„Sophie“

Das Mädchen mit den Schokowaffeln. Yvonne Catterfeld trüge gern mal einen Kartoffelsack: “Sophie – Braut wider Willen”

Man hat sich das ja immer schon gefragt, was diese Lindt-Herren mit ihren gestärkten weißen Mützen und Kitteln eigentlich machen, wenn sie abends oder sonntags einmal kurz den endlosen Rührprozeß unterbrechen, mit dem sie unsere Schokoladen herstellen. Wohin die edlen Ritter reiten, wenn sie genügend Brennholz gesammelt haben, damit das schöne Hanuta-Mädchen ihre Nußwaffel-Täfelchen weiter von Hand für uns backen kann. Und wie die Landliebe-Sennerin nach getaner Butterproduktion ihre Abende in den Alpen verbringt. Denn daß alle diese Menschen, die im Werbefernsehen liebevoll Lebensmittel für uns veredeln, tatsächlich unter uns sind, daß man sie abends in der Kneipe treffen könnte oder morgens in der S-Bahn auf dem Weg zu ihren Back-, Rühr- und Puppenstuben, war immer schon sehr unwahrscheinlich.

Von heute an erfahren wir endlich, daß auch für die Hanuta-Mädchen das Leben kein Zuckerschlecken ist. Daß das nicht immer so reibungslos klappt mit ihnen und den Rittern. Und daß es böse Menschen gibt, die ihnen ihre kleine Waffelproduktion neiden. Denn auch wenn die ARD behauptet, daß ihre neue Serie „Sophie – Braut wider Willen“ im ausgehenden 19. Jahrhundert spielt, lebt Sophie doch eigentlich in einer Welt, die uns viel vertrauter ist: in diesem fiktiven Früher der Werbefernsehfiktion, in der es noch echte Märkte, urige Wohnstuben und ehrliches Handwerk gibt, in der die Kleider seidig sind, die Gesichter makellos und die Gefühle rein. Und bei aller behaupteten Liebe zum historischen Detail fehlt auf den herrschaftlichen Tischen im Gutshof von Ahlen doch eigentlich der Teller mit den Rocher-Kugeln, um das Szenenbild wirklich authentisch zu machen.

Die Szenen sind fast komplett in edles Königsblau und warmes Gold getaucht; es ist eine seriengewordene Pralinenpackung. Das perfekte Porzellangesicht von Yvonne Catterfeld strahlt inmitten dieser Puppenhausszenerie, die manchmal jemand zu schütteln scheint, und dann geraten zwar die Leben der kleinen Figuren heftig durcheinander, aber dafür schneit es auch in dicken, großen, falschen Flocken.

Keine zehn Minuten dauert es, bis Sophie, die junge Gräfin, zum ersten Mal Max, den einfachen Schneidersohn, sieht. Es ist, natürlich, Liebe auf den ersten Blick – einen ersten Blick, der nicht enden will, während die Streicher einen spannungsreichen Ton in die Ewigkeit dehnen und das Klavier perlt, und alle wissen, daß beide nun nicht mehr voneinander lassen können, egal was ihre standesbewußte Umgebung sagt, egal welche Prüfungen und Umwege das Schicksal ihnen auferlegen wird, egal ob der Weg zum Glück dreißig Folgen lang sein wird oder (wenn die Quoten stimmen) hundertzwanzig.

Sie trifft ihn auf einer Bauernhochzeit in der Gastwirtschaft, ein Ort, an dem sie als Gräfin natürlich überhaupt nichts zu suchen hat, in den sie sich aber geschlichen hat, weil ihr eigenes reiches Leben so leer und langweilig ist im Vergleich zu dem Spaß, den die Dienstboten haben. „Sag mal, wird da heute abend auch getanzt?“ fragt Sophie, und ihre Zofe Rike antwortet: „Jaja, auch auf den Tischen. Was wäre das sonst für eine Hochzeit?“ Und Sissi, nein: Sophie schnappt sich den kleinen Bruder von Rike, dem sie gerade freundlicherweise einen Saft vom Markt mitgebracht hat gegen seinen bösen Husten, und tanzt mit ihm schon mal, heißa, probeweise durch die Küche. „Aber du bist die Gräfin von Ahlen“, wendet Rike noch ein, und Sophie sagt: „Kein Mensch wird mich erkennen.“ Und Rike sagt: „Selbst in einem Kartoffelsack siehst du noch aus wie eine Gräfin“, und der Zuschauer sagt: „Hach!“, und die Kartoffelsäcke dieser Welt sagen: „Was würden wir darum geben, einmal von Yvonne Catterfeld getragen zu werden.“

So perfekt zerbrechlich und trotzig und lebenshungrig und verzweifelt spielt Yvonne Catterfeld die Sophie, als hätte sie die letzten Jahre nur deshalb in den Seifenopern und den Charts verbracht, um heute diese Rolle geben zu dürfen. Es scheint, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht, als den Kopf effektvoll zur Kamera zu drehen, wie sie es gleich im Vorspann zweimal machen darf, einmal trotzig und einmal schmachtend. Und während sich alle um sie herum mit ihren großen Koteletten und wallenden Kleidern steif und fremd in dieser künstlichen Welt bewegen, die in jeder einzelnen Sekunde nach einem Fernsehstudio aussieht, wirkt Catterfeld, als sei das ihr natürlicher Lebensraum. (Allerdings ist schwer zu sagen, ob das dieses Vorabendmärchen als einziges erträglich oder vollends unerträglich macht.)

Die ARD meidet den Begriff „Telenovela“ für ihre neue „Vorabendserie im historischen Gewand“. Vielleicht liegt das daran, daß der gerade erst ausgerufene Trend der nächsten Jahre schon ein wenig schwächelt: Nach dem großen Erfolg von „Bianca – Wege zum Glück“ (ZDF) und „Verliebt in Berlin“ (Sat.1) kommen die deutschen Telenovelas drei („Julia“, ZDF) und vier („Sturm der Liebe“, ARD) beim jungen Publikum längst nicht mehr so gut an. Und von „Sturm der Liebe“, das die Qualitätsgrenzen des neuentdeckten Genres nach unten auslotet, trennen den Edelkitsch von „Sophie“ tatsächlich Welten.

Wer mag, kann in „Sophie“ auch Parallelen zu unserer Zeit finden. Wie große Ausrufezeichen stehen Sätze wie der von Sophies Vater in der Gegend herum, der über einen konkurrierenden Geschäftsmann sagt: „Er gehört zu denen, die wie eine Heuschreckenplage in das Land einfallen und sich ohne Rücksicht nehmen, was sie wollen. Mag sein, daß ich altmodisch bin, aber es geht mir um mehr als Geld in meinem Leben.“ Eigentlich aber funktioniert „Sophie“ ganz gut ohne Ton. Besser sogar, so muß man den Besitzer eines Weingutes nicht mit sorgenvollem Blick aus dem Fenster Sätze sagen hören wie: „Manchmal wünschte ich mir ein Geschäft, das weniger wetterabhängig ist.“ Aber sicher kommt spätestens morgen eine Frau vorbei, die die Qualität seiner Piemontkirschen prüft und mit ihm im güldenen Abendlicht die ersten Byzantiner Königsnüsse probiert, und dann wird auch für ihn alles gut.

(c) Frankfurter Allgemeine Zeitung