Das Revanchefoul des „Zeit“-Geschäftsführers an Klein Erna

So ein Interview ist eine feine journalistische Form. Wenn die Fragen zu forsch sind, kann der Gefragte bremsen. Wenn die Fakten nicht stimmen, kann er widersprechen. Wenn ein Vergleich absurd ist, kann er das bemängeln.

Ganz besonders fein ist es für den Interviewten, wenn er seine Antworten hinterher noch nachbearbeiten kann. Wenn er Informationen nachtragen kann, die ihm spontan nicht einfielen. Wenn er Formulierungen reparieren kann, die missverständlich oder versehentlich verständlich waren.

Soweit die Theorie.

Silke Burmester hat für die „taz“ ein Interview mit Rainer Esser, dem Geschäftsführer des „Zeit“-Verlages geführt. Es ging um die äußerst lukrativen Nebengeschäfte der „Zeit“, um den Umgang des Blattes mit seinen freien Mitarbeitern und die Frage, ob es angesichts der anscheinend blendenden Verfassung der „Zeit“ nicht angemessen wäre, die Freien Mitarbeiter besser zu bezahlen.

Es wurde ein kontroverses Gespräch, das Esser hinterher noch in Form bringen durfte — ein Angebot, von dem er reichlich Gebrauch machte. (Sein Satz „Für ‚Die Zeit‘ zu arbeiten, macht sehr viel Freude“ stand allerdings schon in der Originalfassung.) Der Verlag erklärte den Änderungsbedarf gegenüber newsroom.de damit, dass „in dem Interview einige überraschende Themen angesprochen worden sind, die vorher nicht angekündigt worden sind“. Burmester bestreitet das.

Am Ende des Interviews fragte Burmester Esser jedenfalls:

Wenn „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo käme und mehr Budget wollte, weil es nicht zu rechtfertigen sei, die Freien — auch die Onlinekollegen und die Fotografen — so schlecht zu bezahlen: Würden Sie ihm dann mehr geben?

Essers nachträglich geschriebene Antwort klang plötzlich gar nicht mehr nach den Jubelmeldungen des Verlages, troff aber vor Überheblichkeit:

Vermutlich wissen Sie es noch nicht, aber unsere Branche ist sehr unter Druck. Jedes Jahr kommt anders. Die Anzeigenerlöse sind sehr volatil. Einfach zu sagen, hier sind ein paar Millionen mehr, so stellt sich Klein Erna die Verantwortung eines Zeitungsgeschäftsführers vor. Aber, ich gebe zu, Sie haben ein sehr wichtiges Thema angesprochen, das mich auch bewegt.

Die Figur der „Klein Erna“ war Esser erst im Nachhinein eingefallen, und so passte Silke Burmesterin auch ihre Replik entsprechend an:

Dann dankt Klein Erna dem Onkel für das Gespräch.

Dieser Satz war der einzige, den Esser vor der Veröffentlichung des von ihm redigierten Interviews noch nicht kannte.

Nun weiß ich nicht, ob es diese neun Wörter waren, die Esser im Nachhinein in Rage geraten ließen. Oder ob Burmesters Fragen, auf Zeitungspapier gedruckt, diesen Effekt hatten. Oder, was ich für mindestens so wahrscheinlich halte, der Anblick seiner Antworten. Jedenfalls war er mit dem von ihm redigierten Interview plötzlich gar nicht mehr einverstanden. Und so hinterließ er auf taz.de folgenden Kommentar:

Bevor sich noch mehr TAZ Leser über die Behauptungen von Silke Burmester echauffieren: Silke Burmester weiß bestens, dass die ZEIT in der Regel deutlich besser zahlt als sie in ihrem Interview behauptet hat. Sie selbst hat für ihre Artikel im ZEITmagazin Honorare zwischen 1.300 Euro und 2.000 Euro erhalten für 9.800 bis 19.800 Zeichen.

Sie hat wider besseren Wissens, um den Spin ihrer Geschichte zu erhalten, die Dinge verzerrt dargestellt. Ob solche Scheinheiligkeiten den berechtigten Forderungen von freien Autoren nach angmessener Vergütung dienen?

Das ist eine für den überaus erfolgreichen Geschäftsführer des von Rekord zu Rekord eilenden „Leitmediums“ „Zeit“ eine erstaunlich verspannte Anmerkung — und ein Foul. Anscheinend muss jemand, der frei für die „Zeit“ arbeitet und trotzdem mit kritischen Fragen nervt, damit rechnen, dass der Geschäftsführer der Öffentlichkeit die gezahlten Honorare mitteilt — obwohl die hier überhaupt nichts zur Sache tun, denn was die Magazin-Beilage der „Zeit“ zahlt, stand gar nicht zur Debatte.

Inwiefern Burmester wider besseres Wissen falsche Behauptungen aufgestellt hat, lässt Esser ebenso offen wie die Frage, warum er nicht gleich im Interview oder spätestens bei dessen nachträglicher Bearbeitung diesen angeblichen „Scheinheiligkeiten“ angemessen widersprochen hat. Es ist aber auch ein Kreuz mit diesem kritischen Journalismus.

[Ich bin wie Silke Burmester Mitglied beim Verband freier Journalisten, Freischreiber.]

41 Replies to “Das Revanchefoul des „Zeit“-Geschäftsführers an Klein Erna”

  1. Nach Herrn Essers Einleitungssatz seines Kommentars („Bevor sich noch mehr TAZ Leser über die Behauptungen von Silke Burmester echauffieren“) hatte ich ja offen gestanden erwartet, dass in der Kommentarspalte unter dem Interview regelrecht „die Post abgeht.“

    Aber weit gefehlt:

    Stolze fünf Kommentare sind Herrn Essers Stellungnahme vorausgegangen. Davon haben sich zwei unterstützend zu Frau Burmesters Kritik an der Bezahlung freier Mitarbeiter der „Zeit“ geäußert, zwei widersprechen dieser, und einer enthält bloß substanzlose Schmähungen der „Zeit“ an sich.

    Anscheinend also ein Musterbeispiel typisch deutscher Überempfindlichkeit …

  2. Was ist eigentlich die Grundlage für diese Praxis des Überarbeitens von Interviews? Gibt es eine rechtliche Grundlage? Ist es einfach eine Üblichkeit, gegen die man als Journalist nicht verstößt, weil man sonst sicher nie wieder ein Interview bekommt?

  3. Irgendwie musste ich spontan an den hier denken:

    Klein Erna soll in der Schule ein selbst verfasstes Gedicht aufsagen:
    „Ein Fischer saß am Elbestrand
    und hielt ne Angel in der Hand.
    Da wollt‘ er fangen einen Barsch,
    das Wasser ging ihm bis zum Knie.“
    Die Lehrerin meint: „Aber Erna, das reimt sich doch gar nicht.“ „Na“, meint Klein Erna, „denn warten Sie man, bis die Flut kommt, dann reimt sich das.“

  4. Man sollte grundsätzlich die Nachbearbeitung von Interviews nicht zulassen. Das wäre „kritischer Journalismus“. Der Einwand, dann gäbe es kein Interview, greift nicht, wenn dies alle machen (in den USA gibt es auch Interviews und dort gibt es solche Pseudo-Gesetze nicht). Ansonsten wäre es ja kein Schaden, wenn es solche nachbehandelten Interviews nicht geben würde. Worthülsen gibt es eh genug.

  5. Die Nachbearbeitung ist hier aber gar nicht das Problem. Das Problem ist, dass der „Zeit“-Geschäftsführer anscheinend selbst mit der von ihm nachbearbeiteten Version plötzlich nicht mehr leben konnte.

  6. Ich denke schon, dass es dann weniger Interviews gäbe; diese wären aber substantieller. Und lässt sich jemand nicht mehr interviewen, weil er nicht gegenlesen darf, ist das u. U. eine interessantere Information als sie das redigierte Interview liefern hätte können.

  7. Ein gutes, weil entlarvendes Interview. Wieder einmal. So hat sich di Lorenzo ja schon ähnlich geäußert, in dem er meinte, es sei eine Ehre für die Zeit zu arbeiten, da könne man schon mal auf ein paar Euro verzichten. Ebenso äußern sich Ex-Freie im Grunde nur negativ über die Zeit, zumindest ist es mein Eindruck. Die Arbeit zwischen der Redaktion und den Freien sei wohl von Arroganz und Top-Down-Attitüde geprägt.

  8. @5 „Man sollte grundsätzlich die Nachbearbeitung von Interviews nicht zulassen.“

    Soweit ich mich erinnere, erfolgte dieses „Entgegenkommen“ der Journalisten irgendwann,weil es in Interviews immer mal wieder zu verkürzten oder missverständlichen Zitaten kam.

    „Es gehört zum guten Stil, sich Interviews von seinen Gesprächspartnern autorisieren zu lassen[…] Genau genommen sind Sie dazu nicht verpflichtet, aber aus Respekt sollten Sie in diesem Punkt nicht kleinlich sein.
    […] Die Notwendigkeit der Autorisierung hängt mit dem Recht am eigenen Wort zusammen. Danach kann jeder Mensch z.B. selbst bestimmen, ob seine Aussagen zu einem Thema veröffentlicht werden dürfen oder nicht. Eine Veröffentlichung gegen den Willen des Betroffenen oder auch ein Verdrehen von Aussagen aus einem gekürzten Interview führen zu einer Persönlichkeitsverletzung, die Ansprüche auf Gegendarstellung und Widerruf, aber auch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld auslösen kann.“

    (http://phlow.de/journalismus/darstellungsform/interview.php)

  9. Esser gibt ein interview, schreibt es zu 80% um, gibt es frei und echauffiert sich im Nachhinein.Unglaublich, wie der Geschäftsführer der Zeit kritischen Journalismus diskreditiert.

  10. Eigentlich ist die Sache mit dem Burmester-Interview ja gerade ein Beispiel, dass Autorisierungen eine gute Sache sind: Esser hat seine Antworten gelesen, für druckbar gehalten, sogar noch ein paar Anmerkungen gemacht (@johnson, #3: Autorisierungen sind in meiner journalistischen Berufspraxis vollkommen in Ordnung, Nachbearbeitungen nicht) – und behauptet jetzt plötzlich, das Ergebnis sei verfälschend. Damit entlarvt er sich selbst auf eine Weise, wie er es ohne Autorisierung nie gemacht hätte.

  11. Wer ein Verbot oder eine Abschaffung von Nachbearbeitungen von Interviews fordert, sollte bedenken, dass nur die wenigsten Menschen in der Lage sind, druckreif zu sprechen. Am ehesten sind das Politiker und PR-Leute, die vorgefertigte Sprachregelungen aufsagen, die die meisten gerade nicht in einem Interview lesen wollen. Von diesen Fällen abgesehen sind Verschriftlichungen gesprochener Sprache meist weit davon entfernt, lesbare Texte zu sein. Sie sind anstrengend zu lesen, relativ unstrukturiert und und voller Füllsel. Daraus ergibt sich, dass schon der Journalist den verschriftlichen Dialog überarbeiten wird, wenn er einen lesbaren Text mit vernünftigem Verhältnis von Wortaufwand und Inhalt haben will. Und selbst wenn man dem Journalisten 100-prozentig vertraut, kann man nicht sicher sein, dass diese überarbeitete Fassung noch dem entspricht, was man hatte sagen wollen. Dass im Interview versehentlich etwas steht, das der Interviewte überhaupt nicht gemeint hat, weil der Interviewer ihn einfach missverstanden hat, ist in niemandes Interesse. Das Gegenlesen ist einfach der Beitrag des Interviewten zur Übertragung des Gesprächs in die Schriftform, ein unvermeidlicher Bestandteil der Produktion des Textes, der unvermeidlich sowieso ein gemeinsames Werk beider Beteiligten ist. Dass manche Gesprächspartner dabei zurückrudern, ist ärgerlich und auch ein bisschen rätselhaft, weil sie doch von vornherein hätten verheimlichen können, was sie verheimlichen wollten, aber deswegen die ganze Praxis des Gegenlesens auf irgendwelche Täuschungsabsichten zurückzuführen ist weit übers Ziel hinausgeschossen.

  12. Na wie wäre es dann ganz einfach damit, Interviews auf Band aufzuzeichnen? Und als Gegenprobe aufzubewahren bzw. autorisiert zugänglich zu machen?

    Wer nicht sprechen kann, soll keine Sprachinterviews geben.
    Ansonsten kann man es auch schriftlich machen.

    Das, was tagtäglich in der Presse als „Interview“ bezeichnet wird, ist doch ein Witz. Zuerst wird gesprochen, dann wird es niedergeschrieben, dann wird es korrigiert, nachbearbeitet, Photoshopped, und heraus kommt eine brave Sammlung von inhaltslosen Schlagworten.

    Meine Frage ist: Was ist denn der ursprüngliche Sinn eines Interviews? Ich meine, es ist das Einfangen des Menschlichen, der Dialog, Frage und Antwort, und halt kein Schlagwort-Call-And-Response.

    Die meisten Interviews, die ich in der Presse lese, hätte man sich echt sparen können. Mit dem, was ich so lese, fühle ich mich ziemlich verarscht.

  13. Ich hab’s weiter oben schon mal versucht, probier’s aber einfach nochmal: Das Problem, um das es hier geht, ist doch in keiner Weise die Autorisierung an sich. Das Problem ist, dass der Interviewte hier selbst nach Autorisierung seines Interviews mit dem Ergebnis nicht leben kann oder will.

  14. @Stefan, Kommentar 19:
    Herr Esser korrigiert sein gesagtes und ist damit nicht zufrieden. Vielleicht liegt das daran, dass sein Sagen dem Tun entspricht… er vergißt nämlich klarzustellen, dass z.B. Autoren bei Zeitonline recht wenig erhalten, habe mal die Abrechnung eines Freundes gesehen, da gab es 170 Euro, für einen Artikel aus dem Ausland…das traurige ist ja, wenn gute Journalisten, die gutes Geld verdienen wollen sich daher vom Journalismus abwenden, was bleibt dann, wenn nur schlechtes Geld gezahlt wird (und das Zeitmagazin ist die Ausnahme der Regel…)

  15. Wobei ich mal anmerken möchte, dass ich 2.000 Euro für einen Artikel im ZEIT-Magazin jetzt auch nicht gerade besonders viel finde. Das mag auf den ersten Blick ganz gut klingen, aber wenn man sich überlegt, was da noch abgeht für Freiberufler? Und die meisten Artikel werden ja auch noch gründlich recherchiert, zumindest habe ich immer noch die Hoffnung, dass es so ist.

  16. @Micha: Gesprochene Sprache ist was anderes als geschriebene Sprache. Jemandem, der nicht so spricht, wie man schreibt, nachzusagen, dass er „nicht sprechen kann“, ist ausgemachter Unsinn. Wenn alle Menschen so sprechen würden, wie man schreibt, wäre das genauso unerträglich wie dauernd unredigierte Gesprächsprotokolle zu lesen. Das kann jeder jederzeit überprüfen, indem er einen Text von der einen in die andere Form überträgt und mal schaut, wie das wirkt. Es gibt einige gute Redner, deren Reden man einfach aufschreiben und dann mit Genuss und Gewinn lesen kann, aber ein Vortrag, der zumindest in seinen Grundzügen gedanklich vorbereitet ist, ist wiederum was anderes als ein offener, spontaner Dialog.

    Dialoge in einem guten Film oder Roman wirken authentisch, weil sie sorgfältig und in Ruhe so geschnitzt wurden. Wirklich authentische Gesprächsprotokolle sind, wenn es sich nicht gerade um besonders spektakuläre Gespräche handelt, todlangweilig, anstrengend und nicht gehaltvoller als elaborierte Texte, sondern in der Regel das Gegenteil.

    Und schriftlich geführte Interviews haben genau die sterile Künstlichkeit, die hier alle – zu Recht – vermeiden wollen. Der Vorschlag würde nun gar nichts lösen.

    Warum unterstellt man eigentlich als Normalfall, dass jemand, der ein Interview gibt, eigentlich gar nichts sagen will oder jedenfalls das eigentlich interessante verschweigen will? Und selbst wenn das so wäre – wenn jemand dreimal einer Frage ausweicht, dann ist auch das damit dokumentiert. Wenn man nun meint, dass die Öffentlichkeit aber ein Recht darauf hat, dass er die Frage beantwortet, kann man ihn ja mit diesem Anspruch konfrontieren und seine Weigerung gegen ihn verwenden. Aber man verwechselt das Format Interview mit Schlüssellochguckerei, wenn man seinen alleinigen Zweck darin sieht, Dinge aus jemandem herauszukitzeln, die er gar nicht sagen will, während das, was er tatsächlich sagen will und auch sagt, automatisch als uninteressant gestempelt wird. Wenn es wirklich komplett uninteressant ist, muss man es nicht drucken. Wenn Leute in Machtpositionen generell der Öffentlichkeit zu wenig Rechenschaft über ihr Tun geben, was anscheinend ein verbreiteter Eindruck ist, ist das viel mehr ein politisches und kulturelles als ein handwerkliches Problem. Dann ist es in der Tat wichtig, dass darüber verhandelt wird,welche Rechte auf Informationen die Öffentlichkeit hat, die man dann einfordern kann. Aber irgendein vages Bedürfnis nach Authentizität begründet noch keinen Anspruch einem anderen gegenüber.

    Glaubt jemand ernsthaft, dass wir wesentlich besser informiert wären, wenn Interviews nicht überarbeitet und autorisiert würden, weil so viele wichtige Leute nicht an sich halten können bzw. immer erst nachträglich merken, dass sie Vertrauliches ausgeplaudert haben? Und dass es grundsätzlich ok ist, das dann gegen ihren Willen zu veröffentlichen?

  17. @Rellter: War nicht der Onkel das vorausgehende Foul? Welchem allerdings die Blutgrätsche »Klein Erna« vorausging? Vielleicht ist das Interview aus Sicht des »Zeit«-Geschäftsführers aber auch insgesamt ein Dauerfoul, das öffentlich nochmal revanchiert werden muss.

    Ich würde im Zweifel aber die These vertreten, dass der Onkel gerächt werden musste.

  18. @Micha: Über die Autorisierungspraxis in Presse-Interviews lässt sich immer streiten. Ich möchte hier aber mal auf ein Pro-Argument hinweisen: Wer nicht sprechen kann, verzichtet keineswegs auf Sprachinterviews, sondern belegt lieber ein Rhetorik-Training. Die Folge sind aalglatte Statements, wie sie uns aus dem Fernsehen nur allzu vertraut sind. Im Gespräch mit einer Presse, die Autorisierungen zulässt, kann ein Interviewpartner bewusst Akzente setzen. Da es ihm möglich ist, seine Aussage genau zu überprüfen, kommt dieser auch ein höheres Gewicht zu: Wenn Herr Steinbrück gegenüber der FAZ ein höheres Kanzlergehalt fordert und diese Forderung auch noch autorisiert, so offenbart sie eben eine andere Qualität, als ein flüchtig dahingesagter Halbsatz in einer TV-Talkshow. Gleiches gilt für Herrn Esser, der ja im vorliegenden Fall keineswegs „inhaltlose Schlagworte“ von sich gibt, sondern gehörig ins Schwimmen gerät (trotz Autorisierung!).

  19. @Micha #18

    Interviews werden meist aufgezeichnet. Wie Sebastian aber schon ausgeführt hat, klingen auch Äußerungen eines durchschnittlich intelligenten Menschen nach silbengetreuer Transkription wie das Gestammel eines besoffenen Vollidioten mit Pingpongball im Maul.

    Your mileage may vary — Solterdijk und Stoiber lesen sich dann trotzdem noch unterschiedlich. Mehr „Mhm, mhm“ beim einen, mehr „Ääääääh, ääh“ und fehlende integrale Satzbausteine beim anderen.

    Insofern ist die, sagen wir mal, ‚geschönte‘ Transkription eine im Prinzip valide Praxis der schreibenden Zunft. Dass es doof ist, wenn Politiker diese Praxis soweit ausweiten, dass man damit nur noch vorgestanzte Phrasen und praktisch keine vernünftige inhaltliche Interviewaussage mehr bekommt ist mehr als ärgerlich, aber hier auch nicht Thema.

    Was Esser hier macht ist mehr auf dem Niveau:

    „Die Silke hat mich gefragt warum ich den Thorben mit der Schippe gehauen habe, da hab ich sie mit der Schippe gehauen. Dann hat die Silke voll gemein gepetzt und dann habe ich gepetzt. Bääh!“

    Erst selbst autorisieren und dann meckern, weil einem auch im zweiten Anlauf zu viel überhebliche Attitüde durchgerutscht ist und Silke Burmester sich erdreistete das zu bemerken. Nicht schlecht, Herr Esser!

  20. Danke für diese gute Hintergrundberichterstattung zum für Herrn Esser überaus peinlichen Fall!

  21. Journalisten werden, wenn überhaupt jemals wieder, lange Zeit nicht mehr so viel Geld verdienen wie bisher in den Printmedien. Weil sich Journalismus dazu im Internet erst einmal medial, ökonomisch, technisch etablieren muss. Das sollten gerade auch Journalisten realistisch sehen, wenn sich denn Journalismus auch im Internet etablieren soll. Dem Journalismus geht es im Internet genauso wie anfangs der asiatischen Wirtschaft am Beginn ihres Aufstiegs: Er wird anfangs ebenfalls ganz kleine Billig-Brötchen backen müssen. Lehrjahre sind halt keine Herrenjahre, auch Aufbaujahre nicht.

  22. @Michael #28

    Ich bin sicherlich nicht allein, wenn ich sage, dass ich jederzeit für vernünftigen Journalismus mehr ausgeben würde, als ich gegenwärtig für Zeitungsabos zahle.

    Zur Zeit bekomme ich von meinen bezahlten Printmedien zu 80% Informationen geliefert, die ich ebenso gut kostenlos aus Meldungen aus dem Internet bekomme, plus ausschmückendem Gewäsch. Und im regulären Zweifelsfall, schon mit kurzem Nachlesen bei WIKIPEDIA (!!!), als in wesentlichen Fakten falsch entlarven kann.

    Im vielen Fällen kauen die Printmedien noch nicht einmal Tickermeldungen sondern BILD-Meldungen wieder.

    Dazu bekomme ich im teuren Print seitenweise Werbung präsentiert. Nicht blockbar. Ich muss der Sache, im Gegensatz zur online-Werbung, zu Gute halten, dass die Werbung im Print nicht blinkt.

    Die Verbreitung online ist wesentlich billiger. Online Medien bezahlt mit dem Geld, das bisher den fossilen Printmedien zu Gute kam, und wir haben endlich einen Journalismus, der zumindest nicht an den Gehältern krankt.

  23. Erstaunlich welchen lobbyismus Sie wieder betreiben…
    Was hat „Die Zeit“ Ihnen angetan?

  24. Was ich problematisch an dem Interview finde, und da will ich nun nicht die ZEIT in Schutz nehmen, dass sie als Betroffene das Interview führt. Irgendwie hat das Interview ein Geschmäckle. Das macht man so einfach nicht. Wenn ich mir vorstellte, absurd natürlich, dass ich ein Interview mit einem ARD-Intendanten über die niedrigen Honorare führe – das käme nicht in Frage.
    Sicher kann man das Thema irgendwie mal umsetzen, ich finde es auch nicht unwichtig , aber diese Form, in der sie das tat – I didnt like it.

  25. Sich mit Burmester so beleidigt anzulegen wie Herr Esser ist -in seiner Position – in erster Linie unprofessionell. Souverän und cool wäre doch auch gegangen. So wirkt er schwach und arm.
    Die Leistungen von Burmester, die ich als Konsument diverser Medien wahrnehme, sind erste Sahne, und zwar vor allem, weil sie „frech wie Dreck“ ist, was deswegen was Besonderes ist, weil es sich leider so wenige trauen, und weil diese Form bei ihr nicht leer ist, sondern substanzielle Inhalte schmückt. Sie ist einfach Klasse.

  26. Ich bin nicht überrascht.
    Mir korrigieren Gesprächspartner auch gerne mal nachträglich in meine Fragestellung hinein. Bei dieser Geisteshaltung ist ein von Journalisten eigenmächtig angefügter Schlusssatz natürlich ein Affront.

  27. @Michael G Meyer: Aber wer soll dann noch Politiker interviewen? Politikjournalisten sind von den Entscheidungen der Politiker immer betroffen. Dürfen Eltern nicht mehr Kristina Schröder, Beschäftigte nicht mehr Ursula von der Leyen, Krankenversicherte nicht mehr Daniel Bahr interviewen?
    Ich finde die harten Fragen an Herrn Esser fast noch besser&mutiger, weil Burmester „betroffen“ ist.

  28. Hier beschweren sich viele – obwohl es gar nicht das Kernthema ist – darüber, dass Interviewte ihre Interviews nochmal gegenlesen müssen. Die Erschütterung darüber geht dann beinahe klanglich schon fast in Richtung „Verletzung der Pressefreiheit!“

    Wenn man jemanden ein Interview gibt, dann gibt man diesem Journalisten die Möglichkeit der eigenen Person Aussagen zuzuordnen und zwar auch solche, die man vielleicht selbst so nicht gemeint hat. Missverständnisse, Tendenzen, unterschiedliche Sprachumgebungen, …. all das führt dazu dass Menschen sich generell nur beinahe richtig verstehen.

    Einem Journalisten die Möglichkeit zu geben, dass schonmal in die Öffentlichkeit zu geben, ohne das man selbst noch einmal darauf schar, erfordert einiges an Vertrauen in den Journalisten. Dass dieses Vertrauen nicht jeder hat, kann man vielleicht auch versuchen zu verstehen …. wenn man will.

    Natürlich erfordert es umgekehrt auch ein großes Vertrauen desJournalisten in den Interviewten, dass der nicht plötzlich alles völlig auf den Kopf stellt, indem er streicht und korrigiert.

    Wir müssen wohl erkennen, dass es hier auf beiden Seiten weniger auf rechtliche Grundlagen, Grundrechte oder sonstiges juristisches ankommt, sondern auf den Charakter der beteiligten. Was ich aber sagen will: Nicht jeder, der ein Interview von sich noch einmal lesen will, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist (wenn es veröffentlicht ist), ist ein charakterloser Geselle, der etwas zu vertuschen hat. Und nicht jeder Journalist der Interview veröffentlich ist ein edler Geist, der sich nur für den Weltfrieden stark machen will.

  29. „wider“ zieht den Akkusativ nach sich, nicht den Genitiv. Im Gegensatz zu HerrnNiggemeier weiß der Verlagsgeschäftsführer („wider besseren Wissens“) nicht einmal das.

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