Das Zeitungs-Präteritum II

„Futur II“ nennt der Linguist die Verbform, die anzeigt, dass in der Zukunft etwas Vergangenheit ist („er wird gelesen haben“).

Zeitungsjournalisten kennen noch Aufregenderes: Formulierungen, die anzeigen, dass in der Vergangenheit etwas Zukunft ist. Das ist für ein Medium, bei dem Produktion und Rezeption relativ weit auseinanderliegen, gelegentlich notwendig, um über Dinge zu schreiben, die erst nach Redaktionsschluss stattfinden, aber zum Zeitpunkt des Lesens schon passiert sind.

Wie schillernd diese Form sein kann, demonstriert uns heute die „Berliner Morgenpost“ mit einem Artikel über Annemarie Eilfeld:


Mal abgesehen von der erstaunlichen Lust am Detail (das geht noch einige Zeilen so weiter): Der Artikel richtet sich also an Menschen, die kein Internet, kein Radio, keinen Fernseher und keine Freunde haben, sich aber so sehr für die Fernsehshow „Deutschland sucht den Superstar“ interessieren, dass sie genau wissen wollen, was die Kandidaten am Samstagabend im Halbfinale getragen haben, und zwar so dringend, dass sie nicht bis Montag abwarten wollen, wenn ihnen ihre Lieblingszeitung verraten könnte, wie es war, sondern schon am Sonntag erfahren wollen, wie es hätte werden können?

Das nenn ich mal Leserservice.

32 Replies to “Das Zeitungs-Präteritum II”

  1. Schön ich komme gerne, zu diesem speziellen Deutschunterricht !

    Nachdem uns Tagelang die Story, von der Frau tot bei Drehabrbeiten gewesen angelinst hat .Nun dazu! Futur und Präterium lassen sich bei Texterfassung und Erstelllung schnell aus dem Auge verlieren.Besonders wen Textbasterlei unter Zeitdruck geschieht. Da kommen Worte wie gewesen ,wurde, wird, war,ist ,kommt, kommend in ihrer Zeiterfassung schnell mal durcheinander.

    Am Ende hilft dann wohl, der Blick auf das jeweilige Datum des causalen Zusammenhang!

    Ich gewesen müde, nun ich gucke ob morgen, gestern war !:-)

    Gute Nacht!

  2. Bloß gut das es noch keine zeitreisenden Journalisten und Redakteure gibt. Nichts gegen Stand und Zunft des Journalisten aber das würde zu grausige Zeitform-konstrukte geben und null echte Info – zumindest bei den Herren und Damen der Berliner Morgenpost.

  3. Wenn morgen in China ein Sack Reis umfallen sollte, und ich übermorgen sagte, ich hätte dabeigewesen sein können, würden Sie dann gehört haben wollen wie es gewesen wäre wäre? :)

  4. Vergleiche auch das Fußballer-Präsens: „Wenn ich ihn reinmache, gewinnen wir“ (im Interview NACH dem Spiel).

  5. Was mich an dieser Verbiegung der Zeitebenen so irritiert – es klingt immer ein wenig, als hätte es so sein SOLLEN, aber als wäre es dann doch anders gekommen. Was es nicht ist.

    BILD schreibt ja auch gerne in der Online-Ausgabe schon vor Mitternacht über einen TV-Film, der gerade mal eine Stunde zu Ende ist: „Millionen Zuschauer sahen gestern Abend…“, und da kommt als Bonus dazu, dass sie die Quoten nur vermuten, aber nicht wissen können.

  6. Noch viel schöner finde ich immer, wenn Fußballer (Spieler oder Trainer) in Interviews NACH einem Spiel bezogen auf das VERGANGENE Spiel völlig selbstverständlich sagen: „Wenn der Toni sich in der ersten Halbzeit nicht verletzt und wir das zweite Tor machen, dann gewinnen wir das Spiel.“ Kommt einfach ungemein flüssig rüber, statt des blöden Konjunktiv II Perfekt einfach Indikativ Präsens zu verwenden; gibt’s da nicht auch diesen Kinderreim: Hätte, hätte – sitzt auf Klo und zieht Kette!?

    Ich hätte (!) es übrigens im Moment interessanter gefunden, hier einen Beitrag zum Thema „Sprachregelung“ bezüglich des abgebrochenen GSG-9 Einsatzes zu lesen. So spricht die Überschrift eines SPON-Artikels vom guten Herrn Gebauer von „GSG-9-Kämpfern“. (Sind die am Ende vielleicht sogar „Kombatanden“ wie die Guantanamo-Häftlinge?) Es wird außerdem bei SPON (und überhaupt nirgends) nicht klar, wer den Einsatz gestoppt hat: Schäuble, Obamas Sicherheitsberater James „Indiana“ Jones, oder wer auch immer? Und warum der und nicht der andere? Diese Unklarheit der Informationslage (oder der Befehlsgewaltslage bzw. Rechts- oder gar Unrechtslage) wird jedoch nicht weiter thematisiert. Soll sich doch jeder selbst seinen Reim drauf machen, denken sich wohl SPON und andere. (Genau das passiert übrigens gerade in verschiedenen Blogs und Foren.)

  7. Oops 1: Ich hab ganz Bartleby übersehen.

    Oops 2: Die GSG-9 hatte ja tatsächlich mal Kombattantenstatus (gesetliche Kombattanten, nicht „ungesetzliche“ wie die in Guantanamo genannt wurden/ werden.) Man schreibt das ja „Kombattanten“, also Combat-Tanten, wie cool. So, will nicht länger vom Thema ablenken, ‚Tschuldigung.

  8. > Besonders wen Textbasterlei unter Zeitdruck geschieht. Da kommen Worte […] schnell mal durcheinander.

    Was zu beweisen war. Danke für die Demonstration. Übrigens auch: Satzzeichen. Geraten mal leicht durcheinander. Dann.

  9. @10. jaja es langweilt! Mal selbst was hier einschreiben ist und nicht auf andere gucken! ich habe da meinen eigenen betonten Stil.Und den werde ich pflegen! Weil andere Lesart dann doch……….

  10. @ 11: Hat wohl jeder seinen eigenen(,) betonten Stil zwecks anderer Lesart. Das ergoetzt den Hausherrn ja. Irgendwie. Und mich bald danach auch.

  11. Das ist doch überhaupt nicht zum Lesen gedacht, das ist reiner Grau-Füllsel, weil NAchrichten fehlten. Sonst wäre das doch lesbar geschrieben worden, oder?

  12. Wie würde die Welt ausgesehen haben, wenn dieser Beitrag nicht geschrieben worden wäre?
    Oder so …

  13. Das ist alles nur diese Degenartion von jungen Tschornalisten inschuld. Zu meiner Zeit hatten wir das richte Schreiben sogar im Lied auf der Zunge: No Futur!

  14. @12@13 Danke fürs Kopfschütteln und so wohltuende Verständniss.

    Nun kann ich aber voll motiviert, nach vorne oder hinten schauen.

    Liebe Grüße aus dem All!

  15. Icke glob die Zeitung hätt mehr Geld kriegen können, wenn sie stattdessen lieber ein – zwei Anzeigen an der Stelle gebracht hätte. Die wären wahrscheinlich auch informativer gewesen.

  16. „Zeitungs-Präteritum II“ ist hübsch. Das sind also keine Nachrichten, sondern Vorrichten.

    (…hätte passiert geworden sein gekonnt haben…)

  17. Konjunktiv in Vergangenheitsform würde ich das nennen. Ist ja im Alltag durchaus üblich. Aber in dem erwähnten Zusammenhang schon etwas absurd.

  18. Was Stefan anspricht, hat ja nun weniger mit Stil- oder Grammatikfragen zu tun, als mehr mit der grundsätzlichen Frage, was herkömmliche Zeitungen denn bitteschön noch drucken sollten. Jedenfalls nichts Hochaktuelles oder das, was nach Redaktionsschluss stattfindet, denn das Medium ist in Relation zu anderen dafür zu langsam und zu großen Teilen obsolet geworden.

    Mein Tipp: Inhalt anbieten, der diese Bezeichnung verdient und nicht anderswo dutzendfach und teils auch noch schneller angeboten wird – funktioniert meist auf lokaler Ebene recht gut und kann auch überregional funktionieren, wenn gut recherchierte Exklusivgeschichten existieren (siehe z. B. Leyendecker bei der SZ). Oder ein Zeitungsverlag stellt die Druckmaschinen ab und publiziert nur noch online – so wie schon in den USA geschehen.

    Wie sagte Stephen Colbert neulich in seinm „Report“ sinngemäß: Wieso habe ich bloß keinen Pulitzer-Preis bekommen? Die haben allein 15 Preise an Zeitungsjournalisten vergeben, wo es doch nur noch 16 davon gibt bei uns…

    Dieser bitterböse Gag könnte bald auch bei uns funktionieren.

  19. Man kann es Dir nicht recht machen, Stefan. Jetzt sind die so doof ehrlich und schreiben so, dass man erkennen kann, dass sie es zur Drucklegung noch nicht wussten, und schon meckerst nimmst Du sie auf’s Korn.

    *g*

    War der Artikel denn so gar nicht online?

  20. @Stefan: Also mir war’s deutlich genug, ich habe mich allerdings sehr über die komplett andere Stoßrichtung vieler Diskutanten hier gewundert, die sich sozusagen über einen kleinen, unbedeutenden Gendefekt in einer aus völlig anderen Gründen aussterbenden Spezies auslassen.

  21. Annemarie Eilfeld, ist das nicht die gleiche Dame, die am Anfang von RTL Punkt 12 (siehe: „Ein grofef Tohuwabohu“) vor ein paar Tagen fröhlich über nämliche Geburtstagsfete schwadroniert, die sie wenige Tage später erlebt haben wird?

  22. @ Stefan #25:

    Die Fassung habe ich auch gesehen. Ich hätte wohl besser so schreiben sollen.

    Im Ernst: Wie hätten Sie es denn Deiner Meinung nach schreiben sollen, wenn Sie es unbedingt schreiben wollen? Und sag‘ jetzt nicht, dass sie es nicht schreiben sollen (d’accord), denn dürfen täten sie meiner Ansicht nach schon.

  23. Nein, wenn sie es unbedingt schreiben wollen, um damit alle Nachteile des Mediums Zeitung voll auszukosten — dann ist es genau richtig, das so zu schreiben, wie sie es geschrieben haben, mit dieser rückwirkenden Möglichkeitsform.

  24. Nach meiner Beobachtung ist das für die heutigen Medien typisch, dass nicht mehr darüber berichtet wird, was schon passiert ist, (weil das ja alle anderen auch schon berichtet haben,) sondern in der Hoffnung auf Exklusivität will man vorher schon das mögliche Ergebnis vorwegnehmen. So wird den halben Vormittag darüber berichtet, dass eine Entscheidung des BVerfG bevorstehe und welche Konsequenzen das habe, am Nachmittag kommt dann nur noch eine Kurzmeldung in drei Sätzen über das tatsächliche Urteil. Aber vielleicht will man bei diesem Beispiel nicht die Hälfte der Arbeit vergebens gemacht haben, und versendet eben alles, womit man sich vorbereitet hat.
    Am schlimmsten ist die Vorankündigeritis natürlich bei den Radiosendern, die kein Programm mehr haben, sondern nur noch erzählen was sie als nächstes tun wollen.
    … und warum das so ist, erfahren Sie gleich, aber vorher spielen wir noch ein bisschen tolle Musik von Kashira und den Steckbrett Boys, denn bei Mañana 86,1 Megahertz gibt es immer die Tollsten Hits von einst und jetzt. Und das noch in dieser Stunde, denn zunächst wollen wir mit ihnen ein bisschen über DAS Tagesthema Nummer 1 reden. Legen Sie schon Ihr Telefon bereit, ich verrate ihnen gleich unsere Hotline, unter der Sie sich beteiligen können, sofort nachdem …

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