Brief an Hermann Beckfeld, Chefredakteur der „Ruhr Nachrichten“

Lieber Hermann Beckfeld,

seit mehr als drei Jahren versenden Sie nun Briefe. Nicht einfach so, mit der Post, wie jeder andere; Sie schreiben Ihre Briefe öffentlich, in die „Ruhr Nachrichten“, weil Sie es können, Sie sind ja Chefredakteur – wer sollte es Ihnen also verbieten?

Mehr als 100 Briefe haben Sie bis heute verfasst, alle zwei Wochen kommt ein weiterer hinzu. Sie schreiben an alle möglichen Menschen: an Prominente, an Politiker, an Lottogewinner, an Mütter, an Ihre Pförtnerin, an andere Chefredakteure und zur Not auch mal an Roman-Figuren oder – als ob die im Himmel die „Ruhr Nachrichten“ läsen! – an Verstorbene.

Eigentlich hätten Sie „längst aufgehört, diese Briefe zu schreiben“, schreiben Sie in einem dieser Briefe, und ich sähe dafür auch gute Gründe, aber Ihre Leser bestärken Sie angeblich weiterzumachen. Sogar ein Verlag hat sich inzwischen gefunden, der die Briefe als Buch vertreibt. Mit diesem Buch gehen Sie auf Lesereise. Da sitzen dann Prominente neben Ihnen, zum Beispiel Peter Maffay. Es wird viel gelacht.

Auch ich lese gelegentlich, was Sie, der Franz-Josef Wagner des Ruhrgebiets, so dichten. Wenn mein Pathos gerade knapp ist oder ich nur noch wenig Schwulst im Haus habe, schaue ich einfach in einen Ihrer Briefe; da ist immer von allem genug, zuweilen gar so viel, dass ich Vorrat für ein ganzes Jahr habe.

scrrenshot ruhrnachrichten.de 14.7.2015

Manchmal frage ich mich dann, wie Sie Ihre Briefe schreiben. Ich stelle mir vor, dass Sie dabei knien oder eine ähnlich anbetende Haltung einnehmen, um zum Beispiel Robbie Williams zuzukumpeln, dass Sie (bis auf den jungen Boris Becker) keinen kennen, der so „unvergleichlich authentisch“ sei, eine so „magnetische Anziehungskraft“ habe und ein so „unwiderstehliches Lächeln“; oder, kurz geschrieben: dass Sie niemanden (bis auf Boris Becker) kennen, der „solch eine Ausstrahlung hat wie Du“.

Oder Sie schreiben an die Eiskunstläuferin Katarina Witt, das „schönste Gesicht des Sozialismus“, den „Kufen- und Kurvenstar“, der „für den Erfolg mit so vielen blauen Flecken bezahlte, nicht nur auf der Haut“.

Oder, und nun wird es interessant: an Klaus Engel, den Chef des Essener Chemie-Konzerns Evonik, ein Unternehmen gleich bei Ihnen umme Ecke. „Sehr geehrter Herr Dr. Engel“, heben Sie an, um den Manager dann für seine „ehrliche[n] Aussagen“ und seine „wertvolle[n] Ratschläge“ zu ehren. Sie preisen das für Engel angeblich „typische Lächeln, das eigentlich gar nicht zu einem Manager passt“, ein Lächeln, „so menschlich natürlich, das Bescheidenheit, ja, fast Schüchternheit ausstrahlt“. Sie himmeln Engel förmlich an, beruflich wie privat: „Ich weiß, dass Sie niemals versäumen würden, den Hochzeitstag mit Ihrer Frau zu feiern.“

Auch wenn Sie an Pressesprecher oder Politiker oder an beide in einer Person schreiben, ist Ihnen so etwas wie journalistische Distanz eher lästig. An den ehemaligen Bürgermeister der Stadt Obertauern, der dort auch ein Hotel betreibt und einst Tourismus-Chef war, schreiben Sie: „Unter all den Weltmeistern bist Du für mich der Champion“, und mit diesem Weltmeister-Champion würden Sie gerne mal wieder „bei einem Gläschen Rotwein“ an seiner Bar sitzen. „Dein Tisch war stets umlagert, weil Du es schon immer blendend verstanden hast, uns Journalisten einzufangen“. Und wie gut der Ex-Tourismus-Bürgermeister darin ist, im Einfangen, dafür ist Ihr Brief der beste Beleg.

Auch die Chefin der Tourismus GmbH in Rheinland-Pfalz, die „liebe Gabi“, hat Ihr Herz geklaut, vor 40 Jahren schon, „40 Jahre, in denen ich Deine Arbeit schätzen lernte“. Und: „Wie habe ich Dich jedes Jahr auf der Internationalen Tourismus-Börse in Berlin, an Eurem Stand in einer stickigen Messehalle bewundert.“ Also, wäre ich die Gabi, ich würde mich freuen über einen Chefredakteur zu meinen Füßen, der so verlässlich meine Arbeit macht und einen Brief in seine Zeitung tippt, der klingt, als wäre er aus Pressemitteilungen der Tourismus GmbH zusammenkopiert.

Aber sicher liegt es nur an der guten Arbeit der Tourismus-Chefin, dass man zudem etliche Artikel über Ausflugsziele und Veranstaltungen in Rheinland-Pfalz in den „Ruhr Nachrichten“ findet. Und nicht etwa daran, dass Sie Ihren Redakteuren Gabis Pressemitteilungen wärmstens ans Herz legen.

Lieber Hermann Beckfeld,

im Kern, das haben Sie sicher schon gemerkt, bewundere ich Sie ein bisschen.

Nicht für die Briefe. Aber dafür, dass es bei Ihnen im Verlag und in der Redaktion offenbar niemanden gibt, der Ihnen die Tastatur wegnimmt. Und dafür, dass Ihre Leserinnen und Leser Sie angeblich dafür auch noch rühmen, dass Sie so unzertrennlich eng mit allen sind.

Das ist verrückt. Das ist selten. Das wäre mal ein Thema für einen Dankesbrief.

Supernette Grüße
Boris Rosenkranz

PS. Der Vollständigkeit halber: Ich war so zwischen 2001 und 2004 freier Mitarbeiter in der – inzwischen geschlossenen – Bochumer Redaktion der „Ruhr Nachrichten“.

10 Replies to “Brief an Hermann Beckfeld, Chefredakteur der „Ruhr Nachrichten“”

  1. …Und dafür, dass Ihre Leserinnen und Leser Sie angeblich dafür auch noch rühmen, dass Sie so unzertrennlich eng mit allen sind…

    DAS glaube ich aufs Wort. Und nur über Wärme, Empathie, Gefühl und Herz funktioniert Lokaljournalismus. Herr Beckfeld hat das als Profi begriffen. Als peinlich oder anbiedernd empfindet solche Testimonials nur eine Minderheit, die sich außerdem auch noch nie mit dem Gedanken an ein Abo beschäftigt hat.

  2. Vielen Dank für diesen Brief, jedes mal, wenn ich die Wochenendseite der Ruhr Nachrichten aufschlage und diesen Versuch sehe, ein bisschen wie Franz-Josef Wagner zu sein, lässt mich kurzzeitig mein Abonnement bereuen.
    Als Herr Beckfeld in einer Beilage die „Weight Watchers“ abgefeiert hat, habe ich lange nach dem Wort „Anzeige“ um den Artikel herum gesucht.

  3. Wenn er der Wagner mit äh-an der Ruhr ist, müsste er dann nicht auch paar Leute „dissen“?
    Etwa Tsipras, Weselsky o.ä.
    Kommt schön, bestimmt. Damit das Klischee auch aufgeht. :-)

  4. …zumindest das „schönste Gesicht des Sozialismus“ ist keine Anbiederung von Herrn Beckfeld, sondern das Aufgreifen einer Bezeichnung, die Katarina Witt schon in Vor-Wende-Zeiten verliehen wurde, wie die „Mutter der Nation“ für Inge Meysel.

  5. Natürlich hat Herr Boris R. kein Hühnchen mehr zu rupfen mit dem Chefredakteur aus seiner Zeit von etwas über einem Jahrzehnt, aber i wo, nicht doch, auch gar keinen Fall.
    Der Herr Chefredakteur aus dem Ruhrgebiet mag seicht schreiben, auch etwas triefend, aber er scheint freundlich mit allen zurecht zu kommen. Kann man drüber lächeln, aber mehr nicht.
    Ihn mit dem unsäglichen, oft beleidigenden Wagner zu vergleichen …musste das sein? Nein, das muss nicht sein. Denn solch Vergleich ist absurd. Und wahrlich beleidigend.

    Es gibt reichlich lohnendere Ziele. Aber womöglich wissen die sich zu wehren?

  6. @kdm: Ganz ehrlich, F.J Wagner ist mir im Vergleich sogar sympathischer (Ein Satz, von dem ich auch nicht gedacht hätte, dass ich ihn mal sagen würde…) – seine groteske, aber irgendwie liebenswerte Mischung aus Metapher-Wirrwar, Pathos und Stammtisch-Polemik hat wenigstens Absurdität und unfreiwillige Komik, während dieser Herr einfach nur ein anbiedernder Schleimer zu sein scheint. Und ich denke definitiv nicht, dass Herr Rosenkranz hier nachtreten will zumal bei einem Arbeitsverhältnis, das offenbar 10 Jahre zurück liegt. Er hat halt mal wieder was gefunden, woran er ein Bisschen seine typische Häme auslassen kann, nicht mehr und nicht weniger. Und warum sollte ein Chefredakteur einer auflagenstarken Zeitung sich nicht wehren können?

  7. Ich bin sehr froh darüber, dass Herrn Beckfeld nicht die Tastatur weggenommen wird, denn ich freue mich jede Woche Samstag erneut darauf die Briefe vom Chefredakteur lesen zu dürfen. Klasse finde ich, dass Herr Beckfeld hierbei stets authentisch und ehrlich schreibt, aber dabei niemals die nötige kritische Betrachtung außen vor lässt.
    Aus meinem Freundeskreis weiß ich, dass Herr Beckfeld mit seinen Briefen vielen Menschen Freude und Kraft schenkt. Letzten Sonntag habe ich Ihn persönlich bei einer Lesung in Essen kennenlernen dürfen und ich muss sagen, dass mich dieser Mann in natura wirklich bewegt hat und mich fasziniert. Es sollte mehr von solch starken Persönlichkeiten geben!

    @ Boris Rosenkranz: Es ist nicht schlimm, wenn Sie neidisch auf Herrn Beckfeld sind. Manche schreiben über Chefredakteure und andere sind es ;-)

  8. Es wird höchste Zeit,daß Hermann Be.aus Bo.einen Doppelbrief an die großen Deutschen Daniel Kübeleisen und Florian Silberböck verfaßt.

Comments are closed.