Ausgewandert, eingesperrt, abgetaucht: Für Kritiker ist in Aserbaidschan kein Platz mehr

Krautreporter

Der Eurovision Song Contest 2012 war eine Gelegenheit für Aserbaidschan, sich der Weltöffentlichkeit in strahlendem Licht zu präsentieren – aber auch für Kritiker, auf Missstände im Land hinzuweisen. Doch alle Hoffnungen auf positive Veränderungen durch die internationale Aufmerksamkeit wurden enttäuscht: Um die Menschenrechte steht es so schlecht wie noch nie.

Der Eurovision Song Contest 2012 war eine Gelegenheit für Aserbaidschan, sich der Weltöffentlichkeit in strahlendem Licht zu präsentieren – aber auch für Kritiker, auf Missstände im Land hinzuweisen. Doch alle Hoffnungen auf positive Veränderungen durch die internationale Aufmerksamkeit wurden enttäuscht: Um die Menschenrechte steht es so schlecht wie noch nie.

Wenn im Juni die ersten European Games in Baku stattfinden, eine europäische Ausgabe der Olympischen Spiele, stehen die Chancen gut, dass sie nicht wie der Eurovision Song Contest (ESC) 2012 von Protesten aserbaidschanischer Bürgerrechtler überschattet werden. Denn die sind inzwischen fast alle im Gefängnis oder untergetaucht. Von den Aktivisten, die ich vor drei Jahren beim Grand Prix in Baku getroffen habe, ist keiner mehr frei.

Ich war damals zweimal vor Ort, um für den „Spiegel“ und ein eigenes Videoblog zu berichten. Ich sah ein Land, dessen Regierung wild entschlossen war, die seltene Gelegenheit zu nutzen, sich der Welt in prächtigster Form zu präsentieren, als wohlhabende, moderne, weltoffene Nation. Den Kritikern, die fragten, ob man einem zweifelhaften Regime eine solche Bühne bieten sollte, hielt die Eurovision als Veranstalterin des Grand-Prix deshalb entgegen:

„Die Regierung von Aserbaidschan ist sich bewusst, dass der ESC in Baku dafür sorgen wird, dass das Land international genauer unter die Lupe genommen wird. Die Veranstaltung könnte daher einen Anlass für Verständnis und Fortschritt bieten.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel zog später indirekt eine positive Bilanz. Im Zusammenhang mit der Diskussion um einen Boykott der Olympischen Winterspiele in Sotchi nannte sie Aserbaidschan vor eineinhalb Jahren als positives Beispiel für die Veränderungen, die ein internationales Großereignis in einem heiklen Land bewirken kann. In Wahrheit steht der Fall Aserbaidschan für das Gegenteil. Die Hoffnung, dass die internationale Aufmerksamkeit nicht nur dem Regime nutzt, das sich der Weltöffentlichkeit im besten Licht präsentiert, sondern auch der Kritik eine Bühne bietet und positiven Wandel bewirken kann, hat sich vollständig als Illusion erwiesen. Die Situation ist sogar schlimmer geworden.

Aserbaidschan ist ein besonderes Land im entferntesten Zipfel von Europa, jenseits des Kaukasus, zwischen Russland und dem Iran. Es ist, trotz fast ausschließlich muslimischer Bevölkerung, ein säkularer Staat. Er orientiert sich nach Westen, verfügt dank Öl über Geld, ist ein begehrter Handelspartner und ein Stabilitätsanker in einer unruhigen Region.

Das mit der Stabilität liegt nicht zuletzt daran, dass Präsident Ilham Alijew alles ausgeschaltet hat, was seine Macht bedrohen könnte, lästige Dinge wie echte Opposition, Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Bürgerrechte gibt es auf dem Papier.

“Ich war schon zweimal im Gefängnis, und ich mache jetzt mal eine kleine Pause“, sagt Emin Milli lakonisch. Der Dissident hat das Land verlassen. Von Berlin aus betreibt er seit zwei Jahren das Online- Angebot Meydan.tv, eine alternative Informationsquelle mit Nachrichten aus Aserbaidschan. Im Land selbst könnte er einen solchen Kanal nicht produzieren, sagt er. Meydan.tv wäre illegal, weil es beim Justizministerium registriert werden müsste und man die nötigen Zusagen nicht bekäme.

Der Chef der aserbaidschanischen Präsidialverwaltung hat den Meydan.tv-Machern vorgeworfen, sie wollten „gewaltsam die verfassungsmäßige Ordnung Aserbaidschans umstürzen“. Milli weiß nicht, ob er darüber lachen oder weinen soll, dass das Regime ihn als so großen Feind darstellt – angesichts der winzigen Zahl und der schlechten Ausstattung seiner Helfer im Land. „Ich denke nicht, dass ich das Regime zerstöre“, sagt er.

Was ist das überhaupt für ein System? Eine Diktatur? Ein autoritäres Regime? Milli findet den Begriff „neo-totalitärer Staat“ am treffendsten. Es sei keine reine Diktatur; man könne zum Beispiel gegen die Regierung demonstrieren – weit entfernt von allen Orten, wo man Aufmerksamkeit erregt, als ritualisierter, sinnloser Protest. Ein „ziemlich zivilisiertes, neo-totalitäres Regime“ sei das: Wer zum Beispiel heikle Recherchen über Korruption in der Regierung veröffentlichen will, dem kann es passieren, dass er erst Geld angeboten bekommt, um zu schweigen, und ihm dann erst mit Gefängnis gedroht wird.

Aserbaidschan will beachtet und geliebt werden und gibt viel Geld dafür aus, die Welt zu beeindrucken. Dafür entstehen dort die atemberaubendsten Gebäude. Lobbyisten und willige Politiker in aller Welt sorgen dafür, dass das autoritäre Regime in einem guten Licht dasteht.

Events wie der Eurovision Song Contest, die European Games (für deren Premiere sich außer Baku niemand beworben hatte) und die Olympischen Spiele (um die sich Baku hartnäckig bewirbt), sollen für Aufmerksamkeit und Prestige sorgen.

Sie sind aber natürlich auch eine Gelegenheit, auf die Missstände im Land hinzuweisen, auf politische Gefangene und die Willkür der Justiz. Im Umfeld des Eurovision Song Contest mühten sich die einheimischen Bürgerrechtler, unterstützt durch Organisationen wie Human Rights Watch, nach Kräften. Sie luden zu Pressekonferenzen, gaben Interviews, organisierten Demonstrationen und versuchten (letztlich vergeblich), unter dem Namen „Sing for Democracy“ ein Konzert auf die Beine zu stellen.

Es wirkte manchmal rührend bemüht, wie sie das Interesse der anwesenden Journalisten gewinnen wollten und sich lautstark in Hotel-Konferenzräumen mit Vertretern der Regierung stritten. Es war ganz offenkundig keine Massenbewegung.

Wenn Emin Milli zu internationalen Konferenzen zum Thema Pressefreiheit geht, hat er immer Probleme, Interesse für sein Land zu wecken: „Die Tragödie ist nicht groß genug. In Usbekistan gibt es über 10.000 politische Gefangene; in Aserbaidschan 100. Niemand stirbt auf der Straße. Seit 2005 gab es nur zwei Fälle, wo Oppositionelle ermordet wurden.“

Es wäre leicht, daraus zu schließen, dass die Situation in Aserbaidschan nicht so schlimm ist. Es ist andererseits Ausdruck davon, wie gut die Diktatur funktioniert. Das System der Angst ist so perfekt und die Herrschaft des Regimes wirkt so alternativlos, dass es gar keinen großen Widerstand mehr gibt, der niedergeschlagen werden müsste.

Es herrscht weicher Autoritarismus statt brutaler Unterdrückung. Dafür genügt es, gelegentlich ein Exempel zu statuieren, wie 2009 an Emin Milli. Er hatte mit einem Freund ein satirisches Video gedreht. Wenig später wurden beide von Fremden angepöbelt und daraufhin wegen Hooliganismus verhaftet und verurteilt. Ein Berater des früheren Präsidenten Heydar Alijew (dem Vater des heutigen Präsidenten) sagte der „New York Times“: „Das mag Ihnen absurd erscheinen, uns aber sehr vernünftig. Wenn zwei Blogger auf diese Weise bestraft werden, gibt es keinen dritten.“

Milli beschreibt, dass der Druck auf Kritiker oft auch über den Umweg von Freunden oder Familienangehörigen passiert. Nicht der Aktivist selbst gerät ins Visier der Behörden, sondern seine Verwandten bekommen Probleme zum Beispiel am Arbeitsplatz – und drängen ihn

dann, mit der unerwünschten Aktivität aufzuhören, um ihnen das Leben nicht so schwer zu machen, werfen ihm Egoismus und Verantwortungslosigkeit vor, weil er nicht an die Konsequenzen für seine Familie denkt. Manchmal muss der Staat selbst überhaupt nicht tätig werden, die Furcht davor reicht aus; die Gesellschaft organisiert den Druck auf die Abweichler alleine.

Das kleine Grüppchen von Aktivisten, die sich nicht einschüchtern ließen und den Eurovision Song Contest nutzten, um auf die demokratischen Defizite hinter der Glitzerfassade hinzuweisen, stellte eigentlich keine große Bedrohung für das System dar. Aber schon während der Veranstaltung sagten Experten voraus, dass sich das Regime hinterher, wenn die ausländischen Journalisten wieder abgereist sind, an diesen Leuten rächen würde.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch legte im Sommer 2013 einen Bericht vor, in dem sie feststellte:

„Seit einigen Jahren schon macht Aserbaidschan Rückschritte in Sachen Meinungs-, Versammlungs– und Vereinigungs-Freiheit, aber seit Mitte 2012 ist die Lage dramatisch schlechter geworden. Seitdem bemüht sich die Regierung gezielt, oppositionelle Aktivitäten einzudämmen, öffentliche Korruptionsvorwürfe und andere Kritik an der Regierung zu bestrafen und Nichtregierungsorganisationen stärker zu kontrollieren.“

Im vergangenen Jahr wurde es noch schlimmer. Ein prominenter Bürgerrechtler nach dem anderen wurde unter dubiosen Anschuldigungen verhaftet, wie Amnesty International dokumentiert:

  • Khadija Ismayilova, eine bekannte investigative Journalistin, die mit ihren Recherchen immer wieder dubiose Geschäfte der Präsidentenfamilie enthüllt hat.
  • Leila Junus, eine zähe, kleine Frau, die ich in Baku mehrmals getroffen habe und die seit vielen Jahren unermüdlich die Rechtsverstöße des Regimes anprangert und für einen Dialog mit dem verfeindeten Armenien wirbt. Sie ist nach Angaben ihrer Tochter sehr krank.
  • Auch ihr Mann Arif kam ins Gefängnis.
  • Intigam Alijew, Chef der Organisation „Legal Education Society“, die rechtliche Unterstützung für unterprivilegierte Gruppen organisiert.
  • Rasul Jafarow, der vor dem Eurovision Song Contest die Kampagne „Sing for Democracy“ ins Leben gerufen hat.
  • Der Menschenrechtler Emin Husejnow, der während des Eurovision Song Contest einer der sichtbarsten Wortführer der Bürgerrechtler war, musste damit rechnen, ebenfalls verhaftet zu werden, und tauchte im August 2014 unter. Das Schweizer Fernsehen enthüllte im Februar, dass er in die Schweizer Botschaft in Baku geflohen ist.

60 unabhängige Nichtregierungsorganisationen seien 2014 de facto geschlossen worden, sagt Emin Milli, ihre Bankkonten eingefroren. „Es gibt eine Null-Toleranz-Politik gegenüber jeder Art von Selbstorganisation.“ So schlimm wie heute sei es noch nie gewesen.

Celia Davies, eine englische Helferin, die ich 2012 bei Emin Husejnows Institute for Reporters‘ Freedom and Safety IRFS in Baku getroffen habe, beschreibt, wie sich die Lage seitdem verändert hat:

„Als ich im Herbst 2012 wegging, waren wir eine Organisation von 30 Leuten, mit einer Gruppe von Journalisten, die Inhalte für einen Online- Kanal produzierte, örtliche Journalisten ausbildete und internationale Menschenrechts-Kampagnen organisiert. Jetzt sind zwei Leute übrig: ein Anwalt und ein Übersetzter, 24 beziehungsweise 23 Jahre alt. Sie arbeiten von zu Hause, weil das Büro versiegelt ist. Sie benutzen ihre eigenen Computer, weil die ganze Ausrüstung bei einer Polizeidurchsuchung beschlagnahmt wurde. Sie arbeiten unentgeltlich, weil das Bankkonto der Organisation eingefroren wurde.“

Ende vergangenen Jahres haben die aserbaidschanischen Behörden auch das Büro von Radio Liberty in Baku durchsucht und geschlossen und Mitarbeiter festgenommen.

Warum geht der aserbaidschanische Staat so rigoros gegen seine Kritiker vor – wenn die ihm nicht einmal wirklich gefährlich werden konnten? „Ich glaube, jede Maschine hat ihre eigene Logik“, sagt Emin Milli. „Es muss einfach jemand verhaftet werden, denn der Sicherheitsapparat muss Berichte schreiben, muss sich rechtfertigen, muss zeigen, dass er noch gebraucht wird.“

Vor allem aber müsse die Angst in der Gesellschaft erhalten bleiben. „Wenn Leute gegen das Regime arbeiten können und keine Konsequenzen erfahren, kann es ganz schnell gehen, dass solche Regime kaputtgehen“, sagt Milli. „Die Gewalt als Routine muss immer da sein.“

Er vergleicht den Umgang der Regierung mit den Bürgerrechtlern mit dem mit einer lästigen Mücke. „Du kannst sie tolerieren, denn sie ändert nichts an deinem Leben. Aber sie stört halt. Und dann willst du, dass sie weg ist. Das ist netter.“

Das rigorose Vorgehen gegen die Bürgerrechtler im Land zeigt aber auch, dass die Regierung nicht mehr glaubt, einen Anschein wahren zu müssen. Die Kampagne gegen die Opposition im vergangenen Jahr fiel in die Zeit, als Aserbaidschan den Vorsitz im Ministerkomitee des Europarates hatte. Der Europarat fühlt sich eigentlich ausdrücklich dem Einsatz für Menschenrechte, demokratische Grundsätze und rechtsstaatliche Prinzipien verpflichtet.

Für Aserbaidschan offenbar kein Anlass, zumindest so etwas guten Willen zu demonstrieren – im Gegenteil. Allerdings hat das Land das Gremium nach Ansicht von Kritikern ohnehin längst von innen ausgehöhlt, wie Emin Milli meint – und zwar dadurch, dass es die entscheidenden Leute im Europarat kaufte – durch Einladungen nach

Auch die internationale Aufmerksamkeit, die jetzt mit den European Games verbunden ist, scheint Aserbaidschan nicht zu fürchten. Womöglich würde es einen besseren Eindruck machen, wenn nicht fast die ganzen bekannten Kämpfer für Menschenrechte im Land verhaftet, verurteilt oder abgetaucht wären. Womöglich klängen dann auch die Appelle von Amnesty International, Human Rights Watch und ähnlichen Organisationen nicht ganz so dringlich. Aber womöglich ist es der Weltöffentlichkeit auch einfach: egal.

In den vergangenen zwei Wochen sind Rasul Jafarow und Intigam Alijew zu rund siebenjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Christoph Strässer, der Menschenrechts-Beauftragte der Bundesregierung, nennt die Urteile „unverhältnismäßig hart“. Die Prozesse seien nach Ansicht aller unabhängigen Beobachter von schweren Verfahrensfehlern gekennzeichnet gewesen.

„Es ist gut, wählen zu können“, sagte Anke Engelke während der Punkte-Bekanntgabe beim Grand Prix. „Und es ist gut, eine Wahl zu haben. Viel Glück auf Deiner Reise, Aserbaidschan! Europa beobachtet Dich!“

Auch das war natürlich eine Illusion.