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Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Sterben für die Tagesdurchschnittsquote: Charlotte Roche über die Einstellung ihrer Viva-Sendung „Fast Forward“.

Zum Ende des Jahres stellt der Musiksender Viva seine beiden letzten musikjournalistischen Sendungen ein. „Mixery Raw Deluxe“ war die einzige redaktionell betreute Hip-Hop-Sendung im deutschen Fernsehen, „Fast Forward“ eine einzigartige Plattform für Musik, die sonst nirgends läuft, weil sie nicht kommerziell genug ist. „Fast Forward“, ein Überbleibsel des vor drei Jahren eingestellten ambitionierten Senders Viva 2, wurde von wenigen gesehen, aber von vielen geliebt. Charlotte Roche, die die Sendung seit fünf Jahren machte und moderierte, wurde durch sie zu einer Art Schutzheiligen der Independent-Szene. „Queen of German Pop Television“ nannte Harald Schmidt die 26jährige, die in diesem Jahr den Grimme-Preis erhielt.

Wie haben Sie vom Ende von „Fast Forward“ erfahren?

Letzte Woche wurde im Haus das Programmschema für alle Musiksender Deutschlands vorgestellt. Einmal, once in a lifetime, haben sie aus Freundlichkeit den Mitarbeitern etwas über die Zukunft gesagt, bevor sie an die Presse gegangen sind. Ich war nicht im Haus. Mir haben sie nach der Veröffentlichung gesagt: Charlotte, nur daß du das weißt, „Fast Forward“ ist ab Ende Dezember nicht mehr vorgesehen.

Gab es vorher keine Gespräche mit Ihnen: Wie sollen wir weitermachen?

Nein, gar nicht. Aber das ist für mich kein großer Schock. Ich führe seit letztem Jahr diesen Kampf mit den Viva-Chefs und anderen, die dahingesetzt wurden. Solange es noch den Kampf zwischen MTV und Viva gab, ging es ständig um diesen bekloppten Tagesquotendurchschnitt. MTV war jeden Tag Sieger. Die Verantwortlichen bei Viva haben mir dann immer erzählt, wie die eine Stunde „Fast Forward“ jeden Tag die Durchschnittsquote in den Keller haut. Anfang des Jahres kamen Mitarbeiter von mir plötzlich mit der Nachricht an: Bald gibt es „Fast Forward“ nur noch eine Viertelstunde lang! Ich war ständig bei den Viva-Chefs, immer am Kämpfen, habe immer gedroht, zu kündigen: Das ist ja wohl der Witz des Jahrhunderts, man kann doch keine Stundensendung auf eine Viertelstunde kürzen! Jetzt ist es vorbei.

Eine Stunde lang war „Fast Forward“ in diesem Jahr nur selten.

Ja, das wurde immer heimlich gegen meinen und aller Willen gekürzt, einfach so. Ich hab‘ schon „Fast Forward“-Sendungen mitgestoppt, die achtzehn Minuten lang waren, und die Verantwortlichen behaupteten immer noch, es sei eine Stunde gewesen.

Nicht im Ernst.

Das ist wirklich wahr. Es geht um jede Minute für ihre bescheuerte Durchschnittsquote für den Tag.

Gab es Versuche, etwas am Konzept zu ändern?

Ich bin da sehr bockig, weil ich sage: Ihr habt mich eingestellt, und „Fast Forward“ ist dazu da, daß die Leute, die daran arbeiten, machen, was sie wollen. „Fast Forward“ ist ganz klar nicht dazu da, das „Interaktiv“-Publikum glücklich zu machen und eine Superquote zu haben. Ich habe gesagt, auf keinen Fall fangt ihr jetzt an, bei „Fast Forward“ rumzupfuschen, weil ihr denkt, dann kann man mehr Quote machen. So funktioniert es nicht.

Es heißt, Sie wollten jetzt eh verstärkt als Schauspielerin arbeiten, vermutlich ist es Ihnen also gar nicht so unrecht, daß die Sendung eingestellt wird.

Das ist überhaupt nicht so. Alles, was in „Fast Forward“ steckt, ist das, was ich mir gerade ausdenke. Deshalb werde ich der Sendung nicht müde, weil sie sich ganz natürlich mitentwickelt mit mir. Was allerdings wirklich stimmt, ist, daß ich Kraft verloren habe. Dieses Kämpfen dafür, daß es die Sendung weiter gibt, das war sehr ermüdend die letzten Monate. Jeder im Haus sagt dir: Das soll weg. Und man selber steht alleine da und denkt: Nee, das soll nicht weg. Aber ich habe immer großen, großen Spaß an der Sendung gehabt, auch aus der Bockigkeit heraus, daß die die absetzen wollten. Aber jetzt habe ich verloren.

Gibt es bei den Verantwortlichen nicht das Gefühl, daß es für einen Sender wie Viva wichtig sein könnte, sich ein Programm wie „Fast Forward“ zu leisten?

Die Viacoms dieser Welt verstehen nicht, warum man eine kulturelle Sendung haben soll oder irgendwas, das kommerziell scheinbar unerfolgreich ist. Es wird immer schwerer, Leuten das zu erklären. Wenn man diesen ganzen Chefs gegenübersitzt, guckt man in blanke Gesichter. Man muß ihnen erklären, warum das Sinn hat, wenigstens in einer von vierundzwanzig Stunden etwas Spezielles zu zeigen, etwas Unbekanntes, auch wenn man damit nicht die Massen erreicht. Die sitzen dann da und sagen: Ja, aber da könnten wir doch Geld verdienen in der Zeit. Gegen solche Argumente ist man machtlos.

Vielleicht war „Fast Forward“ zu teuer?

Wir sind zu dritt. Die anderen beiden sind gleichzeitig die Kameramänner. Produziert wird ohne Beleuchtung und alles. Da ist einfach nur eine Kamera, in die ein Mikrophon reingesteckt wird. So wie zu Hause, wenn man ein Familienvideo dreht.

Und wie ging das, als Sie jetzt die Hauptrolle in „Eden“ gespielt haben, einen Film von Michael Hofmann, der 2005 ins Kino kommt?

Ich habe neun Wochen gedreht und wollte nicht, daß die Sendung neun Wochen lang ausfällt. Ich habe dann halt in Bad Herrenalb im Park gestanden und dort die Sendung gemacht. Ich bekomme die Videos zugeschickt. Ich kann „Fast Forward“ überall drehen und dann die Bänder nach Köln schicken, und die schneiden das dann.

Was für Auswirkungen, meinen Sie, wird das Ende von „Fast Forward“ für die Musikbranche haben?

„Fast Forward“ stand schon immer dafür, eine Plattform für kaum oder gar nicht gespielte Videos zu sein, vor allem für deutsche Sachen. Leute wie Rocko Schamoni oder Thees Uhlmann zum Beispiel rufen mich an und sagen, Charlotte, zu diesem Song haben wir diese Idee, lohnt es sich, 2000 Euro in die Produktion eines Videos zu stecken, spielst du das? Und dann sage ich „Ja“ oder „Nein“, und dann drehen die das oder nicht. Wenn es „Fast Forward“ nicht mehr gibt, gibt es auch diese Videos nicht mehr.

Hat die sonst keiner gespielt?

Nein, es gibt sonst nur Markus Kavka auf MTV mit „Spin“, aber das läuft nur einmal die Woche. Die beschäftigen sich mit Independent-Sachen, die meistens schon erfolgreicher sind, spielen etwa „The Hives“. „Fast Forward“ dagegen läuft jeden Tag eine Stunde, da kann man die ganze Woche unbekanntes Zeug aus Hamburg spielen, wenn man will.

Und Sie wollten.

Genau. Um die letzten Zuschauer auch noch zu vergraulen.

Haben Sie schon Reaktionen auf die Nachricht von der Einstellung bekommen?

Ich bekomme jetzt SMS von Leuten aus dem „Spex“-Umfeld, die ganz bestürzt sind. Die sagen, „Scheiße, das darf doch nicht wegfallen! Das hat es jetzt über fünf Jahre gegeben.“

Wie geht es für Sie weiter?

Die Bedingung für „Fast Forward“ war, daß ich da machen kann, was ich will. Offensichtlich können sich die Chefs von Viva und MTV damit nicht mehr arrangieren. Die lassen das lieber wegfallen, als mich da weiter Faxen machen zu lassen. Ich will nicht um jeden Preis irgendeinen Job machen. Nachdem man „Fast Forward“ gemacht hat, geht das nicht. Aber so ist das gerade bei Viva: Fast jede Redaktion ist panisch und hat Zukunftsangst. Und wenn die Leute im Büro anrufen, um mit ihren Chefs Termine zu kriegen, bekommen sie zu hören, wartet mal, ich weiß selber nicht, ob ich noch einen Job habe. Alle warten. Deshalb kann ich jetzt keine Pläne schmieden. Ich warte erst mal. Wenn mich jemand will, soll mich jemand fragen.

Die gab es also noch nicht, die Anrufe von anderen Sendern?

Nein.

Sie klingen trotzdem ganz gefaßt.

Ach, panisch war ich schon vor Monaten. Man kann diese Panik nicht aufrechterhalten. Ich habe es, ehrlich gesagt, auch noch gar nicht richtig kapiert, daß es diese Sendung bald nicht mehr gibt. Das ist schon heftig, aber ich hab’s noch nicht richtig kapiert.