Johannes B. Kerner

“Ich hab’ ja nicht gefragt!” Und nicht fragen wird man wohl noch dürfen: Seit einem Jahr talkt Kerner täglich — ein Blick zurück im Zorn

Kerner: Sie haben ein Kochbuch geschrieben über Suppe, ja? Wie heißt das genau?

Marianne Sägebrecht: „Meine Überlebenssuppen – Geschichte und Rezepte“.

Kerner: Also geht’s nicht nur um die Suppen, das hab‘ ich mir auch gedacht, das wäre auch ein wenig dünn gewesen, also nicht die Suppen, sondern für das Buch, und das wäre Ihrem ereignisreichen Leben auch gar nicht angemessen.

Und damit ein herzliches Willkommen zu unserem Jahresrückblick „Kerner 2002“ – vielen Dank für den freundlichen Empfang.

Es war das erste Jahr, in dem Johannes B. Kerner sich fast werktäglich hinter einen wuchtigen Schreibtisch setzte, auf Karteikarten schaute und mit Leuten redete, gern je einem Politiker, Schauspieler und Opfer, 150 Sendungen insgesamt. Und weil es die Zeit ist und Kerner heute im ZDF wieder den Rückblick „Menschen 2002“ moderieren darf, wollen auch wir zurückschauen, auf ein Jahr Kerner täglich – mit vielen bunten Ausschnitten aus seiner Show.

Kerner: Ich glaube, du bist genauso nett wie ich.

Dieter Bohlen: Das kommt nur nicht so rüber.

Kerner: Dann versuchen wir jetzt mal, den Leuten das zu beweisen.

Doch, er hat es immer noch, am Ende dieses Jahres: das Etikett „nett“. Die Journalisten haben es ihm so oft angeklebt, und er hat so oft empört gefragt, was die Leute denn von ihm erwarten: „Soll ich randalieren? Mich besaufen?“, daß er es inzwischen sicher selber glaubt. Dabei ist Johannes B. Kerner fast so nett wie ein Schaulustiger, der vorbeikommt, wenn Brandstifter einem das Haus angezündet haben, Öl ins Feuer gießt, einem dann anteilnehmend auf die Schulter klopft und kopfschüttelnd fragt, was für Leute so was nur machen.

Ein Fernsehjournalist, der die Schlagersängerin Michelle eingeladen hätte, der von einigen Blättern eine Affaire mit Oliver Kahn nachgesagt wurde, hätte sie gefragt: „Läuft da was?“ Und sie hätte antworten können: „Ja.“ Oder: „Nein.“ Oder: „Das geht Sie einen Dreck an.“ Aber so läuft das nicht bei Kerner.

Kerner: Hallo Michelle, herzlich willkommen. Ja, übrigens Oliver Kahn war eigentlich angesagt für diese Sendung. Der FC Bayern hat ihm nach den glorreichen Spielen zuletzt verboten, die Stadt zu verlassen, und deshalb konnten wir das schöne Treffen mit Ihnen . . . Hätten Sie ihn gerne mal kennengelernt?

Michelle: Das ist schade, weil man sagt ja, ich hätte ein Verhältnis mit ihm, und ich hätte ihm zumindest vorher gerne einmal die Hand geschüttelt.

Kerner: Ach, Sie haben ihn noch nie getroffen?

Michelle: Nein, ich kenne ihn leider nicht.

Kerner: Ich kannte das Gerücht. Ich hätte nicht die Frechheit besessen, Sie darauf anzusprechen. Aber er ist ja glücklich verheiratet, wird Vater, zum zweiten Mal, das müßten Sie eigentlich wissen?

In Zeitlupe: Kerner lädt Michelle und Kahn ein. Er spricht Michelle noch vor dem Hinsetzen auf Kahn an. Dann stellt er sich neben den Schlamm, in den er sie geschubst hat, und zeigt auf seine sauberen Hände. So einen kann man natürlich als „nett“ bezeichnen. Zwingend ist es nicht.

150 Sendungen, das sind für Kerner fast 150 Stunden Angst. Angst, Stellung zu beziehen. Angst, etwas zu sagen, womit er aneckt. Dabei hat ein Talkmoderator in seiner Rolle wenig Gelegenheit, das Falsche zu sagen – doch Kerner hat sogar Angst, das Falsche zu fragen. Deshalb ist er zum Meister im Nichtfragen geworden. Mit Bastian Pastewka sprach er vor der Bundestagswahl darüber, ob er Brief-, Stamm- oder Wechselwähler sei, dann passierte dieser Dialog:

Kerner: Wenn ich sozusagen jetzt die eine Frage stelle, die man natürlich geneigt ist zu stellen, dann rufen immer Menschen an und sagen: Wir haben geheime Wahl, und da muß man doch gar nicht – und dann sag‘ ich immer: Man darf ja fragen! Man muß ja nicht antworten. Ne?

Pastewka: Was ich gewählt habe?

Kerner: Ja. (Pause.) Na, ich hab‘ ja nicht gefragt.

Pastewka: Natürlich.

Kerner: Nein, ich hab‘ ja nicht gefragt.

Pastewka: Natürlich.

Kerner: Nein, ich hab‘ erklärt, warum es nicht kommt.

Pastewka: Gut.

Kerner: So, und jetzt aber . . . (wechselt das Thema).

Das macht ihm keiner nach. Niemand kann ihm vorwerfen, eine unverschämte politische Frage gestellt zu haben. Und niemand kann ihm vorwerfen, das heikle Thema nicht angesprochen zu haben. Niemand kann ihm irgend etwas vorwerfen. Außer diese seine Glitschigkeit natürlich. Aber dann antwortet er wörtlich, wie jetzt in der „Hörzu“: „Wissen Sie, wie viel Geld ich verdiene? Es ist unglaublich, wie viel Geld ich mit diesem Image machen kann. Besser geht’s nicht. Ich habe alles richtig gemacht!“

Pastewka: Der MDR ist toll.

Kerner: Ein Sender aus Leipzig, der für die umliegenden Regionen sendet.

Pastewka: Aus der Zone, seien wir ehrlich.

Kerner: Das wäre nicht meine Formulierung.

Das war auch nicht seine Formulierung — das war Pastewkas Formulierung. Kerner distanziert sich sogar von den Aussagen seiner Gäste. Besser ist das. Man weiß ja nie. Er hat nämlich schlechte Erfahrungen gemacht. Manchmal hat er Fragen gestellt, aus denen die Befragten fahrlässigerweise schlossen, daß er damit etwas sagen wollte.

Kerner: Sie erwarten, wenn ich so viel Details verraten darf, Ihr zweites Kind vom zweiten Mann. (Was er meint: Ihre Kinder haben verschiedene Väter.)

Alexa Hennig von Lange: —

Kerner: Stimmt doch, oder?

Hennig von Lange: —

Kerner: Ist doch o.k., ist doch auch bekannt, oder?

Hennig von Lange: Welches Jahrtausend haben wir denn überhaupt?

Kerner: Nee, völlig o.k. Im übrigen kann jeder, wie er möchte.

Dazu macht er mit beiden Händen eine abwehrende Bewegung, die sagt: „Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten“, aber auch: „Treten Sie mir nicht zu nahe!“ Was ihn so unwahrscheinlich massenkompatibel macht, ist, daß seine demonstrative Toleranz deutlich unterfüttert ist mit eigener Abgrenzung von allem, was Toleranz verlangt. Kathy Karrenbauer, die für ihre Rolle als klassische Klischee-Kampflesbe in „Hinter Gittern“ bekannt wurde, begrüßt er mit größtmöglichem körperlichen Abstand von jenseits des Schreibtisches und erklärt:

Kerner: Ich wahre respektvolle Distanz.

Später wird er sich hoffnungslos festbeißen an der Frage, wie das für sie war, eine Frau zu küssen, und noch lange, nachdem sie gesagt hat, daß es für sie keinen Unterschied macht, ob sie einen Kuß mit einem Kollegen oder einer Kollegin spielt, erkundigt er sich erregt nach der „Überwindung“, die sie das gekostet habe. Vielleicht beruht sein Image, „normal“ zu sein, auf dieser Haltung eines aufgeklärten Spießers, der brav sein konventionelles Leben führt und sich unschuldig interessiert nach den Verirrungen der anderen erkundigt, sich manchmal sogar bemüht, sie zu verstehen. Obwohl es ihm nicht immer gelingt: Mathieu Carrière erzählt, ein Kind könne bei getrennten Eltern auch zwei Zuhause haben, und Kerner findet das — nicht so gut.

In Kerners Sprache ist von dem Versuch seiner frühen Jahre bei Sat.1, „natürlich“ zu wirken, nichts übriggeblieben. Heute schafft er es gerade noch, die Frage „Wann haben Sie angefangen zu schreiben“ unverkrampft herauszubringen. Kompliziertere Gedankengänge klingen deutlich angestrengter. Am Jahrestag des 11. September ist er so erfüllt von Bedeutung, daß er die ZDF-Kollegin, die damals am Ground Zero war, fragt:

Kerner: Julie, Sie haben ja nicht nur über Sachverhalte berichtet, sondern in der Hauptsache auch in den Tagen und Wochen danach über Menschen, über Schicksale, auch über Helden. Das sind ja Sachen, die einem sehr nahegehen, auch als Berichterstatter — oder als Berichterstatterin. Sind daraus Kontakte geworden, haben Sie zu einigen Menschen, über die Sie damals Bericht erstattet haben, heute noch Kontakt?

Kein Journalist, der bei ihm zu Gast ist, verläßt das Studio, ohne daß Kerner ihn mehrfach mit seinem Lieblingswort „Bericht erstatten“ eingenebelt hätte. Auf das schlichte „berichten“ kommt er nur, wenn er vorher wenigstens „Sachverhalte“ sagen durfte. Vermutlich glaubt Kerner, daß „Bericht erstatten“ nicht nur wichtiger klingt, sondern auch korrekter ist, und wenn es etwas gibt, an das Kerner glaubt, dann ist es Korrektheit.

Kerner: Als Sie den Job bekommen haben, hat Herr Schröder Sie angerufen? – Also, der Herr Bundeskanzler, wir wollen ja die Form wahren.

Korrektheit ist gut gegen Angst, und das Kokettieren mit Korrektheit ein schöner Weg, ein Gespräch zu beginnen und sich in Sekunden so winzig klein zu machen, daß seine Gegenüber wissen, daß auch sie keine Angst haben müssen.

Kerner: Die Vorstandsvorsitzende der Firma Veronas Dreams AG.

Verona Feldbusch: Richtig.

Kerner: Gut, dann habe ich das ordentlich ausgesprochen.

Fernsehen besteht aus Ritualen. Es braucht Menschen, die uns Tag für Tag erzählen, daß sie sich freuen, daß wir eingeschaltet haben, und sich Tag für Tag entschuldigen, daß das leider schon alles war, wofür die Sendezeit reichte. Weil Kerner aber, wie er der „Hörzu“ verriet, „in allen Dingen der Beste sein“ will („Oberstes Drittel reicht mir nicht. Eins b reicht mir nicht. Eins b kann jeder andere sein“), hat er die üblichen Talkmaster-Floskeln auftoupiert: mit großen Adjektiven. Seit er viermal die Woche Dienst hat, sind sie ihm in dieser Form im Ritual erstarrt. Er kündigt „außerordentlich interessante“ Gäste an, bedankt sich „sehr herzlich für das sehr offene Gespräch“, und wenn er versucht, seine Standard-Beteuerungen mit individuellen Bemerkungen zu schmücken, schwurbelt es ihn vollends aus der Kurve. Der schwangeren Alexa Hennig von Lange sagt er zum Abschied nicht: „Schön daß Sie da waren, alles Gute für die Geburt.“ Sondern:

Kerner: Ich bedanke mich sehr herzlich für das offene Gespräch und freue mich, wenn wir uns alsbald wiedersehen. Wichtig ist allerdings, daß Sie unsere Wünsche entgegennehmen, nämlich daß wir Ihnen alles Gute wünschen für die bevorstehende Geburt Ihres zweiten Kindes.

Es war ein gutes Jahr für Kerner. An seinem Ende sagte er, er konkurriere mit Reinhold Beckmann um die „Talk-Krone“. Kerner hatte Kohl zu Gast und war bei Giuliani, sprach mit Bohlen und Feldbusch, lachte über Konsul Weyers Reichtum und entschuldigte sich dafür, klärte mit Hilde Knef Details ihrer Krankheit und wiederholte, als sie starb, das Krankengespräch, um sie zu „würdigen“.

Kati Witt: Ich find’s schade, daß eigentlich heutzutage alles an die Öffentlichkeit gezerrt wird und nichts mehr privat wird, was sich zwischen zwei Menschen abgespielt hat.

Kerner: Nicht in jedem Fall, in manchem.

Witt: In manchem, ja.

Kerner: Dann beenden wir das jetzt.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

13 Replies to “Johannes B. Kerner”

  1. Da lobe ich mir doch die alte Titanic Aktion, die jeden mit 50 Euro ermutigte, sich bei der GEZ mit der Begründung „Johannes B. Kerner ist als Moderator überbezahlt!“ abzumelden!

  2. Armer Johannes Baptist….

    Ja, ich fordere eine große Packung Mitleid für den armen Spitzenmoderator Johannes Baptist Kerner. Denn gestern Abend sprach er in seiner Sendung im ZDF über Sex im hohen Alter – natürlich nicht ohne Grund, sondern nur, um die Zielgruppe auf einen …

  3. Sie fragen Uns :“Was würde Umberto Eco über Kerner sagen?“

    Hier die Umberto ecologische Antwort:

    „Allora, un Govanni B. Kerner e quasi la stessa cosa come un Mike Gutentag, tute due lavorano nella televisone e provano a rimbambire il telespettatore.
    Tra le due c’è una differenza, il primo parla tedesco e il secondo parla italiano.“

    MfG
    il robo

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