Sammeln statt Lesen

Beim Tellerleeressen kann man zwei Schulen unterscheiden: Die einen stürzen sich sofort begeistert auf die leckersten Sachen und sitzen am Ende vor einem traurigen Gemüseberg. Die anderen achten sorgfältig darauf, sich das Beste für den Schluss aufzuheben, als würde der letzte Bissen über die dauerhafte Erinnerung an die Mahlzeit entscheiden, aber mit dem schönen Nebeneffekt, sich die ganze Zeit beim Essen darauf freuen zu können, dass das Beste noch kommt. (Okay, vermutlich gibt es daneben noch die mit Abstand anhängerreichste Schule derjenigen, die nie darauf kämen, darüber nachzudenken, in welcher Reihenfolge sie ihren Teller leeressen, jedenfalls nicht mehr, seit sie nicht mehr sieben sind.)

Ich gehöre, Sie ahnen es, zur zweiten Schule. Wenn Sie mich mal im „Schneeweiß“ mit einer Gans sehen, können Sie sicher sein, dass kein blöder Knödel als letztes vom Teller verschwinden wird.

Das ist, zugegeben, sehr egal. Ich habe mir nur in den letzten Jahren ein ähnliches Vorgehen beim Abarbeiten von Papierbergen angewöhnt. Und das ist nicht ganz so folgenlos.

Wenn andere Leute sich an einem Sonntagmittag schön zum Zeitunglesen hinsetzen, greifen sie sich die Teile, die sie am meisten interessieren, und lesen die Texte, die ihnen am spannendsten erscheinen. (So stelle ich mir das zumindest vor.) Ich dagegen fange an, erst mal die Teile durchzuarbeiten, bei denen ich davon ausgehe, dass so viel für mich nicht dabei ist. Das hat den Vorteil, dass ich nach 60 Sekunden schon, sagen wir, „Geld & Mehr“ zusammenfalten und als erledigt auf den Altpapierstapel legen kann, wodurch sich die vorwurfsvollen Blicke der ungelesenen Papierberge von letzter, vorletzer, vorvorletzter und der Woche davor besser ertragen lassen. Nach einer halben Stunde habe ich dann ungefähr keinen Artikel gelesen, aber das gute Gefühl, den ganzen für mich uninteressanten Kram schon aussortiert zu haben. Die besonders lesenswert erscheinenden Artikel, auf die ich bei dieser Art des Abarbeitens stoße, hebe ich auf. Die lese ich später dann mal schön in Ruhe. Mit Muße. In der Theorie.

Das ist ziemlich doof. Dieses Sortierverhalten führt nämlich dazu, dass ich die schönen Texte bestenfalls mit Tagen oder Wochen Verspätung lese, nämlich dann, wenn keine „Geld & Mehr“-Teile mehr wegzuarbeiten sind. Und schlimmstenfalls gar nicht, weil sie sich mit fortschreitender Zeit immer weniger nach Muss-ich-lesen und immer mehr nach Wird-so-interessant-schon-nicht-sein anfühlen.

Vielleicht das Dümmste daran ist, dass aus dem Papierberg regelmäßig soviel schlechtes Gewissen sickert, dass auch das Lesen der schönen Texte weniger mit Muße und mehr mit Pflichterfüllung zu tun hat. Es ist eher ein Wegarbeiten als ein Genießen und an die Stelle des guten Gefühls, einen schönen, klugen Text gelesen zu haben, tritt das gute Gefühl, bestimmte Papiermengen von Tisch ins Altpapier verschoben zu haben.

Ich weiß nicht, ob das beruflich bedingt ist oder nur eine besonders fehlgeleitete Form der Prokrastination ist. Die einfachste Gegenmaßnahme wäre sicherlich, konsequent alles Papier ungelesen wegzuwerfen, das älter ist als zehn Tage. Dann käme ich gar nicht erst in diese Aussortier-Stimmung — aber ungelesenes Wegwerfen von bedrucktem Papier bringe ich schon gar nicht übers Herz.

So ist das. Schon länger. Und es wird schlimmer: Seit kurzem bemerke ich, dass ich mit der unüberschaubaren Masse an Blog-Einträgen, die täglich in meinen Feedreader strömt, ganz ähnlich umgehe. Seit ich gemerkt habe, dass der Google-Reader, mit dem ich arbeite, diese praktische Sternchen-Funktion hat, mit der man Einträge markieren und später gezielt wieder aufrufen kann. Die Wirkung ist verheerend: Sobald sich ein paar hundert ungelesene Einträge angesammelt haben, lese ich die interessant erscheinenden nicht mehr sofort, sondern klicke nur auf die Schnelle durch: Uninteressant, uninteressant, aufheben, uninteressant, uninteressant, uninteressant, uninteressant, aufheben. Das führt dazu, dass ich den Informationsschwall scheinbar viel besser unter Kontrolle habe. Aber wieder um den Preis, die schönen Sachen zu sammeln, statt sie zu lesen.

Und je länger ich darüber nachdenke, umso weniger weiß ich, was die Essensgeschichte vom Anfang damit zu tun haben soll.

58 Replies to “Sammeln statt Lesen”

  1. Es gibt eigentlich eine dritte schule, zu der ich auch gehöre: einfach alles auf den teller durchmixen und essen =)

  2. Dein Leseverhalten ist vor allem das eines Menschen, der lesen muss – bringt der Beruf wohl mit sich. Ich *darf* lesen. Viel besser, weil man sich zwar das beste bis zum Schluss aufbewahren kann (oder es sofort essen) – aber egal wie man sich entscheidet: lecker ist es allemal.

    Obwohl ich zugeben muss, dass ich einige Abbonements in meinem Feedreader eher aus politischen- denn aus Geschmacksgründen habe. Bildblog zB. lese ich eher uninteressiert: ist sowieso klar, dass Bild schwachsinnig ist, muss ich nicht jeden Tag zwingend aufs neue beigepult bekommen – aber ich finde euer Engagement gut und deswegen bleibts abbonniert.

  3. Hätte noch eine vierte Schule: Diejenigen, die darauf auchten, das Verhältniss zwischen Hauptgericht und Beilage immer gesund zu halten.
    Das hat den Vorteil, dass man nicht irgendwann nurnoch Beilage oder Hauptgericht auf dem Teller hat. Eventuell hilft Ihnen das ja auch bei dem Artikel-Problem.

  4. @3: schlechte manieren!

    lieber stefan, ganz einfach: das würde doch bedeuten, dass du die gans nie isst, sondern nur die knödel. das bild ist also krumm.

    was aber viel schlimmer ist: sind das nicht symptome, die man andernorts als „messy-tum“ (?) bezeichnet ;)

  5. die mischtypen haben’s natürlich am einfachsten, wie immer. aber das problem beim alles aufessen ist, dass es dick macht.

    wer sich nur die besten happen heraussucht und lange genug an ihnen zehrt, bedarf der sättigungsbeilagen nicht mehr. deshalb gehe ich auch lieber in modernere restaurants – die olle hausmannskost macht nur dick und faul.

    in so spezi-lokalen da kann man sich aussuchen und vor allem frei zusammenstellen was man wirklich will. das schemckt und man bleibt schlank. problem ist natürlich, dass das auch zu inkonsequenz führen kann – wenn man es sich schon aussuchen darf … deshalb nehme ich immer nur einen kinderteller, da muß ich mich zwar beschränken, aber dafür nehme ich nur die besten happen …

  6. Um den Vergleich nochmal aufzuwärmen .. das Gemeine ist ja im Zweifel, dass Schule zwei zum Schluss vor einem Berg toller – aber lauwarmer – Gans sitzt.
    Das passt dann ja vielleicht auch wieder zum Feedsammeln .. irgendwie, aber schöner Eintrag, können wir leidend mitnicken, aber jetzt wird die Gans kalt ;-)

  7. Im Moment plagt mich ein ganz anderes Problem: Ich schnappe mir zuerst das Feuilleton (wie immer), sehe aber immer öfter selbstverliebte Schmierereien à la Adorjan und bin schon nach fünf Minuten enttäuscht wie beim Verzehr eines pappigen Stücks Schwarzwälder Kirschtorte. Dann nehme ich irgendwann (sogar nach Technik und Motor) Geld & Mehr und auf einmal interessiert mich der Mist, der da drin steht.

  8. Hach, wie schön, das geht also nicht nur mir so. Speziell im Hinblick auf die FAS erlebe ich immer wieder sonntags was Sie hier treffend formulieren.
    Mit einer Ausnahme: Kurze Texte (unter anderem Ihr „Teletext“) sowie alles aus der Feder von Johanna Adorján lese ich sofort.
    Danach fängt die Arbeit an. Sehr leicht habe ich es noch beim Immobilien-Buch. Danach wird’s schwierig. Und das für mich bedeutendste Buch Politik bleibt bis zum Schluss unberührt. Um als letztes vergnügungsbefreit weggearbeitet zu werden. Ich find das jedes Mal aufs Neue bedauerlich. Sollten Sie mal einen Trick finden, diese unglückliche Herangehensweise dauerhaft durch eine geeignetere zu ersetzen, lassen Sie es mich wissen. Ich wäre sehr dankbar.

  9. Ich hab´ zwar den letzten Satz Deines Eintrags durchaus zur Kenntnis genommen, aber was solls…Ich gehöre eindeutig auch zur zweiten Schule. Wenn ich Pizza esse wird diese samt Teller gedreht, bis zunächst mal der ganze Rand weggegessen ist, danach analysiere ich die Verteilung von Käse und Salami und esse mich unter weiterem Drehen des Tellers bis zu der Stelle vor, die mir den größtmöglichen Genuss verspricht, um mit diesem Bissen das Mahl zu beschließen. Ich schätze mal, dass das reichlich bescheuert aussieht…

  10. Der Anfang mit einer Beschreibung des Essverhaltens, ein kleiner Seitenhieb auf die Wirtschaft, Gebrauch von Wörtern, die ich nicht kenne (Prokrastination), das Anhimmeln bedruckten Papiers… Dieses Blog wurde gedonalphonsost.

  11. Von dem Manne, der keine Zeitungen mehr las

    Und von demselben Autor:

    „Wenn noch eine Kleinigkeit Buttersauce
    übrig geblieben ist und anderthalb Kartoffeln,
    und alle haben schon aufgegessen … aber man
    kann sich da noch einen kleinen Privatbrei auf
    dem Teller zurechtmachen. Erfreut sehr und
    schmeckt auch gut.“

  12. ich schäme mich überhaupt nicht, zugeben zu müssen, dass ich nicht weiß, was unter „prokrastination“ zu verstehen ist.

  13. Interessante Einblicke in das (chaotische?) Leben eines Journalisten. Tja, müssen Sie wohl entweder einen Teil der Arbeit delegieren oder schon mal nen Termin beim Psychiater klarmachen.

  14. @Felix: Ja, ich bin mindestens Semi-Messie.

    @sapere aude: So Menschen wie Du sind mir sehr, sehr fremd ;-)

    @Olly: Ganz so extrem isses bei mir nicht. Aber der Gedanke ist mir nicht fremd.

    @Felix Deutsch: Ach, ist das toll. Schon das Wort (und mir sehr einleuchtende Konzept) „Privatbrei“!

    @diverse: Was Prokrastination ist, können Sie hier nachlesen. Können Sie aber auch morgen noch machen.

  15. Ich führe die Verwendung des Wortes „Prokrastination“ darauf zurück, dass Stefan hin und wieder digg.com besucht und dort kürzlich im Titel eines Flowcharts über das populärere englische Äquivalent stolperte und es seither sinnvoll in einen Text einzubinden beabsichtigte. Vielleicht liege ich damit aber auch sehr weit daneben.

  16. Ja. JA! Genauso ist es. Ich bin seit einigen Wochen dabei zu versuchen, meinen Kopf umzuprogrammieren. Die Sahnestückchen zuerst. Den Rest dann einfach wegwerfen. Ist ein hartes Stück Arbeit am Selbst. Gelingt noch so mittel. Wird aber.

  17. das problem kenne ich nur zu gut. zur zeit genieße ich aber eine selbstverordnete feeddiät: da jetzt die diplomarbeit startet, musste zeit für selbige geschaffen werden. daher lese ich nur noch die feeds aus meinen beiden top kategorien und die meiner freunde. der rest geht ungelesen weg (2-3x am tag >100). ein sehr befreiendes gefühl wenn der reader leer ist!
    und die richtig guten artikel verpasst man meist trotzdem nicht, da sie je verlinkt werden. :)

  18. erst lese ich den fußballteil, also den sport abzüglich formel 1, leichtathletik, skispringen und frauenfußball.
    dann politik, dann das feuilleton und als letztes die medienseite. wirtschaft werfe ich weg. (für die FAS: Fußball, Sport, Gesellschaft, Feuilleton, Niggemeier)
    so mache ich das, seitdem ich 8 bin. ich bin also ein konservativer mischtyp.
    twix esse ich, indem ich alles bis auf den keks abnage und diesen dann mit dem geschmacklichen nachhall von karamel und schokolade in drei bissen verschlinge.

  19. ich würde mich der selbsthilfegruppe gerne anschließen wollen.
    bei mir ist es mannchmal ganz schlimm: ich lese interessante text sogar an, um dann schnell wieder abzubrechen und sie mir für später aufzuheben – coitus interruptus sozusagen… dann gehts erstmal zum „petting“ auf die wirtschaftsseiten. bin ich normal?

  20. ach in wirklichkeit liegt mein arbeitszimmer auch voller ungelesener faz-haufen, die noch durchzuforsten sind. deshalb – und wegen des unerträglich beliebigen neuen layouts, wegen diverser überflüssiger ossi-schelten in tateinheit mit immer stärker raumgreifender verspiegelonlinenisierung und der tatsache, dass die faz gleichzeitig botschaftsstilistisch in die 50ger zurückzufallen droht … wegen all dieser ärgernisse werde ich in bälde mein abo kündigen.

    deine beiträge kann ich ja – teilweise – hier lesen und die alltagsskizzen von Hauck & Bauer gibts
    hier.

    ja, die medienseiten von fas und faz werden mir fehlen. aber die gehören eigentlich auch vollständig ins netz. dann kann ich es mir wieder aussuchen. für die politik: tagesschau.de, für das feuilleton faz.de, vermischstes deckt spon ganz gut ab (wenn ich mich brandaktuell über die neueste reise von angelina jolie unterrichten muß) und sonst hab ich ja auch noch einen vollen feedreader …

    … nur das essen darf ich nicht vergessen …

  21. Ich hätt auch noch einen Futter-Typ hinzuzufügen. Ich hab’s früher auch gemacht wie Stefan, mit dem Ergebnis, dass allzu oft das aufgesparte übrig blieb, aber nicht mehr schmeckte weil man schon pappsatt und das Zeug (fast) kalt ist. Irgendwann bin ich dazu übergegangen, Beilage und Hauptgericht einfach abwechselt zu essen, dabei aber immer darauf zu achten, dass am Ende (und sei es ein „jetzt geht nichts mehr!“-Ende) noch was von dem übrig ist, dessen Geschmack man dann noch auf der Zunge behalten will.
    Zugegebenermaßen lässt sich das aber wohl nicht so ganz aufs Leseverhalten übertragen, denn dann blieben schnell nur halb gelesene Seiten übrig – und man will das Zeugs doch ins Altpapier kriegen…

  22. Das hat den Vorteil, dass ich nach 60 Sekunden schon, sagen wir, „Geld & Mehr” zusammenfalten und als erledigt auf den Altpapierstapel legen kann

    pah ,)

    jo, „Geld & Mehr“-Genußschreiber

  23. dieser umgang mit kommentaren ist doch gar keine form des sich-das-beste-bis-zum-schluss-aufheben. das ist doch nur die vom kopierer bzw. neuerdings drucker bekannte arbeitsweise: beim überfliegen von artikeln werden nur die ausgedruckt (oder kopiert, wenn man noch die druckausgabe liest), die man wirklich spannend findet. und dann landen sie auf dem stapel musst-du-mal-lesen. und werden sie irgendwann vom schreibtisch weg und auf den stapel wolltest-du-schon-immer-mal-lesen im regal geräumt. und dann irgendwann mal alphabetisch nach autor in die hängeregistrator sortiert. und dann irgendwann mal aussortiert und in den altaufsatzcontainer (bei mir gleich aus der haustür rechts um die ecke) geschmissen. gelesen werden sie doch sowieso nie. deshalb schreib ich auch lieber so-la-la aufsätze – die werden wenigstens überflogen. (aber vielleicht ist das bei journalisten ja auch anders als bei wissenschaftlern.)

  24. Lustig, genau über das Thema mit dem Essen hab ich mit Freunden vor 2 Tagen beim Essen auch geredet. Da meinte dann auch einer, dass es blöd ist, so wie du das machst, weil es ja passieren kann, dass man das Beste gar nicht mehr schafft, weil man schon voll ist (ich nehme an, das wird bei dir aber nicht vorkommen ;) (bei mir übrigens auch nicht)). Aber dann hat es mit dem Leseproblem doch wieder viel zu tun, besonders dann, wenn man sich die Reste einpacken lässt… ähh und am nächsten Tag wieder essen geht und das gleiche macht. ;)
    Ich mache es da mit dem Lesen und dem Essen ziemlich genau so wie Mirko (#27.). Immer ein guter Mix, wenn man weiß, dass später noch was geht kann man sich auch schon mal was gutes aufheben, wenn nicht eher nicht.

  25. Ein Kloß sollte so gut sein, daß er mit gleichem Recht gegessen wird, wie die Gans.
    Man ist die Teile des Hauptganges reihum, denn das ist die Idee, sie überhaupt gemeinsam zu servieren – Vorspeise, Vorsuppe, Nachtisch und Käseplatte kommen ja auch nicht im gleichen Gang.

    Bei Zeitungen ist das natürlich anders, insofern sie Rubriken haben, die mehr der Orientierung dienen, als eine Reihenfolge vorzuschlagen.
    Liest man das beste zuerst, so hat man bei Ermüdung und Zeitmangel immerhin das goutiert, was einem am wertvollsten scheint.

  26. Mein Problem geht nachhher weiter. Die tollen Artikel landen zunächst auf einem Stapel. Die Theorie ist, dass sie irgendwann bestimmten Kategorien zugeordnet und archiviert werden sollen. (Manche Artikel verweigern sich jedoch einer konsequenten Zuordnung – aber das nur am Rand.) Inzwischen ist mein dafür vorgesehener Archivplatz voll. Die Listen mit den Artikelbeständen habe ich verloren; ich weiss nur noch ungefähr, wo man etwas finden könnte. Da ich mich um Archivplatz noch nicht weiter gekümmert habe, wächst der Stapel der zu archivierenden Artikel an. Neulich habe ich mir diesen Stapel noch einmal vorgenommen und konnte rund 20% wegwerfen. Das war plötzlich gar nicht mehr so toll – oder schlichtweg überholt.

  27. Nachdem ich festgestellt habe, daß Papierberge keineswegs den erhofften Anschein größenabhängiger Intelligenz vermitteln, sondern bei Besuchern ausschließlich und in 100% der eintretenden Fälle zu der ausgeleierten und völlig desinteressierten Standardfrage Hast-du-das-alles-schon-gelesen? führen, habe ich mich vor ein paar Wochen zu einem archivfreien Leben entschlossen und dazu, nur noch Erfahrungen zu sammeln. Was ich mir nicht merken kann, fliegt weg. Das gilt auch für eigene Gedanken.

    Ich bin noch etwas unkoordiniert im Umgang mit plötzlich so viel mehr Zeit und Raum. Auch meine Katzen wissen noch nicht so recht, wohin sie jetzt kotzen sollen.

    Bei mir übrigens ist im letzten, eisern aufgesparten und am appetitlichsten aussehenden Stück grundsätzlich der einzige Knochen am ganzen Tisch. Ich hebe es also nach wie vor auf, esse es aber nicht mehr. Ätsch.

  28. NEW YORK TIMES, December 10/2006 über das Schneeweiss:
    „….Forget Bratwurst. For lighter versions of Teutonic cuisine, try Schneeweiss, a nouvelle German restaurant in the Friedrichshain district, Berlin’s equivalent of the Lower East Side….“

    Das hat die NYT vor ein paar Monaten auch über Kreuzberg gesagt, als McDonald’s dort eröffnete. Ich bin mal gespannt, welcher Beliner Stadtteil demnächst zur Lower East Side ernannt wird.

  29. Ich würde mit einem Bissen Gans anfangen, mit einem Bissen Gans aufhören und dazwischen möglichst gleichmäßig von allem essen. Aber eine Zeitung ist anders als ein Teller: Rosinen- (bzw. Gänse-)pickerei bedeutet dort Hin- und Herblättern, und das ist mir zu anstrengend, vor allem Sonntags.

    Gerade die FAS ist da für meine Lesegewohnheiten perfekt: Erst der Politikteil, also alles, was man „wissen muss“, dann 30 Sekunden für den Sportteil, zur Verlängerung der Vorfreude den Wirtschaftsteil, und dann der Höhepunkt: Das Feuilleton. Alle Bücher danach sind notfalls verzichtbar. Ob ich sie lese, richtet sich danach, wie gut das Feuilleton diesmal war und wie lange es mich aufgehalten hat. Wenn ich keine Lust mehr habe (oder keine Zeit), lasse ich Geld & Mehr, Gesellschaft, Wissenschaft und den ganzen Rest guten Gewissens im Altpapier verschwinden. Was über den Tag hinaus Bestand haben soll, wird ausgeschnitten und auf einen (mittlerweile recht hohen) Stapel gelegt.

  30. Erinnert mich an eine Szene aus meinem Volontariat: Der CVD meiner Regionalzeitung wurde in der Konferenz angeherrscht, „er solle die Texte gefälligst veröffentlichen nicht verwalten“.

  31. Merkwürdig, daß Du sowohl beim zurückgelehnten Sonntagszeitungslesen als auch beim aktiven Internetnutzen so vorgehst. Mit den Feeds (und der Gans) mache ich es genauso, aber wenn ich die Sonntagszeitung in die Hand nehme, kommen erst die Leckerbissen (Feuilleton, Gesellschaft, Wissenschaft) und ganz zuletzt die ungenießbare Deko (Immobilien, Sport, Technik & Motor). Sonntagsbraten eben.

    P.S.: Manueller Trackback:
    „Der Link am Morgen: Das Beste zum Schluss – Heute mal kein Link zu amerikanischen Productivityblogs, sondern zu Stefan Niggemeier, der in seinem Blog erzählt, wie er Zeitungen liest: (…)“

  32. Ich sortiere meine Zeitschriften etc. genauso. Und auch mit den Feeds gehe ich genauso vor.
    Und der einzige Grund warum ich deinen Blogeintrag gelesen habe, ist weil ich ihn nur lesen musste und keine weiteren Schritte tun musste. Die Tipps für gute Powerpoint-Präsentationen mussten warten.

    Bei dem Papierkram gibts aber eine ganz gute Lösung: Artikel rausreißen, in die Nähe der Wohnungstür auf den Stapel mit den anderen Artikeln legen und wenn man dann losgeht immer mal was mitnehmen und lesen. Kann man danach prima in die öffentlichen Mülltonnen schmeißen, spart also sogar Müll. Und man schafft es einiges zu lesen (wenn man mit öffentlichen Verkehrsmitteln fährt oder beim Arzt sitzt noch viel mehr)

  33. „Und je länger ich darüber nachdenke, umso weniger weiß ich, was die Essensgeschichte vom Anfang damit zu tun haben soll.“

    Das ist ganz einfach: Die leckeren Sachen sind kalt, wenn du anfängst, sie zu essen.

  34. Also ich gehöre auch zur zweiten Kategorie. Trotzdem liegt bei der Gans ein klassischer Fehler vor denn einen Knödel sollte man sich für den Schluss aufheben um die gute Soße noch anständig vom Teller zu bekommen.
    Leider muss ich aber zustimmen das sich dieses „erst das was muss und dann das Gute geniessen“-Konzept leider wirklich auf andere Lebensbereiche erstreckt. Naja was will man aber machen….lieber die Arbeit nicht so gut gemacht als den Braten gegessen und dann vor einem Gemüsehaufen sitzen.

    PS was machen eigentlich Vegetarier?

  35. @ Tabea
    „Kann man danach prima in die öffentlichen Mülltonnen schmeißen, spart also sogar Müll.“

    Bin ich ein Ökospinner wenn ich sage, dass Papier da nicht reingehört?

  36. Beim (guten) Essen gehe ich oft ähnlich vor, beim Lesen gehöre ich allerdings eher der „erst lesen was Spaß macht und dann den Rest“ Fraktion an. Aber auch bei dieser Methode sammelt sich schnell sehr viel an Ausschnitten/Ausrissen und ungelesenen Zeitschriften an wenn man es nicht über’s Herz bringt alles wegzuwerfen oder gleich korrekt zu archivieren.

  37. Ich kenne die Problematik und habe sie bei mir folgendermaßen analysiert:
    Wenn ich etwas relativ Unwichtiges gelesen habe, kann es weg.
    Wenn ich etwas „Gutes“ gelesen habe, soll es bleiben.
    Die Frage ist wo lasse ich es um es bei passender Gelegenheit wieder greifbar zu haben.
    Dazu gibt es beispielsweise die Möglichkeiten des Labels.
    Das ist allerdings keine Lösung wie man nach geraumer Zeit feststellen kann.
    Es fehlt nach wie vor ein sinniger Speicher, wie ihn unser Gehirn bietet, das assoziativ Informationen wieder ans Tageslicht bringt.
    Man lässt also das „Gute“ einfach auf dem Teller.
    Nicht lesen zeigt die Angst vorm nicht wiederfinden.

  38. Ich bin definitiv auch Esstyp #2. NIEMALS bleibt beim letzten Happen ausschließlich das Stück Fleisch, Gemüse oder Beilage übrig. Das muss man sich sorgsam einteilen, so dass beim letzten Happen alle drei Kredenzien Platz auf der Gabel finden.

    Besonders deutlich wird das bei der Pizza, die ich IMMER mit Spiegelei esse. Und der letzte Biss, man ahnt es schon, ist natürlich der mit dem Eigelb…

    Mein Leseverhalten Sonntags mit der FAS: Schnell den Politikteil durch, dann ebenfalls sehr schnell, weil von gestern, den Sportteil und dann das Feuilleton von hinten gerade mal bis zur Medienseite gelesen. Zu guterletzt den Rhein-Main-Teil, um meinen Informationsbedarf bzgl. Eintracht Frankfurt zu befriedigen. Dauer max. ne Stunde. Das ist natürlich zu wenig für so ne dicke Zeitung aber Sonntags hat man heutzutage ja leider auch keine Zeit mehr…

  39. Das ist natürlich zu wenig für so ne dicke Zeitung aber Sonntags hat man heutzutage ja leider auch keine Zeit mehr…

    Na, dann müssen wir eben die Revolution machen.

    Vorteile: Mehr Freizeit für alle und keine FASZ mehr. Hihi.

  40. kann auch kein bedrucktes Papier unbesehen wegwerfen! es könnte ja was drinstehen … deshalb war ich heilfroh, als mein Probeabo der FAS endlich ausgelaufen war, wo ich es doch nicht einmal schaffte, die FAZ vom Samstag zu lesen. das Wochenende gehört nämlich den 3 K (K im weitesten Sinne), da bleibt manchmal gerade Zeit für die Bundesligatabellen und das Feuilleton.

    werktags, in der S-Bahn zwischen Schule und Arbeit, bin ich wohl ein Mischtyp: zuerst die Titelseite dessen, was weggeschmissen wird: Wirtschaft. dann der Sportteil (eigentlich nur Fußball). montags aufheben und zu Hause die Tabellen ausschneiden, falls mein Sohn unter der Woche fragt, gegen wen Werder und Kaiserslautern das nächste Mal spielen. dann: das Feuilleton, von hinten, zuerst Strizz. oft ist die letzte Seite so interessant, daß ich schon im Büro bin. Fernsehprogramm (ab 22 Uhr) überfliegen: ich verpasse sowieso nichts, wenn ich nicht gucke. und ich gucke nichts (außer Fußball, aber nur live). keine Zeit. oder keine Lust. bei der Medienseite beginne ich, mich zu fragen, ob französische Gratiszeitungen mich wirklich interessieren. nein, interessiert nicht wirklich. „Forschung und Lehre“ ist oft klasse. dann die literarischen Rezensionen: zuerst den Schlußsatz lesen: lohnt es sich, den Artikel zu lesen? lohnt es sich, das Buch zu lesen? manchmal ja: meine Liste derjenigen Bücher, die ich unbedingt noch lesen möchte, umfaßt inzwischen 5 Din A4-Seiten. die Musik-Liste ist 1 Seite lang, die Filme-Liste auch 1 Seite. manchmal schaffe ich es bis zur Technik oder zum Reiseblatt. zur Politik komme ich fast nie, außer bei Wahlen, wenn der Papst stirbt, wenn die USA mal wieder irgendwo einmarschieren. dann bleibt halt der Rest liegen. bei Europa- und Weltmeisterschaften bleibt meistens alles außer dem Sportteil liegen. und alles „Angelesene“ wird aufgehoben (s.o.), für später, wenn ich mal Zeit habe.

    seit der Geburt meines 1. Kindes 1998 hat sich da so einiges angesammelt: 2007 liegt im Wohnzimmer, 2003-2006 in einer großen Holzkiste (eigentlich für Spielzeug angeschafft) im Schlafzimmer, 1998-2002 in den Küchenschränken. manchmal kriege ich einen Rappel, dann schnappe ich mir einen Stapel und arbeite ihn ab: Politik, Sport, Wirtschaft, etc. unbesehen in den Papiermüll – es könnte zwar etwas Interessantes über die Rechtschreibreform oder ein Hintergrundbericht über die Lage im Nahen Osten darin stehen, aber was soll’s: weg damit! (sehr schön Ihr Satz: „Nach einer halben Stunde habe ich dann ungefähr keinen Artikel gelesen, aber das gute Gefühl, den ganzen für mich uninteressanten Kram schon aussortiert zu haben.“) das Feuilleton und die Natur- und Geisteswissenschaften werden durchgeblättert – und das ist ein Fehler – ein Fehler, der zwar erkannt, nicht aber eliminiert wird: es finden sich nämlich immer Artikel, die aufgehoben, gelesen, kopiert, archiviert werden müssen. müßten. müßten? wer wird das je wieder lesen, wo nicht einmal Zeit zum Lesen der aktuellen Zeitung ist? trotzdem, das Zeugs kommt in eine neue Kiste (die derzeit unter dem Küchentisch steht). man könnte wahnsinnig werden.

    ich fand den Kommentar mit den „Erfahrungen“ gut: einfach gar keine Zeitung mehr lesen. das Leben könnte so einfach sein: in der S-Bahn liest man eines der 999 Bücher, die man sowieso unbedingt lesen will, abends, wenn die Kinder im Bett sind, liest man darin weiter (dann darf man natürlich nicht den Rechner einschalten und solche Kommentare verfassen) oder macht seine Steuererklärung oder geht einfach mal früher ins Bett. oder vielleicht kommt eines Tages die Grundsicherung, dann muß man gar nicht mehr arbeiten gehen und hat den ganzen Tag Zeit, alles mögliche zu lesen.

    im Ernst: mit einem Freund schreibe ich gerade an einem Buch über Fettleibigkeit. es ist einfach ZUVIEL! zuviel Essen, zuviel Information, zuviel Wichtiges, zuviel, das man „verpassen“ könnte. ein normaler Mensch kann das nicht aushalten: je mehr man weiß, desto weniger will man verpassen. und so wie andere Fettreserven ansammeln, die sie wahrscheinlich nie brauchen werden, so sammle ich Texte, die ich wahrscheinlich nie brauchen werde. eine Art intellektuelle Fettleibigkeit? das müßte man alles im Detail untersuchen, ich wüßte gerne, was Adorno dazu zu sagen hätte.

    beim Essen: nur Gutes essen = das, was schmeckt! ich bin die meiste Zeit des Jahres Vegetarier und liebe die Gemüse, die eine Mehrheit hier anscheinend verachtet, aber wenn es Gans gibt, achte ich darauf, daß noch ein leckeres Stück mit Haut +Fett im Ofen brutzelt, während ich den Rest Grün- oder Rotkohl esse. dieses leckere Stück mit Haut genieße ich dann, während die blöden anderen ihren blöden Nachtisch (z. Bsp. Vanilleeis mit Eierlikör) in sich reinschaufeln.

  41. @49: Sie meinen wohl mehr Freizeit in der Woche und weniger Restaurantbesuche, die sich Herr Niggemeier leisten kann, das wollen Sie doch wohl nicht :)

  42. Ich halte es beim Essen wie Du – wobei nicht immer die Gans das Beste sein muss, kommt immer auf die Knödeln an – und beim Zeitungs- und Internetlesen genau andersherum.

    Das liegt bei mir wahrscheinlich daran, dass ich meinen Teller eigentlich immer leer esse – meine wenigen Zeitungen (die wenigen, die ich noch lese) aber grundsätzlich nie ganz lese. Wie denn auch. Ich muss beruflich schon so viel lesen (E-Mails, RFCs, Tickets, Project Propsals, Status-Reports, Budgets, Meeting Minutes, Newsletter, Agenden, Dokumentationen und wie das verdammt Zeug alles noch heißt), dass ich das dann auch gar nicht mehr schaffen würde, mit Frau und zwei Kindern…

    Das mit dem Internet brauche ich ja wohl nicht weiter auszuführen.

  43. Ich bin irgendwie eine Mischung aus beiden Typen. Sonntags zum Appetitanregen zuerst Politik und Sport, dann die Sättigunsbeilagen Finanzen, Auto und Wirtschaft schnell überflogen, der Appetit wird dann langsam wieder gesteigert mit Reise und Wissen und als Dessert dann das Feuilleton und Gesellschaft.

  44. Vielen Dank, das ist große Klasse, wie du das beschreibst! Mir geht es ganz genauso. Und nicht nur bei dem Berg von ausgeschnittenen Zeitungsartikeln – auch mit meinen DLF-Mitschnitten, dem ganzen Kram aus dem Internett und, natürlich, mit meinem Haupsammelgegenstand, den TV-Mitschnitten. Alles was doof ist, wird sofort angesehen und weggeschmissen. Die Perlen, die arte-themenabende, die 4-seitigen taz-Dossiers, die DLF-Langen-Nächte – das alles landet auf hohen Stapeln (da steht drauf : NNG, „Noch nicht gelesen/gesehen/gehört“), auf nie wiedergesehenen Datenträgern. (Nicht immer, aber sehr oft, ja.)

    Was das mit dem Teller zu tun hat ? Ist doch klar : der ist immer so voll, daß wir nach dem Bauchvollschlagen mit all den Nudelknödelfritten das leckere Gemüse einfach nicht mehr schaffen.

    Abhilfe sehe ich leider nicht.

    schönen Gruß
    Volkmar

  45. Bei mir gibt es das Beste zuerst: Politik und Panaroma (oder wie das Allgemeine bzw. Klatschressort auch immer heißt). Auch der Lokalteil wird noch recht schnell abgearbeitet. Das führt dazu, dass dann weniger spannende Teile wie Auto- und Finanzmarkt tage- bis wochenlang herumliegen und nicht selten ungelesen ins Altpapier wandern.

  46. Das geht mir wirklich ganz genauso. Beim Zeitungslesen und genauso bei Blogs. Und dieser Kommentar sei der Beweis.

Comments are closed.