Griechenland will den Euro verlassen oder nicht oder ist auch egal.

Ich fürchte, dass selbst Sisyphos den Auftrag ablehnen würde, all die Fehler, Irrtümer, Boshaftigkeiten, Unterstellungen, Voreingenommenheiten, Verdrehungen und Ressentiments in der Berichterstattung deutscher Medien über die neue griechische Regierung richtigzustellen, aus Sorge, die Aufgabe könnte ihn zu einem unglücklichen Menschen machen. Und natürlich wäre es komplett absurd, damit ausgerechnet bei einem Medium von der Seriosität von „Focus Online“ anzufangen.

Aber aus irgendeinem Grund bin ich über ein Video dort gestolpert und fand es auf noch mal besondere Art ekelhaft. Die „Focus Online“-Redakteurin Antonia Schäfer belehrt darin in einem Tonfall großer Herablassung den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tispras, dass er ein Idiot ist. Die Pläne der neuen Regierung seien

in etwa so, als würde ich zu meinem Bankberater gehen und sagen: Sie sind ein mieses Arschloch, ich behalte ihr Geld aber trotzdem und will noch mehr haben.

Sie erklärt, was ein „Dirty Grexit“ sei, ein „schmutziger Austritt Griechenlands“ aus dem Euro, und sagt:

Das bezieht sich darauf, dass der griechische Finanzminister angekündigt hat, die Eurozone verlassen zu wollen und nicht mehr mit der Troika zu kooperieren. Sollte Griechenland aber wirklich aus dem Euro austreten wollen, schadet das Griechenland. Und nicht dem Rest Europas.

Dem ließe sich nun einiges entgegnen. Ich möchte es bei dem Offensichtlichsten belassen: Der griechische Finanzminister hat nicht angekündigt, die Eurozone zu verlassen. Er wird, im Gegenteil, nicht müde, zu betonen, dass er die Eurozone nicht verlassen will.

Ich habe Daniel Steil, den Chefredakteur von „Focus Online“ gefragt, wie Frau Schäfer darauf kommt. Er antwortete mir, „Focus Online“ sei hier ein „Fehler unterlaufen“:

Die Aussagen des Finanzminsters wurden am Wochenende zwar dahingehend interpretiert, im O-Ton hat er das aber nicht gesagt. Wir ändern das ab.

Und tatsächlich: „Focus Online“ hat den ersten Satz unauffällig aus dem Video herausgeschnitten. Nun sagt Frau Schäfer folgendes:

Das bezieht sich darauf, dass der griechische Finanzminister angekündigt hat, die Eurozone verlassen zu wollen und nicht mehr mit der Troika zu kooperieren. Sollte Griechenland aber wirklich aus dem Euro austreten wollen, schadet das Griechenland. Und nicht dem Rest Europas. Direkt nach dem Vorstoß seines Finanzministers wendete Tsipras sich an die Führer der EU.

Nun ist also von einem „Vorstoß seines Finanzministers“ die Rede, von dem nicht mehr die Rede ist. „Focus Online“ hat aus einem grotesk falschen ein komplett unverständliches Video gemacht. Mehr kann man von diesem Angebot aus dem Hause Burda nicht verlangen.

Und die Frau, die einen Austritt aus dem Euro nicht von keinem Austritt aus dem Euro unterscheiden kann, erklärt dem Publikum weiter kindgerecht, was da gerade (nicht) passiert.

(Kann es eigentlich sein, dass Burda seine rein werbefinanzierten Online-Angebote „Focus Online“ und „Huffington Post“ in Wahrheit heimlich im Auftrag von Springer betreibt, um täglich anschaulich für Paid Content zu werben?)

27 Replies to “Griechenland will den Euro verlassen oder nicht oder ist auch egal.”

  1. „(Kann es eigentlich sein, dass Burda seine rein werbefinanzierten Online-Angebote „Focus Online“ und „Huffington Post“ in Wahrheit heimlich im Auftrag von Springer betreibt, um täglich anschaulich für Paid Content zu werben?)“

    Wieso? Ist die Qualität dort höher?

  2. Gut zu wissen, was ich mir nicht anschauen muss..

    Burda als Knecht vom Springer? klingt nach ‚Verschwörungstheorie’… hat lange gedauert, aber bei manchen weiß man, sie wollen was verändern. Und Stefan ist so einer. Ich freue mich schon auf die Reaktionen.. Morgen sieht die Welt schon wieder anders aus. Gute Nacht :)

  3. „all die Fehler, Irrtümer, Boshaftigkeiten, Unterstellungen, Voreingenommenheiten, Verdrehungen und Ressentiments in der Berichterstattung deutscher Medien“

    Ich würde trotzdem nicht von Lügenpresse sprechen. Sicherlich handelt es sich hier um eine Ausnahme und alle anderen Bereiche werden brutalstmöglich qualitätsjournalistisch aufgearbeitet.

  4. vom inhaltlichen mal ganz abgesehen:
    Da stehe eine Frau an einem Bistrotisch und hantiert mit Jetoins und Spielkarten.
    Kann sich Burda kein Editing leisten? Das wirkt wie in der Mittagspause schnell aufgenommen (ist es wahrscheinlich auch) aber Hauptsache mal ein Video gedreht.

  5. Falsche Betonung, unterschiedliche Tempi, starrer Blick, an diesem Video stimmt fast nix. So sieht das eben aus, wenn Amateure mitmischen wollen. Ach, was sag ich. Amateure können das um Längen besser.

  6. Ich bin dafür, Erklär-Videos dem Armin Maiwald zu überlassen. Seine Erklärungen stimmen und sind auch für Focus-Online „Journalisten“ verständlich.

  7. Der Focus war ja mal das Hausblatt der FDP. Jetzt wandert man auf der Suche nach einer neuen Heimat zur AfD.
    Schlimm auch, dass Magazine, Print oder TV, sich immer dazu verpflichtet fühlen, Dinge auf vereinfachtem Niveau zu erklären. Gerne wird dann eine Kinderstimme als Erzähler benutzt oder irgendwelche Vergleiche aus dem Fussball herangezogen. Als gut informierter Mensch kann man sich dagegen wehren, aber die Uninformierten (für die ich auch Verständnis habe) kriegen eine verzerrte Sicht präsentiert, im Focus vermutlich die Sicht derer, die mit griechischen Staatsanleihen zocken.

  8. Ich frage mich bei sowas immer, hier zum Beispiel Antonia Schäfer oder Daniel Steil: Glauben die das selber, was sie da sagen? Oder zumindest Teile dessen? Oder sehen sie sich tatsächlich als Vertreter bestimmter Interessen, wofür man halt auch die Wahrheit mal bewusst ein bisschen modifizieren muss?

  9. Er antwortete mir, „Focus Online“ sei hier ein „Fehler unterlaufen“:

    Trägt der Fehler einen blonden Pisspottschnit und Brille? Oder war’s die Gründung der Tomorrow Focus AG? Oder doch eher die Empfängnis dessen, was acht, neun Monate später Helmut Markwort genannt wurde?

  10. Die nicht unkomplexen Vorgänge rund um die Eurokrise kindgerecht zu erklären finde ich grundsätzlich gut. Natürlich muss der Betrag inhaltlich auch stimmen. Das gilt für das erste hier dokumentierte Video definitiv nicht.

    Das zweite Video aber ist inhaltlich richtig – ich konnte zumindest keinen eindeutigen Fehler finden. Du sagst, Stefan, dass die Moderatorin erklärt, was (nicht) passiert. Was meinst du damit?

    „Eines davon hat die EZB gestern ausgespielt – und den Griechen damit einen wichtigen Geldhahn abgedreht.
    Bislang konnte Griechenland sich durch ein Schlupfloch stets frisches Geld besorgen. Ausnahmsweise akzeptierte die EZB griechische Staatsanleihen als Sicherheit, unabhängig von ihrer Bonität. Das ist nun vorbei.“

    Abgesehen davon, dass hier die übliche Griechenland-Verachtung (Motto: „Der Schuldner ist schuld“) den Ton des Kommentars dominiert, deckt sich die Erklärung mit dem, was ich gelesen habe.

    Gut – es wird offenbar ganz und gar unkritisch akzeptiert, dass die EZB hier politisch eingreift, was sie eigentlich nicht darf, – aber eine Tatsachenverdrehung kann ich in diesem Beitrag nicht finden.

  11. Dass sich Nigge immer mit diesem Dr’ck abgibt, abgeben muss, er tut mir etwas leid. Der Schlagerkram (für mich genau so eklig) macht ihm ja wenigstens noch Spaß. Jedenfalls hatte es bisher den Anschein.
    Das Lesen der Qualitätsmedien wird bei mir seit deren Ukraine-„Artikeln“ immer weniger. Vorher war’s nur deren oftmaliger ahnungsloser Quatsch in den Feuilletons, heut ist’s auch die Politik. Tagesspiegel und SZ sind bei mir schon unter den Tisch gefallen, wann kommt ZEIT, FAZ … dran? (Focus las ich noch nie; ich bin doch nicht blöd).
    Fefe oder die Nachdenkseiten, auch Heise bringt mehr.
    .
    Selbst Schuld, diese ehemaligen wichtigen Meinungs- und Nachrichten-Blätter, wenn sie kein Denkender mehr Ernst nimmt; leider gibt’s noch reichlich andere, die offenbar alles schlucken: siehe die immer noch hohen Auflagen all der bunten Wochen-Blättter und der Blödzeitung wie auch ihrer schmuddligen kleinen Tochter in Berlin, die „B.Z.“).

  12. @ Piet:

    Naja, es wird halt nicht zwischen dem griechischen Staat und den griechischen Banken unterschieden. Es hört sich so an, als ob jetzt der griechische Staat sich nicht mehr weiter verschulden könne. Tatsächlich betrifft die EZB-Entscheidung aber die griechischen Banken, die sich nun bei der EZB nicht mehr Geld beschaffen können, in dem sie griechische Staatsanleihen als Sicherheit hinterlegen. Es wird aber weiterhin möglich sein, für griechische Banken sich bei ihrer eigenen, griechischen Zentralbank, mit griechischen Staatsanleihen als Sicherheit, Geld zu leihen, zu einem etwas höheren Preis. Diese Unterscheidung zwischen den griechischen Banken und dem griechischen Staat wird sehr gerne unter den Tisch gekehrt. Es wird dann allgemein von „den Griechen“ geredet, und ein schönes Feindbild aufgebaut. Der griechische Staat hat ja, wenn man die Zinsen auf die Schulden abzieht, einen Überschuss. Syriza will die Schulden erst mal stunden, so dass dieser Überschuss zum Abbau der Schulden benutzt werden kann. Aber auch diese Feinheit, wie Herr Niggemeier ja schon schrieb, wird unter den Tisch gekehrt.

  13. Ob sie das selber glaubt, was sie da zum besten gibt? Nun, sie bemüht sich. Und schiebt die Satz- und Worthülsen gedanken- und empathielos übers Videoband, wie die Discounterkassenfrau die Artikel übers Laufband und den Scanner. Am Ende gibt’s ja wenigstens ein bisserl Geld dafür. Von irgendwas muss man schließlich leben.

  14. @ #4, Wilz
    Angesichts der »Boshaftigkeiten, Unterstellungen, Voreingenommenheiten, Verdrehungen und Ressentiments in der Berichterstattung [diverser] deutscher Medien über die neue griechische Regierung« nicht von einer Lügenpresse sprechen zu wollen, setzt mittlerweile freilich ein gehörig Maß an gutem Willen voraus.

  15. Aber aus irgendeinem Grund bin ich über ein Video dort gestolpert und fand es auf noch mal besondere Art ekelhaft.

    Wenn dieser besondere Grund Antonia Schäfer ist, genauer gesagt ihr Auftreten, kann ich das verstehen. Dieser Ton und dieser Blick sind ja gruselig.
    Inhaltlich kann ich an dem Video jetzt nichts besonders Schlimmes (mehr) finden. Auch der Bankberater-Vergleich ist zugespitzt und schief, wie alle Vergleiche, aber auch nicht völlig neben der Realität. Jedenfalls auch nicht weit neben der sonstigen Berichterstattung zu dem Thema.
    Ich finde auch nicht, dass das Video durch das Streichen des falschen Satzes komplett unverständlich geworden ist. Das Video beginnt mit dem Satz „Griechenland möchte die Zusammenarbeit mit der Troika aufkündigen, aber trotzdem gerne weiter Geld haben.“ So kann man durchaus noch verstehen, worin der griechische „Vorstoß“ der Sache nach bestehen soll, wenn auch nicht mehr in Bezug auf die Person des Finanzministers (dessen Bild nun auch ohne weiteren Bezug eingeblendet wird).

  16. Es ist zwar noch selten, aber immer häufiger tauchen hier Meinungen auf, die für eine medienkritische Betrachtung Journalismus einfordern. Das Beispiel oben hat doch mit dem Gegenstand Journalismus nichts zu tun. Allerdings handelt es sich um ein Medium. Wo geht denn die Reise hier jetzt hin? Wollen wir über Journalismus sprechen? Oder über Medien? Ist, glaube ich, an der Zeit, hier zu trennen.

  17. So gräßlich die Videos inhaltlich wie formal sind, scheinen sie mir doch voll und ganz auf der üblichen Linie des Focus zu liegen, der sich schon immer eher als Wellness-Produkt für sein Publikum denn als Informationsmedium verstanden hat.

    Mein Vater war sein halbes Leben lang Spiegel-Abonnent, aber immer wenn dort etwas drinstand, das ihm nicht gefiel oder das eventuell am einen oder anderen seiner Ressentiments rührte, überantwortete er die betreffende Ausgabe umgehend dem Altpapier und kaufte sich stattdessen einen Focus. Sofort war die Welt wieder in Ordnung.

  18. Die Dame ist allerdings repräsentativ für die grauenhafte Finanzberichterstattung in deutschen Leitmedien. BWL/VWL Grundkenntnisse reichen, um Veröffentlichungen von Nobelpreisträgern zu kritisieren; wenn selbst das nicht vorhanden ist, gehts in die Börsenberichterstattung oder man interviewt mal schnell den DAX-CFO. Die steilste Kurve hat dabei das Handelsblatt hingelegt, allenfalls FAZ und Börsenzeitung sind hierfür noch lesenswert. An der Auflage kann man leider den Qualitätsunterschied nicht erkennen, Millionen Fliegen können sich halt auch nicht irren.

  19. @6 oder vielleicht besser: „denselben“? Was sind „gleiche Dichter“? Alle sind doch gleich dicht.

  20. Kinderfernsehen für Arme! Die Poker-Idee finde ich so schlecht nicht, aber diese belehrende (unausgebildete) Stimme… da sieht man über Kleinigkeiten gleich hinweg (wie die Text-Bild-Schere A. i. Ärmel, obwohl es in der Hand gehalten wird)

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