dpa und der total zue Boyzone-Sänger

Vor einem halben Jahr wurde bekannt, dass „Spiegel Online“-Chefredakteur Wolfgang Büchner dpa-Chef wird. Damit verbunden war für viele Kritiker die Hoffnung, dass sich die Nachrichtenagentur in vielerlei Hinsicht locker macht — auch was Sprache und Themen angeht. Der scheidende Chefredakteur Wilm Herlyn selbst hatte von einer „schrecklich altbackenen Nachrichtensprache“ gesprochen, in der viele dpa-Autoren „verharren“. Und Büchner sagte in einem Interview, das die Agentur mit ihren eigenen Chefs zum 60. Geburtstag führte, auf die Frage, ob die Entwicklung zur Boulevardisierung der Informationen eine Chance oder ein Risiko sei:

„Unterhaltung — auch Klatsch und Tratsch — ist seit jeher ein wichtiger Teil des Journalismus, das war schon zu Zeiten der Minnesänger so. Wenn Journalisten — ganz gleich ob bei einer Lokalzeitung, einer Website, im Fernsehen oder bei einer Agentur — diesem Bedürfnis Rechnung tragen, sorgen sie dafür, dass ihre Leser sich diese Informationen nicht an anderen Stellen suchen.“

Gestern brachte dpa mehrere ausführliche Berichte über den Tod des Boyzone-Sängers Stephen Gately auf Mallorca, und wenn man wollte, konnte man darin schon erkennen, wie das aussieht, wenn dpa sich locker macht. Um 17.15 Uhr brachte die Agentur eine Zusammenfassung, die so begann:

London/Palma de Mallorca (dpa) — Boyzone-Sänger Stephen Gately soll nach Medienberichten vor seinem plötzlichen Tod stundenlang heftig gezecht haben und später an seinem Erbrochenen erstickt sein. Der 33-Jährige habe mit seinem Mann Andrew Cowles (32) in der Nacht zum Samstag in einem Schwulenclub auf Mallorca Cocktails und Weißwein konsumiert und sei komplett betrunken gewesen, berichteten britische Boulevardzeitungen am Montag. Der Anwalt von Gatelys Familie wies die Darstellung zurück.

Drei Stunden später folgte eine neue Version, mit weiteren Details und der ein oder anderen geänderten Formulierung. Im zweiten Satz war nicht mehr davon die Rede, Gately sei „komplett betrunken“ gewesen. Nun hieß es:

Der 33-Jährige habe mit seinem Mann Andrew Cowles (32) in der Nacht zum Samstag in einem Schwulenclub auf Mallorca Cocktails und Weißwein durcheinandergetrunken und sei total zu gewesen, berichteten mehrere britische Boulevardzeitungen am Montag.

Das ist doch mal ein erfrischender Bruch mit der schrecklich altbackenen Nachrichtensprache: „total zu“ war der schwule Popstar also. Die Formulierung hat immerhin den Vorteil, dass man auch sprachlich gleich auf dem Niveau der Medien ist, die der dpa als glaubwürdige Grundlage für Spekulationen über den Tod eines Menschen dienen. Die „Sun“ will einen anonymem „partygoer“ aufgetan haben, der mit Gately und seinem Partner etwas getrunken habe, und schreibt ihm den Satz zu, Stephen sei „total betrunken“ gewesen. Die dpa glaubt’s und zitiert den unbekannten „Nachtschwärmer“. Die deutsche Nachrichtenagentur findet auch erwähnenswert, dass das Paar „den Medienberichten zufolge“ einen „jungen Mann“ kennenlernte und Gatelys Partner mit ihm die Nacht zusammen verbracht habe. Später habe Cowles „vergeblich versucht, den Sänger wiederzubeleben, hätten Freunde berichtet“, berichtet die „Sun“, berichtet dpa. Und, Tatsache: Die Quellen der berüchtigten britischen Boulevardzeitung sind, wörtlich: „Friends“ und „One Pal“. Ausführlich transkribiert die Agentur, was die „Sun“ berichtet — eine Zeitung, die nicht zögerte, schon am Montag zu behaupten, die Todesursache des Sängers zu kennen: Totgesoffen habe er sich.

Oder anders: Er war halt „total zu“.

(Inzwischen liegt das Ergebnis der Obduktion vor, und angeblich haben weder Alkohol noch Drogen beim Tod Gatelys eine Rolle gespielt. Ich wäre aber — nach Rücksprache mit dem Pathologen meines Vertrauens — vorsichtig, das für erwiesen zu halten, bis die Ergebnisse der toxikologischen Untersuchungen vorliegen. Aber so wenig die Medien die Obduktion abwarten konnten, können sie wiederum das jetzt abwarten.)

Wolfgang Büchner hat seiner Agentur neulich Regeln für den Umgang mit vermeintlich „exklusiven Informationen“ gegeben. Regeln für den Umgang mit vermeintlich exklusiven Informationen anderer Medien scheint es bei dpa nach wie vor nicht zu geben. Und das Schlimme daran ist, dass dpa diese Mischung aus Gerüchten, Spekulationen und Lügen adelt: Über den Umweg über die Nachrichtenagentur wird für andere Medien aus der unseriösen Quelle „Sun“ die seriöse Quelle dpa.

Andererseits: Wenn seriöse Journalisten unseriöse Meldungen von Blättern wie der „Sun“ verbreiten, sorgen sie wenigstens dafür, dass ihre Leser sich diesen Unsinn nicht an anderen Stellen suchen.

34 Replies to “dpa und der total zue Boyzone-Sänger”

  1. Auch schoen vpn der BBC geschrieben:

    „Mr Cowles arrived at the municipal cemetery in Calvia, near Port Andratx, at about 1900 local time (1800 BST), staying for about 15 minutes before leaving without comment.“

    Wen wundert’s?

    Hab mich die letzten 2 Tage auch schon gefragt, woher alle Medien diese „am Erbrochenen erstickt“ Geschichte herhaben (also wer von wem abgeschrieben hat) – die DPA war also der dumme Streber, der vom Klassenclown abgeschrieben hat – oh man, das hat doch damals in der Schule schon jeder Lehrer gemerkt, wenn wer vom Clown abgeschrieben hat… Damals gab’s ne 6 fuer Schummeln – was bekommt die DPA heute??

  2. Der letzte Absatz sagt eigentlich den ganzen Beitrag. Leider ist er ohne den Beitrag nicht einzuordnen.

    Ansonsten zeigt es mal wieder nur zu eindrücklich, wie die heutige Medienwelt funktioniert. Sun/Bild erfinden Geschichten vom Pferd und morgen glaubts die ganze Welt. Das wär doch was für Pinky und Brain. :P

  3. @faulersack: Natürlich!

    (Ich hatte das Wort „toxologisch“ vor dem Veröffentlichen mehrere Sekunden lang angestarrt, weil es mir irgendwie seltsam vorkam, aber es guckte ganz unschuldig zurück und pfiff ein bisschen vor sich hin, und dann hab ich’s vergessen.)

  4. Exklusivität scheint mir längst ein Atavismus aus der klassischen Journalistik zu sein. Heute ist es eher ein Euphemismus für selbstausgedachte Geschichten, die gerne vielfach abgeschrieben werden.

  5. @ Muriel: „zue“ ist die okaye Form. Zuene ist die scheiße Form. Fast so wie „’nen“ vor ’nem Neutrum (Ich hab ’nen Haus).

    Grüße vom Zwiebelfischhäuter

  6. „Ich hatte das Wort „toxologisch” vor dem Veröffentlichen mehrere Sekunden lang angestarrt, weil es mir irgendwie seltsam vorkam, aber es guckte ganz unschuldig zurück und pfiff ein bisschen vor sich hin, und dann hab ich’s vergessen“

    Traue Worten niemals. :D

  7. „Ich wäre aber — nach Rücksprache mit dem Pathologen meines Vertrauens — vorsichtig, [..]“

    Sie haben einen Pathologen ihres Vertrauens? Auch nich schlecht – wie darf man sich das vorstellen? :D

  8. (Ich lese „zue“ automatisch als „zü“. „Zuene“ wird da automatisch zu „zünisch“…)

    Ich könnte natürlich wieder (m)eine Standardtirade über dpa und deren Genauigkeit und Themenauswahl loswerden, aber das ist auch sowas was niemand lesen will. Gegen modernere Sprache und lockerere Formulierungen wäre nichts einzuwenden (die Meldung mit den „Mietzen“(sic) im Videoschacht von äh, vorhin sind schon sehr locker, wenn natürlich auch an beliebiger Belanglosigkeit nicht zu überbieten). dpa pflegt zweifellos seit jeher den trockenen Nachrichtenverleseschreibstil der Tagesschau der 1970er, da darf man sich durchaus so langsam mal auf den Weg ins 21. Jahrhundert vorbereiten. Wenn „lockerere Themenauswahl“ aber allein als Hinwendung zu Quatsch- und Boulevardthemen verstanden wird, dann kann man das schon als problematisch sehen, denn „Meldungen“ (lies: Gerüchte und PR) über die Skandälchen und Problemchen der B- und C-Prominenz sind der Seriösität einer Agentur nun auch nicht gerade zuträglich. Auch Boulevard ist etwas, das Experten für die Berichterstattung braucht, sonst ist es so oberflächlich und fehlerbehaftet wie es z.B. weitgehend die Meldungen über Wissenschaftsthemen sind. Zumal sich die „lockere“ Boulevardthemenauswahl bei dpa gefühlt meistens und bestenfalls auf wenige Lieblingsstars des (spekulativ) einzig beauftragten Redakteurs beschränkt, als da wären Amy Winehouse und jeweiliger Anhang (Drogen), Kate Moss und jeweiliger Anhang (Drogen), Tokio Hotel (Kreisch), etc. – schönen Dank auch.

  9. Hmm. Ich hätte auch „zu’ne“ geschrieben, aus dem Bauch heraus.

    Andererseits finde ich als Diplompolytoxomane aber auch „toxologisch“ dufter als so manch anderer.

  10. @4 (stefan niggemeier):

    jetzt weiß ich endlich, wie ich die geräusche deuten muss, die mir in letzter zeit immer aus zeitungen und newsportalen entgegenwehen: das muss das pfeifen im blätterwald sein.

    .~.

  11. @Alberto Green: Und jemand, der „scheiße“ als Attribut benutzt, will mir erklären, wie man „zuen“ konjukliniert? Na vielen Danke. Sie sind doch nur neidisch, weil Sie keinen Haus haben.

  12. In der Region um OS gibt es auch „zue Türen“, „ausses Licht“. und „runtere Rollos“. „Appe Räder“ sowieso.

  13. Aufes Fenster! Und das nicht nur um OS, sondern auch überall da, wo „weil“ Hauptsätze einleitet.

  14. Das mit dem „weil“ zur Hauptsatzeinleitung ist übrigens gar kein Problem, weil: man muss sich lediglich einen Doppelpunkt denken!

    Nicht dass du dich hier im Eifer des Wortgefechts noch zu weit aus dem aufen Fenster lehnst! ;-)

  15. Ich war vor ein paar Jahren mal eine Zeitlang freier Korrespondent / Reporter des dpa-Landesdienstes in Stuttgart (lsw). In nahezu jeden meiner Texte wurden Fehler reinredigiert und jede annähernd originelle / pfiffige gelöscht bzw. durch die langweiligstmögliche Variante ersetzt. Nach schätzungsweise einem halben Jahr habe ich entnervt aufgegeben.
    Den grundsätzlichen Befund von der „schrecklich altbackenen Nachrichtensprache” teile ich. Es sind aber nicht immer die Autoren daran schuld, sondern manchmal auch nur die schrecklich altbackenen Redakteure in der Zentrale.

  16. >Und das Schlimme daran ist, dass dpa diese
    >Mischung aus Gerüchten, Spekulationen und
    >Lügen adelt: Über den Umweg über die
    >Nachrichtenagentur wird für andere Medien
    >aus der unseriösen Quelle „Sun”
    >Die seriöse Quelle dpa.

    Geldwäsche funktioniert genau so, und des Ziel ist ähnlich :-)

  17. In der Osnabrücker Region werden aber auch Fenster „los“ gemacht, sind das dann lose Fenster? Und wer macht die wieder fest?

  18. Und ich dachte immer, das Hessische wäre mir nur deshalb erträglich vorgekommen, weil es Weltexclusiv (mit „C“) das Eigenschaftswort „zune“ (gesprochen: „zuu-ne“) in sich aufgenommen hätte. Das ist aber dann in der Bedeutung von „geschlossen“ und nicht von „Hackedicht“. Wieder was gelernt.

  19. @haake
    genau dieses faszinosum wollten wir gerade auch beschreiben, aber festzustellen ist, dass diese sprachregelung auch für das münsterland gilt. und wie beschreibt man denn nun den zustand eines abgeschraubten fensters auf flapsig?
    zum thema: vermutlich kommt der gute steven aus der nummer so schnell auch nicht raus… das dementi der dpa wird vermutlich lauten: „tschuldigung unser fehler, der steven ist total auf gewesen.“ na das machts jetzt irgendwie auch nicht besser, oder?

  20. @alle Linguisten aus dem Osnabrücker Land

    …ich komm da auch wech!
    Da fährt man noch „nache Stadt hin“, ist noch nicht „vonne Kirche de wieder“ und tut sein Brötchen „inne Tüte rein“. Auch rennt man „durchs Tor durch“ und – besonders schön: Man fährt jeden Morgen „im Büro“.
    Ich hab nie verstanden, wie die das Auto da reinkriegen.

    Bestes wünscht: Jörg-Christian

  21. man muss aber auch noch bemerken, so der frauke der nicht aus dieser gegend stammt, dass die osnabrücker slash münsterländer slash anderen nachbarstämme der festen überzeugung sind, ein echt perfektes hochdeutsch zu sprechen. wir finden, dass man, bei der anzahl an menschen die so sprechen, dies ruhig als neues gültiges hochdeutsch gesetzlich verankern könnte; sozusagen hochdeutschreform. und durchgehende kleinschreibung ist dann das zweite projekt!

  22. @27: Man kann ja auch mitn Fahrrad nachn Büro hin fahn.
    @29: Darum zieht das auch so (viele da wech).

    Und wir können alles. Sogar hochdeutsch. Oder den HSV ausn Pokal schießen.

  23. @25: Zu und dicht bedeutet doch auch im nicht-übertragenen Sinne fast das gleiche. Die Leitung ist dicht – die Autobahn zu, der Wasserhahn leckt. „Laß mich auch mal!“

    Dreh mal jemand das Licht leiser!

  24. Hallo Herr Niggemeier,

    ich lese ihre Beiträge eigentlich recht gerne, frage mich aber nun doch, warum Sie in ihrem Text vom „schwulen Popstar“ reden? Die sexuelle Orientierung hat doch nicht wirklich etwas mit dem Tod zu tun..

  25. @ 32: Ist die Frage jetzt wirklich ernst gemeint? Alle darüber berichtenden Medien haben die sexuelle Orientierung hervorgehoben, deshalb steht es auch in diesem Text, würde ich doch mal annehmen.

  26. Bin mit meinem Kommentar zwar etwas spät, aber was soll’s…

    Mal von dem ganzen „Am eigenem Erbrochenen erstickt“- Quatsch abgesehen, hat es mich auch immer wieder fasziniert, woher die deutschen Medien angeblich alle zu berichten wussten, dass Gately in einer „Art Gebetshaltung vor dem Sofa kniend“ aufgefunden wurde. Auch nach etwas ausführlicherer Recherche durch den Sumpf des britischen Boulevardjournalismus‘ konnte ich dort keine Aussage dergleichen finde. Was ich gefunden habe war die Aussage des bulgarischen Freundes, der sagte er fand Gately „slumbed over ON the sofa“ (man merke, nicht „IN FRONT of the sofa“), womit er wohl so etwas meinte wie dass Gately zusammengekauert AUF dem Sofa lag. (Hierzu ist vielleicht auch noch anzumerken, dass der Freund ja auch kein englischer Muttersprachler ist.) In einem späteren Zeitungsinterview ist der Gute darauf dann noch näher eingegangen, und er sagte, Gately habe „curled up in a foetal position ON the sofa“ gelegen. Dinge wie „kneeling“, „praying-like position“ oder „in front of the sofa“ waren da nicht zu lesen. Ich kann mir das nur so erklären, das da jemand von der dpa das ursprüngliche „slumbed“ übersetzt hat, ohne auf den Kontext zu achten.

    Zwar steht im Polizeibericht (der ja wohl ursprünglich auf Spanisch verfasst war und dann ins Englische übersetzt wurde, von wem auch immer…), dass Gately beim Eintreffen der Rettungssanität VOR dem Sofa lag (was sich aus den Aussagen des Ehemanns und des Freundes erklären lässt, da der Ehemann Gately vom Sofa zog um ihm wiederzubeleben), allerdings wird auch dort keinerlei Referenz auf eine knieende oder gar „gebetsartige Position“ gemacht. Vermutlich ist da einem sehr kreativen Schreiberling der dpa die Fantasie durchgegangen. Und sogar der unantastbare SPIEGEL und Die Sueddeutsche haben das so übernommen und behaupten das auch heute noch auf ihren Websites. „Er kniete tot vor dem Sofa“ macht sich ja auch so viel besser als ein ödes „Er starb im Schlaf auf dem Sofa.“

    Was Gatelys sexuelle Orientierung mit seinem Tod zu tun hat ist mir auch bis heute ein Rätsel, es hieß ja auch nirgends „Die heterosexuelle Schauspielerin Brittany Murphy ist tot.“ Köstlich finde ich auch Formulierungen in den britischen Medien wie: „Gately’s gay husband…“

Comments are closed.