Bohlens Psyche und „Spiegel Online“

Dass ein Medium wie „Spiegel Online“ die Meldung der „Bild am Sonntag“ übernimmt, dass Dieter Bohlen, der gerade erst bei einem Raubüberfalls gefesselt wurde, durch einen glücklichen unglücklichen erstaunlichen Zufall nun in einer RTL-Werbekampagne für „Deutschland sucht den Superstar“ gefesselt zu sehen ist, das kann ich irgendwie verstehen.

Was ich nicht verstehen kann: Dass ein Medium wie „Spiegel Online“ den Artikel der „Bild am Sonntag“ quasi komplett abschreibt, inklusive des fast vollständigen Zitates einer RTL-Sprecherin, die „Bild am Sonntag“ befragt hat, inklusive der fast vollständigen Ferndiagnose eines Psychologen, den „Bild am Sonntag“ gefragt hat, inklusive des Schlusses, bei dem Bohlen sagt, dass er der „Bild am Sonntag“ nichts sagt — und unter Hinzufügung eines bizarr staatstragenden Vorspanns, den vermutlich selbst die „Bild am Sonntag“ abwegig gefunden hätte:

Es ist schwer genug, einen Raubüberfall zu verarbeiten — nun ist Dieter Bohlens Heilungsprozess auch noch durch eine Werbekampagne bedroht: In einem RTL-Spot ist der Produzent laut „Bild“ gefesselt zu sehen. Ein dummer Zufall, der einem Experten zufolge Bohlens Psyche schaden könnte.

Ich meine, wenn „Spiegel Online“ beim Ab- und Umschreiben von „Bild am Sonntag“-Artikeln nicht einen eigenen Anruf tätigt, keine einzige andere Quelle nutzt, kein eigenes Hintergrundwissen einfließen lässt und nicht wenigstens einen Hauch von Distanz oder Ironie hinzufügt… warum setzen die nicht einfach einen Link zu Bild.de? Es wäre auch im Sinne der Leser — die „Bild“-Version enthält mehr Informationen, ist aber um 20 Prozent kürzer.

Der „kress“-Report berichtet übrigens, dass „Spiegel Online“ zum 1. April 2007 eine neue Ressortleiterin für das Vermischte-Ressort „Panorama“ bekommt: Patricia Dreyer, zur Zeit Unterhaltungschefin bei „Bild“. Ihr Name stand u.a. über dem Artikel „Deutsche Film-Diva in Wahrheit Porno-Star“, mit dem die „Bild“ ihre Schmutzkampagne gegen Sibel Kekilli begann.

Dreyers Engagement ist für „Spiegel Online“ sicher Teil einer Qualitätsoffensive. Dass man in Zukunft mal eigene idiotische Promigeschichten hat, und nicht die der „Bild am Sonntag“ aufblasen muss.

25 Replies to “Bohlens Psyche und „Spiegel Online“”

  1. Danke! Mir ist dieser elendige SpON Artikel auch aufgefallen – doch du hast mir die Arbeit abgenommen selber darüber zu bloggen.

    Unsäglich. SpON wird von Tag zu Tag schlechter.

  2. ja es geht steil bergab mit dem spiegel… mal schauen wie lange es dauert, bis die sich zwischen den rtl2-news und der büldzeitung ihre nische baun…
    (noch) nix gegen deren berichterstattung… aber den boulevard-acker müssten die nun wirklich nicht auch noch bewirtschaften.

  3. na dann wird aus dem spon-panorama ja bald wirklich ein pornorama. das erste was frau dreyer in der spon-redaktion wohl einführen wird ist wohl porno-dvds sichten auf der suche nach promis-gesichtern.

  4. immerhin rettete sich spon dank der koop mit der fas über den arbeitskräftearmen sonntag. an dem text von harald staun, der den besagten ersten bohlen-text ablöste, erfreute ich mich sehr.
    Dadurch, dass die bams-abschreibe trotzdem als teaser-link erhalten blieb, zeigt sich die erstaunlich ausgeprägte bandbreite journalistischer texte, die spon so aufbietet. nach oben. und unten.

    @ix: sehr viel pornoramiger kann’s ja doch nicht mehr werden.

  5. Mal ehrlich: Wieviel Arbeit ist diese Meldung wert?

    Ich bin mal gespannt, wie es im Frühjahr weitergeht mit dem Spiegel. Wenn ich ihn nicht kostenlos kriegen würde …

  6. Unabhängig von dieser verhältnismässig jämmerlichen Personalie weiss ich gar nicht, was diese ständige Spiegel-Online-Jammerei soll. Ich halte SpOn für ein vollkommen okayes Boulevard-Magazin. Eines der besten Boulevard-Magazine überhaupt, soweit ich das beurteilen kann, da kommen weder Stern noch Focus ran (online). Dann wollte ich noch fragen – Ressortleitung Vermischtes, ist das eine andere Bezeichnung für Chefredaktion dort?

  7. Toll diese ganzen medienkritischen Menschen hier, die alle Spiegel Online viel zu boulevardesk finden. Das setzt natürlich voraus, dass man ganz schön oft auf Spiegel Online unterwegs ist. Natürlich nur, um sich hinterher darüber aufregen zu können. Ich finde das in zweierlei Hinsicht peinlich: Es offenbart, dass viele anscheinend nur Spiegel Online lesen und völlig fixiert sind (mehr kann sich Spiegel Online gar nicht wünschen). Wer Harald Staun nur von Spiegel Online kennt, der darf sich angesprochen fühlen. Zweitens gibt’s bei Spiegel – gerade im Kulturteil – gute Artikel. Zum Beispiel deshalb und trotz Bohlen ist Spiegel immer noch das einzige Online-Medium, das man ernst nehmen darf.

  8. „Zum Beispiel deshalb und trotz Bohlen ist Spiegel immer noch das einzige Online-Medium, das man ernst nehmen darf.“

    Superbewerbung für ein Praktikum bei SPON!

  9. Wer den Satz „SpOn ist das einzige Online-Medium, das man ernst nehmen darf“ unironisch über die Lippen seiner Tastatur bringt, müsste seinen Intelligenzquotienten verdoppeln, um als schwachsinnig gelten zu können. Oder kennt das Internet so gut wie ich die Kanalisation von Honolulu. Auch von Spiegel Online selbst sagt das keiner, niemand, nirgends, niemals.

  10. Naja,
    obendrauf hat Spiegel-Online am Sonntag
    einen Artikel der FAS 1:1 übernommen,
    das Bohlen und BILD mit der Ausschlachtung der
    „Überfall-Nummer“ und der Empörung über die „Fessel-Werbung“ perfekte PR für die neue Superstar-Staffel machen.

    Na ein Glück, das Spiegel-Online das durchschaut hat
    und sich nicht ein- oder vor den Karren-spannenl äßt…

    :-)

    :-)

    T.B.

  11. Vielleicht zum Thema Seriösät vs. SpOn noch zu erwähnen: Spiegel Online übernimmt Lobby-Propaganda Materialien von arbeitgeberfinanzierten PR-Schmieden eins zu eins. Siehe auch hier. Da geht einem echt der Hut hoch.

  12. […] „Spiegel Online“-Chef Mathias Müller von Blumencron hat gegenüber der „taz“ die Entscheidung verteidigt, die „Bild“-Unterhaltungschefin Patricia Dreyer im nächsten April zur neuen Leiterin des „Panorama“-Ressorts zu machen — obwohl deren Name u.a. über dem Artikel stand, mit dem die „Bild“-Zeitung 2004 ihre Schmutzkampagne gegen Sibel Kekilli begann: Dreyer sei für diese Geschichte und ihre Aufmachung nicht zuständig gewesen. „Man kann sich auch fragen: Muss man jemanden sein Leben lang für eine solche Geschichte verantwortlich machen?“ […]

  13. […] „Spiegel Online“-Chef Mathias Müller von Blumencron hat gegenüber der „taz“ die Entscheidung verteidigt, die „Bild“-Unterhaltungschefin Patricia Dreyer im nächsten April zur neuen Leiterin des „Panorama“-Ressorts zu machen — obwohl deren Name u.a. über dem Artikel stand, mit dem die „Bild“-Zeitung 2004 ihre Schmutzkampagne gegen Sibel Kekilli begann: Dreyer sei für diese Geschichte und ihre Aufmachung nicht zuständig gewesen. „Man kann sich auch fragen: Muss man jemanden sein Leben lang für eine solche Geschichte verantwortlich machen?“ […]

  14. Na, jetzt ich:
    Lohnt es sich über ein kommerzielles (und im journalistischen Geiste gescheitertes) Webangebot wie SpOn zu diskutieren? Die sammeln halt News und publishen das, auch die Bams hält da her, warum nicht – ist das ein Problem?
    Muss sich ja keiner antun.

    Stefan will sich ja irgendwie auf die Personalie einschiessen – und die ist bedenklich. Die Frau ist als Journalistin untauglich – ich sehe die eher als Praktikantin im fiesesten Sinne (da ist doch was ganz Besonderes gelaufen…). Was bezweckt SpOn?
    Und was soll dieser Bohlen-Text?
    Sieht nach einem Test aus. Wie BILD sind SpOn-Leser. Abfüttern mit dumpfesten und vor allem günstigen Texten und dennoch klickt jeder rein.
    Keiner muss BILD noch kopieren, die Macher sind BILD – alles wird BILD, oder SpOn, oder wie auch immer das dann heißt. Ohne Kiosk, ohne 50 Cent.

    Als unternehmerische Vision: Genial!

  15. […] „Spiegel Online“-Chef Mathias Müller von Blumencron hat gegenüber der „taz“ die Entscheidung verteidigt, die „Bild“-Unterhaltungschefin Patricia Dreyer im nächsten April zur neuen Leiterin des „Panorama“-Ressorts zu machen — obwohl deren Name u.a. über dem Artikel stand, mit dem die „Bild“-Zeitung 2004 ihre Schmutzkampagne gegen Sibel Kekilli begann: Dreyer sei für diese Geschichte und ihre Aufmachung nicht zuständig gewesen. „Man kann sich auch fragen: Muss man jemanden sein Leben lang für eine solche Geschichte verantwortlich machen?“ […]

  16. […] “Todeszylinder”! Sind “Bomben”, “Granaten” und ähnliches im SPON-Wortlager gerade aus? Oder traut man dem SPON-Leser einfach nicht (mehr) zu, zu wissen, dass auch mit herkömmlicher Bezeichnung versehene Sprengkörper tödlich sind oder sein können? Und dabei stand der Artikel noch nicht mal unter der Rubrik “Panorama” und der April hat auch noch nicht begonnen… […]

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