Aserbaidschanische Diplomatie

Es lohnt sich, die Pressemitteilung zu lesen, mit der die aserbaidschanische Botschaft in Berlin sich über eine „systematische Kampagne gegen Aserbaidschan“ beklagt, die von deutschen Politikern und deutschen Medien — namentlich die ARD und der „Spiegel“ — geführt werde. Sie vermittelt einen winzigen, aber aufschlussreichen Einblick in die Denkweise und Kommunikationsstrategie der Regierung in Baku.

Zu denjenigen Politikern, die Aserbaidschan in der Erklärung namentlich kritisiert, gehört Christoph Strässer. In der Pressemitteilung wird er nur als „deutscher Abgeordneter im Europarat“ bezeichnet. Er ist allerdings auch, was in diesem Zusammenhang nicht ganz unwesentlich ist, Beauftragter des Europarates für die Lage der politischen Gefangenen in Aserbaidschan. Das Land erteilt ihm allerdings in dieser Funktion kein Visum.

Strässer schreibt:

Für Anfang Mai war eine Reise nach Aserbaidschan geplant. Eine Einladung der aserbaidschanischen Delegation wurde mit inakzeptablen Bedingungen versehen und sollte auf die Begriffsdefinition des politischen Gefangenen begrenzt werden. Damit soll ein Schwerpunkt des Mandates komplett ausgeblendet worden: nämlich die Lage inhaftierter Journalisten, Oppositionspolitiker und friedlicher Demonstranten in Aserbaidschan, die zu teilweise langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt worden sind. Eine Einladung auf Grundlage des erteilten Mandates wurde abschließend verweigert.

Die Weigerung, mit einem gewählten Berichterstatter der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zu kooperieren, sei ein „so nie dagewesener Vorgang“, sagt Strässer.

Bemerkenswert an der Pressemitteilung der Botschaft ist aber auch ihr vorgeblicher Anlass: Äußerungen des deutschen Botschafters in Aserbaidschan, Herbert Quelle. Der hat kürzlich für „Yeni Azerbaycan“, die Zeitung der Regierungspartei, einen Gastbeitrag geschrieben. Darin heißt es:

Ich bin zuversichtlich, dass die kritischen Töne in der deutschen Berichterstattung über Aserbaidschan bald verschwinden werden. Warum? Nun, die aserbaidschanische Regierung hat die Grundlagen dafür skizziert: Sie bestehen in der Umsetzung der Maßnahmen gegen Korruption, die Staatspräsident Ilham Aliyev Anfang 2011 verkündet hat. Das Bekenntnis zur Demokratisierung und Herstellung der Rechtsstaatlichkeit, das der Staatspräsident in seiner Rede am 27.05.2011 zum Tag der Republik erneuert hat, wird auf allen Ebenen ernst genommen. Das am 28.12.2011 verkündete Menschenrechtsprogramm wird implementiert. Aserbaidschan steht zu seinen politischen Verpflichtungen aus der Europaratsmitgliedschaft. Verfassungsmäßig garantierte Eigentumsrechte werden respektiert und konfliktive Einzelfälle von Zwangsvertreibungen werden in geordneten Gerichtsverfahren entschieden.

Es gibt viele Hinweise darauf, dass das, was der Botschafter da so, sagen wir: diplomatisch als Errungenschaften und Tatsachenbehauptungen formuliert, bestenfalls Absichten und Ziele sind. Sein Text ist jedenfalls ein Beitrag, der entschlossen ist, das Gute in der Entwicklung in Aserbaischan und den deutsch-aserbaidschanischen Beziehungen zu sehen.

Und trotzdem fühlt sich die aserbaidschanische Botschaft vor den Kopf gestoßen. Quelle hatte nämlich auch formuliert:

Ich kann nachvollziehen, dass viele Aserbaidschaner die Berichterstattung über ihr Land als einseitig negativ empfinden, darüber verärgert sind und urteilen, dass die positive Gesamtentwicklung Aserbaidschans seit 20 Jahren Unabhängigkeit nicht ausreichend gewürdigt werde. Ich kann die daraus entstehende Verstimmung verstehen, kann aber als deutscher Botschafter die Medienberichterstattung genauso wenig ändern wie mein aserbaidschanischer Kollege in Berlin. Ich bezweifle auch die Behauptung, dass die Bundesregierung die Möglichkeit
hätte, die Aserbaidschan-Berichterstattung in den unabhängigen und mächtigen deutschen Medien in eine bestimmte Richtung zu lenken. Falls die aserbaidschanische Regierung Einflussmöglichkeiten auf die oben genannten aserbaidschanischen Medien hat, könnte sie diese nutzen.

Schon dieser eine Satz, der mit einem „Falls“ beginnt, sich unter anderem auf die Zeitung bezieht, in der er schreibt, und die den Namen der Regierungspartei trägt, war für die Demokraten in der aserbaidschanischen Botschaft in Berlin zuviel:

Diese Reaktion der deutschen Botschaft löst Erstaunen aus. Zunächst ist die Presse in Aserbaidschan, wie in Deutschland frei. Das bedeutet, dass die Regierung keine Befugnisse besitzt, auf die Medien Einfluss auszuüben.

Die Erklärung endet mit den Worten:

Aber dennoch sind wir der Ansicht, dass diese Kampagne voll von Verleumdungen und Täuschungen nichts an der Beziehung des deutschen Volkes gegenüber Aserbaidschan verändern kann. Diejenigen, die diese Kampagne führen, können ihr Ziel nicht erreichen, den seit Jahren gefestigten aufrichtig freundschaftlichen Beziehungen und der Kooperation zwischen Aserbaidschan und Deutschland einen Schaden zuzufügen.

Wenn es so wäre, hätte diese Pressemitteilung nicht geschrieben werden müssen.

[Offenlegung: Ich arbeite für den „Spiegel“. Dies ist meine persönliche Meinung.]

35 Replies to “Aserbaidschanische Diplomatie”

  1. Es ist und bleibt ein „Eiertanz“ für alle Beteiligten, wie auch hier der letzte Satz zeigt. Aber außer gerechter Empörung und Protest von ganz weit weg, bleibt nur die Hoffnung auf über Sanktionen erzwungene Einsicht, wie jetzt in Myanmar.
    Dem gegenüber stehen aber die globalisierten wirtschaftlichen Interessen, in Azerbeidschan, in Bahrain, in China.
    Ich persönlich werde in diesem Jahr (seit ungefähr 40 Jahren) nicht den ESC ansehen, auch wenn mein Zuschaueranteil von 0,000000001% nicht ins Gewicht fällt.

  2. Wird Zeit für eine repräsentative Umfrage.
    „Mit welchem Land fühlen Sie sich besonders verbunden?“ An welcher Stelle mag Aserbaidschan rangieren?
    Heute ist 20. Tag der Pressefreiheit. Wie es Aserbaidschan mit der Pressefreiheit hält, zeigte Reporter ohne Grenzen z.B. im Jahr 2010. Auf der Rangliste mit 178 Staaten landete das Land auf dem 152 Platz. Deutschland auf dem 17.

  3. @ Petra / Matthias
    Ich will euch ja nicht enttäuschen, aber wenn ihr keinem Gfk-Haushalt angehört, beträgt euer Zuschaueranteil genau 0,0% ;-)

    Im übrigen frage ich mich, weshalb Länder (bzw. deren Staatssender) mit einer derartigen Bilanz in Punkto Pressefreiheit Mitglied der EBU sein können.

  4. @4: Das interessiert die EBU anscheinend gerade mal überhaupt nicht, die sind keine politische Organisation. Gaddhafis Libyen – oder präziser, der staatliche Sender – gehörte auch (seit 1974) dazu.

  5. @genova, mal versuchen, das zu ändern:

    Schwule, muslemische Applenazipiraten, die „Sinn machen“ sagen.

  6. Partizip?! Na denn: Participation oui – chienlit non (Charles de Gaulle). Participation wau (Milou/Struppi). Hunde, wollt ihr ewig bellen? (G. Alijew)

  7. Die Bestürzung der aserbaidschanischen Botschaft über Quelles Beitrag ist natürlich Heuchelei. Andererseits kann man sich schon fragen, warum ein deutscher Botschafter die Aserbaidschanische Regierung dazu auffordert, ihren Einfluss auf die Medien stärker zu nutzen.

  8. Kater nach dem Parteitag: Piratenparteipartyzipperlein.
    Ein Mann ist albern. Ein Mann entschuldigt sich.

    Aber, really, meint Stefan Niggemeier Partizip oder Prädikat (welche Frage freilich auch nicht von, sagen wir, erdaxialer Wichtigkeit ist)?

  9. @Marc
    Und ich bin nicht mal in der werberelevanten Zielgruppe.
    Aber als Statement ist die Aussage „Ich gucke nicht!“ immer noch besser als „Ich habe gar keinen Fernseher mehr!“

  10. Partizipation – Prädikation: schöner Antagonismus, könnte glatt ein Motto für re:publica-Kongresse sein. Teilhaben und/oder Predigen. In Aserbaidschan erledigt das alles der gottgesandte Gaidar (nur damit unsere „Botschaft“ wieder etwas in den richtigen Kontext rücken kann).

  11. @AK
    Danke für den Link, dadurch durfte ich auch zufällig noch folgendes Schlagzeilen-Juwel in den empfohlenen Artikeln entdecken:
    „Philipp Lahm kritisiert die ukrainische Regierung“ :D

  12. Marietta Slomka vom Rentnerfernsehen ZDF bekommt einen Medienpreis für Sprachkultur?

    WO IST MEIN RAUMSCHIFF, ICH WILL HIER WEG!!!

  13. Frank, #24:

    Der Sprachpreis für Fernsehfuzzis geht traditionell immer an jemanden, der irgendwie bekannter ist als bekannt und die Versammlung mit seiner Anwesenheit schmücken soll. Das ist das Hauptkriterium.

    Das ist bei vielen anderen Preisen ähnlich, sollte aber Stefans Leistungen gewiss nicht schmälern.

  14. Mit dem Mittleren sieht man am besten – das, verehrter Zyklop, haben Sie trefflich geknittelt. Den Ausreden meiner Vorredner schließe ich mich gern an, hochgeschätzter Hausherr. Im allgemeinen machen Preisungen auf offener Bühne die meisten Beteiligten verlegen – an Frau Burmester erkennt man das daran, wie sie die Unterlippe zum Schüppchen schürzt, die Oberlippe schräg kräuselt und die widerspenstige Strähne hinters schüchterne rechte Segelohr streicht. Allerdings sieht sie mit Presse-Stahlhelm eher aus, als wäre sie flugs dem Polo-Club entsprungen, während Herr Baumgarten glatt als Wiedergänger eines oberfränkischen Freiherrn durchgehen könnte. Darauf ein „Stuhlgewitter“ – Preisträger preist man unverfänglich durch Zitate. Und Leute, die sich grämen, daß sie nicht ausgepreist worden sind?! Naja, die sagen dann eben: „Typisch ausgewogen – die Schöne und das Biest“.

  15. „Medienpreis für Sprachkultur“ für „hervorragende Verdienste um die Sprache und Sprechkultur“!

    Herzlichen Glückwunsch, dazu!

    @6 genova: „Wie? Unter einem Niggemeier-Blogeintrag nach 2,5 Tagen nur fünf Kommentare? Ist das Internet kaputt?“

    Die Zurückhaltung der Mitleser bezüglich Aserbaischan / Medien, spricht nach meinem dafürhalten für eine gewisse Ratlosigkeit und /oder kluge Feinfühligkeit, bei den ansonsten eher eifrigen Kommentatoren …

  16. Ach so, die Kommentare zischen von hier aus direkt ins Weltall…

    Na dann. Kein Wunder.. ;-)

    (oder evtl. im Spamfilter?)

  17. Bin weder ratlos noch feinfühlig. Habe schlicht keine Ahnung. Die Story eignet sich wohl einfach nicht, um mehr Aufmerksamkeit zu erzeugen. So hart das klingt und so schade das ist. Die hätten besser so ein blondes Gift ins Gefängnis stecken sollen. Aber ein paar oppositionelle zu verprügeln oder ein paar Häuser zu räumen erzeugt einach nicht genügend empörungspotential.

  18. @ 32 „Bin weder ratlos noch feinfühlig.“
    Sorry, ich vergaß die Starkstromliesel von meinen Vermutungen gesondert auszunehmen…. ;-)

  19. wenn hier möglicherweise noch anmerkungen wegen dem neuen design angemerkt werden könnten und man eventuell noch wünsche äußern dürfen dürfte, dann hier meiner:

    bitte wieder den ganzen blog-text auf der ersten seite lesbar machen!
    vermisse ich total.

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