Jeder Suizid ein Klick

Die Verantwortlichen der Online-Ausgabe des „Kölner Stadt-Anzeigers“ haben sich entschlossen, aktiv daran mitzuwirken, die Zahl der Suizide hoch zu halten — mutmaßlich, damit sie auch in Zukunft die Gelegenheit haben, aufmerksamkeitsstarke Klickstrecken wie diese zehnteilige Bildergalerie zu veröffentlichen:

Kann natürlich auch sein, dass die Bildergalerie gar kein Ausdruck von Skrupellosigkeit, sondern bloß von routinierter Gedankenlosigkeit ist. Gerade im Online-Journalismus ist das so schwer zu unterscheiden.

(Inzwischen steht da „Suizide“ statt „Selbstmorde“, was die Sache kaum besser macht.)

Nachtrag, 18:45 Uhr. Die Bildergalerie wurde von ksta.de „nach intensiver Diskussion im Netz und bei uns von der Seite genommen“.

23 Replies to “Jeder Suizid ein Klick”

  1. [gelöscht. ich nehme an, dass es sich um ein fake handelte und habe der einfachheit halber auch die kommentare, die sich darauf bezogen, gelöscht]

  2. Verblüffenderweise beschäftigen sich angehende Journalisten mit keinem rechtlich-moralischen Komplex so eingehend wie mit Selbsttötungen. Leider wird ihnen dieses Wissen nach abgeschlossener Ausbildung so schnell wie möglich wieder ausgetrieben.

  3. Man ist ja von solchen Bildstrecken schon einiges gewohnt. Aber es gibt schon einen beträchtlichen Unterschied zwischen „Die größten Ernährungsirrtümer“ usw. und einer Selbstmord-Bildstrecke. Gedankenlosigkeit allein kann da eigentlich keine Ausrede sein. Einfach geschmacklos.

  4. @6: Suizid! nicht Selbsttötung oder -mord! Suizig klingt wissenschaftlicher und damit schein-legitimer. oder so. so ein scheiß!

  5. Es fehlt auch ein Vergleich zwischen der Suizidrate im Profisport und der der „normalen“ Bevölkerung. Vermutlich ist diese bei Profisportlern nicht höher. Wenn ich daran denke, mit was für Jobs und wie wenig Geld sich manche Menschen über Wasser halten müssen.

  6. Ich bin dafür das jeder alles publizieren kann was er publizieren will – aber ich bin erschüttert darüber das es überhaupt eine Zeitung gibt die so eine Bildergalerie publizieren will.

    Ich würde mich an deren Stelle so schämen.

  7. Das ist wahrscheinlich eine öffentliche Bewerbung auf eine Stellenausschreibung als Redakteur bei „Explosiv“ oder „Spiegel TV“?

  8. Christine Badke hat gerade getwittert, dass die Klickstrecke »nach inzensiver Diskussion im Netz und bei uns« jetzt »von der Seite genommen« wurde.

  9. Das ist tatsächlich ein bisschen pietätlos. Aber die Aussage, dass der zuständige Redakteur auf Kosten der Toten die Klicks in die Höhe treiben will, finde ich ein bisschen übertrieben. Auch wird er sich nicht zum Ziel gesetzt haben, die Zahl der Selbstmorde in die Höhe zu treiben. Nimmt man den Werther-Effekt zum Maßstab, dürfte über Selbstmorde überhaupt nicht mehr berichtet werden, damit sich die Rezipienten nicht umbringen.

  10. @ Hecke (#15): Man muss ja nicht gleich auf jegliche Berichterstattung verzichten. Es wäre schon ein Schritt in die richtige Richtung, die Details nicht allzubreit auszuwalzen und sich stattdessen an die Vorgaben des Pressekodex zu halten.

    Und was den Werther-Effekt angeht: Den gibt es, der kausale Zusammenhang zwischen detaillierter, allzu oft auch betroffeneheitstriefender Berichterstattung und Nachahmern ist hinreichend belegt. Wer trotzdem detailliert und mit Pathos berichttet, nimmt Selbsttötungen von Nachahmern wissentlich in Kauf.

    Da sollte dann eigentlich das Interesse (oder soll ich sagen: die Sensationsgeilheit) der Allgemeinheit zurücktreten. Wir würden es sicher alle verkraften, nicht ganz genau informiert zu werden, wenn dadurch weniger Nachahmer zu Tode kommen.

  11. „Aber die Aussage, dass der zuständige Redakteur auf Kosten der Toten die Klicks in die Höhe treiben will, finde ich ein bisschen übertrieben. Auch wird er sich nicht zum Ziel gesetzt haben, die Zahl der Selbstmorde in die Höhe zu treiben.“

    bitte dringend einen polemik-nachhilfekurs besuchen

  12. @theo:

    Das ist ein sehr interessanter Text. Darin werden sechs Punkte aufgezählt, die in der Berichterstattung vermieden werden sollen. Von diesen sechs Punkten ist bei der Klickstrecke vom KStA einer gegeben: Es werden Fotos der betreffenden Personen gezeigt, auf denen sie ihren jeweiligen Sport ausüben. Allerdings nicht auf einer Titelseite.
    Die Beispiele „Final Exit“, „Tod eines Schülers“ oder Berichte über Amokläufer sind mit der Berichterstattung vom KStA nicht vergleichbar: Auf der Klickstrecke, die auf ksta.de stand, wurde mit keinem Wort auf die Methoden eingegangen, mit denen sich die Sportler umgebracht haben. Außerdem wurden überhaupt keine Ansatzpunkte für eine Identifikation mit den Sportlern gegeben, was laut DGS wohl der entscheidende Punkt ist.

  13. @Hecke:

    Auf der Klickstrecke, die auf ksta.de stand, wurde mit keinem Wort auf die Methoden eingegangen, mit denen sich die Sportler umgebracht haben.

    Die Klickstrecke nannte in acht von zehn Fällen die genaue Methode des Suizids, in einzelnen Fällen mit exakter Ortsangabe. Sie nannte Motive für den jeweiligen Suizid. Und wenn das als Ansatzpunkt für eine Identifikation nicht ausreicht, ist ein Spitzensportler natürlich schon aufgrund seiner Position eine Identifikationsfigur.

  14. Komisch. Auch wenn „die Seite vom Netz genommen wurde“, ploppt ein Werbefeld bei mir für diese Seite auf, sobald mein Brauser ksta.de betritt (Kölner Lokalpatriot im Exil).

    Merkwürdig.

  15. In fiktionalen Sendungen des Fernsehens finde ich oft solche Stories, in denen auch ein Selbstmord geschieht – sei es in einer dieser Jugendserien im Mystery-Bereich oder in irgendeinem Krimi. So oft in den letzten paar Jahren, dass schon das Gefühl auftaucht, es ist halt normal, passiert eben mal im Bekanntenkreis oder einer Familie. Kann man nichts machen… Das führt so langsam dazu, das hinzunehmen, weniger zu überlegen, wo präventiv was getan werden könnte.

    Und in den Augen und Ohren selbsttötungsgeneigter Zuschauer erscheint es wie etwas, das vielleicht eine Option ist. Andere tun es ja auch. Viele andere sogar offenbar. Wer käme denn sonst auf sowas. Die Filme wirken immer realistischer, aber den Menschen, auch den teils noch sehr jungen Heranwachsenden, wird ein erstaunliches Unterscheidungsvermögen zugetraut… Oder möchte man hier davon ausgehen, dass eine Identifikation nicht stattfinden kann?

    Vielleicht ist es eher die noch nicht erfolgte Anpassung an diese neuen Formate und die geringe Fähigkeit, komplizierte juristisch haltbare Formulierungen zu finden, die in Staatsverträge Eingang finden könnten. Und Krimis laufen auch auf den sogenannten Kultursendern und verbreiten da auf hohem Niveau ein eigenartiges Gefühl von Alternativlosigkeit. Keiner konnte unter den gegebenen Umständen anders handeln…

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