Gaga? Nur äußerlich!

Süddeutsche Zeitung

Hinter ihrer Prolo- und Fäkalfassade ist die Grand Prix Vorauswahl betrüblich bürgerlich.

Fußball ist unser Leben, und der Grand Prix auch. Nicht für dieselben Leute, klar, auch nicht für ganz so viele, aber doch. Der europäische Schlagerwettbewerb ist genau so unendlich wichtig wie eine Europameisterschaft. Und natürlich genau so unendlich egal. Aber erheben sich vor dem Endspiel oder nach einem 0:3 gegen Kroatien mahnende Stimmen, die sagen: „Regt Euch ab, ist doch nur Fußball?“ Also.

Der Grand Prix ist eine ernste Sache. Er ist wichtig, für ein paar Tage wenigstens, viel länger hält die Aufregung beim Fußball auch nicht an. Danach bleiben von der Schande nur noch geseufzte Kurzverweise, wie „Cordoba 1978!“ (Fußballpleite gegen die Ösis) oder „Berti 1998!“ (Fußballpleite bei den Franzosen) oder „Dublin 1995!“ (Grand Prix-Pleite bei den Iren). So ist das. Es mag ganz großartig sein, wenn Stefan Raab „für Deutschland“ singt. Oder ganz furchtbar. Nur egal ist es nicht, was heute abend so beim deutschen Countdown (20.15 Uhr, ARD) passiert. „Die Politik stellt sich selbst eine Bankrott-Erklärung aus, und wir schicken dann zu allem Überfluss womöglich noch Herrn Raab nach Stockholm“, schreibt einer vorab im Internet ins Gästebuch des Grand-Prix-Fanclubs, sowie den bemerkenswerten Satz: „Als ob die Deutschen in ihrer Geschichte nicht schon genug Schlimmes erlebt hätten . . .“

So schlimm wie dieses Jahr war’s noch nie. Aber das war schon immer so. 1995 wegen Stone & Stone, die später exakt einen Punkt bekamen. 1998 wegen Guildo Horn. 1999 wegen nicht mal Guildo Horn. Seit der MDR 1994 drei Babyhupfdohlen namens Mekado nominierte, die „Wir geben ’ne Party“ trällerten, ist es für Deutschland und den Grand Prix überhaupt schwer geworden, so schlimm zu sein wie noch nie. Bild aber hat die diesjährige Vorentscheidung schon zum „Gaga-Grand-Prix“ erklärt. Also ist es, wenn schon nicht schlechter, wenigstens anders als je zuvor. Stimmt, sagt Jürgen Meier-Beer, Leiter der TV-Unterhaltung beim NDR und Grand-Prix-Beauftragter der ARD. Anders, weil die Titel bis vor einer Woche nicht gespielt werden durften. Deshalb habe niemand über die Musik schreiben können, sondern alle nur über das Image der Beteiligten.

Auftritt Knorkator, fäkalverliebtes Trio mit tätowierter Haut. Auftritt Lotto King Karl, angeblicher Hamburger Aufsteiger Vom-Gabelstaplermonteur-zum-Millionär mit eigentlich unerklärlicher Mediendauerpräsenz. Auftritt Stefan Raab, Profi-Provokateur und Komponist von „Guildo hat Euch lieb“. Auftritt Fancy, aus den 80er Jahren gefallener „King of Disco-Fox“. Auftritt E-Rotic, großbusige Blondinentruppe („Greatest Tits“). Gaga? Keine Frage. Äußerlich.

Dann singen sie, und man wünschte sich, sie wären wirklich Gaga. Aber Fancy hat jemand ein Stück geschrieben, das sich anhört, als sänge die Fußballnationalmannschaft „Go West“. Lotto King Karl erinnert daran, dass man für Geld nicht alles kaufen kann, besonders keine Stimme. Stefan Raab beherrscht als viel beschäftigter Medienprofi das Gesetz der Aufwandsminimierung und hat sich mit einem durchschnittlichen Ritt auf der aktuellen Earth-Wind-and-Fire-leben-doch-noch-Welle beschränkt. Und bei Knorkators „Ick werd‘ zun Schwein“ wollte einer ein bisschen auf Ramstein machen, nun klingt das Ganze noch dümmer als das Original. Dass Bernd Meinunger und Ralph Siegel („Ein bisschen Frieden“) ihnen Talent und Können bescheinigen, muss dazu kein Widerspruch sein. Die Lieder sind furchtbar peinlich oder furchtbar eingängig, meist aber furchtbar belanglos. Und das ist doch eigentlich das, was man von einer deutschen Vorentscheidung zum Grand Prix erwartet – neben Meldungen wie der in der Schlager-Prawda Bild, dass Siegel den Proben in Bremen zeitweise wegen einer Diarrhö fern bleiben musste.

Allerdings ist nur ein echter deutscher Schlager dabei: Marcel, der tapfer versucht, bei seinem Refrain „A-a-a-adios, u-u-u-mon-amour“ ernst zu bleiben. Meier-Beer ist stolz: „Endlich bilden wir das Spektrum der Musik einigermaßen ab.“ Mit Ausnahme des Hip Hop. Eingereicht werden die Titel von den Plattenfirmen. Die meisten Beiträge sprechen dafür, dass dort ein Praktikant mal eben das Demotape seines besten Freundes weiter geleitet hat. Das ist aber gar nicht so. „Das ist in jeder Firma Chefsache“, sagt Meier-Beer: „Wenn ein Titel floppt, sind die blamiert.“ Und dass die Künstler, äh, Teilnehmer in diesem Jahr versuchen, sich mit zur Schau gestellter Gleichgültigkeit zu überbieten, sollte man ihnen nicht abnehmen: „Die haben alle Riesenschiss, nicht zu gewinnen.“ Was wiederum unnötig wäre, weil doch vor zwei Jahren Rosenstolz und Die drei Tenöre nur zweite und dritte wurden, aber hinterher viel mehr Platten verkauften als der große Sieger Guildo Horn.

Knorkator haben übrigens gestreut, sie würden bei ihrem Auftritt in Bremen auf der Bühne onanieren – aber so ein Gerücht reicht inzwischen auch nicht mehr für eine Meldung auf der ersten Seite im Boulevard. Wer heute abend einschaltet, um einen Skandal zu sehen, diesen oder einen anderen, wird enttäuscht.

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