Sex auf dem Stromkasten

Durch einige Redaktionen des Landes hallte dieser Tage ein kollektives „Höhö“, mancherorts war auch ein leises Hecheln zu hören oder, im Zimmer eines Chefredakteurs, sogar ein Grunzen. Der Grund: die Aufklärungssendung „Make Love“ im ZDF, die schon von sich reden machte, als sie noch im MDR lief.

Nun erklärt das ZDF: „Liebe machen kann man lernen“. Und wieder stürzt sich die einschlägige Journaille auf die durchaus expliziten Sex-Szenen, die allerdings so behutsam inszeniert sind, dass man schon äußerst katholisch leben muss, damit einem das aufstößt. Aber ein erigierter Penis, zumal im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, sorgt eben auch 2015 noch für catchy Überschriften (siehe oben) und ein wenig schwülwarme Restempörung, die manchmal lustig ist, manchmal bigott, wenn sie ausgerechnet aus der Redaktion der „Bild“ herüberweht.

Worüber kaum jemand spricht, ist die altbackene, teils rätselhafte Bildsprache, auch jenseits der Sexszenen, mit der „Make Love“ schon im MDR auffiel. Zu Beginn dieser Staffel nun sieht man zunächst, wie sich Moderatorin und Sex-Therapeutin Ann-Marlene Henning ein Paar beim Sex ansieht. Auf einer Hauswand.

Screenshot "Make Love" (ZDF) 28.7.2015

Manchmal scheint sie selbst überrascht, was da auf der Hauswand so passiert, auch wenn sie das beim Dreh gar nicht sehen konnte, weil die Szenen ja erst im Schnitt eingefügt wurden. Aber Phantasie ist beim Sex bekanntlich nicht abträglich.

Screenshot "Make Love" (ZDF) 28.7.2015

Eigenartiger wird es, wenn ein Professor die Dinge einordnet, aber nie im Vollbild zu sehen ist. Auch der Professor redet auf Häusern, über die er halbtransparent gelegt wird. Was leider dazu führt, dass der Professor Fenster auf der Wange hat. Oder auf dem Ohr. Jedenfalls in den Fällen, in den man ihn nicht erst suchen muss. Das sieht alles nicht nur komisch aus, ich kann mich auch nicht mehr erinnern, was der Professor überhaupt gesagt hat.

Screenshot "Make Love" (ZDF) 28.7.2015

Screenshot "Make Love" (ZDF) 28.7.2015

Screenshot "Make Love" (ZDF) 28.7.2015

Beim letzten Bild ist es übrigens offenbar so, dass der Professor das, was er sagt, zu Frau Henning sagt, die – kaum zu erkennen – links neben dem Professor über den Bürgersteig schlendert. Ist jetzt nicht so nett. Läuft sie einfach weg, während der Professor mit ihr spricht. Aber, andererseits: Sie haben den Professor ja auch auf Heuballen projiziert. Ein Meilenhaufen der Bildgestaltung.

Screenshot "Make Love" (ZDF) 28.7.2015

Vermutlich liegt der inhaltliche Bezug zum Thema irgendwo hinten im Feld und zieht sich gerade aus, aber so richtig erschließt sich das nicht. In der ersten Staffel wurde der Professor manchmal auf eine aus der Vogelperspektive aufgenommene Straße projiziert, auf der Autos fahren. Er lag quasi auf der Fahrbahn. Ein Kollege wies mich damals darauf hin, dass der Professor ja über, höhö, Verkehr rede, es also logisch sei, dass er das auch im Verkehr mache.

Das Schlimme ist: Ich fürchte seither, dass das tatsächlich so gemeint war.

Die schriftlichen Infos bei „Make Love“ sind ebenfalls Text-Bild-Rätsel. Meistens stehen sie so in der Landschaft rum, zum Beispiel vor einer Kirche. Manchmal läuft die Moderatorin auch an den Buchstaben vorbei und wirft einen Schatten auf sie, was sicher die ein oder andere Graphik-Stunde gekostet hat.

Screenshot "Make Love" (ZDF) 28.7.2015

Oder die Buchstaben werden lustig von Wasser aus einem Wasserrad weggespült.

Screengif "Make Love" (ZDF) 28.7.2015

Und irgendeinen Grund wird es haben, dass die „weibliche Ejakulation“ aus dem Himmel purzelt und auf einer Dachrinne landet, wo sie dann, wie ihre Freunde vor der Kirche, ein wenig rumsteht.

Screengif "Make Love" (ZDF) 28.7.2015

Die „weibliche Ejakulation“ auf der Mauer vor dem Wasserrad einzublenden, wäre ja noch halbwegs einleuchtend gewesen – aber auf einer Dachrinne?

Und was soll uns das nächste Bild sagen? Wir sehen: Eine Frau, die offenbar mit ihrem Smartphone eine Hauswand aufnimmt, auf der ein Paar Sex hat, was mittels einer Art Röntgen-Graphik verdeutlicht wird. Sehr modern. (Bis auf den Rock.)

Aber was wird eingeblendet und worum geht es im Off-Text?

Screenshot "Make Love" (ZDF) 28.7.2015

Genau, um die Zeit „300 v. Chr.“ – und, ja, ich weiß, dass es aus dieser Zeit keine Filmaufnahmen gibt. Aber ich glaube, dass man das mit den Mitteln des Fernsehens alles logischer, packender, also kurz: besser machen kann, machen muss.

Allerdings geht einem dann unter Umständen, wenn man anschließend darüber schreibt, eine super klickbare Überschrift (siehe oben) flöten.

Screenshot "Make Love" (ZDF) 28.7.2015

Die nächste Folge von „Make Love“, dann zum Thema „Sex trotz Hindernissen“, läuft am 4. August 2015 um 22.45 Uhr im ZDF. Die erste Folge ist hier (immer ab 22 Uhr) zu sehen.

33 Replies to “Sex auf dem Stromkasten”

  1. Der Stromkasten und Heuhaufen sind für die Insider, die das Zitat „Warum liegt hier überhaupt Stroh ‚rum?“ – „Und warum hast du ’ne Maske auf?“ kennen.

  2. Als jemand, der nur ein paar Folgen aus der ersten Staffel gesehen hat, habe ich die Überblendungen im Straßenbild so interpretiert, dass die Macher damit die Diskrepanz auf die Schippe nehmen wollten, dass jeder in irgendeiner Form Sex hat, aber fast niemand darüber in ernsthafter und offener Form öffentlich spricht. So ähnlich hat Frau Henning das auch in den Begleitinterviews damals ausgedrückt.

    Der exzessive Einsatz von fallenden Buchstaben ist mir aber nicht mehr so erinnerlich. Vielleicht hatte das ZDF ein dringendes Bedürfnis, diesbezüglich zu den vom hr produzierten ARD-Checks aufzuschließen, die vor ein paar Monaten ebenfalls Thema hier im Blog waren?

  3. Hab die Sendung noch nicht gesehen, aber bei den Hausfassaden könnte es ja darum gehen, was sich hinter diesen, in den Schlafzimmern der Nation abspielt. Auf nachgestellte Szenen aus 300 v. Chr. wollte man in diesem Format vielleicht einfach verzichten, man kennt das ja aus anderen Sendungen zu Genüge. Straßenverkehr? Heuballen? Kirche? Wasserrad? Keine Ahnung.
    Aber die Frage nach dem Warum sollte man bei künstlerisch angehauchten Gestaltungen vermutlich einfach nicht stellen. Und wenn es um technische Spielereien geht, lautet die Antwort in aller Regel: weil es geht!
    Anscheinend sind die Leute, die schon in Schule und Studium ihre Präsentationen mit in Loopiongs einfliegenden Buchstaben verziert haben als Powerpoint aufkam beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen gelandet.

  4. Herr Rosenkranz, was macht denn so eine Abflussrinne sonst? (Hihi, höhö. gnrrr.)
    Fernsehen in der ersten Welt, 640 Jahre nach Boccacio. Oh Mann.

  5. @Gert Weller:
    Das „alternde Ex-Model“, die Psychologin und Paartherapeutin Ann-Marlene Henning, ist bereits seit fast 20 Jahren Sexologin. Damals hat sie das Studium der Sexologie an ihr Psychologiestudium angeschlossen. Heute hat sie nicht nur eine stets ausgebuchte Praxis in Hamburg-Eppendorf, sondern schreibt Bestseller und hat eine eigene Fernsehsendung, deren dritte Staffel gerade angelaufen ist. Eine „gescheiterte Karriere“ sieht wohl anders aus. Im Nebenjob gemodelt hat sie übrigens ein paar Jahre lang, soweit ich weiß, weil ihre Arbeit mit hirnverletzten Menschen in der Psychiatrie nicht gut genug bezahlt war.

  6. Lieber Boris, danke für den Beitrag, der mich zum Schmunzeln brachte – aber die wenig reflektierte Verwendung des Begriffs „Journaille“ würde ich doch überdenken. Viele Grüße!

  7. Höchst läppischer Text. Niggemeier, wollen Sie Kindereien treiben, die noch muffiger sind als das, was sie zu kritisieren vorgeben, oder gehaltvollen Medienjournalismus mit analytischem Tiefgang pflegen? Beides zusammen geht nicht auf einer Seite. Nein, es geht wirklich nicht. So humorlos bin ich jetzt mal.

  8. Ist doch typisch ZDF – Verpackung ist wichtiger als Inhalte. das merkt man doch der in fast allen Beiträgen, sei es Reportage, Dokumentation oder ein kurzer Bericht über Sport, unterlegten Musik an – immer alle vermeintlichen Emotionen bzw. Emotionen, die man jetzt zu empfinden hat, durch oft auch zu laute Musik de facto „befehlen“. Dazu mit einer äußerst dämlichen Grundstruktur – so schlicht, so simpel, so universell: Sprecher wird mit Musik unterlegt, jede neue Bildsequenz erhält eine neue Musik (womit man bei 5 Minuten schon mal auf 20 Einspielmusiken kommt), wenn ein Interviewpartner spricht, wird Musik ausgeblendet. Eine Höchstleistung für das Gehirn, den Krach rauszufiltern und zu versuchen, sich auf den Text zu konzentrieren.

    Möchte nicht wissen, wieviel Arbeitszeit für diesen Schwachsinn mit wie viel Leuten draufgeht.

  9. @blubb: Leider ist die Verpackung oft inzwischen so wichtig geworden, da man sich fragt, ob die Inhalte noch stimmen – bzw. ob dann noch Arbeitskräfte/Geld/Zeit für die Inhalte da sein werden.

  10. Huch, schlafen die Hausherren noch? Den Beitrag von Gert Weiler würde ich als Blogbetreiber so nicht stehen lassen – ist mindestens Schmähkritik, wenn nicht gar potentiell justiziabel.

  11. Der Strohballen ist doch ein eindeutiges Bild: Dahinter wird bis zur Bewußtlosigkeit gepoppt und der Herr verdeckt das liebenswerterweise.

  12. Ich glaube sowieso, dass ein Großteil der Menschen, die an solchen Sendungen mitwirken oder sie sich ansehen, in Wirklichkeit asexuell sind. Die unterdrücken das und zwingen sich zum Sex, und dann wundern sie sich, wenn sie keinen Spaß daran haben. Ich glaube, Frau Henning könnte viel Geld verdienen, wenn sie in Zukunft Asexuellen beim Coming-Out helfen würde. Ich sehe hier großes Potenzial.

  13. Da wollte wohl jemand im Vergleich zu der Sendung auf ARD mit Roberto Cappelluti noch mal einen draufsetzen!

  14. Pardon, „Ich hätte an Strohkopf gedacht, wenn …“? – also richtig: „Ich habe an Strohkopf denken müssen.“ oder „gedacht“.

    Und der Stromkasten? Unter Strom stehen, beim Sex? Aber sind das Stromkästen oder nicht viel mehr Telefon- und Internet/DSL-Kästen? Also ein Hinweis auf Pornos, auf Telefonsex, auf erotische Videotelefonie.

  15. man beachte auch die reduzierten und entsättigten Farben, die wie mit einem Grauschleier behangen sind. Da passt der graue Himmel perfekt.

  16. @KMK – aber ohne Zwang ausgeführt, sollte Sex doch Spaß machen – passen da die grauen Farben? Oder wäre zu bunter Sex einem durch das Programmschema seit Jahren ins Wachkoma gesendete Publikum nicht zumutbar?

  17. Täusche ich mich, oder hat dieser Professor eine verblüffende Ähnlichkeit mit Olli Dittrich?

    Und:
    Sich über „Straßenverkehr“ aufregen, (der auch so ständig im Bild zu sehen ist,) dann aber selbst überfallartig „rumstehen“ in den Text platzieren. Tsts…

  18. @ Thomas, #11: Mag ja sein, aber da gibt es doch wirklich relevantere Sendungen, anhand derer man dieses Thema deutlich sinnvoller durchexerzieren könnte – Talkshows, Nachrichtensendungen und dergleichen Sachen *mit explizit politischem Anspruch*, dessen Nichterfüllung ich für viel bedeutsamer halte als die Bildersprache dieser Sexualkundesache, sie sei so altbacken, rätselhaft oder was auch immer, wie sie wolle.

  19. @Schreiwild – ich brauche die ÖR nicht, jedenfalls große Teile davon nicht, aber ich bezahle sie. Daher eine gewisse Wut. Was diese Sexsache angeht, amüsiert es mich nur und es ging ja im Text auch mehr um die etwas merkwürdige Bildsprache.

  20. @blubb – es gibt relevantere Sachen, die kommen aber weder hier noch in den privaten Medien vor. Selten, daß mal ab und an hinterfragt wird, wofür ein Blur-und-Tränensender wie das ZDF gut sein soll (1500 Krimis und mehrere hundert Pilcher-Trash-Movies jährlich). Auch selten hinterfragt, warum z.B. die Informationstage (di, Mi) im ZDF ausfallen, wenn woanders Fußball läuft – so hält das Grauen durch die Hintertür seinen weiteren schleichenden Einzug.

    Interessanter wäre für mich eine Diskussion über die ÖR und darüber, warum z.B. Printmedien diese auch ihre Finanzen einengenden Konkurrenten so brav behandeln (wenn man 18 Euro im Monat bei knappen Budget ausgeben muß, bleibt für anderen Medienkonsum weniger)

  21. „Hab die Sendung noch nicht gesehen, aber bei den Hausfassaden könnte es ja darum gehen, was sich hinter diesen, in den Schlafzimmern der Nation abspielt.“

    Aber warum dann bitte die Oper Leipzig?

    Will der MDR oder will das ZDF wirklich aufklären, welche pornösen Dinge hintter den Wänden, im Foyer (dort ist das Bild eingeblendet) abgehen?

    Oder ist das Kulturkritik: die Oper als Schlafzimmer, sprich schnarchig?

    Fragen über Fragen.

  22. Wo kommen wir denn da hin, wenn mehrere Leute Texte für eine Internetseite schreiben? Ab sofort bitte nur noch Niggemeier und die Kommentarfunktion abdrehen, danke!

  23. Sehr interessant Ihre Ansichten und schöne Bilder, die Kritik versprechen.
    Leider habe ich die Sendung nicht gesehen. Habe in dieser Zeit gelebt.
    Weiter so! Toll!

  24. Allen Erklärungsversuchen zum Trotz würde ich vermuten, dass hinter den besagten Effekten kein inhaltlicher Sinn, sondern nur die Begeisterung für technische Möglichkeiten steht. Ist doch so toll, was man heute alles machen kann. Muss das da auch noch eine Bedeutung haben?

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