sich als Vorkämpfer für Meinungs– und Medienfreiheit ausgibt, findet es »sehr bedauerlich«, dass die Behörden in Aserbaidschan auch während des Eurovision Song Contest keine friedlichen Proteste zugelassen und mehrere Demonstrationen gewaltsam aufgelöst haben.

    Das sei »eindeutig nicht vereinbar mit dem Recht auf Demonstrationsfreiheit«,

    sagte mir Annika Nyberg Frankenhaeuser, die neue Medien-Direktorin der EBU, auf Nachfrage.

    Ist das jetzt ernst gemeint oder realsatire . . . ?

    http://blockupy-frankfurt.org/de/presse/ea-frankfurt-250512

  4. Kann es sein, daß Peter Urban in den beiden Halbfinalen deutlich kritischer war als jetzt im Finale? Habe von ihm kaum ein kritisches Wort über das Regime gehört..

    @theo: Das ist m.E. nicht die ARD, die das als Werbepartner hat. Der Werbepartner der ARD ist Rotkäppchen (wie in den vergangen Jahren) und die staatliche Tourismus- und Ölfirma ist globaler Werbepartner für diesen ESC (wie letztes Jahr Schwarzkopf), die wohl in jedem Land den ESC präsentieren…

  5. Ich denke, hier wird ein bisschen mit zweierlei Maß gemessen. Ich verstehe sehr wohl die Unzufriedenheit damit, dass Aserbaidschan keine Demokratie westlicher Prägung ist, halte allerdings die Forderung für überzogen, dass die Berichterstatter über ein internationales Schlagerfestival das jetzt alles rausreißen müssen. Die Werbung für A. als Touristenland hat mich nicht wirklich geschockt, denn wenn man als Wessie nur in die fernen Länder reisen würde, in denen echte demokratische Verhältnisse herrschen, dann würde der Flugplan aber arg zusammenschmelzen. Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate, die Malediven – alles Urlaubsparadiese, die in Deutschland selbstverständlich für sich werben und die dennoch hiesigen demokratischen Standards nicht standhalten (bei Ägypten bezieht sich das vor allem auf die Zeit vor der Revolution). Über die Türkei, Marokko und Tunesien müsste man diskutieren. Oder China: Stopover in Shanghai? Gott bewahre! Es ist eine Grundsatzentscheidung: Muss man undemokratische Staaten ächten, wo immer man ihnen begegnet? Dann müsste man konsequenterweise mindestens ein Drittel der EBU-Staaten aus der EBU werfen und solche Events absagen. Dies hat die EBU nicht getan – wofür sie im Vorfeld auch negative Presse bekam. Aber der Event selbst war – wie bereits gesagt – ein Schlagerfestival und kein politisches Ereignis. Die EBU hat sehenden Auges mit dem Regime kooperiert, offenbar hatte auch niemand der EBU-Mitglieder ein Problem, seine Künstler dort hinzuschicken. Brainpool hat sich den fetten Auftrag nicht entgehen lassen. Aber die Show-Berichterstatter sollen bei jedem Pyro-Effekt darauf hinweisen, dass hier ein Unrechtsregime am Start ist? Ich halte das für fadenscheinig.

  6. @Frank Kemper: Wer fordert das denn von den Show-Berichterstattern? Ich nicht. Ich fordere eine Haltung von der EBU. Ich fordere von ihr, sich entweder klar für Medien- und Meinungsfreiheit einzusetzen, oder wenigstens den Anstand zu haben, nicht mehr zu behaupten, ihr lägen Medien- und Meinungsfreiheit am Herzen.

    Es war nur ein Popwettbewerb, aber die EBU war in einer ungewöhnlich mächtigen Position, weil sie als Veranstalter dem Regime das Misstrauen aussprechen konnte. Die EBU hätte hinter den Kulissen Druck machen können, und wenn der nichts bewirkt hätte, hätte sie vor den Kulissen das Regime in eine angemessen unangenehme Situation bringen können.

    Die EBU hat bewiesen, dass sie kein Verbündeter von Menschen ist, die für Meinungs- und Medienfreiheit kämpfen. Ich hab das schon mal gesagt, ich sag das auch nicht leichtfertig, aber ich halte ihr Verhalten im Vorfeld des ESC, ihre Verlogenheit, ihr Paktieren mit dem Regime, ihre ganze umfassende Eierlosigkeit, für verachtenswert.

  7. Es gibt natürlich immer noch gräßlichere und schrecklichere Mißstände, gegen die man sich ohnmächtig fühlt und/oder etwas, irgendetwas unternehmen müßte.

    Ich habe von den permanenten latenten Bedrohungen gelesen, die von allen ernstzunehmenden (sprich nicht offiziösen) Berichterstattern erwähnt werden – ganz zu schweigen von den bösen Repressalien gegen Regimekritiker, die man aus den verwackelten Filmchen und Berichten kennt. Die „humiliation“ gegen die norwegischen Filmer und Journalisten wegen ihrer Satire, oder das Abenteuer der Prinz-Blogger, die auf einem Ausflug in eine problematische Industriestadt offenbar festgenommen und mehrstündig verhört wurden, sind dagegen harmlos.

    Presse- und Versammlungsfreiheit, dazu gäbe es also viel zu monieren. Tut das die EBU, und tut sie es auch mit harten Folgen?

    Daß dann noch ein begründeter Verdacht zu Punktemanipulation (beim Televoting etwa Maltas und Zyperns) besteht, und damit auch das Herz des Wettbewerbs betroffen ist, sollte doch endlich, endlich zu Konsequenzen führen?

    Wer, wenn nicht die Großen Fünf könnten die EBU bestimmen, und was kann man tun, damit sie das auch im Sinne von real existierenden Verfassungen, Menschen- und Bürgerrechten tun?

    Es ist nur ein Zipfel von vielen Mißständen in der europäischen Politik, aber gerade bei einem so harmlos anmutenden Wettbewerb, der doch auch so große Breitenwirkung in die Gesellschaft vieler Länder hat, da sollte man doch etwas bewegen können? Wer kann da angespitzt, aufmerksam gemacht werden, wie kann man, wie kann ich da etwas tun?

  8. Die Frage bleibt: aus dem ESC ausschließen oder nicht?
    Eigentlich möchte ich in den betroffenen Ländern keinen ESC mehr haben, aber wäre das wirklich richtig?
    Immerhin hat Aserbaidschan in diesem Jahr eine ganze Menge Aufmerksamkeit bekommen, aber auch nicht nur die, die sie sich vorgestellt haben.

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