Sonntagsredner telefonieren billiger

Im vergangenen Jahr sprach Bodo Hombach, der Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe, bei einer Veranstaltung namens „Bayreuther Dialog“ zum Thema „Die Moral der Medien — Im Zwiespalt zwischen Qualität und Profit“ [pdf]. Den Untertitel, der ihm offenbar vom Veranstalter vorgegeben war, wies er aber in einer Sprache, die vage an Deutsch erinnert, gleich zurück:

Wer einen solchen Zwiespalt propagiert, oder Verleger die sich da hineintreiben lassen, verspielen die Zukunft ihrer Qualitätsmedien und ihren Markt [äh… sic!]. Sie beschleunigen den Trend zum Gratisjournalismus, der keine andere Funktion hat, als den Zwischenraum zwischen Anzeigen zu füllen, und der über kurz oder lang selber zur Werbung werden wird, also auch gekauft werden kann. (…)

Qualität und vernünftiger Profit sind unter diesen Umständen kein Gegensatz, sondern bedingen einander.

Beim Verlag der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ sei man da schon total weit, sagte Hombach, der den Zuhörern zum Beweis ein Papier mitgebracht hatte, in dem die Verantwortlichen seiner Zeitung 2007 ein paar journalistische Selbstverständlichkeiten aufgeschrieben und zum „Ehrenkodex“ verklärten hatten, dessen historische Unterzeichnung sie in einem dem Anlass angemessenen Foto festhielten und der sie zu großem Selbstbehudel animierte.

Hombach sagte bei dieser Gelegenheit (wiederum offenbar unredigiert): „Wenn von Qualitätszeitungen die Rede ist, sollen unsere Titel genannt werden, was heißt: Wenn unser Leser sagt, ‚das habe ich in der Zeitung gelesen‘, dann muss das bedeuten, dass es wahr ist.“ Er fügte hinzu: Gerade die Regionalzeitungen müssten ein deutliches Signal gegen die Vermischung von Werbung und redaktionellen Inhalten setzen. Der Verhaltenskodex der „WAZ“-Mediengruppe sei ein „Element in der Kette einer Qualitätsoffensive, die wir noch steigern wollen“.

Wenn man so naiv wäre anzunehmen, dass all das Gerede ernst gemeint war, hätte man sich nun fragen können, wie die Kollegen von der „WAZ“-Gruppe angesichts der superstrengen Vorgaben über die eindeutige Trennung von reaktionellen und werblichen Inhalten ihren neuen Telefontarif bewerben würden, den sie seit heute in Zusammenarbeit mit E-Plus ihren Lesern verkaufen wollen. Als Anzeige gekennzeichnet? In einer Extra-Rubrik „In eigener Sache“? Jedenfalls gestalterisch abgesetzt von den journalistischen Inhalten, wegen des Vertrauens und so?

Ja. Oder so:

Das ist die Titelseite der „Neuen Ruhr-Zeitung“ von gestern. Und sicherheitshalber schwärmte die Redaktion auf Seite 3 gleich noch weiter:

In anderen Blättern der „WAZ“-Gruppe sah es offenbar ähnlich aus.

Nun kann man natürlich sagen, dass es sich dabei nicht um Schleichwerbung handelt, weil die Redaktion ja nicht für ein fremdes Unternehmen wirbt, sondern für ein Produkt, an dem das eigene Haus zumindest mitverdient. Das ändert aber nichts daran, dass es sich nicht um journalistische Texte, sondern Werbetexte handelt, die hier als redaktionelle Inhalte präsentiert werden:

An Rhein und Ruhr. Fast 80 Prozent der Bundesbürger verfügen über mindestens ein Handy. Ob privat oder beruflich – für die meisten von uns ist das Mobiltelefon im Alltag unverzichtbar. Seine Einsatzmöglichkeiten nehmen immer mehr zu: Fotografieren, Musik hören, spielen, im Netz surfen. Doch das Wichtigste ist natürlich das Telefonieren, denn das bringt die Menschen zusammen.

Dafür macht jetzt die WAZ Mediengruppe, zu der auch die NRZ gehört, mit ihrem Mobilfunktarif „wir mobil“ ein besonders günstiges und übersichtliches Prepaid-Angebot: Unschlagbar günstig ist „wir mobil“ mit 3 Cent pro Minute für Anrufe in das deutsche Festnetz. (…)

Selbstverständlich können unsere Leserinnen und Leser als Kunden von „wir mobil“ nicht nur im Inland günstig telefonieren. In mehr als 110 Ländern ist man wie gewohnt erreichbar und aus über 70 Ländern kann normal telefoniert werden. (…)

Aber nur telefonieren war gestern, jetzt kommt das Internet aufs Handy (…).

usw. usf.

Unter Fotos, auf denen Menschen sich vor Symbolen für das Einzugsgebiet der „WAZ“-Gruppe glücklich Telefone ans Ohr halten, stehen Sätze wie:

Plaudern ohne versteckte Kosten kann man mit dem neuen Tarif „wir mobil“.

Ich weiß nicht, ob das stimmt. Das Wort „Kleingedrucktes“ haben die Handyvertragskäufer der „WAZ“ jedenfalls wörtlich genommen und es auf der Homepage sicherheitshalber auch nur in Eierschalenhellgrau auf Weiß gedruckt:

Aber natürlich darf man die Formulierungen aus dem Artikel nicht auf die Goldwaage legen, schließlich handelt es sich bei ihm um Werbung, die bloß deshalb von der „NRZ“ und ihren Schwesterblättern wie ein journalistischer Artikel aufgemacht wurde, damit der Handyvertragsverkäufer WAZ vom Vertrauen profitiert, das die Leser der scheinbar unabhängigen Redaktion ihrer Regionalzeitung entgegenbringt.

Wie hatte „WAZ“-Kommentator Bodo Zapp im Mai 2008 zum einjährigen Bestehen des tollen Kodex noch geschrieben?

Gesellschafter, Geschäftsführer, Chefredakteure, Anzeigenleitung und Betriebsräte stellten sich mit ihren Unterschriften voll hinter den WAZ-Kodex, der unter dem Leitgedanken „Die Redaktion ist nicht käuflich“ klare Vorgaben gibt. Der sagt, wie die Grenzen zwischen Anzeigen und Redaktion zu ziehen sind.

26 Replies to “Sonntagsredner telefonieren billiger”

  1. Und im 5. Absatz (Hombach sagte…) des unredigierten Artikels sind die Gänsefüßchen durcheinander…

  2. Oh, vielen Dank fuer die News! Die Thueringer Allgemeine hat heute ebenfalls so eroeffnet und ich habe mich schon gefragt, warum mir jetzt eine Tageszeitung ein Handyvertrag aufschWAZen will.

    Un-ver-schämt! Ich muss meinen Eltern wohl mal deutlich machen, dass jetzt die beste Gelegenheit ist, das Abo zu kuendigen.

  3. Ich weiß nicht was schlimmer ist? Dass er wirklich glaubt damit durchzukommen, oder dass er damit wirklich durchkommt.

  4. Ich würde mich in Grund und Boden schämen, müsste ich als Blattmacher oder leitender Angestellter der betreffenden Zeitungen meinen Leser solche werbenden Artikel im redaktionellen Teil zumuten. Andererseits kann man auch sagen: Endlich mal gute Fotos in unserer Ausgabe! Kein Wunder, dass sie damit begeistert aufmachen!

  5. Erst mal kurz der Rechtschreibterrorist in mir: „auf die Goldwaage leGen“ ;)

    Und ansonsten:
    Bodo Hombach gehört zu den letzten Menschen, die irgendetwas über journalistische Ethik von sich geben sollten. Da nimmt sich die WAZ inzwischen (?) nichts im Vergleich zu Springer und Consorten. Wer Redaktionen zusammenstreicht und von „Synergieeffekten“ schwätzt, soll mir nicht mit „Qualitätsjournalismus“ kommen.
    Bei Energiekonzernen nennt man sowas „Greenwashing“.
    Wobei ich das sanfte Grau auf weißem Untergrund schon besonders perfide finde.

  6. Also Herr Niggemeier. Ich weiß jetzt nicht warum sie schon wieder nörgeln. Die WAZ Gruppe möchte mit diesem einmaligen Angebot nur den Online-Qualitätsjournalismus fördern. Das wird doch aus dem Punkt 3 des Kleingedruckten klar. ….Jetzt lenken sie nicht ab, die hellgraue Schriftfarbe ist gewählt worden um die Augen des Kunden nicht mit einer zu unruhig gestalteten Seite zu belästigen. Das kann man sehr wohl lesen! Sie müssen nur die Schrift mit dem Cursor markieren…
    Da können sie es finden: Die beworbene Internetflatrate gilt nur für ausgewählte Portale. Zum Beispiel die der WAZ-Gruppe.
    So kommt der Kunde nur an echten Qualitätsjournalismus und gar nicht erst in Versuchung journalistische Seiten zu besuchen, die nicht den von Herrn Hombach geforderten Mindestanforderungen entsprechen. Falls doch, muss er zahlen. Pädagogisch wertvoll.

  7. Noch was Schlimmes: In der „Einkauf aktuell“ vor der Bundestagswahl, war ein gestelltes Interview mit Angela Merkel, welches nicht als solches gekennzeichnet war.

    Diese Zeitung geht an _ALLE_ Haushalte (die Werbung nehmen) in Deutschland, und dürfte damit das Auflagenstärkste Blatt sein..

    Was sagt man dazu?

  8. @Mike: Andererseits besteht doch bei „Einkauf aktuell“ nun wirklich nicht die Gefahr, jemand könne glauben, es mit Journalismus zu tun zu haben, oder?

  9. Qualitätssicherung sei „nicht zum Nulltarif zu haben“. (Hombach lt. epd über Finanzierungs-Möglichkeiten von „Journalismus“).

    Deswegen wohl auch die 60/60-Taktung bei „wir mobil“.

    Aber egal: Hombach war noch nie ein Mensch, der viel mit Ethik und ideellen Motiven beschäftigt war.

  10. Wie wichtig Werbung der WAZ-Mediengruppe ist, sieht man auch am Online-Portal derwesten.de. Generell ist gegen ein werbefinaziertes Portal nichts einzuwenden, doch wenn das Laden der Werbung auf der Seite Priorität vor dem Inhalt hat, man teilweise minutenlang vor einem weissen Bildschirm sitzt, weil der Server vom Werbepartner zu langsam antwortet und irgendwelche Flash-Spielereien einen geradezu anspringen, dann hat das nichts mehr mit Qualität zu tun.

  11. Wenn man bedenkt, daß der Autor dieser Zeilen …

    „Beim Verlag der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung” sei man da schon total weit, sagte Hombach, der den Zuhörern zum Beweis ein Papier mitgebracht hatte, in dem die Verantwortlichen seiner Zeitung 2007 ein paar journalistische Selbstverständlichkeiten aufgeschrieben und zum „Ehrenkodex” verklärten hatten, dessen historische Unterzeichnung sie in einem dem Anlass angemessenen Foto festhielten und der sie zu großem Selbstbehudel animierte.“

    … selbst mit einem guten Dutzend anderen ein paar journalisitsche Selbstverständlichkeiten aufgeschrieben und zum „Internet-Mnifest“ verklärt hat, entbehrt das nicht einer gewissen Komik. Oder habe ich die Selbst-Ironie übersehen?

  12. Die Sache bekommt einen prominenten Platz auf meiner persönlichen, nach oben offenen Liste: „xx verbotene Wege, die Glaubwürdigkeit Deines Mediums zu Grunde zu richten und am eigenen Publikum vorbei zu arbeiten“.

    Frage: Gehört nicht in einer Lokal- oder Regionalzeitung genau auf diese Plätze die örtliche, exklusive Top-Story, mit der das Blatt jeden Tag neu demonstriert, warum es auf seinem höchsteigenen Feld für Google und für Spiegel.de sicher für alle Zeiten unschlagbar bleibt?

  13. Wo bleibt denn die Stellungnahme der WAZ-Mediengruppe? Würde mich schon sehr interessieren, wie man sich da qualitätsjournalistisch herausredet.

  14. Ich habe mein WAZ-Abo schon kurz vorher gekündigt. Gleichermaßen, sogar noch „redaktioneller“ aufgemacht, werden im Essener Lokalteil ja auch ‚Informationen‘ zum neuen Buddy-Musical geliefert (minimum 2 Artikel pro Woche seit etwa 2 Monaten) und für die herrliche Aussicht aus dem WAZ-Zeppelin aufs Ruhrgebiet geworben.
    Weniger ethisch verwerflich, aber noch viel nervenaufreibender am Frühstückstisch trifft mich die wöchentliche Spalte „Album 2010“, in der Jugendliche darüber berichten, was sie die Woche über „so gemacht haben“. Vera R. (16): „Nachdem ich um 16.30 Uhr Feierabend hatte, habe ich noch mit Freunden auf einem Spielplatz rumgesessen und gechillt.“ Mittwoch und Donnerstag war sie krank, am Freitag hat sie die Oma besucht. WTF!?

  15. Übrigens steigen einige Zeitungen momentan da ein:

    OTZ Thüringen
    http://www.otz.de/otz/otz.homepage3_122107.php

    TLZ Thüringen
    http://www.tlz.de/tlz/tlz.webalizer.iframe.php

    Zufall? Auch das die Tarife alle gleich heissen?
    Übrigens war der redaktionelle Teil der OTZ genauso aufgebaut, also mit großen Artikeln auf mehreren Seiten. Mittlerweile seit 2 Tagen schon, zzgl. jetzt auch mit kleinen Artikeln wie erste Kunden im Pressehaus sich den Tarif holen.

    gruß

  16. Danke für diesen Beitrag. Die meisten NRZ-Leser allerdings werden die Schleichwerbung nicht als solche erkennen, sondern sich über die billigen Tarife freuen. Wer diese Zeitung liest, ist eh schmerzfrei. Insofern macht Hombach alles richtig.

    Allerdings ist das ein weiterer Grund für mich, das Zeitungssterben nicht zu beklagen. Solche Zeitungen haben keine Kontroll-Funktion mehr, die braucht kein Mensch.

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