Amoklauf in USA — Knut unverletzt

Fragt man Hans-Jürgen Jakobs, den Chef von sueddeutsche.de, was die wichtigsten drei Erfolgskriterien für Zeitungen im Netz sind, sagt er gerne: „Erstens Qualität, zweitens Qualität und drittens Qualität.“

Lustig.

Auf der Panorama-Seite von sueddeutsche.de ergibt sich aktuell (von oben nach unten, siehe Ausriss) folgende Nachrichtenlage:

Blutbad in Blacksburg
Liebesdrama löste Amoklauf aus

„Ich habe noch nie so viel Angst gehabt“

Mehr als 30 Tote bei Amoklauf an US-Hochschule
Bush kommt zur Trauerfeier

Video
Der Amokläufer von Virginia

Zahnschmerzen überstanden
Knut tobt wieder im Freien

Nach Amoklauf an US-Uni
Deutsche Austauschstudenten unversehrt

Nach Amoklauf in Blacksburg
Waffengesetze – Vorbild Australien?

Nun gibt es schon länger den Verdacht, dass die Ressortseiten von sueddeutsche.de nach einem komplizierten, von Menschen schwer zu durschauenden Qualitätssicherungsmechanismus gestaltet werden, aber, öhm, da würd ich doch noch mal händisch nacharbeiten. (Notfalls Knut-Content einzeln ganz nach oben setzen.)

Der Artikel, der mit der Überschrift „Video – Der Amokläufer von Virginia“ angekündigt wird, lautet übrigens so:

Auf YouTube gibt es zahlreiche Amateur-Videos von Studenten, die beim Massaker von Virginia dabei waren.

Das ist der vollständige Artikel. Und dann hat die sueddeutsche.de-Redaktion einfach mal drei YouTube-Videos eingebaut. Ohne Kommentar, ohne Einordnung, ohne weitere Anmoderation. Kann man natürlich machen, erschwert aber möglicherweise die Teilnahme an zukünftigen Podiumsdiskussionen zum Thema „Qualitätsjournalismus als Bollwerk gegen den kontextlosen YouTube-Schrott“ o.ä.

Wirklich erschütternd aber ist die große „Reportage“ zum Thema, die sueddeutsche.de allerdings von der Seite 3 der gedruckten Zeitung übernommen hat. Sie ist sicherlich unter größtem Zeitdruck entstanden, aber das allein erklärt nicht das Ausmaß, in dem es alle Seite-3-Traditionen und Qualitätsmaßstäbe der SZ verrät. Die Sprache: eine Mischung aus schlechtem Boulevard und billigem Krimiheft. Die Überschrift: „Auf dem Campus des Todes“.

Ich halte ja Kommentare bei solchen Nachrichtenseiten für überschätzt, aber in diesem Fall bin ich froh, dass es sie gibt. Eine Auswahl:

SZ-online ist im Niveau immer mehr gesunken, und wenn man die Hauptseite öffnet, meint man, man ist bei einer Boulevardzeitung gelandet.

Schon seit längerem stelle ich fest, wie sehr sich das Niveau der SZ-Online-Ausgabe einem Bildzeitungsniveau angleicht. … Doch die Art, wie jetzt über dieses entsetzliche Massaker berichtet wird, verschlägt mir den Atem.

Im besonderen der Artikel „Auf dem Campus des Todes“ mutet mehr wie ein Abenteuer-Kriminal-Roman oder ein Action-Movie-Drehbuch an.

Die Bild-Redaktion ist stolz auf sie.

Unsäglich! Man weiß schon gar nicht mehr, welchem Artikel man all diese SZ-Kritik anbringen soll. Jeder neue Ergänzung der Berichterstattung über die Tragödie scheint nur aufs Ausschütten von Sensationsgeilheitshormonen aus zu sein. Wurde die SZ im letzen Jahr verkauft?

Wenn ich Druck auf meiner Tränendrüse oder Stellvertreterdramen wünsche, dann schaue ich eines der zahlreichen Boulevardmagazine.

Das Niveau der SZ sinkt offentsichtlich in vielerlei Redaktionen schwer. Zynischer geht es ja wohl kaum. Wie ein Horrorfilmfreak.

bitte den artikel möglichst schnell von der seite entfernen – ist ja nicht auszuhalten.

Quo vadis Süddeutsche Zeitung?

Das ist ja echt enttäuschend, da wechsle ich auf die Webseite der Süddeutschen weil ich mir dort eine seriöse Berichterstattung erhoffe und finde ein Niveau vor das noch unter dem Nachrichtenticker meines ISP liegt. Unglaublich. Was soll denn das?

Bleibt (werdet wieder) serious Leute von der SZ!!!!!!!

Reißerisch wie die Zeitung mit den vier Buchstaben. Leider hate ich diesen Eindruck in letzter Zeit häufiger.

Ich habe mich über diesen Artikel so geärgert, dass ich meine Lesegewohnheiten überprüfen werde.

die berichterstattung ist aller unterstes Niveau.

Sind wir hier bei der Sueddeutschen Zeitung oder bei Explosiv?

Gute Fragen.

[via Indiskretion Ehrensache]

36 Replies to “Amoklauf in USA — Knut unverletzt”

  1. Vielleicht war Knut als ein Hoffnungsschimmer in Mitten der ganzen Traurigkeit gedacht. Als kleiner Moment der Freude. Naja, kann ich eigentlich selbst nicht glauben. Was wäre denn der Grund? Schaut keiner sich die News-Komposition auf der Webseite an, oder was?

  2. Auf Zeit.de erfährt man leider auch mehr als das nötigste über die Nation-beiLaunehalt-Knuddelchen.

  3. SPON: „Kannte er die Wahnsinnstat des Robert Steinhäuser? War das Datum bewusst gewählt? Schon die Fragen sind beängstigend. Wie werden erst die Antworten sein?“

    Jahaaa, noch ein Bierchen gekippt, dann kommen auch die Antworten.

    Das Blöde ist, dass sich SPON und Konsorten immer damit rausreden können, dass es ja nur der Online-Praktikant gewesen sei. Die machen allerdings inzwischen anscheinend das ganze Blatt …

  4. „Amoklauf in Usa – Knut unverletzt“ D a s ist die beste Überschrift, die ich seit langem gelesen habe.

    @20-100: Überraschung…

  5. Ich hab gerade erst gesehen, dass SZ in den Kommentaren offen zum Denunziantentum aufruft, ist ja auch ne schöne deutsche Tradition.

  6. Mich erinnert der stetige Ruf nach Qualität, Qualität, Qualität an die Behauptungen von kommerziellen Radiosendern. Die behaupten ja in Jingles und auch sonst gebetsmühlenartig, dass ihr Sender die grösste Auswahl an verschiedenartiger Musik spiele und nicht nur immer den gleichen Mist. Abgespielt wird dabei aber einfach, was gemäss den Statistiken, Hörerbefragungen oder Hitparade am Besten läuft. So machen es die „Qualitätszeitungen“ auch. Rufen nach Qualität, Qualität, Qualität und bringen dann das, was am Häufigsten geklickt wird, also Sex, Crime, Knut.

  7. So schreiben sie – die Hörer von Virginia Jetzt…

    P.S.: Die Überschrift ist ein Amoklauf ohne Waffenbesitz.

  8. Dafür wurden heute folgende meiner Kommentare von den Moderatoren gelöscht:

    Der Hinweis auf Angela Merkels FDJ-Tätigkeit zum Margot Honecker Artikel.

    Der Hinweis auf den Fall Hans Deutsch (Google bzw. Wikipedia) zum Artikel über Nazis in der BRD-Bürokratie/Regierung.

    Die Frage, wie wohl Prügel-Polizeieinsätze bei nichtangemeldeten Demos z.B. am 1. Mai von der SZ kommentiert werden würden zum Artikel über die russischen Polizeieinsätze.

    Mein Profil wurde schon bald nach Anmeldung gesperrt, da mein Profilbild (von Martin Kippenberger) wohl einigen Kuttenbrunzern nicht genehm war.

    Das „suedcafe“ bzw. die Kommentarmöglichkeit (oder vielmehr Unmöglichkeit) ist ein schlechter Witz; genau wie die Zeitung.

  9. angesichts des traurigen themas wollten die jungs und mädels von sz-online vielleicht ihre leser etwas aufheitern.
    ich jedenfalls habe bei der lektüre dieser zusammenfassung fast meinen kaffee auf die tastatur gespuckt.

  10. Ich sah gestern auch dieses Foto von Knut in der Tageszeitung, wie er struppig am Wassergraben abhängt und die Besuchergruppen weggeschckt werden. Gott sei Dank, es sind nur Zahnschmerzen.

    War doch das Thema, oder?

    Ach so: USA, die Toten, ja, auch sehr unangenehm für die Studenten… Gut, das die SZ über solche Themen ‚berichtet‘.

  11. Bilden wir die Überschrift um:
    Stefan Nigge (Ähnlichkeiten mit lebenden und schreibenden Personen sind rein abfällig und dienen der Verdeutlichung der Verrohung der Sitten!) erschossen – Knut unverletzt

    Die gebetsmühlenhafte Wiederholung der Floskel ‚unfaßbare Tat‘, der angebliche Betroffenheitspegel des Medienjournalisten über so beschriebene Katastrophen im menschlichen Erscheinungsbild des Spätkapitalismus ist kennzeichnend für die rofl-Kumpanei des studierten Bildungsbürgertums, welches sich einen Blog leistet.
    Der Tod ist keine Meldung, die der von ihm betroffene Tote noch lesen kann. Ein Toter schreibt nicht. Man erweist ihm Respekt.
    Die Überschrift ist respektlos.

  12. Hmm, jetzt habe ich sie gesucht – die Möglichkeit, meinen verunglückten Eintrag zu löschen. Er ist böse ( Ich bin sonst nicht so ehrverletzend.), enthält ein ist, das eigentlich ein sind sein muß und gibt einen völlig falschen Eindruck. Ich möchte ein Eisbär sein…(Singt.)

  13. Kann jemand mal ein Diagramm aufzeichnen, mit dem Verlauf der „Qualitätskurve“ bei der Süddeutschen Online und dabei auf der Datumsachse den Zeitpunkt der Ernennung von Herrn Jakobs zum Online-Chef einzeichnen. Mich würde interessieren, ob es da gewisse Zusammenhänge gibt. Danke im Voraus.

  14. Journalistische Ethik ist im (kommerziell motivierten) Wettbewerb um Traffic / Quoten auch bei sogenannten „Qualitäts-Medien“ mit dem Tag „Old School“ versehen.

    Kollegen wie Heribert Prantl werden als „Feigenblatt“ gegen die objektiv feststellbare Boulevardisierung und für den sogenannten „Qualitäts-Journalismus“ nach wie vor publiziert. Einerseits sollen ja die (zumeist anspruchsvolleren, bildungskonservativeren) Abonnenten der Print-„SZ“ beim Blatt gehalten werden – andererseits schlingern die „SZ“-Online-Macher auf eindeutigem Boulevard-Kurs in Richtung Optimierung des Online-Geschäfts.
    Der „Süddeutsche Verlag“ steht vor einem von einigen Gesellschaftern gewünschten Verkauf – und interessierte Mediengruppen oder Fonds / Private Equities sind vor allem an wirtschaftlichen Kennziffern (sprich: Quantität) interessiert.

    Apropos: was bedeutet eigentlich „Qualitäts-Journalismus“? Aus meiner Sicht: verantwortungsvoller, gesellschaftlich relevanter und sauber recherchierter Journalismus, der Objektivität und den Rezipienten verpflichtet. Also ein Journalismus, den wir „einst“ an der von „SZ“-Gründer Werner Friedmann initiierten „Deutschen Journalistenschule“ (gleich hinter dem „Süddeutschen Verlag“ am Altheimer Eck) lernten, und der für meine Generation der Journalistinnen und Journalisten Motivation und Berufung war. Dabei ist das noch gar nicht so lange Zeit her – und doch: scheinbar Generationen entfernt.

  15. Was gleich am Altheimer Eck?
    Die Jounalistenschüler kriegen da ja direkt das Münchner City-Flair kennen. Mit einigen schönen Biergärten. Ich seh schon, die Jounalistenschüler haben es besonders schwer gehabt.
    In Bezug auf Qualitätsjournalismus würde ich speziell das Modul 107: Onlinejournalismus besonders empfehlen!

  16. Die Journalistenschüler – mit „r“ – haben sich die Biergärten damals eher selten leisten können. Dafür aber die – Anfang der 80er noch günstigen – Studentenkneipen in der Amalienstrasse hinter der Uni. Und am City-Flair waren die meisten (Kollegin Hermann mal ausgenommen) eher weniger interessiert. City-Flair war auch: Spätdienst in der „AZ“-Lokalredaktion, „Augustiner Edelstoff“ in der Setzerei nach an der „Linotype“ selbst gesetztem Wechsel um 22:30 Uhr etc.

  17. Das mit dem fehlenden „r“ sollte natürlich kein Angriff auf den deutschen Qualitätsjournalismus sein.

  18. Nur um dem Vorwurf des selbstrefenziellen Kommentarverfassens wirksam zu begegnen, bestätige ich das.

  19. Na, dann bin ich aber beruhigt. Also doch kein Fall für das „split personality department“.

    Wie war das mit dem Qualifikations-Journalismus…???

  20. Wie wäre es, wenn Eltern sich mal andere Namen überlegt hätten? Ist ja nicht auszuhalten ;-).

  21. Moment mal, ich werde ganz anders geschrieben! Und die Namensfindung innerhalb des lateinischen Sprachraumes zählt auch nicht zu den originellsten Eingebungen.
    Und nun bitte zurück zu Qualitätsjournalismus, Knut und Amokläufern!

  22. […] Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass es heutzutage so einfach ist dem größten öffentlich-rechtlichen Fernsehsender Deutschlands erfolgreich eine Ente glaubhaft als wahr zu verkaufen und sagenhafte 6 Millionen Menschen “in die Irre zu führen”. Es scheint als seien die seriösen Medienmacher inzwischen endgültig am Boulevard angekommen. […]

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