16.36 Uhr: Ein Mann, der nicht aussieht wie Hollande, läuft durch den Hintergrund.

In Paris hat sich der französische Präsident François Hollande den Fragen der Presse gestellt. „Focus Online“, das Phoenix unter den deutschen Internetangeboten, berichtet in einem Live-Ticker.

Aber in solchen Online-Formaten wird ja auch immer viel redundanter und irrelevanter Quatsch verbreitet. Ich habe deshalb als kleinen Service für die politisch interessierten Leser das „Focus Online“-Geticker auf die darin enthaltenen wesentlichen Informationen reduziert:

16.02 Uhr: Der Saal im Élysée-Palast ist bereits gut gefüllt. Noch stehen die Journalisten in Gruppen zusammen herum und tauschen sich aus. François Hollande ist noch nicht zu sehen.

16.14 Uhr: Weitere Kameras sind auf den Eingang des Élysée-Palastes gerichtet. Vereinzelt tröpfeln Journalisten ein. Eine Empfangsdame öffnet die Türen der vorfahrenden Autos, um wichtige Gäste hereinzulassen. Von François Hollande allerdings auch hier noch keine Spur.

16.28 Uhr: Im Saal haben sich inzwischen alle gesetzt. Es kann in wenigen Minuten losgehen. Noch herrscht aber aufgeregtes Flüstern.

16.32 Uhr: Nun sind auch die Honorationen in der ersten Reihe eingelaufen. Alles wartet auf den Präsidenten François Hollande.

16.34 Uhr: Damit wäre schon mal klar: François Hollande verspätet sich.

16.36 Uhr: Demonstratives Husten aus den hinteren Stuhlreihen; immer wieder verstummen die Gäste, dann geht wieder das Getuschel los. Ein Mann läuft durch den Hintergrund. Wie François Hollande sieht der aber nicht aus. Immerhin steigert das alles die Spannung.

16.38 Uhr: „Monsieur le président de la republique“, sagt ein Sprecher und François Hollande tritt ein. Kurzes Lächeln, kurzes Nicken. Es geht los.

16.47 Uhr: Die Stärkung der französischen Wirtschaft sei auch ein wichtiges gesellschaftliches Thema, sagt François Hollande. Im Saal ist es während seiner Rede ganz still.

17.03 Uhr: François Hollande verliert ein wenig die Festigkeit seiner Stimme, wird etwas leiser. Es klingt, als würde er das Ende seiner Rede ankündigen. Aber er spricht weiter, über die Gesundheits- und Pflegeversorgung, springt von dort zum Militäreinsatz in Mali im vergangenen Jahr.

17.21 Uhr: Es ist kurz ganz still im Saal, kein Rascheln, kein Flüstern.

[auf Wunsch eines einzelnen Lesers]

21 Replies to “16.36 Uhr: Ein Mann, der nicht aussieht wie Hollande, läuft durch den Hintergrund.”

  1. Was bei der Transkription von 16.14 Uhr noch fehlt und das Bild erst so richtig rund macht, ist das kleine Autofoto nach „Autos“, hinter dem sich ein Werbelink zum Opel „Adam“ versteckt. Da weint selbst die kleine Eva über diese „strikte Trennung“ zwischen Redaktion und Werbung.

  2. Ich bin mir sicher, dass diese Form des Journalismusses, wenn es denn überhaupt eine ist, dafür sorgt, dass auch noch der letzte Mensch eines Tages der Nachrichten überdrüssig wird. Ich habe ja mal gelernt, dass Nachrichten gewisse Kriterien erfüllen müssen. Und etwas, was weder eine Neuigkeit, noch relevant, noch unterhaltend ist, ist: nix wert!
    Solche Nachrichten-Tickeritis und auch der Eilmeldung-Virus sind einfach unerträglich!

  3. Da wird das schöne Format des Liveblogs versaut.

    Trotzdem: Niggemeier, wenn ich Hubert Burda wäre, würde ich Ihnen für diese Reduzierung unter Bezug auf das Leistungsschutzrecht eine saftige Rechnung schicken. Qualität hat seinen Preis.

  4. +++ Liveticker aus Zabeltitz +++ Liveticker aus Zabeltitz +++ Livet

    17:43
    „brisant“ beginnt

    17:55
    Man hört ein letztes dumpfes Geräusch von der nahegelegenen Tierkörperbeseitigungsanlage (eines der schönsten deutschen Wörter überhaupt, oder?)

    18:00
    Der Dorfkonsum schließt seine Pforten. Noch 2 Stunden bis zur Tagesschau.

    18:27
    Eine Krähe fliegt vorüber. Noch 93 min bis zur Tagesschau.

    18:52
    Die Dorfjugend (der Hund des Bürgermeisters, selbst in Hundejahren das mit Abstand jüngste Lebenwesen im Ort) vergnügt sich an der Haltestelle „Zabeltitz, Konsum“, indem sie ein weggeworfenes Salamibrötchen isst. Noch 68 min bis zur Tagesschau.

    19:08
    Noch eine Krähe – das Wetter scheint schlechter zu werden. Noch 48 min bis zur Tagesschau.

    19:24
    Trotz der fortgeschrittenen Stunde breitet sich noch ein Gerücht wie ein Lauffeuer aus: Dem Vernehmen nach war Frau Schulze neulich erst nach 23.00 Uhr zu Hause, und das an einem Dienstag! An Neujahr mag man sowas ja noch hinnehmen, aber sonst? (Frau Müller hat es gesehen, als sie nochmal auf dem Klo war – wegen ihrer Blasenschwäche kann sie schon seit Jahren nicht mehr durchschlafen.) Noch 36 min bis zur Tagesschau.

    19:56
    Spannung pur! Eine Stimme in der Regionalbahn Dresden – Weinböhla – Elsterwerda-Biehla verkündet feierlich: „Nächster Halt: Zabeltitz.“Noch 4 min bis zur Tagesschau.

    19:58
    Die Regionalbahn fährt nach kurzem Halt wieder ab. Noch 20 min bis Elsterwerda und 2 min bis zur Tagesschau.

    19:59
    Die Dramatik nimmt kein Ende. Nur noch eine Minute bis zur Tagesschau!

    19:59:30
    30…

    19:59:50ff
    10… 9… 8… 7… 6… 5… 4… 3… 2… 1…

    20:00
    *Bong* „Hier ist das erste deutsche Fernsehen mit der Tagesschau“

    20:05
    Im Dorf geht das letzte Licht aus. Frau Schulze wird ihrer gerechten Strafe zugeführt und dazu verdonnert, auf Lebenszeit den örtlichen Jugendclub (= die Hütte vom Hund des Bürgermeisters) regelmäßig vom Unrat der Dorfjugend zu befreien. Die ist nämlich nicht stubenrein.

    (Ich hoffe, ich bin nun für den Focus qualifiziert.)

  5. @JournalistinBS: Ist es überhaupt Journalismus? Ich glaube nein. Es ist ein neues comedy-Format. Journalisten tröpfeln (vereinzelt) und Honoratioren laufen in der ersten Reihe ein. Die haben alle zu heiß gebadet.

    Am besten gefällt mir die Stunt-Nr. der Empfangsdame, die die Türen fahrender Autos öffnet um Gäste hinein zu lassen. Das ist ja besser als Herbert Zimmermann (Das Wunder von Bern), Kurt Brumme, Ernst Huberty und Werner Hansch zusammen.

  6. Das ist wirklich typisch für Focus Online. Vermutlich gibt es in Deutschland keine Nachrichten-Website, die so mies ist wie Focus Online. Gegen Focus Online wirkt sogar noch die Bild-Zeitung seriös.
    Meiner Meinung nach gibt es fast nur drei Artikel-Typen bei Focus Online:
    1)Absurde Ticker,
    2) die Verwurstung von Bild-Plus-Meldungen und
    3) der Versuch Nichts zum „Skandal“ oder „Panne“ zu machen. Besonders beliebt ist die letzte Kategorie bei Artikeln übe Sozialdemokraten. Haben Sie etwa noch nichts von der Focus-Exklusiv-Meldung gehört, dass Steinmeier in Frankreich fast(, wenn nicht jemand aus der Delegation vorgab hätte zu zahlen), die Zeche geprellt hätte?
    > http://www.focus.de/politik/deutschland/aussenminister-steinmeier-zechpreller-kellnerin-stoppt-aussenminister-steinmeier-zeche-cafe-frankreich-1_id_3535314.html
    Journalismus-Studenten sollten Focus Online lesen, damit man weiß wie man es nicht macht.

  7. Irgendwie muss ich an diese Sozial-Media-Nutzer denken, die es auch nicht unterlassen können jeden Klo-Gang öffentlich zu dokumentieren.

    Hmm … womöglich eine wesentliche Referenz zum Ticker-Reporter.

  8. Hmm, hat Stefan Niggemeyer nicht auch einen Liveticker beim Spiegel gemacht? Irgendwie glaube ich mich daran zu erinnern.

    Wie auch immer: Die Live-Ticker gibt es ja inzwischen schon zu Wetten dass, zum Hafengeburtstag (Feuerwerk und Schiffstaufe!), zum Grand Prix, zur Zeitumstellung usw.

    Noch schlimmer finde ich allerdings, wenn Hamburger Abendblatt (und viele andere Zeitungen) in ihre Artikel Twitterreaktionen einbauen.

  9. Seit einiger Zeit geht es mit dem Focus bergab. Stefan hat hier doch mal eine Übersicht gebloggt, woraus die Stern.de-Website besteht, könnte man auch für Focus machen, das sähe schlimmer aus.
    PS: Geniale Überschrift. „Männer, nicht genannt Hollande, gehen den Hintergrund.“ :D

  10. So langsam komme ich hier zu dem Schluss, dass der gesamte Journalismus oder das, was davon übrig geblieben ist, dem Tode geweiht ist. Das wird ja immer peinlicher. Gibt es denn gar keine Gegenbeispiele mehr?

  11. Bei solchen Live-Tickern kann ich das verzeihen. Das ist halt das Bügelfernsehen für die digitale Gesellschaft.

    Ärgerlicher finde ich es, wenn in normalen Artikeln überhaupt nicht über den angegebenen Gegenstand zu erfahren ist, sonder nur unnützes Beiwerk.
    So z.B. in einem Artikel, der im Juni bei Zeit-Online erschien:

    http://www.zeit.de/2013/27/egon-krenz-buch-walter-ulbricht

    Überschrift:
    Egon K. von der Costa Osta
    Egon Krenz, der letzte DDR-Machthaber, greift mit einem neuen Buch noch einmal nach der Deutungshoheit. Ein Treffen im Eiscafé.

    Super, dachte ich. Was hast der Alte denn in seinem Buch denn gedeutet? Leider erfährt man das im ganzen Artikel nicht. Ok, man erfährt, dass es um ein Buch über Walter Ulbricht geht. Ansonsten findet man aber eher solche Sachen:

    „Egon Krenz hat ein Wasser bestellt.“
    oder
    „Auf Krenz’ Tisch liegt ein iPhone, verhüllt im Lederetui. “

    Zum Buch wird er nicht befragt. Ulbricht kommt aber auch mal vor:
    „Man könne über Ulbricht reden, ansonsten sei das Gespräch hier beendet.“

    Da dachte ich: „Genau!“

    Bei Live-Tickern weiß ich wenigstens vorher, dass es reine Zeitverschwendung ist, diese zu lesen. Bei Artikeln, die interessanten (kontroversen) Inhalt versprechen ist es erst wirklich ärgerlich. Man denkt ja immer: „Na! Vielleicht kommt ja am Ende was.“ Und schon hat man seine Zeit (bei Zei-Online, ha, ha) mit totalem Unsinn verplempert. Ich weiß jetzt, dass Egon Wasser trinkt, ein iPhone besitzt und bei Edeka einkauft. Toll!

  12. @13
    Der Focus war schon immer unten; Sie meinen sicher den Spiegel.
    Diese Art der Berichterstattung wäre ein schönes Thema für das IVI (nicht wirklich, aber der Name passt so schön).

  13. Seit einer Weile bemerke ich bei den Schlagzeilen im Feed von Focus Online eine Wirksamkeitsoptimierung á là HuffPo, d.h. quasi dieselbe Meldung wird quasi zeitgleich mit einer anders formulierten oder/und geschwerpunkteten Überschrift angeboten. Sehr nervig. Machen die das schon länger und es ist mir bislang nur entgangen, oder ist das eine neue Strategie?

  14. Bei aller Kritik bedenke man:
    Die Menschen, die diesen Ticker füttern, kümmern sich gleichzeitig um die Abfüllung von Katzenfutter.

  15. @2: Krasser ist dieser zitierte Hirnexperte, der sich nicht zu schade ist, eine Ferndiagnose abzugeben und zu spekulieren. Als Arzt, so der „Dr“. und „Hirnexperte“ den einer ist, sollte man so etwas nicht machen (dürfen).

  16. Hmm da tuts mir richtig leid dass ich den Telefonwerbern der WAZ kürzlich erklärt habe dass ich Ihnen zwar aus lokalpatriotischen Gründen grundsätzlich wohlgesonnen bin aber erstens die Druckerschwärze fies riecht und zweitens aber auch wirklich nichts Spannendes in ihrem Blatt steht.
    Die Lokalnachrichten (und das sind die Einzigen die mich vage interessieren können weil alles Andere ja auf zig Tausend Plattformen breitgetreten wird) wirken zwar wie von Gymnasiasten geschrieben aber das ist imemr ncoh interessanter als das hier.

    Vielleicht muss ich meine Haltung überdenken und da finanzielle Unterstützung der schriftlichen Hochkultur betreiben..

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