Die FTD hat den Schuss (nicht) gehört

Die „Financial Times Deutschland“ hatte gestern eine originelle Idee. Sie veröffentlichte vor der Parlamentswahl in den Niederlanden eine große Analyse, was Deutschland aus der Parlamentswahl in den Niederlanden lernen müsse.

„Warnschuss für Deutschland“, überschrieb FTD-Korrespondent Klaus Max Smolka seinen Kommentar:

Das oft gemalte Bild der pragmatischen Niederlande bekommt seit Jahren Risse. (…) Radikale Parteien stehen bei der Parlamentswahl am heutigen Mittwoch besser da denn je.

Deutschland sollte aufmerksam zuschauen. Denn in den Niederlanden ist zu besichtigen, was passiert, wenn der gesamte Mainstream in zentralen Fragen die Meinung der Bürger ignoriert: Wähler strömen an den Rand. (…)

[Rechtspopulist Geert] Wilders profiliert sich nun zusätzlich als Euro-Gegner und will, dass die Niederlande aus der EU austreten. Die Sozialistische Partei (SP) unter Emile Roemer will die EU-Defizitgrenze notfalls ignorieren, Roemer lehnt Rettungspakete für die Südländer und den Rettungsschirm ESM ab (…). Beide Parteien vereinigen nach den letzten Umfragen zusammen ein Viertel der Stimmen auf sich.

Vielen Bürgern, die keine Lust hätten, für eine Partei zu stimmen, die den Euro „endlos stützen will“, bliebe eigentlich nur „Verweigerung“, schrieb Smolka unter Bezug auf einen niederländischen Kolumnisten:

Und die Beteiligung war bei der letzten Wahl 2010 ohnehin rückläufig: Mit 75 Prozent lag sie fünf Prozentpunkte niedriger als vier Jahre zuvor.

All das, was sich bei den Wahlen in den Niederlanden zeige, drohe auch Deutschland, analysierte Smolka. Online fasste es die Redaktion so zusammen:

Wenn der politische Mainstream zentrale Fragen der Bürger ignoriert, strömen viele an den politischen Rand oder wählen gar nicht. Das ist der Kern der Entwicklung in den Niederlanden — ein Warnschuss für Deutschland.

Nun hat diese Analyse der Wahl in den Niederlanden einen kleinen Haken: Die Wähler haben sich nicht an die Vorhersage der FTD gehalten. Sie sind nicht an den Rand geströmt, sondern in die Mitte. Zwei große Euro-freundliche Parteien haben zusammen eine absolute Mehrheit. Die radikalen Parteien sind geschwächt. Geert Wilders Partei ist abgestürzt. Und die Wahlbeteiligung ist auch nur minimal von 75,4 auf auf 74,3 Prozent zurückgegangen.

Bestimmt steckt auch in diesen Ergebnissen irgendeine Lehre für Deutschland. Und sei es nur ein Warnschuss für Journalisten, die glauben, in die Zukunft sehen zu können.

Nachtrag, 14. September. Smolka antwortet in den Kommentaren:

Der Kommentar enthielt keine Prognose, sondern einen Befund ueber die letzten Monate. Er konstatierte, dass SP und PVV/Wilders laut letzten Umfragen ein Viertel der Sitze und Stimmen auf sich vereinigten — so viel wie noch nie vor einer Wahl. Nach dem — in der Tat ueberraschenden — herben Verlust der PVV und dem Stagnieren der SP ist es immer noch ein Fuenftel. Ueber die Entwicklungen in der Wahlkampfschlussphase hat die FTD ausfuehrlich berichtet; die SP-Verluste jener letzten Vorwahltage sind auch im Kommentar erwaehnt. Der Grundbefund bleibt. Fuer den Last-Minute-Schwenk vieler, die zuvor SP und PVV angegeben hatten, zu PvdA und VVD werden hier in den Niederlanden taktisch-strategische Motive analysiert, wegen des am Schluss extrem engen .Zweier-Duells zwischen Rutte und Samsom.

55 Replies to “Die FTD hat den Schuss (nicht) gehört”

  1. Mir graust es auch schon. Wenn es so kommt wie in NDL, wird eine marktradikale Partei die Macht übernehmen. Und dabei sah es doch so gut aus, dass die FDP endlich rausfliegt.

  2. die ftd muss (müsste) sich doch eine fifty-fifty-chance ausgerechnet haben, dass sie, wenn auch evtl. minimal, in die ungefähre richtung tendieren.

    find ich super, dass sie so dermaßen daneben lagen mit ihrem bauchgefühl.

  3. Alle Meinungsumfragen der letzten Woche haben schon in eine andere Richtung gedeutet und es war absurd, diese Prognose am Mittwochvormittag noch zu veröffentlichen. Allerdings war der ftd ja wohl vermutlich die Tendenz des Artikels wichtiger als die Wahrscheinlichkeit, ob das Ergebnis auch eintrifft.

  4. Warum tun Menschen so was? Die Geschichte hat doch gezeigt, dass es schon nahezu unmöglich ist, so banale Dinge wie Fußballspiele, Oscar-Preisträger und Song-Contest-Siegertitel vorherzusagen (okay, letzteres kann klappen, wenn man gut genug ist) — warum wagt man sich da an Wahlergebnisse ran?

  5. das find ich nicht so wild, ehrlich gesagt. irren kann man sich ja immer, da liest man hier ja sonst von ganz anderen dingen..

  6. So ist es, wenn Wirtschaftsjournalisten sich mal um das politische Große und Ganze kümmern. Ich würde dazu jetzt gerne Kommentator B. Schuss hören.

  7. @sabine
    Nur war das kein „och, probieren wir’s mal“.
    Die FTD hat ja nicht einfach nur das Wahlergebnis in Prozent ‚vorausgesagt‘, nicht mal ganz allgemein gesagt „man darf den Bürgerwillen nicht ignorieren“, sondern ganz spezifische Gründe geliefert: die Menschen wollen die EU/ den ESM nicht.
    Damit wird eine Feindlichkeit gegenüber diesen Themen suggeriert, die durch nichts gestützt wird, denn wie Johannes schreibt, deuteten die Umfragen ja bereits in eine andere Richtung.
    Und da das momentan sehr sensible Themen sind. sollte man doch unnötige Tendenzberichterstattung lieber bleiben lassen.

    Wenn die FTD der Meinung ist, z.B. der ESM wäre Unsinn, sollten sie doch die Fachleute sein, das umfassend und verständlich zu begründen.
    (Merkt man, dass mir dieses EU/Euro/ESM/etc.-Gebashe auf den Senkel geht?)

  8. @theo : hä ?

    Ich persönlich bin froh, dass der auch medial gehypte Wilders von den Wählern offenbar größtenteils ignoriert, und wieder zurück an den politischen Rand gedrängt wurde ( 15 Sitze statt bisher 24 ).

    moment….*grübel*

    ach soooooooooooooooooooooooooooo… *facepalm* :D
    Sorry, bin so früh am Freitag morgen noch nicht ganz auf der Höhe…^^

  9. Weiß jemand, ob das auch irgendwo anders berichtet wurde? Meine Mutter erzählte mir nämlich kürzlich von ihrer Sorge um den Euro, wenn jetzt schon die Holländer den nicht mehr haben wollen, und sie liest bestimmt nicht die ftd.

  10. Spätestens seit Krake Paul sind skurrile Vorhersagen unter Zuhilfenahme unschuldiger Tiere doch im Trend. Vielleicht hat Herr Smolka die redaktionsinternen Goldfische bemüht (Sekunden zum Vertilgen der Mahlzeit = Wahlbeteiligung)?

  11. Ich verstehe dein ganzes Posting nicht so wirklich.
    Kann bei dem FTD-Artikel keine Vorhersage erkennen. Sie skizzieren doch nur die Entwicklung der letzten Jahre & schreiben doch, dass die Umfragen für Wilders & Co jetzt kurz vor der Wahl zurückgegangen sind.
    Sie machen eigentlich nur deutlich, dass der Mensch leider dazu neigt in Zeiten der Krise die vermeintlich einfache Lösung zu suchen; also dem populistischem Geseier vertrauen zu schenken.
    Der einzige Ausblick, den ich erkennen konnte, ist der auf die nächsten deutschen Wahlen. Und das auch nur als mahnender Hinweis, dass wenn unsere Regierenden weiter so verkacken & mit ihrem korruptem Treiben weiter machen, dann kanns auch mal schnell in die andere Richtung gehen.

  12. @fluffy:

    „Radikale Parteien stehen bei der Parlamentswahl am heutigen Mittwoch besser da denn je.“

    „Wähler strömen an den Rand.“

    etc.

    Oder grundsätzlich: Inwiefern ist eine Wahl in den Niederlanden, in der die Wähler sich den Euro-stützenden Parteien der Mitte zuwenden, ein „Warnschuss für Deutschland“?

    (Außerdem: Sie müssen eine gültige E-Mail-Adresse angeben, um hier zu kommentieren.)

  13. @Lukas, 4: Na, normalerweise beruhen Wahlprognosen doch auf repräsentativen Befragungen und sind relativ treffsicher. Ich weiß jetzt nicht, wie die letzten Erhebungen für die Niederlande aussahen und wieweit Smolka sie zur Kenntnis genommen hat. Dem Artikel nach zu urteilen eher selektiv. Jedenfalls ist eine Vorhersage von Wahlergebnissen per Sonntagsfrage und Korrektur bekannter Verzerrungen viel trivialer als die eines Fußballspiels. Die ist in der Tat unmöglich, weil weder alle wichtigen Variablen bekannt sind, die im Spiel zusammenwirken, noch ein Modell ihres Zusammenwirkens vorhanden ist. Eine Wahlprognose muss aber gar nicht alle Variablen der politischen Meinungsbildung berücksichtigen, weil man die Leute einfach fragen kann, was sie wählen wollen, wobei für das Ergebnis egal ist, warum sie das wollen. (Damit beschäftigen sich dann Kommentatoren.) Die Oscars vorherzusagen wäre auch leicht, wenn man die Mitglieder der Academy befragen und sich einigermaßen auf ihre Antworten verlassen könnte.

    Solche Prognosen sind trivial, weil in der Befragung dieselbe Entscheidung in derselben Form abgefragt wird, die dann auch das Ergebnis bestimmt. Mit Meinungsumfragen ist das schon wieder was ganz anderes. Wenn soundso viele Leute sagen, dass sie den ESM doof finden, weiß erstmal kein Mensch, ob und wie das ihre Wahlentscheidung beeinflusst.

  14. Naja, die FTD heißt nicht umsonst „FINANCIAL Times Deutschland“. Hätte man dort von etwas anderem Ahnung als DAX-Kursen (und selbst diese Ahnung ist eher nostradamischer Natur – nach Nostradamus aus „switch reloaded“) und underperformten Unternehmensbilanzen mit sechs statt sechsundzwanzig Prozent Gewinnzuwachs, würden sie ja „POLITICAL Times Deutschland“ oder gar „GOOD Times Deutschland“ heißen.
    Vielleicht aber auch war bloß die Glaskugel in der Werkstatt, und ich weiß nicht, ob sich aus Kaffeepads gut lesen lässt…

  15. Nochmal etwas ausführlicher:
    Ich finde es ok, wenn JournalistInnen aufgrund repräsentativer Umfragen vor Wahlen Tendenzen für den Ausgang der Abstimmung angeben. Nur ist das hier eindeutig nicht erfolgt. Der zentrale Satz, an dem Smolka seine Analyse der Niederlande aufmacht, lautet: „Radikale Parteien stehen bei der Parlamentswahl am heutigen Mittwoch besser da denn je.“ Der Satz war Mittwoch um 10:11 Uhr einfach falsch.

    1.) Für Geert Wilders ist mir keine einzige Umfrage seit April bekannt, die eine Verbesserung seines Stimmenanteils angab [Quelle: mein Gedächtnis, habe ich jetzt nicht nachrecherchiert]. Im Gegenteil waren Verluste für ihn vorhersehbar, wenn auch nicht ganz in dem Maße, in dem sie eingetroffen sind.

    2.) Die Sozialisten der SP führten lange in den Meinungsumfragen – bis etwas Mitte August, als die heiße Wahlkampfphase begonn. Seitdem ist der Vorsprung schnell und kontinuierlich gesunken und es waren nur noch leichte Gewinne zu erwarten. Im Ergebnis sind sie dann ja sogar beim gleichen Ergebnis wie 2010 rausgekommen. Die Hochphase war schon vor den Wahlen vorbei.

    Alle Medien in den Niederlanden haben das Kopf-an-Kopf-Rennen der Rechtsliberalen mit den Sozialdemokraten angekündigt, taz und Süddeutsche waren zum Beispiel am Mittwoch in der Lage, diese Tendenz richtig zu berichten. Der Artikel in der ftd ist vor diesem Hintergrund einfach schlechter Journalismus (und ich vermute ja, gewollte Meinungsmache).

    @Alberto Green: Über die lange Führung der SP in den Umfragen wurde in Deutschland im August ausführlich berichtet (ich erinnere einen Artikel auf Spiegel Online und einen bei der taz, es gab sicher noch mehr). Dort wurde Roemer, Spitzenkandidat der SP und zwischenzeitlich auch als Pemierminister gehandelt, vor allem mit Zitaten aus einem EU-kritischen Interview zitiert. Vielleicht hat deine Mutter das mitbekommen

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    Aktuelles zu den Niederlanden findet sich immer unter http://www.niederlandenet.de, dort lässt sich auch die Entwicklung der Umfragen nachvollziehen.

  16. Die FTD tat, was viele Journalisten immer wieder getan hat: Sie las im Kaffeesatz. Ich habe mich im Zuge meiner Doktorarbeit viel mit Zeitungsmeldungen des Jahres 1995 befasst. Auch seinerzeit haben nicht wenige Journalisten die Zukunft – oft völlig falsch – geweissagt. Es gehört offenbar zum Geschäft des Politikjournalismus, Schlüsse zu ziehen aus Momentaufnahmen und daraus Vorhersagen abzuleiten. Wie Lukas oben schon richtig bemerkte, sind solche Vorhersagen nie wirklich möglich. Aber dennoch sind sie sehr beliebt. Die Frage ist: Warum?

    Möglicherweise haben sie Unterhaltungswert. Im Fall der FTD hat der Kommentator eine dramatische Entwicklung angekündigt. Er hat damit eine Geschichte geschrieben, die Emotionen auslösen kann, weil bedrohliche Ereignisse geschildert werden: Wählerschwund, Radikale an der Macht usw. Der Leser ist neugierig geworden, er richtet nun seine Aufmerksamkeit auf die Wahlen. Deren Nachrichtenwert ist jetzt erhöht, schließlich will der Leser wissen, wie sie ausgehen.

    Dabei weiß der Leser, dass der Kommentator nicht wirklich in die Zukunft sehen kann. Er weiß, dass das nur Hypothesen sind. Genau deshalb ist das zukünftige Ereignis, die Wahl, so interessant, weil jetzt herauskommt, ob das Szenario des Journalisten zutrifft oder nicht.

    Die Zeitung selbst kann die Wahl jetzt als Fortsetzungsgeschichte darstellen und kann deren Ausgang mit Bezug auf die vorher befürchtete Radikalisierung kommentieren („Entgegen den Befürchtungen haben die Radikalen nicht….“). Damit bekommt die Berichterstattung über die Wahl einen Rahmen, in dem sie Sinn macht und nicht nur als ein losgelöstes Einzelereignis erscheint.

  17. Es ist doch für die Bewertung diese Artikels völlig wurscht, wie zuverlässig Wahlprognosen sind. Warum sollte man überhaupt eine Bewertung der politischen Lage und die Frage, inwiefern das Wahlergebnis jetzt ein Warnschuss für Deutschland ist, auf Basis einer Wahlprognose machen, anstatt einfach ein paar Tage zu warten, um sie über ein tatsächlich eingetretenes Wahlergebnis zu machen? Ist doch nur Gegacker über ungelegte Eier.

  18. Eben. Diese Frage habe ich mir auch immer gestellt: Wozu die Vorhersagen über ein bald eintretendes Ereignis? Das gilt nicht nur für Wahlvorhersagen, auch für die Personalspekulationen in der Phase der Regierungsbildung: Wer wird Minister, wer Staatssekretär? Diese Entwicklungen könnte man einfach abwarten und dann berichten. Aber solche Vorhersagen und Prognosen sind unheimlich beliebt.

    Und deshalb musste ich an Fußballspiele denken: Welcher Interessierte begnügt sich letztlich nur mit dem im Nachhinein berichteten Ergebnis? Die meisten setzen sich der Ungewissheit eines Spiels aus. Vielleicht ist das bei journalistischen Kaffeesatz-Kommentaren auch das Prinzip.

  19. Eigentlich ist die Aussage von Smolka aus politikwissenschaftlicher Sicht ein alter Hut. Schon vor der Eurokrise gab es entsprechende Analysen, die genau in diese Richtung gehen. Siehe dazu etwa Hoffmann/Brantner 2009, Zitat:

    „Die Abwesenheit eines differenzierten Diskurses über europapolitische Realitäten bereitet Populisten und Radikalkritikern das Feld […].“

    Mittlerweile ist dieser Diskurs dank Eurokrise zwar nicht mehr so einseitig wie noch 2009, aber die Grundaussage des Artikels (und damit auch von Smolka) bleibt hochaktuell. Daran ändert ein singuläres Wahlergebnis in den Niederlanden leider wenig.

  20. @ Nobby
    Das mag stimmen. Die Frage ist nur, ob es guter Journalismus ist, solchen Thesen zu folgen, um dann unzutreffende Vorhersagen zu machen. Der Journalist sollte in diesem Fall doch mehr bei den Fakten bleiben. Er hätte doch die von Ihnen zitierte These als Ausgangspunkt nehmen können, um die Wahlen in Holland gezielt daraufhin zu beobachten. Dafür wäre es aber nicht notwendig gewesen, eine ausgesprochen unsichere Prognose abzugeben.

  21. @Milo: Prognosen finde ich erstmal überhaupt nicht verwerflich. Ich finde es z.B. durchaus interessant, wie wer die Chancen einer Wiederwahl Obamas sieht, solange es nicht in wilde Spekulation ausartet (Disclaimer: Ich bin Soziologin. Wir stehen auf sowas). Hier geht es aber gar nicht um die Prognose selbst, sondern um eine Einschätzung der politischen Lage aufgrund einer falschen Prognose.

  22. Ich bin auch Soziologe. An sich finde ich Prognosen auch nicht schlimm. Aber sie sind eben nicht immer möglich. Im Falle der Wahlvorhersagen sind es halt denkbare Szenarien. Und diese Szenarien sind in ihrer Art auch eine „Story“. Und ich glaube halt, dass sie vor allem als „Story“ funktionieren. Mir selbst geht es auch nicht darum, solche Kaffeesatzlesereien zu verurteilen. Ich frage mich halt, warum sie so ungebrochen beliebt sind in den Medien.

  23. @Inga, 21: Es ist aber Unsinn, Wahlprognosen und z.B. Vorhersagen des Weltuntergangs am 17. Juni 2014 zusammen unter „man kann nicht die Zukunft vorhersagen“ abzuhandeln. Darauf kann man doch mal hinweisen, auch wenn es nicht zentral für die Bewertung des Artikels ist. Ich finde auch nicht, dass politische Trends „ungelegte Eier“ sind. Das Problem am FTD- Kommentar ist ja nicht, dass er schon vor einer Wahl einen Trend kommentiert, sondern dass es den Trend so gar nicht gibt, den er auszumachen glaubt. Aber einen diskussionswürdigen Trend kann es auch geben, wenn nicht nächste Woche Wahlen sind. Man muss halt sicherstellen, dass es nicht nur ein gefühlter Trend ist, also recherchieren/Daten sammeln.

    Um mal ein fiktives Beispiel zu nehmen – wenn die NPD in aktuellen Umfragen auf 15 Prozent Zustimmung käme, würde man schon darüber nachdenken und reden wollen, statt nur zu sagen, das sind doch ungelegte Eier und warten wir’s mal ab. Oder?

  24. Ich denke eigentlich nicht, dass Smolkas Prognose verwerflich ist. Er hält sich zunächst an die politikwissenschaftlichen Erkenntnisse, gibt die bisherige Entwicklung der Niederlande korrekt wieder (Wilders profitiert durch Zuwanderungsthemen, radikale Positionen erhalten Zulauf etc.) und zieht Vergleiche zum politischen Spektrum in Deutschland. Seine eigentliche Prognose für die Parlamentswahlen reduziert sich auf eine Aussage, die anscheinend auf Umfragewerten beruht und sich erst im Nachgang als wenig belastbar darstellt:

    „Die Sozialisten führten monatelang die Umfragen an. Und auch wenn sie zum Wahlkampfende Boden verloren haben: Radikale Parteien stehen bei der Parlamentswahl am heutigen Mittwoch besser da denn je.“

  25. Natürlich ist das nicht verwerflich, an sich. Nur fragt sich: ist das journalistisch sinnvoll? Welche Information erhalte ich als Leser? Nicht nur Smolka irrte sich mit seiner Vorhersage, vor haben schon viele andere, auch sehr namhafte Journalisten unzutreffende Prognosen abgegeben. Wer Nachrichten regelmäßig verfolgt, weiß das. Also hat so eine Prognose erst einmal keinen Wert, wenn sie ohnehin hochwahrscheinlich scheitern kann. Sie informiert mich über nichts, aber sie gibt vor, die Wirklichkeit zu beschreiben. Zur Wirklichkeit gehört es aber offensichtlich, dass alles anders kommt als angenommen. Dem sollte man doch als Journalist Rechnung tragen und lieber vorsichtiger sein. Zumindest ich als Leser gewinne durch diese Prognose kein handfestes Wissen über die Welt da draußen.

  26. @Sebastian: Doch, ich finde, genau das ist das Problem, dass man für einen Kommentar nicht die paar Tage auf das wirkliche Ergebnis gewartet hat. Und natürlich, dass man sich, anstatt auf einigermaßen valide Prognosen, lieber auf die gefühlte Realität verlassen hat.
    Natürlich kann man auch weit ab von Wahlen die Ergebnisse der „Sonntagsfrage“ kommentieren. Oder andere Meinungsforschungsergebnisse, die womöglich gar nicht auf Wahlen abzielen. Aber im obigen Fall ist es schlicht nicht nachvollziehbar, warum man nicht einfach noch auf das Ergebnis gewartet hat. Ich finde nicht, dass sich daran etwas geändert hätte, wenn die dem Kommentar zugrundeliegende Prognose gestimmt hätte, es wäre dann halt einfach nicht so aufgefallen.

  27. Wo wir gerade beim Thema Politik sind…
    Ernsthaft, wo geht es denn ehrlich zu?
    Meine Tochter war vor kurzem in Brüssel und hat nur diesen Artikel hier bestätigt.
    Vitamin B ist das A und O.

  28. Ich würde diesen einen strittigen Satz nicht überbewerten. Auch wenn die Prognose tatsächlich wertlos gewesen sein mag, gibt der Rest des Kommentars zum Glück immer noch jede Menge belastbare Informationen über die Wirklichkeit her. Immerhin ist er als Kommentar ein Meinungsbeitrag und kein nachrichtlicher Hintergrundbericht.

  29. Warum dreht sich bei den Medien bei all den gewalttätigen Protesten in der muslimischen Welt alles um diesen Film?

    Der Film ist doch nur Mittel zum Zweck für die Islamisten und die Pulverfässer der beeinflussbaren Anhängerschaft.

    Das hätte auch eine Karrikatur, Koranverbrennung oder ein X-beliebiger Mord eines Moslem von einem Christen sein können.

    Das ist alles nicht der Punkt. Der Punkt ist das sowas so weit hochkocht. Im Prinzip sind das alles Pulverfässer die nur darauf warten zu explodieren. Die Auslöser kann die Welt mit 7 Milliarden Menschen gar nicht verhindern da es jede Einzeltat sein könnte.

    Was ich sagen will: Da existieren massive Pulverfässer die Zusammengehörigkeitsgefühl unter dem Deckmantel „Islam“ dazu ausnutzt ihren Fanatismus zu verbreiten. So ähnlich hat es schon bei den Nazis mit dem Rassismus funktioniert. Mit der eigentlichen reinen Religion hat das nur noch sehr wenig zu tun.

  30. Da ein Blog-Teilnehmer eine Reaktion von B. Schuss wuenschte: Der Kommentar enthielt keine Prognose, sondern einen Befund ueber die letzten Monate. Er konstatierte, dass SP und PVV/Wilders laut letzten Umfragen ein Viertel der Sitze und Stimmen auf sich vereinigten – so viel wie noch nie vor einer Wahl. Nach dem – in der Tat ueberraschenden – herben Verlust der PVV und dem Stagnieren der SP ist es immer noch ein Fuenftel. Ueber die Entwicklungen in der Wahlkampfschlussphase hat die FTD ausfuehrlich berichtet; die SP-Verluste jener letzten Vorwahltage sind auch im Kommentar erwaehnt. Der Grundbefund bleibt. Fuer den Last-Minute-Schwenk vieler, die zuvor SP und PVV angegeben hatten, zu PvdA und VVD werden hier in den Niederlanden taktisch-strategische Motive analysiert, wegen des am Schluss extrem engen .Zweier-Duells zwischen Rutte und Samsom.

  31. @Stefan A.: Mit „korruptem Treiben“ wollte ich z.B. darauf anspielen, dass es noch gar nicht lange her ist, als die jetztige Regierung versprochen hat einer der Ursachen der „Krise“, also dem Bankensystem & Spekulationsgedöns einen Riegel vorzuschieben. Dann aber rein gar nichts passiert ist, ausser das man eben diese entlastet hat & sich am Ende noch die Gesetze von eben diesen Finanzfachleuten hat schreiben… ähm beraten lassen.

  32. @Inga, 30: Ok, ich muss mich genauer ausdrücken: Das Problem ist natürlich nicht, dass der kommentierte Trend dann zufällig gar keiner war, sondern dass der Autor sich nicht abgesichert hat, ob es den von ihm gefühlten Trend wirklich gibt. Wenn alle Forschungsinstitute das so vorhergesagt hätten, dann müssten die jetzt erklären, warum sie so falsch lagen. Und bei dem Versuch, sich abzusichern, kann natürlich auch herauskommen, dass man es im Moment einfach nicht weiß. Und dann darf man sich halt nicht so aus dem Fenster hängen.

  33. Ich sehe den Tatbestand der Astrologie und Kaffeesatzleserei nicht bestätigt. Herr Smolka kommentiert die politische Großwetterlage in den Niederlanden basierend auf Umfragen. Das halte ich für legitim. In Deutschland wird das auch jede Woche praktiziert.

    Die Umfragetrends von SP und PVV wurden in der FTD wie auch bei Johannes in 18.1) und 18.2) grundsätzlich richtig beschrieben. Nur noch ein Satz zur Klarstellung, was am Wahltag zu erwarten war: Am 11. Sep. waren laut Umfragen für die SP noch 21 Sitze erwartet worden. Vor diesem Hintergrund ist das Stagnieren der SP bei 15 Sitzen durchaus überraschend. Der Verlust der PVV war keine Überraschung, er war erwartet worden.

    Aber durch die Veröffentlichung am Wahltag bekommt dieser Kommentar nun ein Problem. Das tatsächliche Wahlergebnis zerstört die Hauptargumentationskette des Kommentars . Mitte August, als die SP in ihrem Zenit war, währe dieser Kommentar sehr glaubwürdig gewesen.

    Bleibt die Frage: Muss man Umfragen am Wahltag kommentieren, wenn die Umfrageergebnisse in ein paar Stunden überholt sein werden? Ich glaube nicht.

  34. @Niggemeier

    Ich bin verwirrt. Ist das ein Gag, den ich nicht verstehen muss oder warum postet Smolka unter B.Schuss? Das müßte ich aber wahrscheinlich eher ihn fragen.

  35. @Linus: Herr Smolka fühlte sich von theo #8 angesprochen, ohne zu wissen, dass B.Schuss hier Stammkommentator ist.

  36. Da stellt sich dem Sensations – und Skandalhungrigen Leser doch schon wieder die Frage:

    Where is the Beef?

  37. Nee, seh ich komplett anders. Die FTD hat ihren Ruf riskiert, indem sie sich im Vorfeld auf einen Wahlsieger in den Niederlanden festlegte. Das Ärgerliche für die Redaktion ist sicher, dass diese Festlegung offenbar ausdrücklich nicht wider besseren Wissens geschah. Das ist mir allerdings reichlich schnuppe. Klar, man kann abwarten und à la Bernd Ulrich und Jo Joffe in aller Ruhe dienstags einen Kommentar abliefern, der dann 2 Tage später erscheint und selten bis nie eine neue Idee zu einem Topos enthält. Lieber daneben liegen und sich hinterher korrigieren müssen, als immer Recht haben, weil bereits alles bekannt ist.

  38. @49 Stefan Niggemeier

    Wieso verliert die FTD sogleich ihren Ruf, wenn sie in einem Meinungsartikel falsch liegt? Wie geht das?

  39. @Bernhard Paul: Ein Meinungsartikel, der von falschen Tatsachen ausgeht?

    Aber eigentlich hab ich mich nur auf den Kommentator bezogen, der meinte (und es begrüßte), dass die FTD mit dieser Art, in die Zukunft zu sehen, ihren Ruf „riskierte“. Wenn sie das tat, würde ich daraus folgern, dass sie ihn nun verloren hat.

  40. Die FTD hat hier klassisch gezockt und verloren, leider fällt das Eingeständnis gerade bei Journalisten immer besonders schwer.

    Die wahren Sieger dieser Wahl sind ohnehin die freien Hubentickler aller Parteien.

  41. > eigentlich hab ich mich nur auf den Kommentator bezogen,
    > der meinte (und es begrüßte), dass die FTD mit dieser Art,
    > in die Zukunft zu sehen, ihren Ruf »riskierte«. Wenn sie
    > das tat, würde ich daraus folgern, dass sie ihn nun verloren
    > hat.
    Sie haben recht.

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