Sag zum Abschied leise Dialektik

Heute war die SPD-Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten in der Stadt. Gemerkt habe ich davon aber nichts. Es ist eine seltsame Kandidatur. Manchmal hat man den Eindruck, man schadet der SPD, wenn man für Schwan ist. Kein Wunder: Ein Sieg in der Bundesversammlung würde Steinmeier erledigen. Das wäre der Präzendenzfall einer Koalition mit der Linken an der Spitze des Staates. Zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer und wie schon seit Beginn der Arbeiterbewegung ist die Spaltung zwischen Sozialdemokraten und Sozialisten immer noch akut und lebendig. Ein echtes historisches Fossil, dass es noch in die Nachrichten schafft.

Aber man nutzt der Union auch nicht, wenn man für Köhler ist. Er schwebt irgendwie über den Dingen. Neulich traf ich nach einer Podiumsdiskussion einen erfolgreichen Rechtsanwalt. Partner in einer Wirtschaftskanzlei, glaube ich. Er trug auch nach 22 Uhr Krawatte und war ganz von der Krise bewegt. Alles müsse anders werden. Meine Punkte zum Thema gingen ihm längst nicht weit genug. Er war aufgewühlt und gewissermaßen existentiell unruhig. „Der Buddhismus“, sagte er — „da bin ich jetzt unterwegs“. Wirtschaft und Politik hatte er hinter sich gelassen. Köhler kommt mir genau so vor, als würde er in stillen Momenten am liebsten auswildern oder irgendwohin entschweben, wenn man ihn nicht festhält.

Mir persönlich wäre Schwan lieber, aber dass ihre Wahl eine neue historische Epoche einläutet, wie die von Gustav Heinemann den Wandel hin zur sozialliberalen Ära, das kann ich mir nicht vorstellen.

So ist es mit dem ganzen sogenannten Superwahljahr. Seltsame Verschränkungen führen dazu, dass eigentlich alles so bleiben muss wie bisher. Eine christliberale sogenannte Reformkoalition hätte jeden Samstag die Gewerkschaften und Studierenden auf der Straße. Bei Rotrotgrün hätten wir einen Investitionsstreik und eine Kapitalflucht, alle anderen Konstellationen sind zu unwahrscheinlich. Aber es kann sich ja auch noch was ereignen.

Bloggen macht Spaß. Aber neben meinem regulären Beruf, den Freuden der Familie und diversen ehrenamtlichen Tätigkeiten, in denen es um das Aufstellen von Klettergerüsten auf Schulhöfen sowie die ordnungsgemäße Ausgabe von Biogemüse an Grundschüler geht, bleibt mir einfach zu wenig Zeit dazu. Ausserdem verlangt die Katzenwelt eine ganz eigene Art von Zuwendung — Alice schmollt nun schon seit Stunden, weil ich sie eben aussperren musste: Sie nahm immer wieder auf dem Keyboard Platz.

Darum möchte ich mich hiermit verabschieden, nicht ohne meinem strengen, nie schlafenden, immer angriffslustigen, großartigen Gastgeber zu danken. Wir sind in all den kleinen Punkten so zuverlässig entgegengesetzter Meinung dass wir uns in allen wichtigen Fragen wieder einig sind — das ist die schönste Form von Dialektik.

43 Replies to “Sag zum Abschied leise Dialektik”

  1. Hättest du nicht wenigstens sowas sagen können, wie dass die das ständige Genöle der Kommentatoren auf die Nüsse geht, oder so?

    Muss ja nicht gleich ganz so peinlich sein wie das Gequassel von Else Buschheuer drüben im Spiegel, aber „keine Zeit“ sage ich immer, wenn ich das Event nichtmal wichtig genug finde, um mir eine Ausrede auszudenken um nicht hinzumüssen.

  2. Übrigens, keine Zeit habende Blogger twittern.

    Egal, danke für’s Gastbloggen, es war fein und sinnig und des Lesens wert.

  3. @ 4: Sehe ich ganz genauso.
    Herr Minkmar, es hat großen Spaß gemacht, Ihre Texte zu lesen. Danke dafür.

  4. huch, und wieder habe ich übersehen, wer der Autor ist und bei den Worten ‚Darum möchte ich mich hiermit verabschieden‘ einen Schreck bekommen…nunja, das passiert, wenn man nur grob überfliegt, was die Blogwelt gerade zu bieten hat…

    danke für die Gastbeiträge jedenfalls, sie haben das Blog bereichert!

  5. Auch von mir ein herzliches Dankeschön für die interessanten Beiträge.
    Ich hoffe, dass Du es Dir irgendwann doch anders überlegst und ein eigenes Blog einrichtest.

  6. Ich fand die Kommentare immer wirklich gut und möchte auch danke sagen. Vielleicht überdenkst du deine Meinung ja noch, würde mich freuen :)

  7. das ist außerordentlich schade und sicher ganz richtig so. danke für die artikel, die haben mir sehr gut gefallen.

    .~.

  8. @16: in dem Zusammenhang könnte man doch besser den Labbadiaschen Neologismius „hochsterilisiert“ verwenden, vor allem in Bezug auf Bodenhaftung und sonstige Anwürfe, oder? :)

    Dialektik: das Talent, sich selbst zu widersprechen und auch noch stolz darauf zu sein.

  9. Ich schließe mich allen dankenden Vorrednern an und schicke ein füßestampfendes „Menno, ‚rumdenn?“ hinterher.

  10. Naja, man muss ja eigentlich für Köhler sein. Denn wenn Frau Schwan gewählt würde, würde ja noch ein Parteimitglied fehlen.

    ——–
    :‘-(
    Schade. Ihre Artikel waren immer so schön und mal was anderes zum ebenfalls schönen Niggemeierschreibstil.

  11. Dann sage ich zum Abschied mal herzlichen Dank für Ihre Gastbeiträge hier im Blog. Ich hab das ja auch mal als Urlaubsvertretung gemacht, aber das würde ich mich jetzt nicht mehr trauen, dafür waren Ihre Texte zu gut.

  12. Och nööö!! Zurück an deinen Platz, besorg der Katze eine eigene Tastatur und …

    Quatsch, ich danke dir für die Bereicherungen dieses Blogs und wünsche dir alles Gute für deine Zukunft. Schade ist es trotzdem.

  13. also ich denke, man sollte das übel bei der wurzel packen — daher verspreche ich hiermit feierlich:
    sollte ich zum präsidenten der bundesrepublik deutschland erwählt werden, werde ich, gleichermaßen unverzüglich wie nachdrücklich, auf die längst überfällige verabschiedung eines gesetztes hinwirken, welches die haltung von katzen als haustiere untersagt! (wenn das mal kein individuelles profil ist!) in der durch den wegfall von pflege und vergeblichen erziehungsbemühungen unmittelbar entstehenden zusätzlichen freizeit kann muss wird sich herr minkmar dann — zum besten wohle der allgemeinheit — wieder dem bloggen zuzuwenden wissen. (und sage keiner, er hätte dann ja gar keine themen mehr — heute ging es ja auch „ohne“.)

  14. Kommen Sie einfach zurück, sobald Ihr Fahrrad repariert ist. Im Oktober, nicht wahr? Bis dahin einfach ein bisschen Arte gucken. Adieu…

  15. Das schönste an der Präsidentenwahl ist ja, dass es keinen Wahlkampf „geben darf“ (so wie es „verboten!!!“ ist, durch 0 zu dividieren), um das Amt des Bundespräsidenten nicht zu beschädigen. Das ist so herrlich absurd, dass Wahlkampf als solcher wohl als eher schädlich angesehen wird und die Würde des Bundeskanzleramts scheint auch nicht ganz so wichtig zu sein.

    Auf Wiedersehen, Herr Minkmar.

  16. Ein Tipp: Politik weit umschiffen. Überhaupt: Alles Materielle, Nachprüfbare oder irgendwie Relevante kann Feinsinn zur sinnlosen Litanei machen.

  17. … habe mich die letzten Wochen schon gefragt, warum es so still um Sie, Hr. N, ist. Schade, aber vielleicht haben Sie ja mal wieder Zeit?

  18. Vielen Dank für die Texte, Herr Minkmar. Ich hatte mich in den letzten Wochen immer wieder schon gefragt, wann denn mal wieder ein neuer kommt. Mir gefällt ihre Art zu schreiben sehr gut. Vielleicht kommen sie ja doch nochmal wieder zurück zum Bloggen.

  19. Na ja, das mit den Katzen wurde zu offensiv angewendet, um gut anzukommen. Selbst bei Katzenfreunden. Ehrlich wäre gewesen, wenn Herr Minkmar gesagt hätte: Bloggen strengt an und da meine Beiträge nur verrissen wurden, mache ich mir die Mühe nicht mehr.

  20. katzen – wie süüüüüüüüss…
    ganz im ernst – mir hat ein kollege erzaehlt dr. minkmar schreibt in diesem gartenzwergblog.
    ich hab ihn ausgelacht: unmoeglich – denn mink ist zwar das typische feuilleton-leftie-pinko-commie-abziehbild welches mir definitiv die FAZ/FAS versaut – aber er ist ein spitzenjournalist: stil, rethorik und die journalistische unterhaltsamkeit, passt alles auch wenn’s mir nicht gefaellt und ich es paradoxerweise gern lese….
    was er hier in diesem muffigen blog verloren hat, erschliesst sich mir nicht.
    aber das muss es ja auch nicht.

    liebe gruesse aus kreuzbergistan
    auch von meinen pitbulls

Comments are closed.