Gericht lehrt DFB was über Meinungsfreiheit

„Wenn Sie die Kommunikationsherrschaft nicht haben, sind Sie immer Verlierer.“ (Theo Zwanziger)

Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Theo Zwanziger, ist mit dem Versuch gescheitert, einem freien Sportjournalisten zu untersagen, ihn einen „unglaublichen Demagogen“ zu nennen. Nach dem Berliner Landgericht hat es auch das Kammergericht abgelehnt, eine entsprechende einstweilige Verfügung zu erlassen.

Es geht um einen Kommentar, den Jens Weinreich, der ehemalige Sportchef der „Berliner Zeitung“ und Mitbegründer eines Netzwerkes kritischer Sportjournalisten, im Blog „Direkter Freistoß“ abgegeben hat. Er berichtete darin über einen Auftritt Zwanzigers auf einem Kongress des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und urteilte u.a.:

[Zwanziger] dreht nach der Kartellamtsentscheidung [gegen die Bundesliga-Vermarktung durch Leo Kirch] völlig durch. Er ist ein unglaublicher Demagoge. Schuld an allen Problemen des Fußballs, des DFB im allgemeinen und der DFL im besonderen ist einzig und allein das Bosman-Urteil — das behauptete Zwanziger fast wörtlich mehrfach.

Der DFB forderte von Weinreich eine Unterlassungserklärung: Zwanziger sei kein Demagoge, sondern habe immer gegen jede Form von Volksverhetzung gekämpft, erklärte der DFB-Anwalt Christian Schertz. Weinreich lehnte ab. Sein Anwalt Ulrich Amelung verwies auf die Definition der Bundeszentrale für politische Bildung, wonach ein Demagoge eine Person bezeichne, „der es gelingt, über verbale Angriffe Teile oder die Masse der Bevölkerung zu beeinflussen“. Und Zwanziger habe sich im von Weinreich beschriebenen Zusammenhang mit populistischen Äußerungen hervorgetan, um öffentlich Stimmung gegen die Entscheidung des Kartellamtes zu machen.

Das Landgericht gab Weinreich recht. Es lehnte die vom DFB beantragte einstweilige Verfügung gegen den Journalisten ab:

Mit der Äußerung des Antragsgegners, der Antragsteller sei ein „unglaublicher Demagoge“ wird dessen Persönlichkeitsrecht nicht rechtswidrig verletzt, weil es sich um eine zulässige Meinungsäußerung handelt, die keinen schmähenden Charakter hat.

Da es der Sinn jeder zur Meinungsbildung beitragenden öffentlichen Äußerung ist, Aufmerksamkeit zu erregen, sind angesichts der heutigen Reizüberflutung einprägsame, auch starke Formulierungen hinzunehmen. Das gilt auch für Äußerungen, die in scharfer und abwertender Kritik bestehen, mit übersteigerter Polemik vorgetragen werden oder in ironischer Weise formuliert sind. Der Kritiker darf seine Meinung grundsätzlich auch dann äußern, wenn sie andere für „falsch“ oder für „ungerecht“ halten. (…) Verfolgt der Äußernde nicht eigennützige Ziele, sondern dient sein Beitrag dem geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, dann spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der Äußerung (…).

Entscheidend sei auch, „ob und in welchem Ausmaß“ der Kritisierte selbst an dem vom Grundgesetz geschützten Prozess öffentlicher Meinungsbildung teilgenommen und „sich damit aus eigenem Entschluss den Bedingungen des Meinungskampfes unterworfen“ hat. Von einer „Herabsetzung“ Zwanzigers „ohne Sachbezug“ könne bei Weinreichs Kommentar keine Rede sein. Der Beschluss endet mit dem Satz:

Dass Diktatoren demagogisch agieren mögen, führt jedenfalls nicht dazu, dass derjenige, den man einen Demagogen nennt, mit einem Diktator gleichzusetzen wäre.

Eine Beschwerde des DFB, in der Anwalt Schertz u.a. argumentierte, durch den Begriff „Demagoge“ werde Zwanziger unweigerlich mit dem Verhalten der Nationalsozialisten im Dritten Reich in Verbindung gebracht, hat das Kammergericht als nächste Instanz zurückgewiesen.

Nachtrag: Jens Weinreich berichtet in seinem Blog ausführlich in eigener Sache.

20 Replies to “Gericht lehrt DFB was über Meinungsfreiheit”

  1. Kennt der Herr Zwanziger denn nicht die Pressekammer des Landgerichts Hamburg, die führende Fürstreiterin des Persönlichkeitsrechts? Ich habe es gerade ausprobiert, das Blog „direkter-freistoss“ ist von Hamburg aus aufrufbar, also fällt das doch in deren Zuständigkeit? Etwa nicht?

  2. hihi, die Begründung („sind angesichts der heutigen Reizüberflutung einprägsame, auch starke Formulierungen hinzunehmen“ usw.) erinnert mich irgendwie fast wortwörtlich an ein Urteil, mit dem mal eine Klage gegen mich abgeblockt wurde. Allerdings ging’s damals nicht „nur“ um eine Einstweilige Verfügung, sondern gleich noch ne millionenschwere Schadenersatzklage obendrauf….

    Schön, dass die Meinungsfreiheit doch noch von manchen Gerichten gestützt wird.

  3. also, entweder gehört Zwanziger zu den regelmäßigen Lesern von „direkter freistoss“, oder die Rechtsabteilung des DFB durchforstet die relevanten Publikationen ständig nach vermeintlich ehrabschneiderischen Kommentaren.
    Man sollte meinen, dass Sportfunktionäre ein dickeres Fell haben.
    Arm.

  4. In erster Linie war das ja wohl ein Lehrstück zur Bedeutung des Begriffs „Demagoge“. Hätte das Gericht nämlich den Begriff fälschlich so verstanden wie der der DFB, Zwanziger oder sein Anwalt, hätte es dem Antrag vermutlich stattgegeben.

  5. Was ist das wieder?

    Da sieht sich ein Sportjournalist genötigt einen Funktionär aus dem Bereich des Sports als „Demagoge“ zu bezeichnen.

    Wo sind wir denn hier?

    Und Herr Niggemeier sieht da ein Lehrstück zur Meinungsfreieheit?
    Wessen Geistes Kind….

  6. @B.Schuss
    Den direkten Freistoß werden sie nicht gelesen haben. Das ist eigetnlich „nur“ das Blog des Indirektenr Freistoss. Die Seite ist bekannter und dort hatte Oliver Fritsch Weinreichs Kommentar zitiert, weil sie ihm so gut gefallen hatte.

  7. Oh, und nun sehe auch ich den Trackback vom direkten Freistoß. Oliver Fritsch bestätigt meine Erinnerung. Und was ich noch nicht wusste, das Zitat hat er auch als Betreffzeile im Newsletter des indirekten freistoss benutzt.

  8. Danke Stefan, dass du dich dieser Geschichte angenommen hast. Und ein Lehrbeispiel dafür, welche Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit bestehen, wenn sie von seriösen Journalisten im Web sachlich vorgetragen werden. Heiter weiter :)

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