Die Zukunft des Journalismus

Alan Rusbridger, Chefredakteur der (von mir heißgeliebten) britischen Tageszeitung „Guardian“, hat vor Zeitungs-Ombudsleuten eine Rede über „Ombudsmänner in der digitalen Zukunft“ gehalten, in der er bemerkenswerte Dinge sagte über den Journalismus, wie sich seine Natur gerade rasant verändert und wie Journalisten und Medien darauf reagieren müssen:

(…) As journalists, we’re doing well if we confine ourselves to being truthful about what we know, which is often (through no fault of our own) fairly circumscribed. We’re doing better if we’re also truthful about what we don’t know. We should always be uneasy at grandiose boasts that we’re revealing The Truth.

(…) handing down tablets of stone and telling people „this is how it is” is a less persuasive proposition than it once was.

(…) the readers, users — call them what you will – have now got such good real time access to much of the information which was once our exclusive preserve. By that I mean that the traditional news media were, on the day, (and, indeed, for most people at all) the only source of information. A speech, a debate, a report, a scientific paper – most people had few independent ways of verifying a newspaper or broadcast account, certainly on the day it was published or broadcast. Now a huge amount of information is simultaneously released on official websites, enabling millions of people to check your version of events against the original.

What does that mean? It means that inquiring, suspicious or specialist readers (by which I mean people with a particular interest in a particular subject) will swiftly be able to test your journalism for accuracy or bias against any published information. Of course, we still have sources of information not available to just anyone. But today there are millions of fact checkers out there. Millions of them have their own blogs or websites. So we can refuse systematically to correct or clarify our journalism, but we would be foolish to imagine that it will therefore go uncorrected or unclarified. It will: all that will happen is that it will take place elsewhere.

And, of course, that will still happen even if you do have your own processes in place. The question editors have to face is: is it not a bit uncomfortable knowing that your failings may be revealed and widely discussed elsewhere, with not a word appearing in your own newspaper or on your own channel? Which is the road to building trust — engaging or ignoring?

(…) in truth, a passionate debate is raging out there in a way which many mainstream journalists have not quite yet appreciated. At times it feels more like a cacophony than a debate, it’s true. But various technological and economic forces are bearing down on what we do so forcefully and, frankly, so fast, that the very nature of journalism is being challenged in fundamental ways that have yet to filter back into more conventional print-focused newsrooms.

As with all these developments, so-called old media has a decision to make — whether to stand aloof from them and basically say „that’s not what we do.“ Or else to try it out on the basis that it might, indeed, not be what we do, but there are some things we can learn from it, or which might impact on us. And of course there is a third possibility: that we try it out and decide that that’s exactly what we should be doing. (…)

Die außerordentlich lesenswerte Rede Rusbridgers im Original und in der Zusammenfassung von Deborah Howell, Ombudsfrau der „Washington Post“.

20 Replies to “Die Zukunft des Journalismus”

  1. Wenn ich mir die Rede so im Hinblick auf die Sache mit den allgemein zugänglichen Primärquellen anschaue, so kann ich sagen, dass die Zeitungen bei mir auch etwas an Glaubwürdigkeit eingebüsst haben: in der Form als das sie die Instanz wären, die als einzige mitteilen könnte, was das Wichtige an einer Sache ist.
    Man sieht das vor allem bei Themen, die sich „verifizieren“ lassen, zum Beispiel naturwissenschaftliche. Wahrscheinlich gibt es da draussen hervoragende Journalisten, die eine neue wissenschaftliche Erkenntnis wunderbar, korrekt und für mich verständlich erklären können. Mehrwert bietet jedoch der Blog eines Wisschenschaftler, der ebenfalls drüber schreibt. Zum Beispiel.

    Ich finde es ist überhaupt keine Frage, ob sich traditionelle Medien auf die neuen Spielregeln einlassen sollen, die das Internet, Web2.0 usw. mit sich bringen.

    Allerdings gibt es auch Bereiche wo ich, aus welchen Gründen auch immer, den traditionellen Medien und ihren Journalisten die Meinungsführerschaft über das, was „wahr“ ist zugestehe. Kein Blogger kann mir eine politische Entwicklung so bewerten, wie das ein gestandener und geschätzter, seit Jahren gelesener Politikjournalist könnte. Noch mehr: Ich habe auch keine Lust darauf, mich in den Comments irgendeines Blogs über Politik zu unterhalten. Wie das abläuft sieht man ja wunderbar an der Diskussion über die Schwulendemos in Russland und Herrn Beck auf dieser Seite. Hier ist alles noch beim alten, und wirds auch noch ne Weile bleiben. Manchmal ist es eben auch gut, wenn nicht jede Meinung gehört werden kann.

  2. herrjesses. die rede eines englischsprachigen chefredakteurs vor englischsprachigen ombudsmännern. warum wird (in der blogosphäre zumindest) dauernd vorausgesetzt, das man gut englisch kann?
    übrigens: was ist eigentlich so ein ombudsmann?
    was mit omnibus?
    dabei bin ich doch nicht blöd: abseits ist, wenn der bei der ballabgabe der spieler näher zum gegnerischen tor steht, als der vorletzte gegenspieler.

  3. ah, nummer eins, ich stimme zu. es geht um die frage der dialektik in der interkommunikativen relevanz zwischen beiden protagonisten.

  4. @Tim:

    Wenn es da draussen Menschen gibt, die die Dinge in der Welt vor sich gehen, erklären können, weil sie etwa über Weblogs und Internet die Möglichkeit zu publizieren haben und dabei vielleicht sogar Fehler in den Erklärungen der Berichterstattung traditioneller Medien feststellen, unterm Strich eine befriedigendere/plausiblere Erklärung liefern, dann ist die Deutungsmacht der traditionellen Medien gefährdet. Das ist es, worum es in dem Text geht, glaube ich.
    Und natürlich um die Frage, wie die traditionellen Medien darauf reagieren sollen:
    Sollen sie sich dem verschließen? Ganz sicher nicht. Wenn die Presse nicht mehr allein die Aufgabe erfüllt „das Selbstgespräch der Gesellschaft zu moderieren“, eben weil die Individuen Kanäle (also zum Beispiel Blogs) gefunden haben, sich unabhängig davon über Themen auszutauschen, und das vielleicht sogar auf hohem Niveau, dann müssen die alten Medien natürlich darauf reagieren, um nicht an Glaubwürdigkeit einzubüssen, indem sie zum Beispiel ein Stück der Deutungsmacht an andere abgeben.

  5. An 1, medienblogger,
    Gerade die Politikjournalisten sind vom Inhalt dieser Rede betroffen. Zumindest die in Amerika. Glenn Greenwald sammelt in seiner Kolumne auf Salon.com schon seit einiger Zeit ausrutscher der amerikanischen Medienelite und zeigt sehr schön, wie es auch durch die Hilfe ungenau arbeitender Journalisten zum Desaster im Irak gekommen ist.

    Wunderschönes Beispiel für die von Alan Rusbridger genannten Punkte.

  6. Eben – es bringt wirklich keinen Spaß mehr, ‚Gatekeeper‘ zu sein, wenn zwischen den Toren zur Information die Mauern geschliffen werden.

  7. „This is a German hybrid newspaper in which a small team of professional journalists trains and moderates a team of hundreds of amateurs“ ROFL & gacker.

    Nach 30 Jahren in diesem Geschäft erinnern mich Alan Rusbridgers Ausführungen an das, was meine Ausbilderin Carola Stern uns stolzen Volontären beim WDR einbläute: „Wer sich als Journalist für etwas Besseres hält, hat schon verschissen.“

  8. Stefan, in Deinem Blog sieht es immer so aus, als wären britische Journalisten die integere und weitsichtige Krönung der Evolution und deutsche Zeitungsherausgeber arrogante Volltrottel. Das kann doch nicht die ganze Wahrheit sein!!!!1

  9. Liegt vielleicht daran, dass die arroganten Volltrottel unter den britischen Journalisten hier einfach nicht zu Wort kommen.

  10. „Gerade die Politikjournalisten sind vom Inhalt dieser Rede betroffen. Zumindest die in Amerika.“

    Das mag gut sein. Journalisten traditioneller Medien Fehler oder gar Inkompetenz nachzuweisen mag der Blogosphäre möglicherweise kurzfristig nutzen, langfristig sollte man jedoch das Publikum in die Mitte der Diskussion rücken. Will man dem „die Wahrheit“ liefern, so kann das nur funktionieren, wenn beide zusammenarbeiten, da auf diese Weise der Wahrheit am nahesten gekommen werden kann.

  11. Wenn man Kommentare wie diesen liest stellt sich da schon die Frage, ob da überhaupt noch irgendeine Form von zusammenarbeit möglich ist. Meiner Meinung nach ist es auch ganz praktisch, eine interessierte „Gegenöffentlichkeit“ zu haben… war’s nicht genau das, was mit dem „Web 2.0“ gedöns möglich werden sollte?

  12. Ich glaube wir müssen uns alle anpassen, aber gute Journalisten, die lange recherchieren können bestimmt mehr Infos bringen, als Blogger die einfach nur im Netz recherieren.

  13. Hey, Danke für das Posting, muss ich jetzt mal wirklich sagen. Rusbridger ist einfach schon ganz woanders. Beeindruckend. Wird man wohl noch einige Male drauf zurückkommen müssen.

  14. So lange es keine Anstrengung gibt, neutrale Ansprechpartner zwischen Journalisten und Leser zu etablieren, so wie Omudsleute das sein können, so lange wird es auch nicht helfen, mal da oder dort eine kleine Korrekturspalte einzuführen.

    Medien haben enorme Macht. Und Journalisten sind häufig nicht in der Lage, mit Kritik an ihrer Arbeit umzugehen. Außerdem verstehen Leser häufig nicht, die Schwierigkeiten und Zwänge, denen Journalisten begegnen. Genug Konfliktpotenzial ist also vorhanden.

    Omudsmänner/-frauen könnten hier vermitteln. Könnten Anlaufstelle für Kritik der Leser oder von Leuten sein, die durch einen Artikel direkt betroffen sind und diese Kritik weitervermitteln innerhalb der Redaktion und andersherum Lesern beispielsweise in eigenen Kolumnen einen Blick hinter die Kulissen gewähren.

    Wichtig ist hierbei die Unabhängigkeit des Ombudsmanns von der Redaktion.

    Fehlt ein Ombudsmann, so wächst die Entfremdung zwischen Leser und Journalist. Dass dies so ist, fällt in Deutschland nur niemandem auf, weil man diese Entfremdung als normal betrachtet. Die Nichtreaktion von Journalisten auf Kritik, oder das Unverständnis, mit dem Journalisten auf Leserkritik reagieren (weil sie eben nur ihre Sichtweise sehen), ist dabei genau so ein Beispiel wie mancher Umgang von manchen Journalisten mit Menschen, die freiwillig oder unfreiwillig Teil ihrer Artikel oder Fernsehbeiträge werden und sich in ihnen ungerecht behandelt fühlen. Der Journalist kann genauso überfordert sein mit Kritik wie jemand, der beispielsweise in einem TV-Beitrag dank unfairem Schnitt in ein völlig falsches Licht gerückt wird.

    Ombudsmänner sollen helfen, die Hilflosigkeit auf beiden Seiten (Journalisten, Leser/Zuschauer) im Umgang mit der jeweils anderen Seite zu mildern. Das stärkt die Glaubwürdigkeit. Und außerdem geht es ja – jenseits möglicher wirtschaftlicher Aspekte – auch schlicht um Menschen.

    Der Ombudsmann ist dabei für beide Seiten ein direkt erreichbarer Ansprechspartner. Er ist greifbarer und schneller und direkter einbeziehbar als irgendjemand oder irgendeine Institution außerhalb einer Zeitung oder eines Senders.

    Um Konflikte zwischen Journalisten und Kunden oder sonstigen durch einen Artikel/Beitrag Betroffenen konstruktiv zu lösen, sollte es in jeder größeren Zeitung und erst recht bei den TV-Sendern Ombudsleute geben. Dass es sie nicht gibt, sagt im Umkehrschluss viel aus über die Entfernung und Entfremdung der Medien von ihren Kunden.

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