Claus Kleber

Ganze Dossiers werden in den nächsten Tagen noch veröffentlicht mit klug und informiert erscheinenden Analysen über die strategischen, politischen und persönlichen Gründe dafür, dass ausgerechnet Claus Kleber neuer Chefredakteur des „Spiegel“ werden soll. Geschrieben werden die allerdings von Leuten, die in den vergangenen Wochen in genauso klug und informiert erscheinenden Analysen dasselbe für jeden Kandidaten außer Claus Kleber getan haben, und deshalb ist diese Erklärung so gut wie ihre:

Es war der Abend des 2. Dezember, im „Spiegel“ brannte noch Licht. Ein paar Strippenzieher saßen beim Wein zusammen, verwarfen Namen und schauten nebenbei, in einer komplizierten Mischung aus Trotz und Selbsthass, den Jahresrückblick „Menschen“ im ZDF, mit Johannes B. Kerner, dessen Talkshow von einer „Spiegel“-Tochter produziert wird. Während sie saßen und tranken, wurde Claus Kleber live aus Moskau zugeschaltet, und er begann mit den Sätzen: „Es ist Mitternacht in Moskau und bitterkalt und eine spannende Nacht.“ Kindlich rein und klar schienen ihnen diese Sätze, so unprätentios wie nichts, das sie je in ihrer Zeitschrift gelesen oder geschrieben hätten. „Das ist ein Riesenland“, fuhr Kleber fort, und als sie sich gerade fragten, ob es vielleicht ein Fehler war, dass sie all die Jahre richtige Verben und sogar Nebensätze benutzt hatten, fügte er hinzu: „Im Osten geht bereits wieder die Sonne auf – so groß ist dieses Land, das Putin heute noch einmal fester unter seine Kontrolle bekommen wollte.“ Das war nun von großer Anschaulichkeit, aber fehlte da nicht ein bisschen die kritische Analyse? Sie fehlte nicht mehr lange, denn Kleber, der nicht hemdsärmlig war wie der Mann, den sie sonst oft auf dem Bildschirm sahen und in ihren Konferenzen, sondern dick in einen Mantel eingepackt war, was ihn noch staatsmännischer aussehen ließ im eisigen Wind, und der, ganz ohne Podest, hinter einem Tisch zu stehen schien und eine Hand lässig darauf ablegte, fuhr fort: „Es ist in einem so riesigen Gebiet auch dann schwierig, eine faire und gerechte Wahl zu machen, wenn man es ernsthaft versucht. Die Frage ist: Ob das heute probiert worden ist. Und es sieht nicht danach aus.“

Das war kritisch und auf den Punkt und doch so ganz anders als diese miesepetrige, zynische, nicht nur immer alles besser wissende, sondern vor allem immer schon alles gewußt habende Haltung, die sie von ihrem Chef und aus ihren Fernsehmagazinen und aus ihrer Illustrierten kannten, die früher einmal ein Nachrichtenmagazin war. Es war weder zynisch noch naiv, sondern auf eine fremde Art pädagogisch und menschenfreundlich.

Und einem der „Spiegel“-Leute fiel plötzlich ein, dass er ein paar Tage zuvor schon gesehen hatte wie dieser Claus Kleber mit Kurt Beck gesprochen hatte, der gerade Olaf Scholz zum Arbeitsminister gemacht hatte und sich augenscheinlich vorgenommen hatte, nicht ganz so offen und zugänglich auf die Fragen zu antworten wie es ein Stück Granit getan hätte. Kleber aber blieb entspannt und fragte mit der freundlichsten Boshaftigkeit, die man sich vorstellen kann: „Sehen Sie verborgene Qualitäten in Olaf Scholz?“ Nachdem der „Spiegel“-Mensch das erzählt hatte, durchzuckte es alle: Sowas wollten sie auch.

Genau so war das.

Und solange die Redaktionskonferenzen nicht vollständig live übertragen werden, sehe ich überhaupt keine Veranlassung, warum der blöde „Spiegel“ seinen Willen bekommen und dieser Mann dem Fernsehen verloren gehen soll.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

30 Replies to “Claus Kleber”

  1. Claus Kleber hat bei seinem Antritt geschafft, was jahrelang unmöglich war: Das ich das heute-journal den Tagesthemen vorzog. Und seither hatte ich das Gefühl, dass das ZDF der ARD in dem Sektor immer weiter enteilt. Wäre wirklich schade, wenn Kleber jetzt dort verschwindet.

  2. Großes Stück!

    Treffender und subtiler hätte man die aktuellen Fragenzeichen, die sich rund um die Amtshandlungen der Kollegen von der Brandstwiete ranken, nicht in Worte fassen können.

    Es sind diese Beiträge, die mich immer wieder schmerzlich daran erinnern, dass die Medienseite der FAS nicht mehr komplett von SN betreut wird.

  3. Ja, das wäre ein Verlust fürs Nachrichten-Fernsehen. Kleber ist eben nicht einer, der – wie seine Kollegen von den Tagesthemen – einfach nur Überleitungen drechselt, sondern der im Vorübergehen messerscharfe Analysen liefert und die seltene Gabe hat, auf den Punkt zu bringen, ohne blöde zu vereinfachen. Fänd ich ja schön, wenn die Wahl beim Spiegel auf die hier skizzierte Weise gefallen wäre – das würde immerhin bedeuten, dass dort das Gespür für wirklichen Journalismus nicht ganz verloren gegangen ist. Viel schlimmer wärs, wenn Kleber einfach nur die einzig verbliebene Kompromisslösung in diesem zerstrittenen Haufen abgeben würde.

  4. ich finde claus kleber und frau slomka unerträglich.

    allzeit pseudokritisch und dabei mal mehr mal weniger subtil eine echte stütze des neoliberalen establishments in wirtschaft, regierung und medien.

    schön finde ich auch immer wieder wie häufig und selbst verständlich die bildzeitung als quelle in heute vorkommt, mit anderen worten wer dort nach oben kommt paßt dort hin.
    recht erhellend zu diesem thema fand ich auch diesen artikel über die verflechtungen der neuen spiegelbildner mit der quand-stiftung.

    http://37sechsblog.de/?p=2045

  5. Ich habe den Eindruck, dass die Wahl auf einen Fernsehmann fiel, liegt daran, dass Moderatoren weiße Leinwände sind. Man kann sie nicht einschätzen. Mit Claus Kleber kann man allen das Wort reden, die meinten, dass der Spiegel jetzt jedem das Wort reden. Kleber Wirkt seriös und… ja, und was noch? Er ist eine reine Projektionsfläche. Ich glaube, das ist so gewollt.

  6. @Schnitzel: Ich habe herzlich gelacht, vielen Dank. Und ich werde jetzt immer, wenn ich Claus Kleber sehe, den Erpel mit der Nickelbrille und dem Hut vor meinem geistigen Auge haben.

  7. Das klingt sehr plausibel. Und ich möchte behaupten, dass die meisten richtigen Entscheidungen genau so getroffen werden – die meisten falschen natürlich auch. Wobei ja das Entscheiden meist schon richtiger ist als weiter misepetrig Wein zu trinken.

    Schade nur, dass nicht Anne Will gerade im Fernsehen war.

  8. Ich muss zugeben, dass ich lange gegenüber Kleber skeptisch war (übrigens: chapeau, @8!) – aus nicht sehr sachlichen Gründen wie diesen Nachrichtensprecherdarstellerinnen an seiner Seite (schauder), einer generellen ZDF-Skepsis und dieser komischen Kopfhaltung (ein Fall für den Physiotherapeuten? Teleprompter schief aufgehängt?). Aber spätestens seit dem Interview mit Wolfgang Tiefensee vor ca. zwei Wochen hat er einen Stein bei mir im Brett: „Die von Ihnen geplante Bahnprivatisierung trifft in Ihrer Partei auf erbitterten Widerstand, beim Bahnstreik gibt es seit Wochen keine Fortschritte. Herr Tiefensee, warum sind Sie noch im Amt?“ (aus dem Gedächtnis zitiert)

  9. Grandios – recht hast du. Seit ich auf C.K. aufmerksam geworden bin (ursprünglich allein schon aufgrund der Anmoderation des heute journals mit Claus Kleber und Gundula Gause; macht mir heute noch Spaß :-)), bin ich ein kleiner Anhänger der Dinge geworden, die er so anpackt und werde in der Regel auch überzeugt.

    Danke für deinen wirklich schönen Text, der schlicht und ergreifend passend ist.

  10. Sehr netter beitrag, endlich mal ein Blog in dem nicht nur gehetzt wird sondenr ein halbwegs ausgewogenens Bild gezeichnet wird.

    Ich halte Kleber für einen fähirgen Journalisten, Schieflage hin oder her, aber da ich das heute journal dem Spiegel vorziehe (Zeitung statt Zeitschrift!). Außerdem macht er ziemlich gute Reportagen.

  11. Oh, peinlich, das steht hier ja schon längst, dass er in Mainz bleibt. Habe nicht so genau hingekuckt. Kannst meinen Beitrag also löschen, Stefan!

  12. Kleber scheint ein glücklicher Mensch zu sein, mit sich im Reinen.
    Wenn man den Spiegel macht, muß man genau das Gegenteil sein, oder?
    Kleber hat klug entschieden.

  13. Anderer Aspekt. Egal, wer jetzt der Spiegel-Chefredakteur werden wird: Er /sie (sind Frauen im Rennen – ich gleube nicht) weiß, dass er/sie nur zweite Wahl ist. Toller Start | Danke auch Stefan, dass du die Stärken von KK rausgearbeitet hat. Dazu noch eine Ergänzung. KK wurde ja in anderen Medien vorgeworfen, den Spiegel-CR-Posten ohne eigenes Konzept anzutreten. Aber die Kollegen, die das geschrieben haben, irren natürlich gewaltig, denn die Mitarbeiter KG wollte sich KK natürlich genau wegen seines Konzepts angeln – und Stefan hat schön rausgearbeitet, um welches Konzept es sich handelt: … „Es ist Mitternacht in Moskau und bitterkalt und eine spannende Nacht. […] Das ist ein Riesenland […] Im Osten geht bereits wieder die Sonne auf – so groß ist dieses Land“ … Daran zeigt sich: KK hat die Fakten im Focus. Das ist sein Konzept und das wollte der Spiegel sich einkaufen.

  14. welch wundervoller Artikel.

    und, Sascha/25: „CK“, nicht „KK“. wenn schon, denn schon, also: „CK hat die Fakten im FoKus.“ Oder im Stern?

  15. Ein Verlust für den Spiegel, wenn Kleber nicht kommt. Ich finde Kleber ist ein sehr guten Journalistenten.
    Interesante Reportagen und fast unverzichtbar beim Heute Journal.

  16. Was finden nur alle an Klaus Kleber??

    Ich kann die Beliebtheit dieses Mannes nicht nachvollziehen. Dabei zweifle ich nicht an seiner Kompetenz. Vielmehr geht mir dieses ewig besserwisserische „ich erklär‘ Ihnen mal eben die Welt“ Gehabe gehörig auf den Sack. Ich möchte Nachrichten präsentiert bekommen – möglichst sachlich – und ggf. einen Kommentar dazu. Permanent die politisch sehr durchsichtige Privatmeinung eines Klaus Kleber brauche ich nicht. Höre ich dieses „Guuuuuuhhhten Aaabend“ schalte ich um, obwohl ich ansonsten recht gerne das Heute-Journal sehe.

    Schade, dass Herr Kleber nicht zum Spiegel geht, dann wäre das Heute-Journal vielleicht wieder sehenswerter.

    Euer Fernsehkotzer

  17. … kleiner Nachschlag:

    Das „kleine Miststück“ Slomka gefällt mir wesentlich besser.

    Richtig gut war übrigens Klaus Peter Siegloch (jetzt wieder als Korrespondent in Washington). Den vermisse ich schon sehr!

  18. Ich bin froh, dass er sich dagegen entschieden hat. So darf ich hoffentlich noch einige spannende Jahre mit dem Heute-Journal verbringen. Außerdem wäre Gundula sicher untröstlich gewesen ;)

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