Beruf: Youtuber

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Marti Fischer macht als „The Clavinover“ mit Talent und Erfolg Musik und Quatsch im Internet.

Es läuft für Marti Fischer. Er hat in der deutschen Version von „Spongebob Schwammkopf 3D“ Möwe #1 gesprochen. Er hat bei einer Vorführung des Films Santiago Ziesmer getroffen, die deutsche Stimme von Steve Buscemi und Spongebob Schwammkopf, und mit ihm ein Instagram-Foto gemacht. Er hat bei mehreren Fernsehshows mitgewirkt, als Stimmenimitator, Sidekick und Comedian. Er wird demnächst ein eigenes Album aufnehmen, mit einer richtigen Plattenfirma. Er kann davon leben, das zu machen, was er immer schon machen wollte: Musik und Quatsch.

Zu verdanken hat er das Youtube. Die Videoplattform von Google ist für eine unüberschaubare Zahl junger Menschen ein Ort geworden, wo sie sich darstellen und ausleben. Sie zeigen, was sie können, auch wenn das oft nicht mehr ist als genau das: sich in einer Form präsentieren, die andere dazu bringt, sich das anzusehen, so sinnlos das für Außenstehende auch wirken mag.

Aber einige der Selbstdarsteller haben ein Talent, das über das der Selbstdarstellung hinausgeht. Sie nutzen Youtube, um Geschichten zu erzählen, Musik zu machen, Filme zu produzieren, Akrobatik zu präsentieren.

Marti Fischer ist so einer. „Wie geht eigentlich Musik“ heißt seine beste Reihe. In jeder Folge erklärt er ein Genre, indem er es in seine Bestandteile zerlegt. Er tut das auf seine überdrehte Art, hampelnd und Grimassen ziehend – aber vor allem, indem er die Instrumente spielt. Eines nach dem anderen nimmt er auf, schichtet Ebene auf Ebene, bis am Ende ein selbstkomponierter, aber klassischer Soul-, Blues-, House- oder sogar Schlager-Titel entsteht, den er dann in einem liebevoll inszenierten Video zum Besten gibt. Man könnte das sofort als Schulfernsehen ausstrahlen (wenn es nicht die dafür mutmaßlich zulässigen Grenzwerte für Spaß beim Machen und Zuschauen sprengen würde). Schüler und Lehrer haben schon gefragt, ob sie seine Videos im Musikunterricht zeigen können.

„The Clavinover“ nennt sich Marti Fischer auf Youtube, nach dem ersten Keyboard, das er als Kind bekam. Seinen Durchbruch schaffte der heute 24-Jährige vor fünf Jahren, als er mit einem Video, in dem er die Stimmen von achtzehn Prominenten imitierte, den „Secret Talents Award“ gewann. Das verschaffte ihm nicht nur ein Preisgeld von 10 000 Euro, die er in eine Synchronsprecher-Ausbildung investierte, sondern auch so viel Aufmerksamkeit für seine Youtube-Aktivitäten, dass er auf das geplante Musik-Studium erst einmal verzichtete. „Ich habe damals gemerkt: Das könnte mir sehr viel mehr Spaß machen, als Lehrer zu werden, wie ich eigentlich vorhatte.“

Im Jahr zuvor hatte Fischer sich bei vier Universitäten beworben, alle Aufnahmeprüfungen bestanden, nur leider das Abitur nicht. Nun hatte er das Abitur, aber eben auch diesen Youtube-Preis, und so warf er seine Planung über den Haufen und bereut es nicht. „Sonst wär‘ ich nicht da, wo ich jetzt bin.“

Er machte dann vor allem Stimmenimitationen, die sich die Zuschauer wünschen konnten, und litt ein bisschen darunter, dass sein Kanal so „unstet“ wuchs, was auch daran lag, dass er so „unstet“ Videos postete. „Ich wollte mich von Y-Titty“ – einer der ersten erfolgreichen Youtube-Gruppen – „schon insoweit absetzen, dass ich auf Klasse statt Masse setze. Was ich nicht verstanden hatte: Dass man auf Youtube guten Content regelmäßig produzieren muss.“

Der nächste Schub kam 2013, als er eine eigene Version von „Chabos wissen, wer der Babo ist“ aufnahm, nachdem er den Hit von Haftbefehl dauernd hören musste. Den schwer verständlichen kurdischen Akzent ersetzte er durch die deutlichst denkbare Artikulation – und machte aus dem Rap eine Jazz-Version, gesungen mit den Stimmen von Max Raabe und Bürger Lars Dietrich. Dazu drehte er mit einem Freund ein Musikvideo in seiner Heimat Salzgitter. Fast fünf Millionen Mal ist das Video abgerufen worden.

Er brauchte aber etwas, um die neuen Fans und Abonnenten, die ihm dieser Hit bescherte, bei Laune zu halten; etwas, das er – bei allem Hang zur Prokrastination – einigermaßen regelmäßig produzieren konnte. In einem kleineren Zweitkanal hatte er schon damit begonnen, mit einer Loopmaschine zu spielen. Aus einzelnen Geräuschen, Effekten, Rhythmen und Melodien, die er einspielt und die endlos wiederholt und kombiniert werden, setzt er nach und nach Songs zusammen: „Ein Loop zwischendurch“. Und weil auf Youtube die Nähe zum Publikum besonders groß und wichtig ist, fragte er die inzwischen hunderttausend Fans auf seinem Hauptkanal, ob das etwas wäre, was ihnen auch gefallen würde.

Die Resonanz war gut, und so gibt es nun regelmäßig Loops zwischendurch, oft mit Gästen, die, während er mit Knöpfen und Instrumenten hantiert, Gesang beisteuern. Passend zur Pollensaison hat er gerade mit einem Kollegen namens Gniechel einen Allergikersong produziert, der im Wesentlichen aus geloopten Schniefern, Schnupfern und Hustern besteht.

Im wahren Leben ist Marti Fischer nicht ganz so hyperaktiv wie in seinen Videos, in denen er alles, was gelingt oder schiefgeht, mit Grimassen, Sprüchen oder Geräuschen kommentieren muss. Das ist nicht ganz unanstrengend und scheint die These zu bestätigen, dass eine ordentliche Aufmerksamkeitsdefizitstörung die beste Voraussetzung fürs Machen und Ansehen von Youtube-Videos ist. Sein Kopf ist voll von Otto-, Helge-Schneider- und Bulli-Reflexen und -Klamaukfetzen, „dieses ganze Püree hat sich irgendwann in mir manifestiert und wollte wieder heraus“, sagt er. „Ich glaube, ich höre mich selbst auch sehr gern sprechen, was für den Job sehr wichtig ist. So eine gewisse Selbstverliebtheit ist ganz praktisch.“

Er produziert alles in seinem schmalen, 15-Quadratmeter-WG-Zimmer in Berlin-Prenzlauer-Berg, neben dem ungemachten Bett, zwischen Gerümpel, Kleiderschrank und einem Regal, auf dem der „Secret Talent Award“ in Form eines Springteufels steht. Seine Mitbewohner sind auch Youtuber, die mit Knowhow, Technik und Kritik helfen.

Demnächst zieht er mit dem größten Teil seiner Technik in ein Büro. Er ist Teil einer Gruppe ambitionierter Web-Video-Macher, die sich „301 plus“ nennen und gemeinsame Arbeitsräume beziehen wollen. Fischer malt sich das aus als einen Traum von Professionalität und Kreativität: „Da werde ich jeden Tag drinsitzen und amtlich mein Ding durchziehen, stringent und kontinuierlich an meinen Youtube-Videos und den ganzen Projekten arbeiten.“ Von einer „gesunden Regelmäßigkeit“ träumt er. Und davon, irgendwann mit einigen der bekannten Leute, die er imitiert und parodiert hat, gemeinsam Videos und Musik zu machen. Das große Youtuber-Netzwerk Mediakraft wird er, wie so viele bekannte Kollegen, im Herbst verlassen.

„Youtube ist eine der besten Möglichkeiten, sich in einem audiovisuellen Medium auszudrücken, wie man es möchte, ohne dass einem einer sagt, was man zu tun und zu lassen hat“, sagt Fischer. „Und die beste Möglichkeit für den direkten Kontakt mit den Zuschauern.“

Online funktioniert diese Nähe besser als im analogen Leben. Als er im vergangenen Jahr bei den Videodays in Köln die verrückte Idee hatte, den Backstagebereich zu verlassen und einfach mal den Merchandising-Stand zu besuchen, musste er den Versuch trotz Begleitung eines eigenen Sicherheitsmannes abbrechen. Er wurde von zu vielen Fans belagert, die ein Selfie wollten oder ein Autogramm oder ihm ihr Handy hinhielten, damit er mit der Freundin sprach, die leider nicht kommen konnte.