Die Finanzkrise erklärt

Endlich habe ich verstanden, was da passiert ist mit dem Immobilienmarkt in den Vereinigten Staaten. Dank der britischen Satiriker John Bird und John Fortune:


(Der Auftritt der beiden in der „South Bank Show“ ist übrigens über ein Jahr alt. Und die „South Bank Show“ läuft übrigens auf dem britischen Privatsender ITV. Was für eine abwegige Vorstellung, dass das deutsche Gegenstück RTL jemals etwas zeigen könnte, das gleichzeitig so relevant, klug und lustig ist.)

[via Delphine Hauen, Retroaktiv.de]

51 Replies to “Die Finanzkrise erklärt”

  1. Leider wird nicht gesagt, wo man so einen High Grade Structured Credit Fund kaufen kann – ich möchte jetzt auch bitte einen!

  2. Ebenso abwegig, wie die Vorstellung, daß eine nennenswerte Anzahl deutscher Fernsehzuschauer sowas ansehen, geschweige denn sich dafür interessieren würde. Nebenan läuft doch gerade Stefan Raab.

    Traurig daß beides so abwegig scheint.

  3. „Was für eine abwegige Vorstellung, dass das deutsche Gegenstück RTL jemals etwas zeigen könnte, das gleichzeitig so relevant, klug und lustig ist.“

    Ich würde das auf nahezu alle dt. TV-Sender und Sendungen ausdehnen und sagen, es wäre schön, wenn einmal in irgendeiner „Talkshow“ mit „seriösen“ Gästen etwas käme, was nur halb so klug und relevant ist.

    „Isn’t that rewarding greed and stupidity? No, it’s rewarding what the Prime Minister, Gordon Brown, called the ingenuity of the markets.“ Brilliant…

  4. Die Messlatte für das Deutsche Privatfernsehen ist nach wie vor RTL II. Mehr darf man von den Privaten hierzulande nicht verlangen. Denn, angeblich, „das Publikum“ will es so.

    Und nicht anders.

    Ich glaube, wir kommen in in Deutschland erst dann zu einem besseren Privatfernsehen, wenn die (meisten) Sendefrequenzen von den Landesmedienanstalten meistbietend versteigert werden.

  5. Vielleicht der Hinweis, dass bei der South Bank Show jede Woche (bei ca. 20 Folgen im Jahr) ein Star, Künstler, Fußballclub oder sonstwas im Mittelpunkt steht, die Herren also nur zu Gast waren.
    Bird und Fortune liefern ihre Sketche sonst zusammen mit Rory Bremner bei Channel Four ab. Man sollte jedenfalls „Bremner, Bird und Fortune“ erwähnen, weil Bremner auch für etwas steht, was es im deutschen Fernsehen kaum gibt: einen lustige und vor allem bissige Stimmenimitation.

  6. Viel aktueller ist Folgendes:

    This American Life

    Folge 355 und 365.

    Abstrakt, präzise, vereinfachend und verständlich an immer den richtigen Stellen.

    Sowieso ist der Podcast zu Recht einer der meistabonnierten im US iTunes Store. Die Fernsehserie ist darüber hinaus unvergleichlich. Was die Debatte über Qualitätsfernsehen angeht kenne ich nichts, aber auch gar nichts, was in Deutschland hier heran kommen würde.

    Nehmen wir die Folge, in der über die Abhängigkeit eines seit fast 30 Jahren ans Bett gefesselten jungen Mannes berichtet wird, der nur über Klicks mit seinem Daumen Texte zusammensetzt, um Fragen in einem Interview zu beantworten, die dann von einer Computerstimme vorgelesen werden. Seine Situation, seine Abhängigkeit von seiner Mutter, der Tanz am Rande des Todes durch die Krankheit, wird von allen Seiten beleuchtet. Und dann, als man ihn fragt, welcher Schauspieler ihm wohl anstatt des Computers für seine Worte seine Stimme leihen könnte, antwortet er: Jhonny Depp, weil der so „badass“ ist. Und den Rest des Interviews liest Jhonny Depp seine Worte. Ja genau. Jhonny Depp. Der „echte“. Nur ein Beispiel von vielen.

    This American Life ist voll von diesen Momenten, in denen es dem Zuschauer/Zuhörer vor Rührung und Erstaunen den Atem verschlägt. Überraschende Momente, Einsichten, Erkenntnisse über ganz normale Dinge des amerikanischen Lebens, aber auch der Zusammenhänge in der Welt, die den Amerikaner an sich betreffen und beeinflussen.

    Über den Irakkrieg. Über Freundschaft. Über die Finanzmarktkrise. Eigentlich über alles.

    Ich habe mir knapp 50 Folgen auf einen Kurztrip mitgenommen am Montag/Dienstag und einfach nur durchgängig zugehört. Jetzt weiß ich nicht so genau, ob Paris so eine tolle Stadt ist, oder der Podcast. Vielleicht beides.

    Wie auch immer: am Ende fast jeden Podcasts hat man dieses Gefühl, was man sonst hat, wenn man aus einem richtig guten, epischen Kinofilm kommt, und nach stundenlang später über Dinge reflektiert, die man gehört und gesehen hat. Oder wenn man stundenlang vor einem unerträglich guten Gemälde steht, und sich davon nicht losreißen kann.

    Dinge, die man sonst nicht bemerkt hätte, über die man sonst nie nachgedacht hätte, die man auf eine solch berührende Art und Weise erzählt bekommen hat.

    Also einfach mal reinhören.

  7. Lieber Stefan,

    die Vorstellung, RTL sei das deutsche ITV ist wirklich ziemlich abwegig.
    Die ITV bestimmenden britischen Gesetze und Staatsvertraege sind wirklich nicht vergleichbar mit den Auflagen, die RTL hat. Auch die programmliche Ausrichtung ist nur
    Eher koenntest Du sagen, ITV ist das nicht gebuehrenfinanzierte ZDF mit föderaler Struktur (der sich ITV gerade entledigt) Grossbritanniens.

  8. Naja, ITV zeigte auch die Originalversionen von „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“, „Deutschland sucht den Superstar“ und dem „Gameshow Marathon“.

    Es ist also nicht alles Gold, was dort glänzt, wobei ITV sicherlich der anspruchsvollste Privatsender in Großbritannien ist.

  9. ähm 80% des britischen fernsehen ist übrigens genauso grauenhaft wie hierzulande … die ganzen furchtbaren reality-format ratet mal wo sie herkommen … wer hat‘ erfunden?

    und auch die über den grünen klee gelobte britische comedy ist in der tiefe des raums ziemlich ordentlich mittel.

    wir sehen und feiern hier immer nur die herausragende spitze des eisbergs, die ich heiß und innig liebe keine frage sowohl shameless als auch skins, meine beiden lieblingsserien, sind britisch. übrigens john bird ist in einer ähnlichen rolle auch in „absolute power“ zusammen mit stephen fry zu bewundern sowohl im radio als auch in der fernsehfassung. wer ein bißchen googelt findet die radiomitschnitte online …

  10. Die beiden Alten sind ja grandios, vielen Dank! Sie erinnern mich an die beiden Alten in der Loge aus der Muppetshow, die sich am Ende immer über alle lustig machen.

    Und hier sitzen diese Beiden, in ihren imaginären Spaßlogenplätzen, unter ihnen, dort wo sich normalerweise das Parkett befindet, ein tiefes klaffendes Loch, the financial meltdown…

  11. Wie sich die Zeiten ähneln – als ob es heute geschrieben wäre, danke an Ignaz Wrobel:
    ++++++
    Wenn die Börsenkurse fallen,
    regt sich Kummer fast bei allen,
    aber manche blühen auf:
    Ihr Rezept heißt Leerverkauf.

    Keck verhökern diese Knaben
    Dinge, die sie gar nicht haben,
    treten selbst den Absturz los,
    den sie brauchen – echt famos!

    Leichter noch bei solchen Taten
    tun sie sich mit Derivaten:
    Wenn Papier den Wert frisiert,
    wird die Wirkung potenziert.

    Wenn in Folge Banken krachen,
    haben Sparer nichts zu lachen,
    und die Hypothek aufs Haus
    heißt, Bewohner müssen raus.

    Trifft?s hingegen große Banken,
    kommt die ganze Welt ins Wanken –
    auch die Spekulantenbrut
    zittert jetzt um Hab und Gut!

    Soll man das System gefährden?
    Da muss eingeschritten werden:
    Der Gewinn, der bleibt privat,
    die Verluste kauft der Staat.

    Dazu braucht der Staat Kredite,
    und das bringt erneut Profite,
    hat man doch in jenem Land
    die Regierung in der Hand.

    Für die Zechen dieser Frechen
    hat der Kleine Mann zu blechen
    und – das ist das Feine ja –
    nicht nur in Amerika!

    Und wenn Kurse wieder steigen,
    fängt von vorne an der Reigen –
    ist halt Umverteilung pur,
    stets in eine Richtung nur.

    Aber sollten sich die Massen
    das mal nimmer bieten lassen,
    ist der Ausweg längst bedacht:
    Dann wird bisschen Krieg gemacht.

    Kurt Tucholsky, 1930, veröffentlicht in „Die Weltbühne“

  12. Nun jammert man nicht so. Es gibt immernoch die öffentlich rechtlichen und die sind nicht alle schlecht (wenn man mal den Rentnersender ZDF und den verstaubten Konservativisten ARD ausnimmt). Zum Beispiel: Extra Dry [1] . Super! Auch die haben sich satirisch, wenn auch nicht mit ganz so viel englischem Humor mit der Finanzkrise auseinandergesetzt. [2]

    [1] http://www3.ndr.de/ndrtv_pages_std/0,3147,SPM2362,00.html
    [2] http://www.youtube.com/watch?v=MRRWHSY7ZwI

  13. @Stefan zu: „Was für eine abwegige Vorstellung, dass das deutsche Gegenstück RTL jemals etwas zeigen könnte, das gleichzeitig so relevant, klug und lustig ist.“
    Harte Worte sind das, wenn doch die gesamte Branche einhellig sagt, wir hätten das beste Programm der Welt, oder?

    Wir haben deshalb, und weil die Branche so bescheiden ist, ihre 7+1 Gebote rechten TV-Schaffens für alle Ungläubigen in den Monitor gemeißelt:

    „Das deutsche TV-Management möchte eine Armutserklärung abgeben!“
    http://ralfschwartz.typepad.com/mc/2008/10/7-tv-gebote.html

  14. Ich finde, dass es durchaus Komiker in Deutschland im deutschen Fernsehen gibt, allerdings findet man die wirklich nicht bei RTL, sondern eher bei Scheibenwischer.

    Aber eigentlich sollten wir nicht über RTL reden, sondern über die brillante Darstellung der Akteure. Die war einwandfrei! Vor allem inhaltlich. Ich finde es gut, dass es Komiker gibt, die nicht spastisch auf der Bühne herumzucken müssen, um die Leute zum lachen zu kriegen.

  15. @ Klaus Helfrich (12): Danke, für Ihren wunderbaren Beitrag. Einfach galaktisch …

    Die gegenwärtige Finanzkrise, die zu einer weltweiten Wirtschaftskrise werden könnte, ist die ursächliche Folge eines weltweiten Politikversagens. Die Charakterzwerge der politischen Bühne haben es vorsätzlich unterlassen, unseriöse Finanzmarktprodukte einem TÜV zu unterziehen bzw. deren Marktteilnahme zu unterbinden, weil Banken in fast jedem Rechenschaftsbericht einer größeren Partei als Spendenzahler auftauchen. Eine Fallgrube der Demokratie …

    Banker können nur tun, was ihnen der Gesetzgeber erlaubt. Die Politik hat die Finanzkrise zu verantworten.

  16. @Cornelius: Derartig beißenden Sarkasmus habe ich schon lange nicht mehr gelesen, meine Hochachtung!

    Für den Fall, daß jemand das für bare Münze hält, ein paar erklärende Worte:

    Die Herrschaften von der Hochfinanz haben die Politik in die Tasche gesteckt und dafür gesorgt, daß nach und nach alle Schranken gehoben und alle Schrauben gelockert wurden, die risikoreiche Spielchen auch nur ansatzweise hätten verhindern können.
    Jetzt ist das ganze, schöne Gebäude leider eingestürzt. Natürlich schreien die Herrschaften jetzt, daß der Staat gaaanz schnell gaaanz viel Geld da reinpumpen müssen, um den Untergang des Abendlandes, ja was sag ich, der Welt zu verhindern. Und Schuld hat der Staat natürlich auch noch.

    Daß die Renditeversprechen (25%) eines Josef Ackermann nicht seriös zu erfüllen sind, weil in der Realwirtschaft bereits 10% Rendite hart an der Grenze kratzen und 15% nahezu utopisch sind, das blenden wir bitte ganz schnell wieder aus, solche Fakten verzerren nur die Wahrnehmung.

    Der Kapitalismus hat den Sozialismus erfolgreich überwunden. Aktuell erleben wir staunend die Sozialisierung von Verlusten. Toll, nicht?

  17. @ Roman (18): Die Politik hat es in der Hand, hochspekulative und die Weltwirtschaft gefährdende Finanzmarktprodukte zu verbieten. Die Politik hat die Macht, Berufsgruppen wie die der Banker „in die Tasche zu stecken“ – wie Sie es formulieren. Nicht andersrum. Politiker machen die Gesetze, die dem Erhalt und Fortkommen unserer Gesellschaft dienen. Die Hochfinanz macht keine Gesetze. Die „Herrschaften“ befolgen nur die Gesetze, die Politiker und Parteien zuvor entworfen haben.

    Weil ein guter Teil unserer Berufspolitiker nicht einmal annähernd dazu befähigt ist, die Geschicke unseres Landes zu lenken, konnte die gegenwärtige Finanzkrise entstehen. Die Hauptschuldigen sitzen in den Parlamenten, nicht in den Banken.

    Ich sehe keinen Anlass zu einer Kapitalismuskritik, weil ich ein Anhänger der sozialen Marktwirtschaft bin, die nichts mit hochspekulativen Finanzmarktprodukten gemein hat. Die soziale Marktwirtschaft funktioniert aber nur mit einem gesellschaftsfähigen Regelwerk. Und diese Regeln werden von Berufspolitikern erstellt. Wenn Politversager eine Finanzkrise verschulden, ist dem Kapitalismus dies nicht anzukreiden. Die Brandstifter der gegenwärtigen Finanzkrise haben ihre Streichhölzer aus den Händen der Politik bekommen. Mit Sarkasmus haben diese Feststellungen nichts zu tun, verehrter „Roman“.

  18. Wo Tucholsky steht, darf Kästner nicht fehlen:

    Auf einer kleinen Bank vor einer großen Bank

    Worauf mag die Gabe des Fleißes,
    die der Deutsche besitzt, beruhn?
    Deutschsein heißt – der Deutsche weiß es –
    Dinge um ihrer selbst willen tun.

    Wenn er spart, dann nicht deswegen,
    daß er später was davon hat.
    Nein, ach nein, Geld hinterlegen
    findet ohne Absicht statt.

    Uns erfreut das bloße Sparen.
    Geld persönlich macht nicht froh.
    Regelmäßig nach paar Jahren
    klaut Ihr’s uns ja sowieso.

    Nehmt denn hin, was wir ersparten
    und verluderts dann und wann.
    Und erfindet noch paar Arten,
    wie man pleite gehen kann.

    Wieder ist es Euch gelungen,
    wieder sind wir auf dem Hund,
    unser Geld hat ausgerungen
    – Ihr seid hoffentlich gesund.

    Heiter stehn wir vor den Banken,
    Armut ist der Mühe Lohn.
    Bitte, bitte, nichts zu danken. Keine Angst, wir gehen schon.

    Und empfindet keine Reue.
    Leider wurdet Ihr ertappt.
    Doch wir halten Euch die Treue,
    und dann sparen wir aufs Neue,
    bis es wieder mal so klappt.

    Erich Kästner

    Das Gedicht dürfte in der zweiten Jahreshälfte 1931 entstanden sein, nachdem erst die Darmstädter und Nationalbank und danach das gesamte Bankwesen mit großem Hurra und Hallo in den Abgrund gesprungen ist.

  19. @12 So prophetisch Tucho war und so aktuell er in vielen Dingen noch ist: So leichtfertig mag ich ihm das Gedichtchen nicht zuschreiben. Das Gedicht geistert hundertfach kopiert durchs Netz, mit verschiedensten Quellenangaben. Dass es von Tucholsky stammt ist bestenfalls eine urban legend.

  20. Das Video ist wirklich erschreckend realistisch (und prophetisch) und es scheint durchaus ein Erklärungsbedüfnis zu befriedigen (welches die Medien offensichtlich nicht tun). Ich habe es vor einem Monat bei mir unter dem Titel „Finanzkrise erklärt“ gepostet und seit damals eine beträchtliche Zahl an Hits von Suchmaschinen gekriegt, alle von Surfern die Antworten suchten (soviele dass ich am Ende eine echte Erklärung zur Krise einstellte). Es wäre wirklich schön wenn bei uns Komiker solche (witzigen) Antworten auf die noch zu stellenden Fragen geben würden. Aber die sind ja leider meist nicht mal komisch (zumindest was die Schweiz anbelangt). Seufz.

  21. Was für eine abwegige Vorstellung, jetzt alte Videos vorzustellen, die schon vor mehr als einem halben Jahr auch in der – vllt. weniger bekannten – dt. Blogosphäre vorgestellt wurden.

    Nun muß man sich nicht darüber mokieren, daß in den Kommentaren zwar über Finanzmarktprodukte gesprochen wird, aber das „subprime“-Problem offenbar gar nicht verstanden wurde. Daß aber die Haut der Zivilisation so dünn ist, daß man von den „Herrschaften der Hochfinanz“ redet, finde ich ein wenig irritierend. Als aufgeklärter antifaschistischer Kommentierender sollte man doch mit solchen Begriffen ein wenig zurückhaltend sein.

    … so wie sich hier bei „richtigen“ Themen schnell Sexismus in den Kommentaren die Bahn bricht, kann man wohl nicht auf Jargon verzichten, der hart am Rande des NS-Revivals ist. Merkwürdig.

  22. @Justus, #24: Vielleicht weil Tucholsky unter vielen Pseudonymen schrieb?
    Eine Googlesuche nach „Für die Zechen dieser Frechen“ liefert mir 8 Treffer, 2 davon undatiert.
    Die anderen sind bis auf eine aus dem Oktober, und meinen „Autor unbekannt“ oder „Oli Klemm“. Nun – Tucholsky hat nicht bei brokerz.com als oli Klemm geschrieben – soviel läßt sich wohl sagen. Dieser Eintrag ist vom 10.10, aber der Schreiber Klemm sagt nicht, daß er der Autor sei.

    Bereits am 9.10 schreibt eine Catharina das Gedicht einem unbekannten Autor zu, und am 3.10 finden wir einen Frank Meyer den Text veröffentlichen, ohne sich selbst als Autor zu nennen.

    Am 25.9. nennt unter http://www.wolfmayr.org ein als „Gast“ eingeloggter User den Text „Höhere Finanzmathematik“ (das müßte sich in einem Gesamtwerk Tucholsky leicht prüfen lassen), und schreibt unter den Text: Panonicus, als sei dies der Autor, und „27. September 2008 – Folge 39/pgfinan4.doc

    [Dr. Richard G. Kerschhofer]“
    Zu Panonicus schweigt jedoch Wikipedia.

    http://www.wolfmayr.org/familie/viewtopic.php?f=4&p=916

    Die 2 Briten finde ich toll, sehe aber keinen Grund sie als „in Deutschland unmöglich“ darzustellen. Der Humortyp entspricht ungefähr dem Scheibenwischer, aber klar – der Prophet gilt nichts im eigenen Land. Daß RTL sowas nicht hat ist mit ein Grund, daß ich RTL meide.

  23. @12,24,27:
    Tucholsky ist garantiert falsch, Richard G. Kerschhofer vermutlich richtig. Dieser (dessen Pseudonym Pannonicus das Gedicht bei der ersten Nennung bei Google zugeschrieben wurde) ist nämlich nach eigener Bezeichnung freier Autor in Wien, tritt vorwiegend als Leserbriefschreiber in der „Wiener Zeitung“ in Erscheinung und ist Mitarbeiter der ideologisch ziemlich weit rechts angesiedelten österreichischen Zeitschrift „Zeitbühne“. Das kann man schon mal mit „Weltbühne“ verwechseln, hey, ist ja nur Internet.
    Als „Verseschmied Pannonicus“ ist Kerschhofer für den „freiheitlichen“ (was man in Österreich halt freiheitlich nennt) Genius-Brief tätig. Von dort stammt auch das Gedicht: http://www.genius.co.at/index.php?id=165
    Sollte sich die Zuschreibung dieses Gedichts zu Tucholsky allerdings jetzt sprunghaft weiter verbreiten, können wir wenigstens sagen, bei der Geburt einer urban legend dabei gewesen zu sein.

  24. @dg: Danke.
    Von „Weltbühne“ hätte man aber auch auf Ossietzky schließen können.

    Etwas skeptisch hat mich die „Spekulantenbrut“ gemacht – „Brut“ gehörte ja mehr zur Bilderwelt der extrem Rechten.

  25. #28 @Detlef Guertler
    Dankeschön, ich habe es natürlich auch nur kopiert und nicht etwa eine Suche nach der Quelle durchgeführt – tut mit leid, aber Irrtümer sind immer möglich…

  26. @Detlef Gürtler, Stefan W. –
    vielen Dank für die Recherche – ich denke/ fürchte, daß wir es hier mit einem „Schieberlied“ zu tun haben – ein Textchen, wie sie in Krisenzeiten und eben auch zu Schwarzmarkt-Tagen nach dem letzten Krieg auftauchten, und dass diese Verse es noch weit bringen könnten.
    Den Hinweis erhielt ich aus einer Mailing-Liste für Bibliothekare, wo (wie oben) gefragt wurde, ob es von Tucholsky sein könne.
    Schon die geringe Gesamttreffer-Zahl bei einer Suche nach ganzen Zeilen und die Zusammenhänge, in denen es auftaucht, lassen aber vermuten, daß es nicht sehr alt ist.
    Auch meine Recherche ergab, daß es das wohl nicht ist, und auf keinen Fall viel älter als einen Monat. Ihr hier habt alle Details geliefert, um die Frage des Bibliothekars zu beantworten, wenn auch irgendwie schon oder momentan nicht (mehr) alle Links nachvollziehbar sind und das Gedicht auf der österreichischen Website leider nicht datiert zu sein scheint.
    Immerhin kann ich vielleicht erklären, wie es zu der irrtümlichen Zuschreibung an olle Tucho kommen konnte, der zwar viele Pseudonyme hatte, sich aber ganz bestimmt nicht „Oli Klemm“ nannte:
    Die Angabe von Tucholsky als Urheber ist wohl sicher ein Lesefehler, der auf folgender Seite gut nachvollzogen werden kann und auch von ihr stammen müßte:
    http://weltrandbewohner.blog.volksfreund.de/2008/10/12/gedichte-fur-die-krise/
    Ein gewisser Waltomir (bzw. eben eine Freundin von ihm, s.u.) hat nicht genau gelesen und mit dem Fehler am 15.10. die seriöse und von Bibliothekaren gern frequentierte Zeit-Kommentar-Seite infiziert:
    http://kommentare.zeit.de/user/waltomir/beitrag/2008/10/15/gedicht-zur-lage-uebermittelt-durch-eine-freundin
    Womit das bisher namenlose Poem dann auch einen recht hübschen Titel hätte, jedenfalls besser als die nicht sehr phantasievolle erste Zeile.
    Der öfter auftauchende Oli Klemm ist interessanterweise selber ein Broker (welch passender Name). Überhaupt ist mit das früheste Auftauchen des Textes (ab. 10.10., in dessen Blog http://brokerz.com/1226/gedicht-des-tages-wenn-die-b-rsenkurse-fallen/) auf Broker- und Bankenseiten zu beobachten, es lag damit zunächst recht nahe, daß Herr Klemm der Autor ist. So oder so, ich hoffe, er hat das Gedicht nicht zynisch verstanden…

    Etliche Leute haben, über ausgerechnet die Aldi-Fan.Newsgroup de.alt.fan.aldi kommend, daran schon weitergedichtet:

    —————-

    Robert Hood tat kund:

    Denn die ganzen tollen Waffen
    muß man sich erst mal beschaffen,
    und man braucht dafür – na bitte!
    wieder neue Bankkredite.

    Liegt das fremde Land in Trümmern,
    wird deswegen keiner wimmern:
    Denn die lahme Konjunktur
    stützt ein Wiederaufbau nur.

    (Verfasser bekannt)

    Lazlo Lebrun:

    Wie noch machten’s die Franzosen?
    Mit dem Galgen den Famosen
    den Absturz abrupt beendete?
    So schnell sich das Blatt wendete.

    Manche Krise öffnet uns die Augen
    lasst uns nicht den Blut assaugen.
    Wir können es sicher richten:
    nieder mit den Bösewichten!

    Wer von uns ist in der Not,
    Die Banken oder die ohne Brot?
    Was, wir sollten Kuchen essen?
    Denen polieren wir die ***essen!

    (Verfasser auch bekannt)

    Und Lothar Frings:

    In Berlin ist man dagegen
    planlos, muß sich aber regen.
    Darum schallt’s aus Mündern, vollen,
    mal „Vertrauen!“, mal „Kontrollen!“

    Zu beobachten unter http://groups.google.de/group/de.alt.fan.aldi/browse_thread/thread/91d3fb6288db9fb/be372de8a5b4756b?lnk=gst&q=B%C3%B6rsenkurse#be372de8a5b4756b

    ———-
    Interessant im Gesamtzusammenhang könnte noch folgendes Link sein:
    http://journal.tubor.de/article/462/hedgefonds-manager-sagt-goodbye-and-fuck-you

    ————

    Und vielen Dank an den Seitenbesitzer für das wunderbare (wie auch immer alte) John Bird-Video, das vielleicht ein Schritt beim Sturm auf den Broker-Olymp sein mag.

  27. Hier kann man also gewissermaßen einem „Schieberlied“ in einer Krisenzeit beim Entstehen zugucken…
    Es hat den richtigen Biss dafür, Geschichte wird gemacht…
    Gruselt’s sonst schon jemand ausser mir??

  28. Respekt, wenn jemand Tucholsky so gut im Rhythmus- und Gedankenstrom hat wie der/diejenige, der oder die den angeblichen Tucholsky-Vers schrieb.
    Aber… Tucholsky hat zwar immer schon alles gewusst, und man weiß kaum, was man selber zu sagen hat, wenn man seine Texte nicht nur zu den politischen, sondern auch zu alltäglichsten Dingen der Welt gelesen hat… aber dieser Börsentext ist garantiert nicht von ihm.
    Zu viele heutige Begriffe, zu heutige Schlussfolgerungen in heute üblichen Schlagworten.
    Aber den Autoren oder die Autorin kennte ich schon gern.
    Bitte melden!
    Herzlichst
    Eva Kohlrusch

  29. @Eva – scroll doch einfach mal auf dieser selben Seite hier hoch bis zu Kommentar 27, ab da gibt es eine recht genaue/ so gut wie sicher richtige Herkunfts- und Verbreitungsgeschichte zu lesen.
    Schönen Gruß –
    Essex4

  30. Der ganze Rechercheaufwand wäre jedenfalls insoweit überflüssig gewesen, als das Gedicht mit Sicherheit nicht von Tucho sein kann. Oder glaubt etwa jemand im Ernst, Tucholsky hätte schon 1930 die Formulierung „echt [famos]!“ verwendet? Das ist das aus der Jugendsprache übernommene Deutsch frühestens ab den 1980er Jahren. Was für sich genommen natürlich noch nichts darüber sagt, von wem es nun wirklich ist.

    Gruß, Floyd

  31. nachschlag@all who care:
    Vollständigkeitshalber noch ein paar Quellen, die mir ein weiser Bibliotheksrabe krächzte – die urban legend stirbt nicht, sondern zieht Kreise, selbst wenn (oder weil) die Details bekannt sind:
    > Date: Sat, 1 Nov 2008 22:42:22 +0100

    >
    > Liebe Kolleginnen und Kollegen,
    >
    > was rabe schon längst geklärt hat, schlägt sich nun auch in der
    > österreichischen Presse nieder: vgl. Berichte auf
    > http://diepresse.com/home/wirtschaft/finanzkrise/426781/index.do (Der
    > Tucholsky-Schwindel), http://wien.orf.at/stories/318946/ (Ein
    > Kerschhofer, kein Tucholsky) und
    > http://derstandard.at/?url=/?id=1225358713820 (Krisenlyrik im Netz:
    > Tucholsky war’s nicht)!
    > Mfg, M… B…
    (leicht anonymisiert).

    Ein paar Kommentare kann ich ich mir nicht verkneifen:

    – Über Leerverkäufe und Derivate und ihren zeit-sprachlichen Gehalt habe ich mir seinerzeit bei der Recherche keine Gedanken gemacht, weil nur wenig mir sprachlich-geistig ferner ist als die Welt der Wirtschaft, ich außerdem keinerlei Glücksspieler und Bänker zu meinen Bekannten zähle und selber auch nur selten spiele, so dass mir der Jargon der Branche unvertraut ist. Ich könnte mich sicher besser mit Bullen oder Bären unterhalten. Und es ging ja auch so….
    Ich glaube weiter, dass so gut wie niemand weiß, ob, was, wie oder wozu ein Leerverkauf sein soll, ob das nun 1930, 2008 0der 2025 betrifft (obwohl der Begriff sich einem intuitiv zu erschliessen scheint). Es ist aber sehr plausibel, dass diese Begriffe im Gesamt-Bedeutungszusammenhang neueren Datums sein sollen.
    (Derivate gibt es anscheinend seit 1972, auch anderswo auf dieser Seite schon verlinkt: http://commonsblog.wordpress.com/2008/10/22/kurt-tucholsky-uber-die-finanzkrise/ , weiter unten auf der Seite in den Kommentaren.)
    – Es ist schon interessant, dass anscheinend der Autor das Gedicht auf „vielen“ linken Websites gesichtet haben will, wo der ruhmreiche Text natürlich inzwischen gelöscht sei, und ein Wechsel der Haltung zum Gedicht, der so im Netz nicht zu dokumentieren, allerdings auch nicht unplausibel ist, beschworen wird (es GIBT Diskussionen, und eigentlich tun mir Leute leid, die rein gar nichts einfach so nur gut finden können, ohne rückzufragen). Die irgendwie andersartigen Sites, auf denen ich es fand, waren liberal bis libertär, wenn man so will, und nicht eine „klassisch linke“ dabei, die es einfach so zitiert. (Es soll über z.B. eine attac-rundmail o.ä. gelaufen sein.) Dazu wird selbstverständlich auf Kapitalismuskritikern herumgehauen, sofern sie von „links“ zu kommen scheinen, der Autor als Rechter oder Konservativer bleibt außen vor – alles wie gehabt, als ob es nie Börsenkrach gegeben hätte bzw. weiterhin geben wird.

    Weil, das ist noch nicht vorbei.

    Ich würde auch gerne dahingestellt lassen, ob wirklich der „gefällige Paarreim“ (wie es unter: http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/1859685_0_2147_gute-frage-quot-merkt-ihr-nicht-was-mit-euch-gespielt-wird-quot-.html heißt), wirklich die dichterische Qualität eines Gedichts ausmacht, wie der Autor bzw. der ORF offenbar meinen: „Der Wiener Autor Richard G. Kerschhofer schrieb das Gedicht. Gemeinsamkeiten mit Tucholsky ortet aber er nicht. Er achte „sorgfältig auf Reim, Rhythmus, Grammatik und Wortwahl“, und habe auch ideologisch nichts mit dem linksliberalen Tucholsky zu tun.“ http://wien.orf.at/stories/318946/ (S.o. Der österreichische Staatsfunk will doch sicher nicht gemeint haben, dass Tucholsky zu blöd zum Auf-die Grammatik-Achten war und seine Worte zufällig wählte, wie das ‚auch‘ es impliziert?)

    Noch am 30.10. druckte die Westdeutsche Zeitung den Text als einen von Tucholsky: http://blog.mainp.de/2008/10/30/wer-andern-einen-borsenkurs-grabt-…/#comment-278 (mit Bild) – au, peinlich!

    – Weiters ist noch interessant, zu vermerken, dass das frühe und vergleichsweise häufige Auftauchen des Gedichtchens auf Bänker- und Brokersites, das sehr wohl nachvollziehbar ist, weitgehend unterschlagen wird, und auch die damit sich verbindende, durchaus klärungsbedürftige Frage, ob die so es Zitierenden nun Zyniker oder am Ende alles kleine Anarchisten sind, die ihre eigene Geschäftsbasis unterwandern, oder sich zumindest für Freigeister halten, die Armen. Wir Armen – denn nur so funktioniert das Geschäft, und SIE bezahlen die Zeche NICHT. Ich aber auch nicht, weil ich bin schon blank :-)

    Der Weg des Gerüchts ist ein allemal interessanter. Mal sehen, ob die Zuschreibung an Tucholsky gestoppt ist oder nicht. Verbreiten wird das Gedicht sich sicher weiter, und ich find es ja auch nach wie vor sehr treffend, egal aus welcher Ecke es kommt… Es sind inzwischen, in nicht 14 Tagen, aus 40 oder so Links bei Google 90.000 geworden, oder vielleicht ein paar weniger, daher wird es mir schwerfallen, das Ganze noch weiter im Detail zu verfolgen, fürchte ich.

    Noch am Rande –

    1) Dem Erdrandbewohner, falls er hier wandert: ich möchte doch mal eben richtigstellen, dass der Lesefehler wirklich nur beim sehr überfliegenden Lesen der Seite passieren kann und nicht, wenn man genauer guckt und darauf verzichtet, zu lesen, was man gerne lesen möchte. Nothing for ungood, sorry…

    2) @Floyd, #40 – es ist eine Sache, zu VERMUTEN, dass irgendwas da nicht stimmt, und die Indizien zu erkennen, aber eine ganz andere, das auch SICHER festzumachen, Beweise zu sammeln für die Vermutung, und diese belegen zu können – eine Idee also von der Behauptung ins so weit als möglich Faktische zu erheben – und eben dazu ist Recherche gut. Und Recherche ist Aufwand an Zeit und Mühe. Und macht Spaß – mir jedenfalls. — Im übertragenen Sinn: Du möchtest doch wahrscheinlich (meine Vermutung) z.B. eher auch nicht, dass irgendwelche Medizinkonzerne einfach behaupten können, Arsen sei gut gegen Essstörungen – und die Risiken und Nebenwirkungen komplett unterschlagen und auch keinerlei Beweise für Wirkungen anbringen müssen? Dies unterscheidet Quacksalberei von echter Medizin. Auch Dir ein herzliches „nichts für ungut“.

  32. Wow! Dass sich die Diskussion und Quellenforschung nach meinem Einwand so weiter entwickeln, hätte ich ich ja nicht gedacht. Dank und Kompliment an alle, die da so fleißig recherchiert haben.
    Ein guter Anlass, mal wieder einen echten Tucholsky in die Hand zu nehmen.

  33. Auf Channel 4 lief gerade eine neue Folge von Bremner, Bird und Fortune unter dem Titel „Silly Money“, darin ganze drei neue Interviews mit dem Investmentbanker. Sicher ab morgen bei Youtube & Co.

  34. @Norbert: Du verlinkst dann bitte hier! :)

    @Essex4: Ich zumindest habe nun begriffen, was ein Leerverkauf ist, und auf Phönix lief zuletzt häufiger ein Spielfilm in schwarz/weiß, der den Börsencrash von vor rund 80 Jahren zum Inhalte hatte, und in diesem Film kommt der Leerverkauf definitiv vor (und wird erklärt).

    Der Film hat einen dokumentarischen Touch, aber wieviel davon auf Fakten beruht kann ich nicht sagen. „Der schwarze Freitag“;
    Dokumentarspiel über den New Yorker Börsenkrach 1929; http://www.phoenix.de/der_schwarze_freitag/2008/10/11/0/203669.1.htm
    Kommt, wenn die Kreditkartenblase dann demnächst platzt, sicher noch ein paar Mal. :)

    Kopf hoch!

  35. @Floyd, #40: „echt [famos]!” ist 80er-Jahre-Slang?

    Der in den 70ern schon reichlich angestaubte Ilja Richter könnte ohne weiteres „echt famos“ gesagt haben. Ich habe auch keine Schwierigkeiten mir ein ‚echt famos‘ aus der Feder Wilhelm Buschs vorzustellen.

    Aber da jetzt alle umschwenken, und das große Hämekippen beginnt, sieht jeder zweite Beweise.

  36. ich schon. denn nicht das „famos“ – das busch gebrauchte – ist modern, sondern der gebrauch des begriffes „echt“ als synonym zu „tatsächlich“ bzw. „in der tat“ – eine fehlübertragung des englischen „real“, vermute ich.

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