Eine Umverpackungsindustrie

Am vergangenen Samstag veröffentlichte die „Berliner Morgenpost“ einen Text von Julien Wolff über Fabio Capello, den italienischen Trainer der englischen Nationalmannschaft. Derselbe Artikel erschien am selben Tag leicht gekürzt in der Schwesterzeitung „Welt“.

Auf den Online-Seiten der „Berliner Morgenpost“ kann man denselben Artikel zweimal lesen, einmal kostenpflichtig unter der Überschrift „Für mehr italienische Momente im Leben“, einmal kostenlos und mit Foto unter der Überschrift „Capello verpasst seinem Star Rooney einen Maulkorb“.

Auch auf den Online-Seiten der „Welt“ ist derselbe Artikel ebenfalls zweimal veröffentlicht, einmal für das Internet aufbereitet mit Foto, einer 33-teiligen und einer 32-teiligen Bildergalerie sowie einer siebenteiliger Textklickstrecke („Capello verpasst seinem Star Rooney einen Maulkorb“), und einmal als Text pur („Für mehr italienische Momente im Leben“).

Auf den Online-Seiten des „Hamburger Abendblattes“ hat die Axel Springer AG den Artikel ein weiteres Mal veröffentlicht, hier unter Überschrift „Ein Trainer als Hoffnungsträger“.

Und vermutlich weil es schade wäre, wenn ein solcher Artikel nur fünfmal fast wortgleich im Netz stünde, hat den Text auch der Online-Ableger des „Stern“ auf seinen Seiten veröffentlicht, hier unter der Überschrift „Capello verpasst Rooney Maulkorb“. Der „Stern“ erscheint nicht im Springer-Verlag, sondern bei Gruner+Jahr. Die vermeintlichen Konkurrenten „Welt Online“ und stern.de haben aber vereinbart, zur Feier der Fußball-Weltmeisterschaft Artikel „auszutauschen“.

Vielleicht steckt dahinter eine große Qualitätsoffensive, mit der die Verlage all denen, die im Internet nur Inhalte kopieren, mal zeigen, was Vielfalt bedeutet.

45 Replies to “Eine Umverpackungsindustrie”

  1. Das muss dieser regulierende Effekt des Marktes sein, den Frau SLS gestern bei ihrer Rede zum Urheberrecht so gepriesen hat. Der soll ja angeblich für Pluralismus sorgen und muss deshalb per Leistungsschutzrecht extra geschützt werden.

    ;-)

  2. In der Industrie nennt man so was „badge engineering“ und sorgt für ordentliche Gewinnmargen. Funktioniert auch prima im Journalismus. Die Texte von Jens Weinreich z. B. werden ja auch von zahlreichen Medien in verschiedenen Formen übernommen – mal kostenlos abrufbar, mal nur für Abonnenten – und unabhängig von der Konzernzugehörigkeit – so what?

    Das gleiche Phänomen kenne ich schon seit Jahrzehnten aus der Lokalpresse, wo freie Mitarbeiter häufig den selben Sermon an zwei konkurrierende Blätter vor Ort verkaufen.

  3. Nu ham se sich mal nich so, Herr Niggemeier. Sowohl Bertelsmann als auch Springer rechnen für die kommenden Jahre allenfalls mit neunstelligen Gewinnen. Schlimme Zeiten. Da reicht es halt nicht mehr, nur auf dem Sonnendeck die Drinks und Liegestühle einzukassieren.

  4. Vielleicht wollen die Verlage auch nur aufzeigen was passiert, wenn wir weiter so durch die Medienangebote im Internet schmarotzern, ohne dafür zu zahlen.

  5. Der Text selbst ist bestimmt irgendwo aus einem Blog geklaut… Zutrauen würd ich es denen jedenfalls…

  6. Unterschiedliche Texte müssen ja nicht zwangsläufig Qualität bedeuten. Ob aber auch der Autor für sechs Veröffentlichungen bezahlt wurde?

  7. Falls die vielfache Verföffentlichung vom Autor ausging, d.h. er dafür auch bezahlt wurde, kann er vielleicht wenigstens von seinem Job leben. Wenn man jeden Text drei- oder mehrmals an den Mann bringen könnte, würde das zwar womöglich die Vielfalt einschränken, aber die Qualität der Texte erhöhen, da mehr Zeit für Recherche bleibt.

  8. @12/Hubert
    Bei der Vielfalt handelt es sich ja nur um eine Schimäre, was durch die unterschiedlichen Überschriften ausgedrückt wird. Das machen übrigens andere Zeitungen auch. Sie verpassen beispielsweise ihren Online-Artikeln andere Überschriften als im Print. Der Text ist gleich.

  9. @Georg
    Kann schon sein, dass es mehr Duplikate gibt als man glaubt.
    Worauf ich hinaus will ist die These: Erst mehrfaches Verkaufen ermöglicht Qualitätsjournalismus unter den heutigen Rahmenbedingungen (sprich miese Bezahlung von Journalisten). Dass es sich bei mehrfach verkauften Texten trotzdem nicht immer um Qualität handelt steht auf einem anderen Blatt.

  10. Die sollten mal SEO lernen. Selbst der billigste Suchmaschinenoptimierer weiß, dass google nur nach Unique Content sucht. Dafür müssen die Sätze im Artikel etwas gewürfelt werden, dauert schätzungsweise fünf Minuten pro DIN A 4 Seite. Kostet dann allerdings satte 2,50 Euro. Welche Zeitung mit Internetauftritt kann sich das leisten?

  11. @Gregor Keuschnig / #14:
    Dass die Online-Texte andere Überschriften haben, liegt in den meisten Fällen schlicht daran, dass sie für Suchmaschinen optimiert werden. In der Printversion hat man das nicht nötig und kann sich eher „austoben“ und zum Beispiel wortspieliger auftreten.

  12. Zum einen wird die ganze Content-Schubserei vertraglich eingetütet sein, in irgendeiner Form also Paid Content auf der B2B-Ebene darstellen (vermutlich in Form von Gegengeschäften, Geld hat ja keiner). Genau DAS werden die Verlage als Argument heranziehen, was sie von denen unterscheidet, „die im Internet nur Inhalte kopieren“.

    Zum anderen: Warum soll es Off-Agenturtexten besser ergehen als Inhalten von AP, Reuters oder etwa der dpa: http://bit.ly/bAaLMU

    Matze

  13. Es kann in diesem Fall sein, dass der Autor mehrfach bezahlt wurde, besonders wahrscheinlich ist es nicht. Er wurde jedenfalls glaube ich nicht für die unterschiedlidlichen Springer-Outlets bezahlt. Solche Sachen sind im Springer-Autorenvertrag festgelegt, eigentlich inklusive solcher Geschäfte mit Content Syndication.

    Die Abschreibewut („wir müssen das auch haben!“) zusammen mit ausgeprägter Stutenbissigkeit („für die darfst du nicht schreiben, sonst sind wir fertig!“) führt ohnehin dazu, dass es für Autoren schwieriger wird, mehrfach zu verkaufen. Es wird nur mehrfach verwertet.

  14. @15/Hubert
    Sie glauben, der Autor wird mehrfach bezahlt? Das halte ich noch nicht einmal für ein Gerücht.

    @17/anne
    Naja, ich gebe zu, dass ich mich mit solchen Sachen nicht auskenne. Dennoch vermag ich an die These von der „Suchmaschinenoptimierung“ als alleinigen Grund zu glauben. Die Überschriften im Online-Bereich sind meist einfach nur alarmistischer, damit sie im allgemeinen Vuvuzela-Skandalisierungs-Gebrumm überhaupt noch wahrgenommen werden.

  15. Also ich mache das ja auch so. Sieh an: (1) dieser Kommentar und (2) dieser Kommentar. Dem geübten Leser wird auffallen, dass ganze Sätze übernommen wurden. Das ist ganz schön geschickt von mir, denn damit scheine ich die Anforderungen des Qualitätsjournalismus zu erfüllen:

    1. Kostenlos ins Web stellen
    2. an verschiedenen Orten
    3. zum Gesetzgeber rennen und dafür Subventionen einfordern

    Wo muss ich mir denn jetzt die Subventionen aus dem Leistungsschutzrecht abholen?

  16. Herr Niggemeier,
    die mehrfache Veröffentlichung eines Textes eines Journalisten fällt Ihnen erst jetzt auf? So etwas passiert ständig. Insbesondere im Sportteil kann es passieren, dass der Text eines Autors in TAZ, Tagesspiegel und Süddeutsche Zeitung erscheint (allerdings an verschiedenen Tagen). Von Medienvielfalt keine Spur! Erklärung durch die Zeitungen auf Nachfrage: Der Autor habe diesen Text eben mehrmals verkauft.

    Die Zeitungen machen sich durch solch ein Gebaren m.E. völlig überflüssig, nimmt man noch die Unsitte hinzu, den Politik- und Wirtschaftsteil zu sehr einem hohen Prozentsatz mittels Agenturmeldungen aufzufüllen.

    Aber woran liegt es, dass die Tageszeitungen so etwas machen/zu lassen? Zu hohe Renditeerwartungen der Besitzer, so dass kein Geld mehr für Journalisten übrigbleibt? Wurde zuviel Geld in den „Relaunch“ der Zeitungen investiert, oder in den Internetauftritt, oder in Aktivitäten, die mit dem Kerngeschäft nicht zu tun haben? Oder können die Zeitungen keine Anzeigen mehr verkaufen?

    Anderes Phänomen, zu finden in Berlin. Da wird an einem Wochenende in den Sendern des RBB (Inforadio/Radio 1/ Stadtradio 88,8 – natürlich immer der selbe Beitrag, zum Teil bis zu 8 mal am Wochenende wiederholt) ein Thema, vorzugsweise aus dem Bereich Stadtpolitik/Kultur/Essen+Trinken medial aufbereitet. Und promt findet sich dieses Thema als Artikel eine Woche spät, zu 98% identisch, im Tagesspiegel wieder.

    Was soll das?

  17. Dann will ich am Kiosk aber auch Rabatt bekommen. „Wenn sie die MoPo schon haben zahlen sie für die Welt nur noch die Hälfte“.

    Okay – sparen würde _ich_ damit nichts. :)

  18. Daß Artikel mehrfach publiziert werden, geschenkt.
    Aber daß identische Inhalte von der Berliner Morgenpost einmal kostenpflichtig und einmal kostenlos angeboten werden?
    Für wie dämlich halten die ihre Leser?

  19. Was ist daran jetzt neu – oder gar bemerkenswert? Seit Platzen der Internetblase 1.0 anno 98/99 ist das doch gang und gäbe.

  20. Was ist daran jetzt neu – oder gar bemerkenswert? Seit Platzen der Internetblase 1.0 anno 98/99ist das doch gang und gäbe.

  21. Anders formuliert: Wenn es einem Journalisten gelingt, einen Beitrag mehrfach zu verkaufen und dadurch von seiner Arbeit gut leben zu können – sollten wir das dann schlecht finden?

    Natürlich stellt sich die oben schon wiederholt angesprochene Frage, bei welchen und wie vielen Wiederholungs-Veröffentlichungen ein Journalist überhaupt etwas verdient.

    Aber eben jenem Journalisten, der durch Mehrfachverkäufe die Qualität hoch und seinen Lenbensstandard zumutbar hält sollte man doch Mut zuschreiben.

  22. Das hat auf Papier schon genervt, dass man Inhalte zum Beispiel in der Bild und der Welt identisch vorfand. Es war klar, das dies grassieren wird, wenn die Multiplikation noch einfacher wird. Und die Politik denkt darüber nach, den armen Verlagen „hilfreich zur Seite zu stehen“. Mir wird schlecht.

  23. Die Diskussion zeigt, dass von den Beteiligten das eigentliche Problem nicht gesehen wird!
    Das Problem ist Google – Ohne Google würde so etwas doch keiner merken. Mit Google lassen sich solche Sachen finden, aber solche Verunglimpfungen des Segmentpublizierens schaden natürlich einer notwendigen breiten Informationsstreuung in nicht überlappende Lesergruppen, die alle ein Anrecht auf diese Information haben.

    Es ist von den Verlagen ja bereits ausfühlich dargelegt worden, dass Google der Pressefreiheit schweren Schaden zufügt, der finanziell ausgeglichen werden muss. Dies ist wiedewr ein Beispiel.

    Was wir in diesem Verwertungsmuster erleben ist eine sozial gerechte Informationsmechanik, gerade weil der Artikel gratis und gegen Bezahlung angeboten wird. Qualitätsjournalismus darf nicht zu einen Vorrecht reicher Leser werden, er darf an diese aber auch nicht verschenkt werden.

    Genau, und überhaupt, ein Skandal, wenn nicht mindestens!

  24. Doppelcontent schadet einer Webseite nur, wenn der Content von einer anderen Webseite geklaut wird und diese Webseite irrtümlich als Original gewertet wird. Hier bleibt es ja in der Familie. Google entscheidet sich für eine Version und wertet die anderen ab.

    Der normale Google-Index ist hier aber eher bedeutungslos. Bei Google News geht es eher darum, eine Mehrheit hinter sich zu bringen, und die kann man sich wie hier auch selber schaffen.

  25. @31 Hubert: Wieder anders formuliert: Anscheinend kann ein Journalist von seiner Arbeit nur dann gut, wenn es ihm gelingt, einen Beitrag mehrfach zu verkaufen.

    Dann frage ich mich, wo ist der Anspruch der Exklusivität der Zeitungen geblieben? Wenn Artikel x-fach in verschiedenen Meiden wiedergekäut werden, schaltet der Konsument irgendwann ab, spricht, erkauft nicht mehr.

  26. Nein, die Zeitungen bzw. ihre Onlineausgaben machen sich durch Content Syndication nicht überflüssig, denn – wie schon angemerkt wurde – es handelt sich zumeist um separate Lesergruppen.

    Für die Zeitungen ist es natürlich extrem kostensparend, Content untereinander auszutauschen. Der Leser merkt im allgemeinen nichts, weil er meistens nur ein Produkt aus dem Verlagshaus konsumiert bzw. sich nur auf einzelne thematisch jeweils unterschiedliche Webangebote konzentriert. Als „Skandal“ aufgedeckt wird das eben erst, wenn man die Suchmaschine bedient und nach gleichlautenden Wortkombinationen sucht. Insofern schafft das Internet einfach nur die Aufklärung, dass wir alle in Sachen Informationsvielfalt schon immer verarscht werden.

    Unique Content ist – sofern selbst produziert – sehr aufwändig und kostenintensiv und der generierte Ertrag in vielen Fällen nicht adäquat. Leider weiß der Großteil der Leute eben nicht die Einzigartigkeit in dem Maße wertzuschätzen, um die Produktionskosten zu decken.

    Markentreue ist ein wichtiges Thema. Bleiben die Leute bei ihrer (Online-)Zeitungsmarke, so merkt ja auch keiner was und alle sind zufrieden. Für die Verlage lautet die Strategie dann eigentlich nur, die Leserbindung zu erhalten bei gleichzeitigem Ausbau des Markenportfolios. Und das dann eben gerne mit identischen Inhalten über alle Medienangebote hinweg. Das ist Mist, keine Frage. Aber so läuft das eben.

  27. Vielleicht sollten einige Kommentatoren noch einmal den letzten Absatz des Artikels lesen um zu verstehen, worum es Herrn Niggemeier geht.

  28. Wenn es nur journalistischer Inhalt wäre! Als im ersten und zweiten Quartal immer mehr Missbrauchsfälle in der Katholischen Kirche aufgedeckt wurden, stand in beiden Dresdner Tageszeitungen jeweils ein einseitiger Artikel über einen Priesterkandidaten aus Vietnam, der sein Studium aufgegeben hatte, um aus innerer Überzeugung Priester zu werden.

    Die Artikel waren jeweils ein wenig anders formuliert, aber die Entscheidung des Priesters war in beiden Fällen gleich beschrieben. Es machte den Eindruck, als ob eine PR-Schablone der Katholischen Kirche als Grundlage gedient hätte. Die Fotos sahen aus, als ob sie am selben Tag beim selben Lichteinfall in der selben Kapelle entstanden wären.

  29. Was ist denn mit den Flattr-Buttons? Bei mit steht da nur „No input file!“. Is da was kaputt?

  30. Äh. Kommando zurück (ist nicht militaristisch oder sonst wie kriegsverherrlichend gemeint ;)) ). Jetzt geht’s eh schon wieder!

  31. Nun, Content Syndication reduziert ja zunächst einmal nur die Quantität von unterschiedlichen Artikeln, es verdünnt die Vielfalt. In puncto Qualität hingegen wäre ja durchaus eine Strategie denkbar, einzelne hochwertige und teure Inhalte über möglichst viele Plattformen zu verteilen.

    Bei der ganzen Gleichmacherei besteht die Chance der Verlage aber letzten Endes nur darin, entweder

    a) Markentreue für die einzelnen Publikationen zu erzielen und möglichst viele weitere Medienmarken zu akquirieren, um Reichweite aufzubauen – dies ist ja bereits am Markt zu beobachten

    oder b) wirklich einzigartige Inhalte zu publizieren und damit aus der Masse herauszustechen, was aber gerade online den wenigsten Verlagen profitabel gelingt

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