Operation Phoenix

Süddeutsche Zeitung

Das Übersinnliche lauert überall. Die erste deutsche Mystery-Serie: „Operation Phoenix“.

Wenn die Außerirdischen klug sind, wovon auszugehen ist, werden sie die Amerikaner enttäuschen und die Erde von Deutschland aus erobern. Wir wären ihnen schutzlos ausgeliefert. Genau wie der Wahrheit, sollte sie je genug davon haben, „irgendwo da draußen“ zu sein, und in die Nachbarschaft einziehen wollen. RTL hat zwar immerhin als erster Sender eine eigene Spezialeinheit installiert, die sich um Kriminalfälle im Zusammenhang mit paranormalen Phänomenen kümmert. Aber im Ernstfall würde sie, wie viele große Ideen, am kleinen Detail scheitern. „Sie können hier nicht rein“, ruft eine Krankenschwester den Spezialisten zu, als die in die Intensivstation eindringen. „Wir können“, widerspricht ihr ein Ermittler, und seine Kollegin wirft ihr im Vorbeirennen ein erklärendes „BMI!“ zu. Beeindruckt gibt die Krankenschwester jeden Widerstand auf.

BMI? Das Kürzel steht für „Bundesministerium des Inneren“, wo die Einheit angesiedelt ist. Nur daß es sich im Alltag noch nicht ganz so durchgesetzt hat wie das „F.B.I.“, mit dem sich die amerikanischen Kollegen in Sekunden Respekt verschaffen. In Wirklichkeit hätte die Krankenschwester mit dem Hinweis „ABM“ vermutlich mehr anfangen können. Wie soll man unter solchen Umständen erfolgreich übernatürliche Straftäter fangen können?

Argumente, die mit „In Wirklichkeit…“ anfangen, sind müßig im Mystery-Genre – das Beispiel „BMI“ zeigt nur, wie originalgetreu RTL bei der ersten deutschen Serie dieser Art Originale wie „Akte X“ oder „Millennium“ übersetzt hat. Die deutsche Truppe heißt „Operation Phoenix“. Sie besteht aus drei Mitgliedern, mit klar verteilten Rollen: Mark Pohl (Dirk Martens) ist der vermeintliche Spinner, die treibende Kraft. Wenn es so aussieht, als sei Seelenwanderung im Spiel, ist seine Erklärung, daß Seelenwanderung im Spiel ist. Er weiß, daß das Fachwort dafür „Palingenese“ lautet und sucht solange in der Bibliothek, bis er ein Photo davon gefunden hat. Kris Mertens (Alana Bock) ist die Psychologin. Das Unerklärliche schließt sie nicht aus – siedelt es aber erstmal im Kopf des Betroffenen an. Palingenese? Vielleicht doch eher ein Virus, das Aggressionen hervorruft. Richard Lorentz (Robert Jarczyk) schließlich ist der Kluge, der im Mystery-Genre klassischerweise der Dumme ist. Lorentz ist so rational, daß er selbst an Bord des UFOs noch einen Trick mit Spiegeln vermuten würde. Seelenwanderung? Humbug! Höchstens Hypnose.

Mystery sprengt die Grenzen des klassischen Krimis. Es geht nicht darum, das scheinbar Unerklärliche zu erklären – sondern eine Möglichkeit zu finden, mit dem Unerklärlichen zu leben. Wenn der Täter den Körper wechseln kann, ist es nicht mehr damit getan, ihn zu ermitteln und dingfest zu machen. „Mystery bietet mehr erzählerische Freiheiten“, sagt Drehbuchautor Marco Rossi. Durch die Kombination von Kriminalfällen mit paranormalen Phänomenen könne eine Spannung kreiert werden, die jenseits konventioneller Erzählformen liegt.

Daß die grünen Leuchtbänder, mit denen die Seele von Mund zu Mund wandert, am Ende nicht als Taschenspielertricks entlarvt werden, ist für deutsche Serien eine echte Innovation. Es bedeutet auch, daß die Phoenix am Ende machtlos ist – und das Übersinnliche überall lauert. Solche Paranoia ist in den USA weit verbreitet. Ob sich der Deutsche, und sei es nur für den Nervenkitzel vor dem Fernseher, davon massenhaft anstecken läßt, ist eine spannende Frage. Die Privatsender werden sie klären: Im nächsten Jahr zieht „Akte-X“-Sender Pro Sieben mit einer eigenen Mystery-Serie nach. RTL jedenfalls mußte sich schon gewaltig anstrengen und einen echten Parapsychologen aufbieten, um das Übersinnliche in den Deutschen halbwegs nachweisen zu können: Nur an Nahtodeserfahrungen oder Genmanipulationen glaubt die große Masse. Von der Existenz von UFOs oder Reinkarnation ist nicht mehr als ein Drittel der Deutschen überzeugt.