Ist es denkbar, dass einer der wichtigsten Medienmanager Deutschlands über Monate in diesem Blog unter einer Vielzahl wechselnder Pseudonyme eine dreistellige Zahl von teils irren Kommentaren abgibt, in denen er auf eigene Beiträge verweist, mich und seine Konkurrenz beschimpft, wüste Verschwörungstheorien strickt und seine verschiedenen Identitäten miteinander diskutieren lässt? Es sieht ganz danach aus, aber Konstantin Neven DuMont sagt, er war es nicht.
Der 40-jährige Konstantin Neven DuMont sitzt im Vorstand der Mediengruppe DuMont, der unter anderem „Frankfurter Rundschau“, „Berliner Zeitung“, „Kölner Stadtanzeiger“ und „Hamburger Morgenpost“, Buchverlage und Radiobeteiligungen gehören. Es gilt als ausgemacht, dass er das publizistische Erbe seines mächtigen Vaters Alfred antreten soll.
Den vergangenen Jahreswechsel verbrachte Konstantin Neven DuMont damit, Dutzende Kommentare hier im Blog abzugeben, in denen er unter anderem von gefiltertem Brunnenwasser schwärmte, sich vornahm, CO2-Emissionen zu reduzieren und Liebe stärker zuzulassen, und ein Videoblog ankündigte, in dem er politische und Liebeslieder singt.
Nachdem sein Kommunikationsverhalten auch verlagsintern Aufmerksamkeit erregt hatte, war plötzlich Schluss. Am 10. Januar abends erschien noch ein versöhnlicher Kommentar. Es war der letzte, der den Namen „Konstantin Neven DuMont“ trug.
Doch auch danach wurden Kommentare abgegeben, bei denen als Absender seine E-Mail-Adresse eingetragen war — keine leicht zu erratende Verlagsadresse, wohlgemerkt. Es spricht viel dafür, dass diese Kommentare auch von seinem Internetanschluss abgegeben wurden.
Der Unbekannte, der unter der E-Mail-Adresse von Konstantin Neven DuMont kommentierte und möglicherweise Konstantin Neven DuMonts Computer benutzte, verwies unter dem Namen „Sammler“ gerne auf Beiträge, die Konstantin Neven DuMont an anderer Stelle verfasst hatte oder die über seine Aktivitäten berichteten. Unter dem Namen „Sucher“ fragte er bei einem Eintrag über Kai Diekmann, ob ich einen Unterschied sehe „zwischen KD und KND“. Unter dem Namen „Bitterfeld“ wehrte er sich gegen meine Kritik an der Abwicklung der „Netzeitung“ durch DuMont und kritisierte die Geschäftsentscheidungen der FAZ in der Zeitungs- und Wirtschaftskrise. Unter dem Namen „Kurt B.“ warf er mir vor, schon seit längerem zu versuchen, Wettbewerber der FAZ zu „diskreditieren“. Unter dem Namen „K.F.“ dokumentierte er eine bizarre Auseinandersetzung, die Konstantin Neven DuMont mit dem Branchendienst „Meedia“ führte, und unter dem Namen „Medienjournalist“ berichtete er, dass es Anzeichen für ein Ende dieser Auseinandersetzung gebe.
Im September eskalierte die Situation. Der Unbekannte erhöhte dramatisch seine Kommentarfrequenz. Teilweise gab er an einem einzigen Tag 33 Kommentare ab. Auch die Zahl der verwendeten Pseudonyme nahm dramatisch zu. Allein in den vergangenen sechs Wochen kommentierte er unter folgenden Pseudonymen:
Nun warf er mir vor, verbale Gewalt zu üben und wie „Bild“ und RTL 2 zu arbeiten; gezielt mit Falschaussagen zu operieren; andere Menschen zu diskreditieren und skrupellose Methoden anzuwenden; ungern Fragen zu beantworten; ausschließlich und mit beinahe jedem Mittel den Ruf ganz bestimmter Menschen schädigen zu wollen; die Welt in schwarz und weiß einzuteilen; den Bundespräsidenten einseitig hochzujubeln; Naturheilmittel verbieten zu wollen; Chemie zu bevorzugen; gegen eine Initiative für Kräuter vorgehen zu wollen; genauso verlogen zu sein wie alle Anderen; Konstantin Neven DuMont zu Unrecht zu diffamieren; Tatsachen zu verdrehen; ein „Menschenrechtsverachter“ zu sein; Konstantin Neven DuMont substanzlos zu diffamieren; fast alle politischen Meinungsbildungsprozesse völlig unbeeindruckt an mir vorbeiziehen zu lassen; mich über die Umverteilung von Arm nach Reich kaputt zu lachen; noch nichts Substanzielles vorgetragen zu haben; von der FAZIT-Stiftung, dem Eigentümer der FAZ, „versaut“ worden zu sein; gegen Thomas Knüwer hetzen zu lassen; Konstantin Neven DuMont mit der Einrichtung „diverser Sandkästen“ diskriminiert zu haben; „schwachsinnige Attacken“ gegen SZ und FR zu führen; mich an der Diskreditierung vermeintlicher Wettbewerber der FAZ zu ergötzen und dafür von den „Brüdern der FAZIT-Stiftung“ mit „dicken Schecks und irgendwelchen stupiden Preisen“ bezahlt zu werden; der „Steigbügelhalter“ der FAZ zu sein, die wiederum der Steigbügelhalter der Axel-Springer-AG sei; konstruktive Lösungsvorschläge zu hassen; einer der größten Lobbyisten zu sein und mich gegen beinahe jeden Fortschritt zu wehren.
Teilweise simulierte der Kommentator ganze Dialoge, in denen sich seine verschiedenen Identitäten miteinander unterhielten und gegenseitig bestätigten. Er kündigte drohend an, dass „zahlreiche investigative Recherchen“ meinen „Machenschaften“ auf der Schliche seien.
Besonders das „krankhafte Verhältnis“ zwischen FAZ und „Frankfurter Rundschau“ schien dem Kommentator am Herzen zu liegen — ein Thema, das auch Konstantin Neven DuMont in Mails an mich ansprach. Der Kommentator klagte, dass die FAZIT-Stiftung seit Jahrzehnten Kostensynergien mit der FR ablehne, obwohl auch der „ökologische Vorteil“ groß wäre. Die Meinungsvielfalt sei der Stiftung ein Dorn im Auge. Der Kommentator wurde auch persönlich: Dem FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher und mir komme es lediglich darauf an, dass die FR „möglichst schnell vom Markt verschwindet“. Auch meine Einrichtung eines „Sandkastens“, in dem sich Konstantin Neven DuMont austoben kann, sieht der Kommentator als Teil einer Kampagne gegen die FR, deren Herausgeberrat er vorsitzt.
Konstantin Neven DuMont gilt als sonderbar. Aber ist es denkbar, dass er so sonderbar ist, eine solchen Kommentarwahn zu produzieren und dabei sogar jedesmal seine eigene E-Mail-Adresse anzugeben?
Ich habe Neven DuMont geschrieben, dass ich ihn in Verdacht habe, hinter dem Feuerwerk kritischer Kommentare bei mir im Blog zu stecken. Er bestritt dies. Dann fragte ich, ob es möglich ist, dass jemand anders Zugriff auf seinen Rechner hat. Er antwortete: „Es stimmt, dass auch noch andere Personen meine zwei Rechner benutzen, Computer-Sharing sozusagen.“ Schließlich konfrontierte ich ihn damit, dass mit seiner E-Mail-Adresse und vermutlich von seinem Computer unter verschiedenen Namen eine Vielzahl von Kommentaren abgegeben wurden, ich darin einen Missbrauch der Kommentarfunktion sehe und das öffentlich dokumentieren möchte. Daraufhin schrieb mir Neven DuMont: „Eben habe ich erfahren, dass zwei Personen, die meine Rechner mitnutzen, anonyme Kommentare in Ihrem Blog verfasst haben.“ Er fände es aber nicht gut, wenn ich das in der Öffentlichkeit klarstellen würde.
Ich habe gezögert, über diese merkwürdigen Vorgänge zu berichten. Ich halte es aber für zulässig, sie öffentlich zu machen, weil sie einen Missbrauch der Kommentarfunktion darstellen. Es geht nicht darum, dass mich in den Kommentaren jemand kritisiert. Es geht um eine systematische Störung, in der eine Vielzahl nicht existierender Kritiker simuliert wird. Ihr Ausgangspunkt sind allem Anschein nach die Computer von Konstantin Neven DuMont, einem der wichtigsten Verlagsmanager Deutschlands.
Zur größeren Transparenz habe ich die Kommentare, um die es geht, in den Einträgen farbig markiert, vgl. hier, hier oder hier.
[Offenlegung: Ich bin freier Mitarbeiter der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Das hier ist allein meine persönliche Meinung.]
Nachtrag, 18.44 Uhr. Konstantin Neven DuMont kommentiert diesen Eintrag:
Sehr geehrter Herr Niggemeier,
leider muss ich erneut feststellen, dass Sie abstruse Verschwörungstheorien über mich veröffentlichen. Was soll das? Nachdem ich die zwei anonymen Kommentatoren überführt hatte, fragte ich Sie, wie ich mit diesem Problem umgehen soll. Warum haben Sie diese Frage nicht beantwortet?
Von anonymen Kommentaren halte ich grundsätzlich nichts. Das liegt vor allem daran, dass anonyme Kommentare von Entscheidungsträgern nicht ernst genommen werden. Deshalb bin ich ein überzeugter Verfechter von Klarnamen im Netz. Ulrike Langers These, dass dieser Beitrag Tagesgespräch beim DuMont Verlag werden wird, teile ich ich nicht. Wie gesagt, anonyme Kommentare werden dort nicht ernst genommen. Ansonsten wünsche ich Ihnen noch viel Spaß mit Ihren zahlreichen Zweitnicks.
Freundliche Grüße
Konstantin Neven DuMont
P.S. Kommen Sie lieber noch einmal bei CARTA.info vorbei. Das ist wesentlich konstruktiver.
http://carta.info/35213/strohfeuerfrei/
Nachtrag, 21.30 Uhr. Gegenüber dem Branchendienst „Meedia“ nennt Neven DuMont meine „Methoden“ „bedenklich“. Er räumt ein, dass die Kommentare von seinem Computer abgegeben wurden — von nicht näher benannten „Personen“, die „Zugang“ zu seinem Rechner gehabt hätten. Er habe sie, nachdem er sie „überführt“ („Meedia“) hatte, darum gebeten, keine weiteren Einträge unter seiner Mailadresse zu veröffentlichen.
Falls das stimmt, haben sich diese Personen nicht an seine Bitte gehalten: Auch nach meinen Mails an Neven DuMont und der angeblichen „Enttarnung“ wurde noch wie zuvor kommentiert.
Nachtrag, 19. Oktober, 14 Uhr. Gestern Abend kam es zu einer weiteren Eskalation: Jemand, der sich als die Kinder von Neven DuMont ausgab, verfasste drei Kommentare („Ach wie schön, solange unser Papa aus dem Haus ist ;-)“, „(…) Auweia, da kommt der Papa…“, „Ein Glück ist Papa direkt ins Bett gegangen. (…)“). Sie wurden von derselben IP-Adresse abgegeben wie der Kommentar von Konstantin Neven DuMont wenige Stunden zuvor.
Nachtrag, 18.20 Uhr. Eberhard Klein, Vorstandskollege von Konstantin Neven Dumont, teilt mit: „Der Vorwurf, Konstantin Neven DuMont habe persönlich anonyme Kommentare gepostet, ist haltlos.“
sueddeutsche.de berichtet, in der Unternehmensführung herrsche „helles Entsetzen“.
Nachtrag, 21.50 Uhr. Auch „Financial Times Deutschland“ und „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichten.