Betrugsverdacht bei Call-TV-Shows: Drei Verhaftungen

Jahrelang haben die Betreiber von dubiosen Anrufsendungen das Recht genutzt, um ihre Kritiker einzuschüchtern, mundtot zu machen und in den Ruin zu treiben. Vielleicht wendet sich jetzt endlich das Blatt. Der österreichische „Standard“ berichtet, dass drei Verdächtige verhaftet worden seien, zwei in Deutschland, einer in Österreich. Es geht um gewerbsmäßigen Betrug beziehungsweise die Beihilfe dazu.

Die Vorwürfe der Wiener Staatsanwaltschaft entsprechen demnach ziemlich genau dem, was Kritiker den Verantwortlichen detailliert vorgeworfen haben und wofür sie unter anderem von Leuten wie Stephan Mayerbacher, dem ehemaligen Chef der Firma Callactive, die Call-TV-Sendungen unter anderem für MTV produzierte, mit Prozessen überzogen wurden: Die Zuschauer, die kostenpflichtig anriefen, um die Rätsel auf dem Bildschirm zu lösen, hätten gar keine Chance gehabt, durchgestellt zu werden und die ausgelobten Gewinne zu kassieren. Stattdessen seien, so zitiert der „Standard“, „instruierte Fake-Anrufer organisiert und eingesetzt“ worden:

Eingefädelt haben soll das 2004 der nun verhaftete Deutsche S. M., der mit seiner Gesellschaft die erste Call-in-Show in Österreich produziert hat (für ATV). Er habe einem Mitarbeiter des TV-Studios Marx Media Vienna (MMV) erklärt, er brauche Leute, die sich „während der Sendung gegen Bezahlung zur Verfügung halten“, um, ins Studio geschaltet, vorab bekanntgegebene Antworten auf die Quizfragen zu geben.

Genau so sei es gelaufen, mit Leuten, die der MMV-Mitarbeiter organisiert habe. Sie mussten nach dem Gewinn „ihrer Freude … Ausdruck verleihen“, während „echte“ Anrufer nicht durchgestellt wurden.

Ziel der Dramaturgie“ sei es gewesen, die Anruferzahlen hochzuhalten. Die Gewinne wurden allerdings wieder eingesammelt – bis auf 500 Euro, die die Helfer behalten durften.

 
Kleine Auswahl aus dem Archiv:

[via Twipsy]

29 Replies to “Betrugsverdacht bei Call-TV-Shows: Drei Verhaftungen”

  1. Das mundtot machen und in den Ruin treiben der Kritiker hätte damals ja nie funktioniert ohne die freundliche Hilfe deutscher Gerichte, die sich teilweise mit der Materie überhaupt nicht befasst hatten und, eines schlanken Fußes wegen, lieber noch eine Einstweilige Verfügung mehr raushauten als nötig. Mein Glauben an die deutsche Justiz hat damals jedenfalls einen erheblichen Schaden genommen. Es tröstet, dass diese Kriminellen nun hoffentlich verspätet doch noch die Strafe kriegen, die ihnen zusteht.

  2. Nicht nur die Justiz urteilte hier zweifelhaft, vor allem die Landesmedienanstalten, deren Aufgabe es ist und war, die Privatsender zu konrollieren haben damals erbärmlich versagt, nein, sie waren schlicht so verdammt untätig, dass ich immer noch der Meinung bin, dass Korruption im Spiel war (meine Meinung, durch Beweise nicht belegt).

    Besonders die bayerische Landesmedienanstalt „Bayerische Landeszentrale für neue Medien“ hätte den Sender 9live und Konsorten schon vor 10 jahren aus dem Verkehr ziehen müssen.

  3. Mich würde ja mal sehr interessieren, wie das so hinter den Kulissen, von diesen ganzen Telefon-Abstimmer-Shows (DSDS, Bundesvision Contest, Eurovision Vorauswahl) läuft.

  4. Gerade beim Zappen über das „Sport Quiz“ auf Sport 1 gestolpert (wird aber wg. Livesport gleich zu Ende sein). Laut Videotext lief das „Quiz“ seit 13:45 Uhr, also über 2 Stunden! Es gibt sie also immer noch, diese dubiosen Sendungen. Mir fehlt der Glaube, dass bei diesen Varianten im Gegensatz zu 9Live und Konsorten alles mit rechten Dingen zugehen soll.

    Am beruhigendsten ist aber, dass ich das hier überhaupt schreiben kann. Bei älteren Blog-Beiträgen zu Call-in-Shows hatte Stefan Niggemeier ja regelmäßig keine Kommentare zugelassen – aus Sorge um mögliche Abmahnungen. Das ist Gott sei Dank vorbei.

  5. Das ich das noch erleben darf!

    Jahrelang haben ich sowie diverse Mitglieder des Forums (ihr wisst, welches ich meine) und Blogger versucht, aufzuzeigen, mit welch dubiosen Methoden bei solchen Formaten gearbeitet wird bzw wurde: Videomitschnitte, Sendungsprotokolle etc. Doch wir alle wurden nur „müde belächelt“. Und wehe, der Ton und die Vermutungen wurden rauher oder detaillierter – schon schwangen jene Veranstalter die Juristenkeule und versandten Abmahnungen wie andere Firmen Werbeflyer.

    Und nun, rund 5 Jahre später, stellt sich also raus, daß eben jene Blogger und Forumsbetreiber doch gar nicht so falsch lagen. Ich für meinen Teil hatte jedoch schon damals Zweifel daran, daß die Betreiber dieser dubiosen Formate die Letzten sein werden, die mit einem breiten Grinsen die Prozessbühne verlassen werden. Und nun ist es endlich soweit.

    Schade nur, daß die deutsche Gerichtsbarkeit damals nicht schon die „Eier in der Hose hatte„, um hier genauer hinter die Vorwürfe und Kulissen zu schauen. Und wären die jetzt scheinbar zur Rechenschaft gezogenen Personen nicht so gierig gewesen und hätten auch versucht, die österreichische Telekom „abzuziehen“ – wer weiss, ob es dann überhaupt zu all den Ermittlungen gekommen wäre, die die österreichische Justiz jetzt an den Tag legt.

    Ich für meinen Teil freue mich jedoch schon jetzt auf den Tag, an dem in Österreich die letztinstanzlichen Schuldsprüche gesprochen werden und „hochrangige“ Call-TV-Abmahnkönige rechtskräftig verknackt werden und endgültig von der Bildfläche verschwinden. Dann können auch meine Ohren das fette grinsen in meinem Gesicht nicht stoppen.

    So long… Mork vom Ork

  6. @Marc Doehler: Aber das Geld, das wir und andere damals blechen mussten für diverse Niederlagen vor Gericht (immerhin größtenteils Spendengelder von Fans und Zuschauern, die uns immerhin vor dem kompletten finanziellen Absturz bewahrt haben), gibt uns niemand zurück. So sehr ich mich freue über diese Entwicklung, so verbittert bin ich dann doch im Rückblick.

  7. Ich habe jetzt einige der alten Blogeinträge gelesen und bleibe mit einer Frage zurück:
    Der Trost, im Rückblick der Geschichte, Recht gehabt zu haben, mag Genugtuung für die überlebenden Beteiligten sein, so wie ihr Vertrauen in die langfristige Überzeugungskraft des Wahren und Guten Antrieb ihres Handelns gegen Widerstände ist, – doch für einen Rechtsstaat kann der Verlass auf die Opferbereitschaft einiger seiner Bürger keine Maßschnur sein.
    Werden Personen, die von verwirrten Richtern verurteilt worden, die Vermutung eines mutmaßlichen Betrugs zu unterlassen, wenn der Betrug nachweislich kein mutmaßlicher mehr ist, entschädigt?

  8. @Schorsch und @Fernsehkritiker:

    das sehe ich anders: sollte es zi einem rechtskräftigen Schuldspruch gegen die Beteiligten kommen, der eindeutig festlegt, dass bei den Gewinnspielsendungen „betrogen“ wurde, so werde ich sehr gründlich prüfen lassen, ob es nicht doch eine Möglichkeit gibt, gegen die damals zu meinen Ungunsten ausgegangenen Verfahren Wiederspruch einzulegen.

    Ich habe das schon damals meinen Anwalt gefragt: was wäre, wenn sich eines Tages herrausstellt, daß all meine aufgestellten Behauptungen zutreffen und die Beteiligten mit genau den von mir behaupteten Methoden betrogen haben? Woraufhin mir mein Anwalt sagt, dann bestünde durchaus die Möglichkeit, auch im Nachhinein gegen die gesprochenen Urteile sozusagen nachträglich in Berufung zu gehen, da davon auszugehen ist, daß das Gericht zu einem anderen Urteil gekommen wäre, hätte es die vorliegende Sachlage genauer geprüft.

    Von daher bin ich der Meinung, daß wir (Stefan, Holger und ich) uns bei erfolgtem Beweis des gewerbsmäßigen Betruges durchaus nochmal zusammen setzen sollten und schauen, ob wir nicht gegen die damaligen Urteile nachträglich angehen können. Vielleicht können Holger und Stefan das ja ebenfalls nochmal prüfen lassen.

  9. @Marc: Du kannst aber nur gegen was in Berufung gehen was noch existent ist.
    Das Landgericht München verlangt z.B. noch immer 556 Euro Verfahrenskosten von mir trotzdem ich den Prozess gewonnen hatte. Begründung: Die Firma Primavera existiert nicht mehr, also muss ich eben zahlen. Irgendwoher muss das Geld ja kommen.

    Ich wünsche dir natürlich viel Glück dabei, aber das sieht düster aus. Vor allem wenn du etwas anerkannt hast, wird das nicht mehr rückgängig zu machen sein.

  10. Und hier durfte solch ein Schmodder 10 Jahre lang einen eigenen Sender haben, ohne dass dagegen vorgegangen wurde. Dessen Moderatoren haben ihr Geld hinterher teilweise auch im öffentlich-rechtlichen TV verdient. Zuletzt am Dienstag durfte dort noch eine von denen fröhlich in die Kamera grinsen.

    Ich hoffe, dass im Zuge dieser Nachrichten ehemalige Angestellte von 9Live doch mal den Mund aufmachen. Vielleicht kriegt man die Verantwortlichen doch noch dran.

  11. Wie sieht es bei sowas eigentlich juristisch mit Mitwisser- und Mittäterschaft aus? Beteiligt sind da ja nicht nur Produktionsfirmeninhaber und Fake-Anrufer. Um sowas durchzuziehen braucht es durchaus einiges an Koordination hinter den Kulissen, und aktives Eingreifen seitens Regie und Assistenz. Und die Moderatoren haben natürlich durchweg aktiv geködert. Schwer vorstellbar dass die nicht gewusst haben sollen was da vor sich geht (es gab ja durchaus auch mal einen verräterischen Verplapperer oder schnippischen Kommentar). Höre ich da etwa den einen oder anderen Kronzeugen im Busch rascheln?

  12. @nona
    Kronzeugen gibt es. Und was Du meinst, ist Beihilfe, und deswegen wurde auch emittelt (steht im Standard-Artikel). Es wurde ja auch tw. eidesstattliche Versicherungen abgegeben, die man nochmal auf den Prüfstand stellen könnte.

  13. Hatte Nigge nicht damals auch einen Prozess in der Sache am Hals, als ein pöser Kommentar in seinem Blog (mitten in der Nacht, trotzdem fast sofort von Nigge gelöscht) über diese Shows von den Showmachern abgemahnt wurde? Und Nigge hat (natürlich in HH und trotz RA Schertz) damals gegen die verloren.

  14. Ein Moderator wusste nachweisslich davon, das war S.S. und die Koffer 16-Geschichte. Hier wurde der Koffer nachweislich während der Live-Sendung ausgetauscht (zuerst gelber Umschlag im Koffer, später 10000 CHF ohne Unschlag). S.S. verliess das Studio nie und moderierte pausenlos (keine Toulettenpause, keine Sequenzen ohne Moderation). S.S. hat die nachträgliche Bestückung des Koffers und die Tatsache, dass es ausgeschlossen war, 10000 CHF zu gewinnen, nachweislich mitbekommen. Die Koffer 16-Geschichte ist Bestandteil von Döhlers Film „Anrufen und gewinnen“.

  15. Tja, ich vermute auch, dass im Endeffekt bei jeder Anruf-Sendung beschissen wird. Und müssten dann die Telefonierer von DSDS und ähnlichem nicht noch enttäuschter sein? Schließlich werden sie in dem Glauben gelassen, dass sie das Ergebnis beeinflusst haben. Würde mich wirklich interessieren, wie das tatsächlich läuft. Aber da wird vermutlich nie jemand vor Gericht gestellt…

  16. @Marc Döhler, denkst Du auch, dass bei 9Live so gearbeitet wurde? Der Stimmenverzerrer bei Dauergewinner Tobias ist doch eindeutig und irgendwie glaube ich auch nicht mehr an den Stirnlappenbasilisk, vermute da eher doch einen Fakeanruf. Auch bei 9Live gibts doch Videobeweise, dass neben merkwürkwürdigen Lösungen auch z.B. Bälle bei Ziehungen manipuliert wurden. Das muss doch jetzt auch rechtliche Konsequenzen haben. Oder kann man da nichts mehr machen?

  17. Schade, dass es für 9Live nicht so ein Video gibt, wo man alle Merkwürdigkeiten hintereinander gereiht mal sehen kann

  18. Ich habe mich durch das verlinkte Archiv gelesen (einige weitere Artikel waren übrigens nur durch Querverweise zu finden; anscheinend sind sie nicht mit „Call-TV“ getagt) und muss sagen: Das hat ja echt lang genug gedauert, bis da endlich jemand Handlungsbedarf in Richtung Strafverfolgung gesehen hat.
    Aber es gibt zumindest ein wenig Hoffnung, dass diese Geschäftsmethoden doch noch Folgen für die Verursacher haben, auch wenn die vielen Geschädigten ihr Geld sicher nicht mehr zurückbekommen werden.
    Auf das Thema grundsätzlich bin ich damals übrigens über das Top-10-Ranking der 10 bemerkenswertesten Gewinnspielauflösungen bei Fernsehkritik.tv aufmerksam geworden. Ich selbst hab mir nie solche Sendungen angesehen.

  19. Marc Döhler hat angekündigt, dass er morgen von RTL für Punkt12 interviewt wird. Was daraus wird, kann man natürlich noch nicht sagen.
    Des weiteren gibts heute einen Beitrag im Schweizer Fernsehmagazin „Kassensturz“. Ich werde das dann verlinken.

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