Auf dem Fahrrad zu Al-Qaida: Freie Journalisten werben wie die „Zeit“

Die „Zeit“ hat vor ein paar Tagen eine etwas merkwürdige Werbekampagne gestartet, in der man einigen ihrer Autoren beim Laufen, Fahren und Gefahrenwerden zusehen und beim Reden zuhören, aber nicht beim Reden zusehen kann. Das hat bestimmt irgendetwas zu bedeuten, soll aber hier gar nicht das Thema sein.

Die „Freischreiber“, der Verband der freien Journalisten (bei dem ich Mitglied bin), fanden das jedenfalls eine wunderbare Vorlage für eine Parodie. Für eigene Filme („ebenfalls hochemotionale, sehr persönliche Erzählstücke“), die nicht das Autorensein poetisch illustrieren, sondern sich mit den Bedingungen beschäftigen, unter denen freie Autoren arbeiten.

Anstelle von Wolfgang Bauer, der auf dem Fahrrad fährt und dabei über Al Qaida redet („Ich glaub, die Welt wird zusammengehalten von Emotionen und gesteuert durch Emotionen“) …

… sehen wir zum Beispiel Jakob Vicari, der auf dem Fahrrad zu Al-Qaida fährt („Ich habe dann lange versucht, ein richtiges Gefährt zu bekommen. Ich wollte einen Panzerwagen, wenigstens einen Jeep. ‚Das Fahrrad reicht‘, hat die Redaktion gesagt“):

Auf der „Freischreiber“-Seite kann man sich alle fünf Originale und Parodien ansehen. „Wir begrüßen das Ansinnen, die Menschen und Bedingungen zu zeigen, die Qualitätsjournalismus schaffen“, erklärt der Verband. Der Vorsitzende Benno Stieber sagt: „Gerne nehmen wir diese Einladung an. Lassen Sie uns gemeinsam für Autoren und faire Produktionsbedingungen im Journalismus werben.“

42 Replies to “Auf dem Fahrrad zu Al-Qaida: Freie Journalisten werben wie die „Zeit“”

  1. Wobei: Bauers Gesichtsausdruck beim Strampeln ist viel besser als die Parodie. Versucht er, sich das Lachen zu verkneifen? Hat er die Nase voll von den Dreharbeiten, weil er ahnt, wie das nachher alles wird? Oder ist es einfach schlechte Schauspielerei?

    Von allem ein bisschen, vermutlich.

  2. Versteh ich nicht, soll das eine Kritik an der Kampagne (die auch recht albern ist) sein oder bloß Polemik? Dass die Freischreiber dabei einen „ihrer“ Kollegen, nämlich den freien Autoren Wolfgang Bauer auf die Schippe nimmt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.

    Ich war selbst lange Zeit der Freischreiber, jedoch hat sich mir der Mehrwert nie entschlossen (wie bei allen Journalistenverbänden übrigens auch). Die Infos, die es gab, waren mir schon bekannt oder ich konnte sie auf anderen Seiten lesen. Die wirklich nützlichen Infos (rechtliche Hilfe etc.) musste ich glücklicherweise nie in Anspruch nehmen.

    Das aktuell die „Freienbibel“ für stolze 34,90€ in der gebundenen Ausgabe (wenn schon, denn schon) angeboten wird, obwohl das Team 14.000€ (übrigens mehr als doppelt soviel wie geplant) dafür vorab im Crowdsourcing eingenommen hat, verstehe ich auch nicht so richtig. Aber generell habe ich das Gefühl, dass Institutionen, die „Bibeln“ herausgeben ein Wahrnehmungsproblem haben ;)

  3. Dr. Jakob Vicari ist doch als regelmäßiger Schreiberling für Magazine wie brandeins von den Problemen der meisten freien Journalisten soweit entfernt wie Eintracht Braunschweig von der Champions League.

  4. »Ich glaub, die Welt wird zusammengehalten von Emotionen und gesteuert durch Emotionen«

    Das stimmt natürlich nicht. Zusammengehalten wird die Welt von starker Wechselwirkung, schwacher Wechselwirkung, Elektromagnetismus und Gravitation.

  5. Jetzt fehlt eigentlich nur noch der Hinweis, dass es doch weiß der Himmel wichtigere Dinge gebe, über die man schreiben könnte (oder natürlich: müsste). Homophobie in Russland, Straßenschlachten in der Ukraine, Flüchtlingsdramen rund ums Mittelmeer, Regierungskrise wegen Edathy, Implosion des ADAC, und hier diskutieren sie über eine leicht bräsige Zeit-Werbekampagne. Kein Sinn für Prioritäten, tststs…

  6. Nette Parodien. Die Mühe ist aber vergebens, so vergebens wie als Passagier auf der Titanic zu erwarten, dass Dir jemand den Vortritt ins Rettungsboot lässt. Es herrscht nun mal ein existenzieller Verdrängungswettbewerb in einer vom Untergang bedrohten Branche und ein jeder Mitesser vom kleiner werdenden Kuchen ist ein potenzieller Feind. Besser man sucht sich eine sinnvolle Beschäftigung als eine Perspektive in der Medienbranche…

  7. Meine Leute sagen, ich müsste mal raus, zu den Menschen. Mich aufs Fahrrad setzen oder in ein Café. Aber ich sitze lieber hier in meinem Turm.
    Von hier oben sehe ich alles, was ich sehen will und schreibe es auf, wenn ich Lust habe.
    Sicher, irgendwo wächst immer das Gras oder rieselt der Kalk, aber dazu fällt mir nichts mehr ein.
    Die Nazis, die 68er, sind alle gekommen und gegangen. Der Helmut, der ist immer da gewesen.
    Geld? Interessiert mich nicht. Reichsmark, D-Mark, Euro…manchmal mache ich den Tresor auf und schaue mir die Goldbarren aus alter Zeit an.
    Mein Name ist Josef Joffe, und ich bin „Die Zeit“.

  8. @nona/7 :
    Da kann ich nur begeistert Beifall klatschen und nicken ;)

    Dabei fällt mir aber auf , dass ich inzwischen eine Abwehrhaltung einnehme, wenn Irgendwer über ‚Emotionen‘ redet.
    Ob Fernsehen ,ob Printmedien : Alle reden davon auf die eine oder andere Art mit Emotionen zu jonglieren.Emotionen im Gegensatz zu Fakten und sogar zu Meinungen.
    Ich habe da wirklich den Eindruck , als wenn die erfolgreiche Manipulation wichtiger ist als der Inhalt und als wenn da nicht mehr versucht wird diese Tatsache zu verdecken sondern auf breiter Front offensiv damit umgegangen wird . Hier wird die ‚Manipulation der Emotionen‘ der Inhalt der Arbeit und jeder Inhalt nur Werkzeug zu diesem Zweck.
    Ich bin ja nicht ‚vom Fach‘ aber ich frage mich ob Journalismus schon immer so war und nun nur ehrlicher wird oder ob das das Zeichen einer unheilvollen Wendung ist.

  9. Da kann ich nur sagen: Bevor ich anfing, dieses Blog zu lesen, war der Begriff „Held“ für mich ziemlich abstrakt. Auch wenn ich immer wieder das Gefühl habe, dass es ein Kampf gegen Windmühlen ist, bin ich doch froh zu sehen, dass jemand kämpft.

  10. Bin ich eigentlich der einzige, dem die Kampagne der Zeit gefallen hat?

    Die Zeit der Gatekeeper ist vorbei, heute kann jeder veröffentlichen. Da wird der Blick auf die Quellen wichtiger noch als früher: wer schreibt eigentlich den Artikel, den ich da lese? Außerdem wird die Nachrichtenmarkt immer schneller. Da kommt Medien mit längeren Stücken und langsamerem Rhythmus eine neue Bedeutung zu. Man muss jetzt DIE ZEIT oder Josef Joffe nicht mögen, um zu erkennen, dass das die Stärken des Wochenblatts sind: die Autoren, der langsamere Rhythmus, Nachdenklichkeit, längere Texte. Und die hat DIE ZEIT in den Mittelpunkt ihrer Kampagne gestellt. Was soll sie denn sonst machen? Homophobie in Russland und Straßenschlachten in der Ukraine sind wichtiger? Ja, richtig. Aber diese Themen finden sich ja auch in der ZEIT. Außerdem haben andere die auch, das ist also nicht das Alleinstellungsmerkmal. Soll DIE ZEIT lieber mit einem kostenlosen eReader werben, den es zum Abo gibt? Oder spricht man der ZEIT grundsätzlich die Erlaubnis hab, Werbung für sich selbst zu machen? Geht es um die technische Umsetzung? Ich finde die Videos gut produziert und die Webseite ist auf Desktop wie Smartphone auf der Höhe der Zeit. Kurz: ich verstehe den Kübel Häme nicht so ganz.

  11. @Achim Baur:
    Ihre Frage: „Bin ich eigentlich der einzige, dem die Kampagne der Zeit gefallen hat?“
    Meine Antwort: Ja.

  12. @21, Achim Baur:
    Das Problem ist, dass es einfach Gelaber ist. Da wird mit dicken Farben ein Gemälde des Journalismus angefertigt, das wunderbar dem altehrwürdigen Klischee folgt, aber mit der Realität vieler Schreiber – wohlmöglich sogar der der portraitierten – reichlich wenig zu tun hat. „Die Zeit“ als Galionsfigur des guten, alten Qualitätsjournalismus – haha.

  13. @ Achim Baur (#21): Klar darf die Zeit Werbung für sich machen. Dass sie dabei ihre gedankenvollen und engagierten Redakteure ins Feld führen, leuchtet mir ein. Die Idee mit den „bewegten Standbildern“, wo die Autoren aus dem Off dazu sprechen, passt auch irgendwie zur Zeit. Und produziert ist das ganze tatsächlich ganz anständig. Aber wie zweifellos schon angemerkt hat, sind die Texte klischeeüberladene Salbaderei.

    Und wenn die Zeit schon so kitschig darauf abstellt, dass ihre hohe Qualität auf der Arbeit gut ausgestatteter Redakteure beruht, ist es nicht unangemessen, wenn freie Autoren, denen die Zeit offenbar zu marktüblichen (also bei weitem nicht so bequemen) Konditionen ihre Texte abkauft, in einer Parodie der Kampagne auf ihre von der Zeit diktierten und eben nicht so tollen Arbeitsbedingungen hinweist.

    Man kann die Kampagne gut finden, mich spricht sie aber nicht wirklich an. Keiner der Filme würde mich zum Lesen der Zeit animieren. Die Parodien der Freischreiber sind gelungen, machen aber natürlich nur als Reaktion auf die Zeit-Kampagne Sinn. Monumente der Filmgeschichte stellen beide nicht dar. Und aus der Diskrepanz zwischen dem arg betulich-bräsigen Was-sind-wir-doch-intellektuell-Habitus, der die Zeit-Filmchen durchweht, und dem am Ende doch eher gehaltsarmen Gerede, als das die Texte sich bei näherem Hinhören entpuppen, dürfte sich dann auch ein guter Teil der Häme erklären.

  14. Verstehe, zumindest zum Teil. Nur ein Hinweis noch: es handelt sich um Werbung. Und das Ziel ist, Zeitungen zu verkaufen. Wenn man die Kriterien dieser Textsorte anlegt, schneiden die Filme IMHO nicht schlecht ab. Oder anders gesagt: vor die Aufgabe gestellt, Werbung für die ZEIT zu machen, würde mir kein signifikant besserer Ansatz einfallen. (Mir ist allerdings auch klar, dass das hier nicht das Blog von „W&V“ ist).

  15. @Achim Bauer:
    Die Zeit-Videos sind wirklich schwer erträglich in ihrer staatstragenden Art. Und Lichtjahre entfernt von der Lebenswirklichkeit freier Schreiber und auch (bestimmt) vieler Leser. Das macht die Sache so unfreiwillig komisch. Und exakt das haben die Freischreiber in ihren Videos hervorragend aufgegriffen. Mit kübelweise Häme hat das nichts zu tun. Im Gegenteil: Da verklärt ein Unternehmen die Realität. Wenn freie Journalisten das witzig und gekonnt aufgreifen, tun sie nur ihre Pflicht.

  16. Ich hab‘ mir grade die Mittagspause vergoldet und die Filmchen auf der Freischreiberseite mal alle angeguckt. Da sind ja inzwischen noch mehr Filme ..
    Ich kann nur sagen wenn es hier um Emotionen geht, dann hat das bei mir geklappt : ich bin erheitert !
    Alleine schon die Überschriften sind lustig !
    Ansonsten . .was solls das die Zeit so daherlabert ? Ich bin denen dankbar dass sie so eine Reaktion hervorgerufen haben. So ein Filmchne von denen bringt mich ganz sicher nicht dazu das Abo neu zu starten und ist auch eher egal als anstössig .

  17. @ Michael A.: Freischreiber hat 14.000 Euro im Crowdfunding eingenommen, das ist richtig. Davon haben wir die zahlreichen Autoren und zwei Grafikerinnen sowie den Druck und Versand mehrerer hundert Exemplare bezahlt. Jeder Unterstützer bekam ein Frei-Exemplar. Das Geld aus dem Crowdfunding war damit ausgegeben. Wer nun ein Buch haben möchte, muss deshalb zahlen – denn es fallen ja wieder Druck- und Versandkosten an. Was über den Verkauf reinkommt, das wollen wir beispielsweise in Aktualisierungen stecken. Damit die „Freienbibel“ auch morgen noch nützlich ist.
    P.S. Ja, „Freienbibel“ ist natürlich hochgegriffen. Aber im Journalismus wird doch gern mal hochgejazzt, damit die Leute zugreifen. Das darf auch ein kleiner Verein. Oder?
    P.P.S. Viele haben uns übrigens gesagt, in diesem Buch stünden Dinge, die sie eben noch nicht gewusst hätten. Und das kam von langjährigen Profis. Also: reinschauen lohnt sich vielleicht auch für Sie!

  18. Ich habe den Moritz-von-Uslar-Film im Kino gesehen, ohne die Kampagne vorher zu kennen. Ich habe das zunächst für eine Marlboro-Werbung gehalten. Im Youtube-Fenster sieht man das nicht so genau, aber auf der Großleinwand ist die Zigarettenschachtel sehr präsent – vor allem, weil sie immer wieder verrückt wird.

    Kann es sein, dass Marlboro diesen Spot bezahlt hat?

  19. @AchimBAuer: Das Verlogene ist doch, dass die Zeit nun ihre Autoren entdeckt. Zumindest in der Werbung. Zwei oderd rei der gezeigten Kollegen sind ja (mutmaßlich) frei.
    Eine öffentliche Diskussion über die Arbeitsbedingungen ihrer freien Autoren lehnt die Geschäftsführung aber konsequent ab. Dabei wäre genau das interessant: Unter welchen Bedingungen entsteht der Qualitätsjournalismus der Zeit? Wie wird da journalistische Leistung in Zukunft vergütet? Und, zugegeben, sehr zugespitzt: Wie viel der 4,50 Euro jeder verkauften ZEIT kommen bei den freien Autoren an – ist der Anteil wirklich größer, als der einer Näherin an einem Turnschuh?

  20. Schöne Sache. Auch, weil der Freischreiber die Körperhaltung des Zeit-Kollegen so nett imitiert. Schrittfahren mit dem Fahrrad scheint total anstrengend zu sein.

  21. DIE ZEIT und DIE SPD. Zwei Dinge die einen irgendwie begleitet haben. Irgendwann merkt man. Oh, ein Konzern für selbst ernannte Eliten. Dann will man irgendwie nicht mehr dabei sein. Dann irgendwann fällt die Farbe immer mehr ab … und am Ende ist dann diese Zwiebel. Zwiebel *wildes gepule und geheule* Mein Name ist Nuck. Ich lese die Zeit nur wenn sie irgendwo rumliegt und meist nur wegen der Typo oder um mich über die Autoren aufzuregen. Die SPD wähle ich schon zum zweiten Mal nicht mehr. Ich kommentiere nicht bei ZEIT ONLINE. Ich fahre Rad. *dumme Musik geht weiter, wird langsam lauter*

  22. @Kraeuselhirn, #17:
    Mir kommt es auch so vor, und ich führe es zurück auf eine immer stärkere Durchdringung der Medien durch den Gedanken des Marketings, einerseits vielleicht durch Verschärfung des Wettbewerbs, andererseits aber auch wg. der zunehmenden Anzahl Journalisten, die auch im PR-Bereich arbeiten, und daher schon trainiert sind in Verkaufbarkeit zu denken, zurück.

    Das sind aber Spekulationen eines Außenstehenden.

    Dabei wundert mich, was die Sprecher für einen Eindruck von akademischer Psychologie haben – beschäftigt die sich nicht mit der Frage, was dem Menschen unter die Haut geht? Soll sich ein Journalist nur von seinen Gefühlen leiten lassen, oder soll er diese eigentlich auch reflektieren?

  23. Ja, kann sein.. mein Problem dabei ist wirklich nur dass ich das Wort’Emotionen‘ einfach zu häufig höre.
    Ich schätze Information (und auch UNterhaltung, wenn den wirklich unterhält was für mich seltener wird) wahrlich hoch genug um dafür zu sein, dass die Leute die das machen dafür werben dürfen.
    Diese ständige Zwangsemotionalität klingt für mich aber wie der Zwangsjoker aus dem Bullshit-Bingo der planlosen Führungsetagen.

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