Von Nornen und externen Nasebohrern

„Norman E. Mailer“ hat sich die Mühe einer detaillierten Bildbetrachtung einer Aufnahme des „Welt“-Newsrooms gemacht.

… Unterstützt wird die maschinelle Unerbittlichkeit des auf die Zukunft gerichteten Prozesses durch die Exponiertheit der technischen Bildschirmaufhängungen, die mit ihren kalten Industriefarben (grau und metall) auf das Fließband als Vorbild tayloristischer Produktionsweisen deuten. Die suggerierte Flexibilität durch schwenkbare Bildschirme wird konterkariert durch die Einheitlichkeit der Ausrichtung und einheitliche Höhe der Bildschirmjustage. Als weiteres, fast schon nostalgisches Attribut journalistischen Arbeitens ist jedem Bildschirm ein Telefon beigesellt. Form und Ausgestaltung der Telefone gemahnen jedoch eher an die Verwendung als „Abteilungstelefone“, als dass sie auf den Verwendungszweck des Telefons als Werkzeug echter Recherche verweisen. Überhaupt ist es nur schwer vorstellbar, dass in der dargestellten Situation von einem, geschweige denn von mehreren dieser Apparate Telefonat geführt werden. …

Sensationell. Lesen!

42 Replies to “Von Nornen und externen Nasebohrern”

  1. Dieser Newsroom, das ist der Raum, in dem die Welt ihre Redaktionskonferenzen abhält, oder?

    Ich nehme nicht an, dass der normale Arbeitsprozess auf derart engem Raum stattfindet.

    Weiß Du da mehr Stefan?

  2. Hammer-Eintrag! Wer ist „Norman E. Mailer“? Kennt den jemand? Stefan, wie bist Du draug gestoßen – ist ja der erste Eintrag und noch ganz frisch.

  3. Um ein wenig Wasser in den Wein zu streuen: Laut Foto-Credit handelt es sich um „Newsroom der Welt-Gruppe in Berlin (Der Spiegel/Frühjahr 2006)“. Das ist gleich doppelt nicht korrekt: Es handelt sich nicht um einen Newsroom (in dem telefoniert und am Bildschirm gearbeitet wird), sondern um einen Konferenzraum. Und das Foto kann nicht vom Frühjahr 2006 sein, da links vorne Thomas Schmid sitzt, der erst seit Herbst 2006 Welt-Chefredakteur ist und vorher bei der Sonntags-FAZ war. Hat sich da vielleicht doch jemand ein Foto zusammengebastelt, um es dann so brillant besprechen zu können?

  4. Stefan: Die PM des ASV hab ich auch schon gelesen. Schwer vorzustellen, dass die leitende Redakteure so arbeiten müssen… Ist ja schlimmer als in der DPA-Zentrale.

  5. ne, Foto und BU sind echt. Das Ganze ist ein Aufmacherbild zum Bericht „Verlage: Auf der Flucht“ in Spiegel 23/2007 (4.6.2007), Seite 106.
    Fotograf: Wolfgang Kumm / Picture Alliance / DPA

  6. Ich habe mal in meiner Spiegelsammlung gestöbert.
    Das Bild ist im gedruckten Spiegel 2007/23 zu sehen. Aber mehr über einen allgemeinen Artikel in Sachen Journalismus.

  7. Jetzt weiß ich jedenfalls warum Keese nicht soviel in seinen ‚Newsroom’Blog schreiben konnte. Der saß die meiste Zeit zu weit vom Tisch entfernt. Er konnte gar nicht an eine Tastatur heran kommen….

  8. Die Leute, die rechts sitzen, sind auch (zumindest überwiegend) keine „Welt“-Redakteure, sondern Medienjournalisten, denen der Newsroom wohl gerade vorgestellt wird. Ich finde, das tut dem Vergnügen an dem Text keinen Abbruch.

  9. Stefan, danke für den Link, der Balken ist ein Balken, und das Foto offensichtlich nicht vom Frühjahr 2006, sondern vom November 2006, aber dafür echt.
    Für mich war der Newsroom bisher der Raum, in dem die Nachrichtenredaktion sitzt (die schon seit langem gerne in Großräume gesteckt wird), also der Raum, in dem die News ankommen. Bei Springer nennt man Newsroom offensichtlich den Raum, in dem die News das Haus wieder verlassen. Aber weil das Internet ja alles auf den Kopf stellt, kann man auch den Warenausgang in Wareneingang umtaufen.

  10. Köstlich, ganz köstlich. Fehlen nur noch die offiziellen Fotos von der Eröffnung des Handelsblatt-Newsrooms anno 2002. Die sind auch ne Bildbetrachtung wert. Als ich die Fotos zum Onkel Heise schickte, haben sie dort nur gekreischt.

  11. Jetzt weiß ich auch was ich später mal mit meinem Kunstgeschichtsstudiumabschluss werde anfangen können: toller Text! Bitte noch um einen Kommentar zu den neuen NYTimes Büros, die sind ja nur noch hässlich!

  12. *gähn*. Sicher, stets um Originalität bemüht, aber man spürt die Verzweiflung und dass es nur für eine Hand auf der Tastatur gereicht haben kann, die andere sich aber während der Erleichterung des großen Bedeutsamkeitsüberhangs in der Binnenwelt selbstverliebt im eigenen Scrotalbereich befunden haben muss. Für derlei Bemühungen gibt es in der Schweiz den schönen Begriff Sauglattismus, der schwer zu übersetzen ist. Es ist zu hoffen, dass es für Norman E. Mailer bald wieder ein schönes Einzelbüro gibt, hinter dessen Tür er seine Straßenschuhe lagern kann, um zwecks Absolvierung seiner 38-Stunden-Woche in die volkseigene Sandale umzusteigen – ja, früher ging es noch ohne Krawatte; o tempora, o mores. Aufgrund des gefühlt hohen Alters von Mailer bin ich zuverlässig, dass es eine Weile dauert, bis er wieder kommen kann und muss. Ich werde die Zeit genießen.

  13. @Jörg Kachelmann: Sicher, die Neu-Erfindung der Glosse ist auch Normans Text sicher nicht. Aber es ist ein wirklich guter Text, der ironisch und selbstironisch den Journalismus (und dazu auch noch das Genre „Kunst-Kritik“) karikiert – völlig nutzlos, zweilfellos, aber amüsant. Und das erste, was dir dann in den Sinn kommt, ist „selbstverliebt“? Was für eine spaßfreie Weltsicht! Und, am Rande gefragt: Deine Umschreibung für „die Eier kraulen“ ist also kein Sauglattismus?

  14. Jörg Kachelmann schreibt hier einen Eintrag um 6:18 Uhr? Um diese Zeit gibts wohl noch kein Wetter…oder es wartet brav auf den Dienstbeginn seines Herren. ;)

  15. verstehe nicht, warum immer so auf keese wegen seines abgebrochen blogs herumgeritten wird. er wollte es tun, er hat es probiert, es war ihm zu viel. der mann ist chefredaktor, da darf er ruhig mal eingestehen: sorry, dafür hab ich doch keine zeit; oder?

  16. Wie ich höre, sitzen die Herrn Chefredakteure im Alltag nicht an diesem Balken, alles nur Show. Konnte mir auch wirklich nicht vorstellen, dass die sich freiwillig so quälen.

    (Ein Springerscher Mitleser darf das ruhig nochmal bestätigen.)

  17. @Detlef Borchers (Nr. 17):

    Heise ist kein Onkel. Von niemandem. Und das ist auch gut so.

  18. Also, ich muss bei „Norman E. Mailer“ als Erstes an Alfred E. Neuman und als Zweites an Norman Rentrop (hieß der so?) denken.

    Dass muss doch noch jemand anderem auch so gegangen sein, oder?

    Beim Lesen des Artikels habe ich dennoch geschmunzelt.

  19. Nicht schlecht der Herr „Norman E. Mailer“. Aber nur, wenn man Stefan Niggemeiers Blog-Stil dagegen setzt. Wetten, dass die „Bildbetrachtung“ dem „Bildblog“-Umfeld entstammt?

  20. eingestehen kann auch bedeuten, es einfach zu lassen. zunächst mal gesteht man sachen doch immer sich selbst ein. man, die welt hat einen riesen relaunch hingelegt, mit das beste onlineangebot im deutschsprachigen raum, wagt sich mit zweite meinung und debatte durchaus auch aufs eis, muss man da immer trotzdem noch draufschlagen?

  21. @ #35:
    Wer kann oder will objektiv und gerecht über den Ausgang der Wette entscheiden?

  22. @36 (ralf): man sollte so lange meckern bis es nichts mehr zu meckern gibt und nicht, wie sonst überall auch einfach nach einiger Zeit wieder zum alten Trott zurück zu kehren.

    Obwohl ich natürlich den Anrufern von der Welt, ob ich nicht an einem Abo interessiert wäre, jetzt wirklich gut abwimmeln kann mit dem Argument, dass ich einfach alle Nachrichten online lese. (was ich dann eh nicht tue, aber im Gegensatz zum Abo muss ich dann das Altpapier nicht raus tragen).

  23. Für den noch nur lesen könnenden Otto-Normalverbraucher ist diese „Bildbebetrachtung“ sicherlich NICHT gedacht und es auch nicht verwundert, hier darüber „gähn“ zu lesen.

    Schade das es am Ende so schnell abbrach, als man sich gerade mal erst eingelesen hatte. Aber es ist halt nur eine „Bildbetrachtung“ und keine Roman.

    An dem, in der „Bildbetrachtung“ zitierten Text von Walter Benjamin, erkennt man schnell Richard Power und seinem 3 Stilelemente von „Kunst, Digitalisierung und menschliche Lebensläufe“.

    Die Beschreibung des „externen Nasebohrers“ ist einfach genial.

    Wohl falsch interpretiert finde ich den Blickwinkel der beiden rechts sitzenden Frauen (der Blick der Frauenfigur geht über den Bildschirm hinweg nach links zum Fenster), der geometrisch genau das gleiche Ziel aufweist, wie der, des vom Tisch abgerückten Siebenfaltigkeits-Chefredakteur, was kein „Desinteresse und Machtlosigkeit am Prozess“ beschreibt, sondern eher Unterwürfigkeit, um den Anschein zu erwecken, den eingefangenen „Augenblick“ mit Interesse zu verfolgen, sich aber nicht unbedingt in der Mimik widerspiegeln muss.

    Der eingefangene Augenblick spielt sich ganz links im Bild bei dem Herrn mit Halbglatze und Brille ab, der als Einziger seinen Blick auf den Großbildschirm gerichtet hat.

    Die am Ende der „Bildbetrachtung“ als „Hoffnungsschimmer“ hofierte, rechts sitzende „Schelmengestalt“, in der man einen durch Trägheit verfettenden „Harry Potter“ Verschnitt zu erkennen glaubt, zeigt zusammen mit dem links sitzenden, jugendlich wirkenden Flamingo-Schlipsträger mehr Interesse dem Fotografen dieses festgehaltenen „Augenblicks“, als das sie Interesse am tatsächlichen Geschehen zeigen würden.

    Aber zum Glück hat je jeder eine eigene Betrachtungs- und Ausdrucksweise und manche Leser tun sich schon mit einfach gehaltener Beschreibung schwer, sie zu verstehen, weil es ihren Hochgezüchteten Intellekt scheinbar überfordert.

  24. Dass der News-Tisch an den berühmtesten Tisch der Kulturgeschichte gemahnt, an den vom letzten Abendmahl, diese Assoziation kommt sicher im zweiten Teil der Mailer-Abhandlung.

    Ansonsten ist der Bildkomposition die Dan-Brown-Lektüre anzusehen, auch wenn der androgyne Johannes aus dem »Da Vinci Code« hier nicht eine, sondern gleich mehrere Frauen ist.

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