Der Fluch der Gleichgültig (3)

Für Artikel, die irgendwelche journalistischen oder sprachlichen Mindeststandards erfüllen, scheint das Wochenende nicht ideal zu sein. Nach stern.de blamiert sich diesmal Spiegel Online mit einem Stück über die Kontroverse um die Oxford Union. Der berühmte Debattierclub der Universität hat den verurteilten Holocaust-Leugner David Irving und den Chef der rechtsextremen BNP, Nick Griffin, zu einer Debatte über die Grenzen der freien Meinungsäußerung eingeladen, die morgen stattfinden soll.

Spiegel Online schreibt:

Verteidigungsminister Browne und der ehemalige Staatsminister Denis McShane haben ihre Teilnahme bei der Oxford Union schon abgesagt.

Richtig ist: Sie haben wegen der Einladung Irvings und Griffins ihre Teilnahme an anderen Veranstaltungen der Oxford Union abgesagt. Zu der mit Irving und Griffin waren sie nicht eingeladen.

Spiegel Online schreibt:

Mehr als 1000 Unterschriften versammelt eine an Premier Gordon Brown gerichtete Petition, die das Verbot der Veranstaltung verlagt [!].

Die Petition rief Brown nur dazu auf, die Veranstaltung zu verurteilen.

Spiegel Online schreibt:

Für Like Tryl, den Präsidenten der Oxford Union, geht der Protest an der Sache vorbei. Die Veranstaltung solle dazu dienen, Irving und Griffin zu attackieren. „Sie am Auftritt zu hindern wird sie nur zu Märtyrern der freien Rede machen“, erklärte er dem „Guardian“.

Der Mann heißt Luke Tryl und hat das nicht dem „Guardian“ gesagt (vermutlich meint „Spiegel Online“ ohnehin den „Observer“), sondern in einer Erklärung an die Mitglieder, die er auf der Internetseite der Union veröffentlichte.

Spiegel Online schreibt:

Die Studentengewerkschaft hat eine Kundgebung im Rahthaus [!] von Oxford geplant, zu der auch Holocaust-Überlebende erscheinen sollen.

Die Kundgebung hat am vergangenen Dienstag stattgefunden.

Vielleicht wäre es ein Option, wenn die deutschen Nachrichtenportale im Internet einfach am Wochenende zumachten. Ich meine, die meisten gedruckten Zeitungen erscheinen ja sonntags auch nicht, warum sollen sich ihre Online-Ableger unnötig verausgaben?

[Mit Dank an Valentin Langen!]

Nachtrag: Spiegel Online hat teilweise nachgebessert und einen „Hinweis der Redaktion“ hinzugefügt. Als Quelle für Luke Tryls „Märtyrer“-Aussage wird nun nicht mehr der „Guardian“ genannt, sondern der „Observer“. Tatsächlich stammt sie — wie gesagt und im „Observer“ angegeben — aus seiner Botschaft an die Mitglieder, die auf der Homepage der Oxford Union steht. Vielleicht ist das aber auch egal.

2. Nachtrag: Nun stimmt’s im „Hinweis der Redaktion“, aber immer noch nicht im Artikel. Hilfe.

27 Replies to “Der Fluch der Gleichgültig (3)”

  1. “ Studentengewerkschaft “ was soll das sein? spon sollte sich mal praktikanten anschaffen die englisch können, eine student union ist auf jeden fall keine gewerkschaft.

  2. Gerade las ich den SPON-Artikel mitsamt dem „Hinweis der Redaktion“ … Wenn da nicht der Niggemeier wieder … ??? Richtig gedacht!

  3. Die tagelangen Siegesfeiern nach Stefan Austs kujonierung stecken auch diesen Herrschaften eben noch in den Knochen. Da muß man in der Kritik mal ein wenig sensibler vorgehen und Verständnis wenigstens heucheln.

  4. Eigentlich ist es eher ’ne Art Studentenwerk. In einer „Vertretung“ wären ja nur ein paar „Vertreter“ zu erwarten, so wie in den hiesigen ASten. In der SU ist aber normalerweise jeder Student Mitglied.

  5. „Journalistische Sorgfaltspflicht“ ist auch nur ein Wort. Oder zwei. Der (Original-)SpOn-Artikel ähnelt stilistisch einer durchschnittlichen Bild-Meldung. Weia.

  6. ZEIT-Online berichtet nun unter „Letzte Nachrichten 17:07″ den gleichen Stuß:“Des Browne hatte seinen Auftritt bei der Veranstaltung abgesagt“. Da müssen sie nochmal ran Stefan, das Virus der Abschreiberitis muß in seine Schranken gewiesen werden.

  7. @scipio: es handelt sich um einen Nachrichtenticker, den wir aus Berlin beziehen. So, wie wir auch das Wetter, Börsenkurse und Lottozahlen nicht selbst verfassen oder nachrecherchieren.

  8. @18: Kann ja sein, aber ist das denn eine gute Taktik? Wetter, Börsenkurse und Lottozahlen, ok, geschenkt. Aber ist die Tatsache, dass man sich um gewisse Inhalte auf der eigenen Website nicht selbst kümmert, jetzt wirklich eine vernünftige Erklärung oder sollte man da nicht vielleicht was machen?

  9. Lommelbommel: Hätte ich einen Newsroom – dann natürlich. Aber da wir keine News-Website sind, sondern eine, die Hintergrundinformationen und Kommentare präsentieren will, konzentrieren wir die Mittel auch darauf und nicht auf das aussichtslose Unterfangen, mit News-Sites wie SpOn zu konkurrieren.

    Was uns natürlich nicht der Pflicht enthebt, gemneinsam mit den Zulieferern des ergänzenden Angebots Qualitätskontrolle zu berteiben. Das ist schon richtig: Es werden Fehler gemacht.

  10. Herr von Randow: Sie machen es sich aber sehr leicht. „Zeit Online“ verschleiert die Tatsache, dass es sich um Agenturmeldungen handelt, und gibt als Quelle den „Tagesspiegel“ an, samt dem Zusatz „(mit dpa)“. In Wahrheit ist es nicht „(mit dpa)“, sondern dpa pur, mit allen eventuellen Fehlern. Abgesehen natürlich von Vorspann und Überschrift. Die lautet: „Großbritannien: Oxford: Rassisten-Konferenz erregt die Gemüter“, was wirklich grotesk ist. Bei aller berechtigten Aufregung um die Debatte, um eine „Rassisten-Konferenz“ handelt es sich wohl nicht. Ich hatte jetzt keine Lust nachzusehen, ob die „Zeit“ für diese Überschrift verantwortlich ist oder der „Tagesspiegel“…

    …aber wüssten Sie einen guten Grund, warum ich überhaupt die Nachrichten von „Zeit Online“ lesen soll, wenn sie gar nicht von „Zeit Online“ sind, sondern scheinbar vom „Tagesspiegel“, tatsächlich aber von dpa, und der Chefredakteur auch dann, wenn er von deren Fehlerhaftigkeit weiß, nichts korrigiert, sondern schulterzuckend sinngemäß sagt: „Wir übernehmen das halt. Uns doch egal, ob das falsch ist“?

  11. @21/GvR
    da wir keine News-Website sind
    Gut zu hören. Warum lassen Sie’s denn nicht einfach und besinnen sich auf Hintergrundinformationen und Kommentare? Stattdessen orgeln Sie die oft schlecht recherchierten „Tagesspiegel“-Artikel ab.

  12. @ GvR: Es werden Fehler gemacht.

    Na dann. Gut, dass wir drüber gesprochen haben. Aber wenn das nur an dem zweifelhaften System liegt, mit dem Sie Ihre Nachrichten akquirieren, die Sie aber irgendwie auch nicht interessieren, dann kann man da wohl nichts machen.
    Makes perfect sense.

  13. Das ist schon richtig: Es werden Fehler gemacht.

    „Mistakes were made.“ — Ronald Reagan

    Die passive voice ist im Deutschen auch nicht schöner als auf Englisch, wenn’s um die eigene Verantwortung geht.

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