Jörg-Olaf Schäfers

Er hat mich nach Paderborn gebracht und ich ihn in die „Sonntagszeitung“.

Erstaunlicherweise war das erste die viel schwerere Geburt, weil ich die Antwort auf die Terminanfrage, einen Vortrag an seiner Uni zu halten, wie üblich und trotz großer Sympathie ewig verschleppt hatte, weshalb er mir dann Mails mit Betreffzeilen wie „Weihnachtspferd, trojanisches“ schickte:

gerade die unglaubliche geniale Idee gehabt, meine Weihnachtsgrüße mit der Nachfrage zu verbinden, ob wg. unten alles klar geht.

Der Weg zum FAS-Kolumnisten war dagegen ein leichter — der „Geld & Mehr“-Teil suchte Ende 2006 jemanden, der über das Internet schreibt; von meiner spontanen Empfehlung bis zu seiner ersten „Notizblog“-Kolumne verging nicht einmal ein Monat. Umso mehr hat mich gefreut, dass daraus eine feste Institution wurde.

Ich weiß nicht mehr genau, wie ich auf ihn aufmerksam wurde. Es müsste entweder über „Medienrauschen“ gewesen sein oder über seine eigene Seite YAMB (Yet Another Media Blog), die er leider später plötzlich löschte. Ich weiß nur noch, dass ich mochte, wie er schrieb, und uns eine Abneigung verband gegen die Leute von „Politically Incorrect“ und den Mann, der sich „Don Alphonso“ nannte.

Später wandte er sich dann relevanteren Themen zu und kümmerte sich auf netzpolitik.org um, nun ja: Netzpolitik. Torsten Kleinz schreibt über ihn:

Wenn er ein Ziel auserkoren hatte, war er durch fast nichts zu stoppen. Er sammelte Informationen, dokumentierte und rief zur Aktivität auf. Doch so aktiv wie er konnte kaum jemand anderes sein. Er beließ es nicht dabei, sich lauthals zu beschweren und Verschwörung zu rufen, sondern arbeitete sich in komplizierte Materie ein, sichtete Sitzungsprotokolle, telefonierte mit Verantwortlichen und warb für seine Ziele. Für unsere Ziele.

Torsten schreibt: „Immer war ein Chat-Fenster auf, in dem wir uns austauschen konnten“, das habe ich auch so erlebt. Und Alvar Freude fügt hinzu:

Man konnte ihm nachts um 4 Uhr Fragen stellen, zu deren Beantwortung andere noch nicht einmal tagsüber in der Lage waren. Wenn man ein Sitzungsprotokoll oder einen Mitschnitt brauchte – flugs stellte er die gewünschte Datei auf seinem Server bereit. Ruckzuck holte er alte Artikel oder Hintergrundinformationen aus seinem Archiv oder den Untiefen des Internets.

Mich versorgte er naturgemäß weniger mit Sitzungsprotokollen als mit sachdienlichen Hinweisen und mit Empfehlungen für Sonntagsflausch. Manchmal hat er sogar alle Kommentare unter Blogeinträgen hier gelesen, und als ich mein Unverständnis darüber äußerte, antwortete er:

Andere fahren mit dem Bus oder lassen sich von älteren Frauen in Leder auspeitschen. Ich schaffe es meinen Hass durch das Lesen von Blogkommentaren zu kanalisieren.

Ich ahne, dass es auf viele Leute merkwürdig wirken mag, jemandem anhand alter Chatprotokolle zu gedenken. Aber das hier ist der Olaf, den ich kannte und in Erinnerung behalten werde:

13:15:47 ix: Ha!
13:19:57 Stefan Niggemeier: ha?
13:20:07 ix: Nun!
13:20:29 ix: Ich suche spontan jemand, der mir die Titelseite der Bild von heute abknippsen könnte.
13:20:39 ix: Und dann ist mir aufgefallen, dass ich keine Bild-Leser kenne.
13:20:59 ix: Und kurz darauf, dass ich keine Hose anhabe, also nicht zum Kiosk fahren kann.

Oder das hier:

01:13:09 ix: Kannst du mir kurz einen Gefallen tun und: „Olaf, lass dich nicht von deinen dunklen Instinkten leiten und kümmere dich gefälligst um deinen eigenen Kram“ hier in das Fenster tippen (Kopieren geht auch…). Danke.
01:14:03 Stefan Niggemeier: Olaf, höre auf deine dunklen Instinkte und verzettel dich gründlich mit….
01:14:07 Stefan Niggemeier: Moment, wie war der Satz?
01:14:13 ix: *seufz* ,)
01:14:41 Stefan Niggemeier: wer ist denn dein, äh, opfer?
01:15:07 ix: Ein gemeinsamer, äh, Freund.
01:15:23 ix: Ich hatte vorhin nochmal über Fonsis Besinnungsaufsätze in Blogform nachgedacht.
01:15:57 Stefan Niggemeier: warum?!
01:16:05 Stefan Niggemeier: (im sinne von: WARUM???)
01:17:26 ix: Ich bin ein naiver Idealist. Die Diskrepanz zwischen den Tiraden an der Blogbar und dem realweltlichen Ergebnis macht mir Bauchweh.
01:18:23 Stefan Niggemeier: verstehe.
01:18:35 Stefan Niggemeier: andererseits: Olaf, lass dich nicht von deinen dunklen Instinkten leiten und kümmere dich gefälligst um deinen eigenen Kram
01:18:44 ix: Danke.

Wie Netzpolitik berichtet, ist Jörg-Olaf Schäfers, „ix“, gestorben. Ich werde ihn, seinen Humor und sein offenes Chat-Fenster vermissen.

45 Replies to “Jörg-Olaf Schäfers”

  1. Ich werde seine Artikel auf netzpolitik.org vermissen. Mein herzliches Beileid gilt allen Angehörigen und Freunden.

  2. Gah.

    Wohnte’n erweiterten Steinwurf entfernt. Kann mich noch gut erinnern wie mir vor vielen vielen Jahren die (längst inaktive) Cam auf fx3 auffiel. („Huch, private Webcam in der Gegend?“) Die Welt ist so klein. Die Zeit ist so kurz.

    Gah… %(

  3. Ich kenne ihn von Medienrauschen. Durch sein Blog habe ich das Internet überhaupt erst von der Aktivistenseite kennen gelernt. Später hatte ich weniger Zeit und Lust, mich damit auseinanderzusetzen. Dafür habe ich viel Spaß an seinen Tweets gehabt. Auch seine Beobachtungen und „Enthüllungen“ zur Blütezeit von StudiVZ sind unvergessenen.
    Außerdem war er mein erster OpenBC Kontakt (heute XING).
    Ruhe in Frieden!

  4. Es ist lustig, wie viele Leute man nicht kennt, denen man so viel zu verdanken hat.

    Unlustig, dass man von solchen Menschen oft erst erfährt, wenn sie sterben…

    Rest in Peace…

  5. Tolles Chatprotokoll am Ende. Ich habe ix (wirres.net) und alle Links dort, Udo Vetters Tweet und das hier gelesen und Du bist der der es geschafft hat, am besten darzustellen, warum es ein Verlust für die Netzwelt ist. Ich kannte ihn nicht aber Dein Eintrag hier übermittelt das Gefühl von Verlust am besten.

    Hey und wo wären wir wenn nicht Leute wie „westernworld“ die Thesen des kanalisierten Hasses in den Kommentaren bewahrheiten würden ;-)

  6. Ich muss zugeben, dass ich bis zu Deinem Artikel nicht wusste, dass ich sein Werk kannte und schätzte. Ihn und seinen Namen aber nicht wirklich. Erstaunlich.

    Auch auf die Gefahr hin, wie ein sabbernder Klickstreckenschinderei-Leser rüberzukommen: Ein „nach langer schwerer Krankheit“, „überraschend“ oder „verunfallte“ würde mir es begreiflicher machen, dass er jetzt nicht mehr da ist.

    Heutzutage stirbt doch keiner einfach so in dem Alter!?

  7. Ich finde es immer traurig, wenn ich erst durch Nachrufe erfahre, dass es einen Menschen gab, den ich nicht kannte und der eine Lücke hinterlassen hat, bevor ich ihn bzw. sein Schaffen kennen lernen durfte.
    Mein Beileid denen, die links und rechts der Lücke stehen und ihn persönlich vermissen.

  8. Tja, bestimmt anstrengend einen Blog nicht zu Mögen, weil einem die dort veröffentlichten Fakten! nicht in das eigenen Weltbild passen.

  9. Hab mich gewundert, warum es schon lange keinen Artikel mehr von ihm bei netzpolitik gab.
    Und dann das! Unfassbar!

  10. @Frosch: hab ich doch gesagt dass das toll ist. Muss ich jetzt schon keine-ironie-tags setzen? :-)

    Ich finde Nachrufe besonders gut wenn man etwas zum lachen hat, auch wenn’s traurig ist. Graham Chapmans Trauerfeier zum Beispiel.

    Ansonsten könnt ich mich schon wieder über die Leute aufregen, die der Ansicht sind, eine Kommentarspalte unter einem Nachruf wäre der passende Ort für Kritik oder Grundsatzdiskussionen. #15 ist für mich schon wieder zu viel Trollerei.

  11. „Ich ahne, dass es auf viele Leute merkwürdig wirken mag, jemandem anhand alter Chatprotokolle zu gedenken.“

    Tatsächlich erscheint es mir merkwürdig, „jemandem“ zu gedenken – wo doch jeder weiß, dass man im Genitiv gedenkt, nicht im Dativ…

  12. @ Daniel:
    Vielleicht hast du Recht. Aber wenn ich die Wahl hätte, entweder gegen die deutsche Grammatik zu verstoßen oder ein kleiner Klugscheißer zu sein, der in der Kommentarspalte zu einem Nachruf, seinen … äh … Intellekt zeigen muss, müsste ich nicht lange überlegen.

  13. @23, 24: Eiwei geschrien – zunächst gedenke ich des mir unbekannten, aber hier nähergebrachten Verstorbenen und seines Wirkens (Anstand muß sein), sodann erlaube ich mir die höchst subjektive Ansicht, daß es bei dem zitierten Belles-lettres-Blogger leider von Fehlern und schiefen Sprachtürmen nur so wimmelt.

  14. Vielleicht bin ich einer der letzten, die jemandem, mit dem man selten einer Meinung war, hinterherweint.
    Ist ja Mode geworden, Polonaise um virtuelle „Grabstätten“ zu tanzen. Zu viele sehen Feinde, wo nur Mitbewerber, Konkurrenten, Andersdenkende sind. Mein Beileid den Angehörigen! Chapeau vor einer Haltung, die ich nicht immer teilen konnte, die aber eben doch eine Haltung war und Anerkennung verdient.

  15. Ich habe mir übrigens hier schon mal die Kommentarleiste (400 – 500 Kommentare) ausgedruckt und auf einer Zugfahrt gelesen (kein Witz). Das muss noch zu KND-Zeiten gewesen sein.

  16. @13: Alberto Green
    ich schließe mich an.

    werde mir zeit freischaufeln und nachlesen. sein stil war/ist sehr einnehmend.

  17. @olaf: Das ist nicht bekannt. Ich bin da ehrlich gesagt auch etwas hin – und hergerissen zwischen Neugier und Pietät. Wenn jemand so jung stirbt, dann möchte man es eben gerne wissen.

  18. „Ein freies Adverbiale“?

    Wenn ich die Peinlichkeit beginge, in einem Nachruf die Mutter aller Casus-Fehler einzubauen, würde ich’s nicht auch noch mit falschem Genus verteidigen, wenn jemand das moniert.

  19. @ Daniel:
    adverbiale ist das Neutrum von adverbialis. Ein lateinisches Adjektiv, das man auch substantivieren und so im Deutschen verwenden kann.

    Hast du eine Vorstellung, wie schwer es ist, bei dir die Contenance zu wahren?

  20. @ 36: Nö, „jemandem gedenken“ ist nach wie vor schlecht, höchstens als „Helvetismus“ zu rechtfertigen (wie es der Duden tut, der ja gern für die gesamte deutsche Sprachfamilie gelten möchte). Aber ich bin kein Schwyzer und sehe auch nicht ein, daß deren Regionalismen nördlich des Bodensees sich breitmachen (wie die Aga-Kröten).

  21. Bedeutung 1a ist u.a. „an jemanden zurückdenken“.

    Allerdings steht unter Bedeutungen und Beispiele bei „jemandem Gedenken“ nur „(besonders schweizerisch)“, woraus ich nicht ableiten kann, dass diese Verwendung nördlich des Bodensees ausgeschlossen wäre. Sprache lebt.

  22. @Daniel, kampfstampler, alter jakob: Ihr seid schon irgendwie alle schreckliche Menschen.

    Für mich war Jörg-Olaf Schäfer eher jemand, dessen Wirkung man als Hintergrundrauschen wahrnimmt. Will sagen: Ich habe seine Texte gelesen, ihn aber als Autoren nie wahrgenommen. Das war ein Fehler – mir ist jetzt erst beim Durchwühlen von Netzpolitik aufgefallen, wieviel von den Inhalten, die ich da so schätze, von ihm stammt. Sehr schade, seine Beiträge werden fehlen.

  23. @38, 39: Recht haben Sie – es ist schon etwas pietätlos, sich über grammatikalische Spitzfindigkeiten auszutauschen, während ein junger Autor nicht mehr die Gelegenheit haben wird, uns das alles mit Verve und Pointen um die Ohren zu hauen. Dennoch nehme man die Diskussion bitte als ein Stück Memorialkultur und Ausdruck des Gedenkens seiner (schon wieder Genitiv!) wahr. Mein „Eiwei geschrien“ (Nr. 25) ist die jüdische Formel für Trauer und Schmerz angesichts einer Nachricht vom Tode eines Menschen – wer über ihn mehr wissen wollte, ließ sich aus dem Memorbuch (seit dem Hochmittelalter) Namen, Todestag und einen kurzen Abriß seiner Taten vorlesen. Memores sui waren die Gemeindemitglieder, memoria sui wurde gepflegt – das galt in gleichem Maße für christliche und nachchristliche Kommunen. Und sehen Sie, liebe Linguisten, warum ich darauf beharre, daß man „eingedenk eines Verstorbenen“ ist?! Es gehört zum kommunitären Gedächtniswesen, daß die Gemeinde auch der Toten weiterhin als in der Erinnerung anwesend gedenkt. Der deutsche Genitiv ist somit an dieser Stelle ein integratives Element der „Gemeinschaft der Lebenden und der Toten“ – und nicht nur ein Relikt aus vormodernen Zeiten.
    Ach, und noch etwas zum ewigen Einwand „Sprache lebt“. Klar doch, tut sie – nur wie?! Meine Magdeburger Großmutter hatte bei den typischen Berliner Sprachnöten immer die schöne Schote parat: „Ick denk an Dir, ich denk an Dich – was richtig is, det weeß ick nich. Ick liebe Dir im 1. Fall, ick liebe Dir im 4. Fall – ick liebe Dir auf alle Fälle“.

  24. Sorry – das Adverbiale nehme ich zurück, Kapsberger hat mich überzeugt.
    „Gedenken“ im Dativ, weil der dem Genitiv sein Tod ist, mag ich allerdings immer noch nicht – eher kaufe ich Alberto Green einen Beruhigungs-Tee…

  25. Bemerkenswert finde ich auch die Aussage in vielen Beileidsbekundungen, dass „wir ihn nur online kannten“.

    Für mich ist das irgendwie so die silver lining bei all der Trauer. Die Erkenntnis, irgendwie, dass dieser intellektuelle Austausch viel mehr wert ist als die Anerkennung durch ein Treffen im „RL“ und es heutzutage ausreichen kann, wenn wir jemanden nur „online“ kennen.

  26. *Doppel-Seufz*

    Ich hatte immer sehr gerne gehabt, was er tat und schrieb. Nicht zuletzt mochte ich den Mann, der dahinter sichtbar wurde, seine Haltung und ja, auch seinen Humor. Wenn er einen Artikel verlinnkt hat, war das immer ein Sahnestück. Guten Geschmack hatte er auch. Ich danke ihm überdies den Beistand, den er mir gewährt hat. Er wird, so denke ich, ins Buch der Gerechten eingeschrieben werden.

    Was für ein Verlust für uns.

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