Kategorie: Fernsehblog

Börsenturbulenzen: Geht jetzt die Welt unter? Oder doch nur der ARD-„Brennpunkt“?

Man kann nur hoffen, dass die Berichterstattung über die Apokalypse bei der ARD nicht in die Zuständigkeit des Hessischen Rundfunks fällt. Allein der Gedanke, dass Chefredakteur Alois Theisen es sich natürlich nicht nehmen lassen würde, die Welt persönlich armerudernd abzumoderieren, sich dabei vollständig auf die Kompetenz eines einzigen Reiter-Experten verlassen müsste, der dann aber aufgrund anderweitiger Verpflichtungen doch nicht ins Studio käme, so dass der entsprechende „Brennpunkt“ ohne jede Gewissheit endete, ob sich der Kauf eines Apfelbäumchens lohnt oder ein Paar Gummistiefel reicht…

Am Montag sind, wie erwartet, die Kurse an den Börsen eingebrochen. Die ARD nahm deshalb nach der „Tagesschau“ einen viertelstündigen „Brennpunkt“ mit dem Titel „Turbulenzen an den Finanzmärkten“ ins Programm, der damit endete, dass Alois Theisen noch einmal konkret zusammenfasste, welche Fragen von dieser Sondersendung nicht beantwortet wurden:

„Wie wirkt sich das auf die Betriebe aus, der Kurssturz?

Was bedeutet das für unsere Arbeitsplätze?

Kommt jetzt die ganz große Krise der Weltwirtschaft?

Bricht vielleicht am Ende das Weltwirtschaftssystem zusammen?“

Die Antworten, sagte Theisen und entschuldigte sich dafür, musste sein „Brennpunkt“ den Zuschauern schuldig bleiben.

Die einzige Frage, die die Sendung tatsächlich beantwortete, lautete: Kommt Thomas Mayer, der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, der von der Redaktion offenbar mangels eigener Fachkenntnisse auserkoren war, all diese Fragen zu beantworten, noch im Laufe der Sendung zu Theisen ins Studio?

Die Antwort: Er kam nicht.

Der „Brennpunkt“ hatte mit einem Filmbericht begonnen, in dem ein Frankfurter Börsenmakler die Kurve des Dax in verschiedene Metaphern übersetzte. „Ich bin seit heute Anhänger von Sebastian Kneipp „, begann er, „Wechselbäder kalt und warm.“ (Lacher, Beifall oder ein närrisches Tätää wurden nicht eingespielt.) Der Mann fügte hinzu: „Es begann sehr positiv, weiß, dann wird es etwas schwieriger in den Märkten, grau, und zum Schluss muss man sagen, ist es dann doch noch ein schwarzer Montag geworden.“ Schön, dass einem endlich mal jemand diese komplexe Farbenmetaphorik erklärt hat.

Der Bericht endete mit einer Art Entwarnung. Der Sprecher sagte: „Es gilt die alte Börsenweisheit: Der Bulle schlägt den Bär – auf lange Sicht geht’s wieder nach oben.“

Im Anschluss setzte sich Alois Theisen ans Steuer des auf Hochtouren laufenden mobilen Bildergenerators: „Die Krise kam nicht mit einem großen Knall. Sie schleicht auf leisen Sohlen.“ Dann erklärte er, dass die negative Kursentwicklung eigentlich gar nicht der Lage der brummenden deutschen Wirtschaft und insbesondere der Automobilindustrie entspreche („Die Auftragsbücher sind voll“).

Es hätte ein Film darüber folgen sollen. Aber er kam nicht. Nach einigen Sekunden sagte Theisen:

„So, und der Beitrag liegt noch nicht vor. Es ist heute ganz hektisch. Unser Gesprächspartner, den wir hier im Studio haben wollten, den Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, ist auch noch nicht eingetroffen. Das ist Wahrscheinlich den Aufgeregtheiten, Nervositäten des Tages geschuldet. Wir hoffen noch.“

Zum Glück saß in New York schon die Korrespondentin Anja Bröker im ARD-Studio bereit, die Theisen körpersprachlich engagiert fragte, ob der Dow Jones immer noch weiter nach unten rutsche oder es ein Halten gebe. Sie hatte keinelei Hoffnung.

Nun wieder Theisen:

„Ja, und äh, was sagen denn die Fachleute an der New Yorker Börser, ist jetzt sozusagen die Schuldenkrise der Staaten, ist die jetzt in der realen Wirtschaft angekommen? Hat sich die Wirtschaft mit dem Bazillus infiziert?“

Das ist mal ein originelles Bild, das vielleicht ein klitzekleines Bisschen darunter leidet, dass die die, äh, Erkältung der Staaten nicht zuletzt daher rührt, dass sie so aufopferungsvoll alles dafür getan haben, die schwer verkühlte Wirtschaft dick einzupacken, und dafür die eigenen Mäntel und Schals opferte.

(Frau Bröker wies Herrn Theisen geduldig darauf hin, dass es der amerikanischen Wirtschaft sehr schlecht geht und sie sich nur extrem langsam erholt.)

In der Zwischenzeit war offenbar der Beitrag über die deutsche Wirtschaft fertiggeworden, und Theisen unterstrich deren „Brummen“ noch einmal mit einer Beckerschen Doppelfaust. Wort- und zahlenreich beschrieb der Film, wie unfassbar blendend es der deutschen Autoindustrie gehe und wie ungerecht es angesichts dessen sei, dass gerade deren Unternehmen besonders stark an der Börse verlören.

Zurück zu Alois Theisen:

„Ja, ist das alls nur Panik? Hat es mir der Wirklichkeit nichts mehr zu tun? Das würde ich jetzt gerne fragen Thomas Mayer, den Chefvolkswirt der deutschen Bank, der eigentlich zugesagt hatte, heute Abend hier bei uns zu sein. Noch ist er nicht eingetroffen. Vielleicht es ein Stau. Wir hoffen noch.“

Stattdessen erinnerte er die Zuschauer an den Beginn der Krise, den „verschleierten Bankrott“ Griechenlandes und die Politiker, die durch „Zaudern, Zögern und einen wirren Zickzack-Kurs“ in den Augen vieler Menschen zu „Versagern“ geworden seien. Immerhin habe sich die Krise um den Euro und die Staatsanleihen der hochverschuldeten europäischen Länder dank des Einschreitens der Europäischen Zentralbank nicht weiter verschärft, sagte Theisen, ein „kleiner Lichtblick an einem trüben Tag“ – und eine weitere Metapher im Bild:

„Sind es nur Kratzer an der Oberfläche? Oder ist der Euro auch in seinem Kern beschädigt?“

Zurück zu Theisen:

„Ja, ist das heute die Trendwende in der Schuldenkrise oder nur eine Atempause? (…) Die Märkte haben trotz des Lichtblicks bei den Staatsanleihen die Aktien weiter auf Talfahrt geschickt. Glauben sie den Politikern nicht mehr?“

Thomas Mayer, der all das hätte beantworten sollen, war immer noch nicht im Studio aufgetaucht, aber irgendjemand hatte nun offensichtlich entschieden, dass er es vermutlich in den restlichen fünf Minuten Sendezeit auch nicht mehr tun würde, und so zeigte der „Brennpunkt“ zwei Sätze, die Mayer vorher schon zum Thema in die Kameras des HR gesagt hatte.

Darauf Theisen:

„Ja, leider müssen wir ihnen weitere Antworten von Thomas Mayer schuldig bleiben. Er ist weiter nicht eingetroffen neben mir.“

Und so musste Frau Bröker in New York nochmal ran und wurde von Theisen einfach nochmal dasselbe gefragt:

„Was sagen denn die Experten an der Börse? Rutscht es heute noch weiter ab? Oder kann man davon sagen, die Börse in New York hat sich gefangen? Die Kurse geben nicht weiter nach? Haben wir am Ende des Tages vielleicht einen kleinen Lichtblick?“

Frau Bröker hatte auch jetzt keine aufmunterndere Antwort als fünf Minuten zuvor. Und so verabschiedete sich Theisen mit der oben zitierten Aufzählung sämtlicher Fragen, die dieser „Brennpunkt“ offen lassen musste, weil der einige Mensch auf der Welt, der sie nach Ansicht des Hessischen Rundfunks hätte beantworten können, nicht ins Studio gekommen war. Und fast möchte man diese Art von Journalismus loben, der nicht vorgibt, Antworten zu kennen. Aber es wäre doch schön gewesen, sich wenigstens mit den Fragen beschäftigt zu haben.

Elmar Theveßen und der „saubere Journalismus“ der Terrorismusexperten

Elmar Theveßen, der vom ZDF ernannte „Terrorismusexperte“, hat sich in einem ZDF-Blog über „selbsternannte Fernsehkritiker“ beschwert, die von seinen Auftritten am Freitag nach den Anschlägen in Norwegen nicht beeindruckt waren. Sie würden sich „Gesagtes für einen flockigen Artikel gern ein wenig zurechtbiegen“, meint Theveßen. Da ich in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ einen Artikel geschrieben habe, in dem Theveßen eine prominente negative Rolle einnimmt, fühle ich mich einfach mal angesprochen.

Theveßen widerspricht der Kritik, sich vorschnell auf einen islamistischen Hintergrund festgelegt zu haben. Er schreibt:

Tatsächlich waren die norwegischen Sicherheitsbehörden am Freitag ziemlich überzeugt, dass Islamisten hinter den Anschlägen steckten (…).

Deshalb war die Arbeitshypothese der Behörden in Norwegen – Islamismus – eindeutig, ohne andere Möglichkeiten auszuschließen: Organisiertes Verbrechen, Rechtsxtremismus, Amokläufer. Genauso haben wir am Freitag berichtet und dabei Quellen genannt, Fakten von Vermutungen getrennt und auch die anderen möglichen Tätergruppen besprochen.

Schön wär’s gewesen. Im Gespräch mit Theveßen in der „heute“-Sendung um 19 Uhr kam die Möglichkeit, dass es sich nicht um Islamisten handelt, mit keinem Wort vor:

Petra Gerster: Bei mir im Studio ist jetzt Elmar Theveßen, unser Terrorismus-Experte. Elmar, wer könnte denn überhaupt als Urheber für diese Tat in Frage kommen?

Theveßen: Wir hatten heute am Nachmittag Kontakt mit norwegischen Sicherheitsbehörden. Und diese Behörden gehen davon aus, dass Al-Qaida oder islamistische Terroristen hinter diesen Anschlägen stecken. (…) Das sieht auch nach Sicht der Behörden nach einer organisierten Terrorwelle in Norwegen aus. (…) Wir wissen, dass ein führender Hassprediger in Norwegen seit vielen Jahren residiert. Und wir wissen auch, dass in der islamistischen Szene in Norwegen die Beteiligung an den Angriffen in Libyen in den vergangenen Monaten sehr viel Hass und Ärger und Wut verursacht haben.

Auch das „heute journal“, das um 22 Uhr begann, ging von einem islamistischen Hintergrund aus. Daran ließen schon die einleitenden Worte von Moderatorin Maybrit Illner keinen Zweifel:

Illner: Das ist ein bitterer Tag für Norwegen, und ein bitterer Tag für Europa. Der Terror ist zurück.

Das Gespräch mit Theveßen verlief dann so:

Illner: Und bei uns im Studio ist jetzt Elmar Theveßen, der ZDF-Terrorismusexperte. Elmar, die Polizei hat gerade bestätigt, dass diese beiden Taten in einem Zusammenhang stehen. Macht das die Suche nach dem Täter oder den Tätern leichter?

Theveßen: (…) Insofern [ist es] völlig möglich, dass ein einzelner Täter beide Taten verübt hat. Das heißt noch nicht, dass er nicht Helfer und Unterstützer hatte. Die Polizei sagte auch, dass man davon ausgeht, dass es sich bei diesem Mann um einen Norweger handelt, einen Mann nordischen Aussehens auch, und das nährt natürlich den Verdacht, dass es sich um eine lokale, örtliche Gruppe handeln könnte. Das hat auch die Polizei gesagt, ohne aber detailliert dann zu sagen, ob es auch islamistische Kreise innerhalb des Landes sein können oder politisch orientierte Gruppierungen – international organisierter Terrorismus scheint zunehmend unwahrscheinlich.

Illner: Und dennoch gibt es ja ein Bekennerschreiben.

Theveßen: Ja. Es gibt ein Bekennerschreiben. Das ist eine Gruppe, die sich auf den einschlägigen Foren im Internet zu Wort gemeldet hat, eine islamistische Gruppe, deren Namen man bisher nicht kannte. Und die bekennt sich zu diesen Anschlägen. Sie behauptet, dass sie zu tun hätten mit den norwegischen Soldaten, die in Afghanistan Dienst leisten, und auch mit Beleidigungen gegen den Propheten. Das heißt, es wurde zumindest der Eindruck erweckt, dass ein islamistischer Hintergrund da ist. Das ist auch nach wie vor nicht ausgeschlossen. Die Polizei gibt keine weiteren Details zum Täter derzeit bekannt, und insofern muss man die Ermittlungen abwarten.

Illner: In beiden Fällen erscheint es ein gezielter Angriff auf die norwegische Regierung zu sein, also muss man politische Gründe vermuten?

Theveßen: Davon geht die Polizei auch nach jetzigem Stand aus, dass es eher politische Gründe hat. Das könnte einerseits natürlich Islamismus sein, der Einsatz in Afghanistan beispielsweise, die massive Beteiligung Norwegens an den Luftangriffen in Libyen beispielsweise, im Rahmen der Nato-Einsätze, das alles hat in Islamisten-Kreisen für jede Menge Hass und Ärger gesorgt. Einer der führenden Hassprediger der Islamisten in Norwegen selber ist vor zwei Wochen angeklagt worden, hat wüste Drohungen gegen die Regierung ausgestoßen. Aber es gibt offenbar auch andere Bereiche in der Gesellschaft, die wegen einer Politik in der Welt auch massiv Wut und Ärger empfindet über die Politik dieser Regierung, auch da aus diesem Umfeld. Man will es nicht genauer qualifizieren, Rechtsextremismus möglicherweise, da ist die Polizei sehr vorsichtig, aber auch aus diesem Umfeld wären solche Angriffe vorstellbar.

Illner: Die letzte große Terrorwelle hat es in Schweden im letzten Jahr gegeben. Nun Norwegen. Warum konzentriert sich das auf Skandinavien, wenigstens möchte man den Eindruck haben?

Theveßen: Naja, momentan sagt die europäische Polizeibehörde, konzentriert es sich in der Tat auf Skandinavien. Wir hatten einen Anschlagsversuch in Stockholm, wir hatten Festnahmen in Norwegen. Wir hatten eine Festnahme auch in Kopenhagen. Islamisten gerade in diesen Ländern sind sehr stark, finden fruchtbaren Boden, um junge Leute zu rekrutieren. Aber, und hier liegt das große Fragezeichen, es ist eben nicht klar, ob es Islamistenkreise waren, die hinter diesen schrecklichen Attacken heute stecken.

Theveßens Thema an diesem Tag ist: Islamismus. Jedesmal, wenn das Gespräch für einen Moment auf eine der anderen Möglichkeiten schwenkt, bringt er es zum Islamismus zurück. Wenn die Polizei sagt, die Taten hätten wohl einen norwegischen Hintergrund, sagt Theveßen, das könnten ja auch islamistische Norweger sein. Wenn die Polizei sagt, man müsse die Ermittlungen abwarten, deutet Theveßen das als Aufforderung, solange weiter über einen islamistischen Hintergrund zu spekulieren. Nach der winzigen Andeutung, es könnten auch rechtsradikale Motive hinter den Anschlägen stecken, folgt erneut ein Ausflug in Häufung islamistischer Aktivitäten in Skandinavien. Das „große Fragezeichen“, das Theveßen ausmacht, ist bei ihm ein winziger Satzzeichenkrümel.

Das setzt sich auch am Ende der Sendung fort, als eigentlich Zeit genug vergangen wäre, um sich als Terrorismusexperte zu fragen, wie plausibel es ist, dass Islamisten ausgerechnet ein Massaker unter sozialdemokratischen Jugendlichen anrichten sollten.

Illner: Elmar, nochmal die Frage, wenn es sich dann eher um regionale oder gegebenenfalls eben nationale Täter handelt, ist damit die Spekulation um einen islamistischen Hintergrund perdü? Eher nein.

Theveßen: Die Polizei ist da sehr vorsichtig. Man muss noch den Hintergrund dieses Mannes erkunden, es gibt tatsächlich Hinweise darauf, dass derselbe Mann, der auf der Insel so viele Jugendliche getötet hat, auch derjenige ist, der in Oslo selber für das Bombenattentat heute verantwortlich ist. (…) Also, ganz ausgeschlossen ist nicht, dass er in Netzwerke eingeschlossen ist. Welcher Art diese Netzwerke sind, Islamisten oder nicht, das können nur die Ermittlungen der nächsten Tage zeigen.

Illner: Und insofern kann dieses Bekennerschreiben auch schlicht ein Fake gewesen sein?

Theveßen: Absolut möglich, dass es Trittbrettfahrer waren. Schon einmal haben wir ja eben gesagt, dass diese Gruppe bisher unbekannt war. Man weiß, dass Islamisten Skandinavien im Visier haben, insofern passt das alles zusammen. Auch die Sicherheitsbehörden, mit denen wir heute am Tag geredet haben, gingen erstmal deutlich von einem Al-Qaida-Hintergrund aus, weil alles zusammenpasste. Aber wir merken, dass jetzt im Internet beispielsweise in den Chat-Rooms, gerade Islamisten sich sehr freuen über diese schreckliche Tat, sie nutzen das für ihre eigene Propaganda und spornen momentan im Internet ihre Mitglieder an, selber auch aktiv zu werden. Wenn es denn am Ende sich herausstellt, dass dieses dann doch ein Islamist wäre, dann würde das umso mehr obendrein auch noch ein Propaganda-Erfolg für die Islamisten sein.

Illner: Wie groß ist, alles in allem, die Gefahr, dass Teile dieser Bewegung, Teile dieser Anschlagsserie auch Deutschland erreichen in irgendeiner Form?

Theveßen: Es hängt wirklich von diesem Hintergrund ab. Ist es ein Einzeltäter, der in der Lage war, all das vorzubereiten und durchzuführen, dann ist die Bedrohung für Deutschland natürlich gering. (…) Aber das Szenario, was wir heute gesehen haben, eine Bombenattacke mit einer Autobombe und dann einer Schießerei, das entspricht den Szenarien, die in den vergangenen Monaten Gegenstand von Terrorwarnungen in Europa, auch in Deutschland, gewesen sind, und die Sicherheitsbehörden sind überzeugt, dass ähnliche Planungen auch in Deutschland in Gange sind, aber ganz offenbar bisher nicht ausgeführt werden konnten. Also erhöhte Wachsamkeit, aber nicht notwendigerweise aus dem, was heute in Norwegen passiert ist, rückfolgern, dass auch in Deutschland Anschläge geschehen.

Illner: (…) Glauben Sie, dass das jetzt auch [in Skandinavien] zu einer zusätzlichen Alarmsituation führen wird?

Theveßen: Also, wir wissen, das die skandinavischen Behörden gerade im vergangenen Jahr sehr wachsam geworden sind. Weil sie gemerkt haben, Skandinavien steht im Visier islamischer Terroristen. Es gab mehrere Anschlagsversuche, nicht erfolgreich, Gott sei dank. Es gab eine Menge von Festnahmen. Aber man hat vielleicht auch zu sehr in diese Richtung geguckt – genau so wie man heute Nachmittag vermutete, aha, islamistischer Hintergrund. Und deswegen werden die Sicherheitsbehören in Skandinavien jetzt sehr genau hingucken, wer vielleicht noch in einer solchen Gesellschaft in Frage kommt, solche schrecklichen Angriffe durchzuführen.

Man hört es im Nachhinein förmlich Knirschen im Gebälk der Islamistenthese, die sich Theveßen zusammengezimmert hat. Sicher, sagt er, das Bekennerschreiben könnte falsch sein, aber es würde schon alles gut zusammen passen. Und ob es sich nun bei diesen Anschlägen um islamistischen Terror handelt oder nicht, ist fast egal, denn der islamistische Terror plant genau solche Anschläge wie diese.

Ganz am Schluss, im Zusammenhang mit der Tatsache, dass Skandinavien besonders im Visier von Islamisten stehe, kriegt Theveßen die Kurve und deutet an, was im Kontext seiner völligen Fixierung auf Islamismus paradox wirken muss: Dass „man vielleicht auch zu sehr in diese Richtung geguckt“ habe. In seinem Blogeintrag erklärt er, wie er diesen winzigen Schlenker verstanden wissen will:

Schon im heute journal redeten wir über die Möglichkeit, dass die Sicherheitsbehörden und wir alle – nicht nur an diesem Tag, sondern auch längst vorher – zu sehr in nur eine Richtung geschaut hätten.

Und hier, als Vergleich zu dem oben dokumentierten Ablauf der Gespräche in „heute“ und „heute journal“ noch einmal, wie der Terrorismusexperte den Abend und seine Auftritte im ZDF-Blog erinnert:

Deshalb war die Arbeitshypothese der Behörden in Norwegen – Islamismus – eindeutig, ohne andere Möglichkeiten auszuschließen: Organisiertes Verbrechen, Rechtsxtremismus, Amokläufer. Genauso haben wir am Freitag berichtet und dabei Quellen genannt, Fakten von Vermutungen getrennt und auch die anderen möglichen Tätergruppen besprochen. Thema war auch das faktisch vorliegende Bekennerschreiben einer „unbekannten“ Gruppierung, die wir im ZDF aber als „mögliche Trittbrettfahrer“ qualifiziert haben. Dass wir dennoch am Ende nicht richtig lagen, ist ärgerlich – zumal auch bei früheren Anschlägen manchmal schnell falsche Annahmen die Runde machten: Nach den Anschlägen von Oklahoma City in Richtung Islamismus und nach denen von Madrid in Richtung ETA. In beiden Fällen aber geschah dies auf Basis der Informationen von Regierungs- und Sicherheitsbehörden. Solange diese Quellen genannt werden – wie bei uns geschehen – und auch ansonsten vorsichtig formuliert wird, war die journalistische Arbeit sauber.

Theveßen hat hier offenbar seinen Terrorismusexperten-Hut gegen seinen Stellvertretender-Chefredakteur-Hut ausgetauscht und bescheinigt sich selbst, „journalistisch sauber“ gearbeitet zu haben. Das heißt wohl soviel wie: Wir haben uns zwar komplett verfahren, aber immer die Geschwindigkeitsbegrenzung eingehalten.

Außerdem, fügt er hinzu, habe das ZDF schon 2007 über die Gefahr der Islamhasser-Szene berichtet; zumindest bei Theveßen scheint das aber ja keinen bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben.

Theveßens Blogeintrag ist ein pampiges „Wohl!“ oder „Selber!“ ohne eine Spur von Selbstkritik. Und vielleicht der beunruhigendste Gedanke ist der, den er gleich am Anfang formuliert:

Kreuzzügler oder Islamisten – wenn wir am Freitagnachmittag und -abend diese beiden Möglichkeiten als Hintergrund der brutalen Anschläge in Norwegen diskutiert hätten, dann hätten viele gesagt: „Die sind ja verrückt“.

Ich glaube nicht, dass Theveßen am Freitag überhaupt auf die Idee gekommen wäre, diese beiden Möglichkeiten zu diskutieren, dazu war er viel zu fixiert auf eine von beiden. Aber mit seiner Sorge, dann für verrückt gehalten worden zu sein, trifft er einen Kern des Problems: Die Medien sind viel zu sehr darauf bedacht, die (vermeintlichen) Erwartungen des Publikums zu erfüllen, und sie nicht mit Dingen zu konfrontieren, die sie nicht hören wollen. Das Publikum erwartet, dass die Medien (und zumal ihre „Terrorexperten“ mit Zugang zu privilegierten Informationen) ihnen unmittelbar nach einem solchen Anschlag sagen, wer dahintersteckt. Und natürlich haben viele Medien-Rezipienten denselben Reflex wie die Medien-Produzenten: Großer Bombenanschlag? Al-Qaida!

Es wäre eine erste gute Konsequenz aus dem kollektiven Medienversagen am Freitag, wenn der Gedanke Raum fände, dass eine wichtige Aufgabe von Journalismus in solchen Situationen wäre, den Wunsch des Publikums nach schnellen und einfachen Antworten zu enttäuschen. Nicht Wissen und Expertentum zu simulieren und nicht unmittelbar mit der Thesenproduktion zu beginnen. Und in Sätzen wie „Die Ermittlungen müssen abgewartet werden“ nicht Floskeln, sondern Handlungsaufforderungen zu sehen. Das wäre eine tolle Aufgabe für echte Terrorismusexperten in den Medien: Mit großer Beharrlichkeit dem Drängen der Moderatoren, sofort Antworten und Erklärungen parat zu haben, zu widerstehen, und als retadierendes Moment im Breaking-News-Hysterie zu funktionieren: „Nein, Frau Illner, man kann das wirklich noch nicht sagen / Es ist zu früh dafür / Wir wissen es noch nicht / Seriös lässt sich das nicht beantworten / Lassen Sie uns da nicht spekulieren.“

Ich bin kein Terrorismusexperte. Ich weiß nicht, was die norwegischen Sicherheitsbehörden, die am Freitagnachmittag Zeit fanden, mit der Terrorismusexpertenredaktion des ZDF zu sprechen, zu diesem Zeitpunkt wirklich annahmen. Offiziell haben sie sich nicht geäußert. Es liegt in der Natur des Journalismus, gerade auch Dinge herausfinden zu wollen, die (noch) nicht öffentlich und offiziell gemacht wurden. Aber Theveßen scheint auch im Nachhinein nicht auf die Idee zu kommen, dass es Situationen gibt, in denen es gute Gründe für Behörden gibt, unbestätigte Annahmen noch nicht öffentlich zu machen, und es dann auch gute Gründe für Journalisten geben könnte, solche Spekulationen zumindest nicht zur Grundlage für ihre Berichterstattung zu machen.

Es muss eine schmerzhafte Erkenntnis für die Theveßens der Welt sein, dass die Menschen am Freitag besser informiert gewesen wären, wenn es sie nicht gegeben hätte. „Expertise oder Spekulation?“ hat Theveßen seinen Blogeintrag überschrieben. Ich fürchte, er hält das für eine rhetorische Frage.

Fahndungsaufruf: Gesucht wird… die Logik im „Polizeiruf 110“

Kann mir bitte jemand erklären, was da heute im „Polizeiruf“ passiert ist?

Entweder liegt es an mir – ich bin durchaus häufiger in irgendwelchen privaten oder semiberuflichen Runden derjenige, der als einziger die entscheidende Verbindung zwischen Mörder und Opfer nicht verstanden hat. Oder die Geschichte, die dieser „Polizeiruf“ aus Brandenburg erzählt hat (der erste mit Maria Simon als Hauptkommissarin Olga Lenski), war totaler Unsinn.

Fangen wir mit einem Detail an. Folgende Situation. Ein Häftling ist aus dem Freigang nicht zurückgekehrt. Werner Linsing, ein früherer Arbeitskollege von ihm, hat die Polizei alarmiert, dass er bei ihm sei. Die neue Kommissarin und der alte Krause fahren zu ihm und klingeln. Linsing macht die Tür auf, aber nur einen kleinen Spalt, so dass man nicht in die Wohnung gucken kann. Neinneinnein, sagt er, ach was, der sei schon wieder weg, der Typ, der sei auch gar nicht hochgekommen, neinnein, hat sich erledigt, undtschüß.


Jeder Zuschauer, der schon mehr als null Krimis in seinem Leben gesehen hat, weiß: Der Häftling steht neben ihm hinter der Tür und bedroht ihn. Tatsache:

Frau Lenski und Herr Krause aber sind anscheinend keine Krimigucker, merken nichts und gehen.

Nun ist es nicht so, dass Frau Lenski blind, blöd oder unaufmerksam wäre. Noch im Fahrstuhl fällt ihr ein, dass es in der Wohnung gerade nach Zigarettenqualm roch und Stunden vorher jemand in einem ganz anderen Zusammenhang nebenbei erwähnt hatte, dass Linsing gar nicht raucht. Daraus, nicht aus der eindeutigen Reaktion des Mannes in der Tür, schließt sie, dass da was nicht stimmt. Sie rennt die Treppen wieder rauf, bricht in die Wohnung ein und findet Lensing tot an seinem Schreibtisch.

So. Testfrage. Was machen Hauptkommissarin Olga Lenski und Hauptmeister Horst Krause als nächstes? Sie rennen wieder ins Treppenhaus, denn weit kann der Mörder ja nicht sein? Sie holen Verstärkung, um gemeinsam das Haus zu durchkämmen? Sie schauen aus dem Fenster, ob sie unten jemanden weglaufen sehen?

Aber nein. Sie stellen fast, dass der Mann auch wirklich tot ist und rufen entspannt die Spurensicherung.

Hallo?

Nun ist das für den Plot dieses „Polizeirufs“ eine, zugegeben, eher kleine, nicht entscheidende Delle im Ablauf. Es ist nicht die einzige. Vor allem aber ergibt sich bei der Auflösung des Falles ein Logikloch von der Größe Celles.

Ich versuche das Geschehen mal chronologisch zusammenzufassen, wie ich es verstanden habe. (Spoiler-Warnung für alle, die die Sendung nicht gesehen haben und trotz dieses Eintrags noch ansehen wollen, zum Beispiel hier in der Mediathek.) Also.

Ulrich Oppmann, der ehrgeizige Leiter eines astrophysikalischen Instituts, will ein Superfernrohr bauen, kommt aber an entscheidender Stelle nicht weiter. Den Durchbruch verdankt er einer genialen Idee seines Feinmechanikers Felix Diest. Er will aber dessen Leistung nicht anerkennen und kündigt ihm. Diest rächt sich, indem er Oppmanns kleine Tochter entführt. Er kommt dabei in eine Polizeikontrolle, gerät in Panik und überfährt einen Beamten. Bevor er dafür ins Gefängnis geht, überlässt er das entführte Kind seiner Schwester, gibt es als seines aus und sie dann als ihres.

Fünf Jahre später. Frau Oppmann macht sich immer noch täglich verrückt wegen ihrer verschwundenen Tochter, was die Ehe belastet, aber auch verhindert, dass Herr Oppmann sie für seine Sekretärin verlässt. Oppmann bekommt den Nobelpreis für die Erfindung, die er als seine ausgegeben hat. Diest nutzt einen Freigang für einen Versuch, Oppmann dazu zu bringen, ihm die Hälfte des Preisgeldes zu geben und die Wahrheit zu sagen. Er entführt das Mädchen, das immer noch bei seiner Schwester lebt, aus dem Kindergarten und zwingt seinen ehemaligen Arbeitskollegin Linsing (siehe oben), ihm Papiere zu geben, die womöglich seine Urheberschaft beweisen. Linsing stirbt an einem Herzinfarkt. Oppmanns guckt in der Mitarbeiterakte die Adresse von Diests Schwester nach und fährt hin, weil er dort sein Kind vermutet. Es kommt zu einem Showdown mit sämtlichen Beteiligten in Oppmanns Villa, wo Diest nun auch noch Oppmanns Frau als Geisel genommen hat, um Oppmann zu zwingen zuzugeben, dass die Erfindung nicht seine Idee war. Das Kind wird gefunden, Diest kommt wieder in Haft und nimmt sich dort das Leben.

Mh?

Ich kann nicht garantieren, dass diese Zusammenfassung stimmt, womöglich habe ich da Dinge durcheinandergebracht. Diverse Kollegen haben sehr anerkennend über diesen „Polizeiruf 110“ geschrieben, anscheinend ohne solche Plausibilitätsprobleme gehabt zu haben oder in ein Logikloch gestolpert zu sein. Vielleicht kann mir also jemand folgende Fragen beantworten:

— Wenn Professor Oppmann ahnte, dass es Diest war, der seine Tochter entführt hat, warum hat er das nicht der Polizei gesagt? Oder hat früher schon einmal bei Diests Schwester (deren Adresse ja in Diests Personalakte stand) nachgesehen? Etwa aus Angst, dass Diest dann verrät, dass das Superfernrohr gar nicht Oppmanns Erfindung war? Wirklich?

— Und Diests Schwester hat es einfach so hingenommen, dass Diest plötzlich ein kleines Kind hatte? Und hat das Mädchen dann einfach fünf Jahre umsorgt? Und es wollte nie irgendein Amt oder der Kindergarten irgendein Dokument sehen, dass das Mädchen identifiziert?

— Warum hat Diest das Mädchen bei seinem Freigang noch einmal entführt? Es war doch ohnehin schon bei seiner Schwester. Der musste er es doch nicht wegnehmen, um Oppmann erpressen zu können.

— Und wenn er schon das Mädchen hatte, warum brauchte er dann auch noch die Dokumente aus der Firma, um Oppmann unter Druck zu setzen? Oder hatte er gemerkt, dass Oppmann das Mädchen egal war? Aber warum hätte er es dann noch einmal entführen müssen?

— Oder ist das Mädchen gar nicht noch einmal entführt worden, sondern nur dem Igel hinterhergelaufen, der zufällig auf Diests Boot tappste, wo dann versehentlich die Tür hinter dem Kind zu und ins Schloss fiel?

Okay, die letzte Variante ist noch unwahrscheinlicher als die anderen. Aber ich kapier’s wirklich nicht.

Sachdienliche Hinweise bitte an eines unserer Aufnahmestudios oder unten in die Kommentare.

Die Bemühtlaunigkeit von „NDR-aktuell“: Nachrichten, so lustig wie Thomas Kausch

Es wäre irreführend, die neue Nachrichtensendung im NDR-Fernsehen „lustig“ zu nennen. Es scheint nur so, als hätte jemand den Autoren ein Merkblatt geben, auf dem das Wort „locker“ nicht nur groß und fett stand, sondern sicherheitshalber auch noch gelb markiert, rot eingekringelt und mit drei Ausrufezeichen versehen war. Entsprechend angestrengt wirkt das jetzt.

Vergangene Woche war der tschechische Präsident Václav Klaus zu Besuch in Hamburg. In „NDR-aktuell“ klang das so:

„Im Grunde war das heute in Hamburg ein Staatsbesuch ohne den eigentlichen Gastgeber. Tschechiens Präsident Klaus war da, aber eben der erste Bürgermeister nicht. Wo Olaf Scholz war, kann später erwähnt werden. Erstmal schrieb sich Vaclaw Klaus ins Goldene Buch der Stadt ein und zeigte diesmal kein übersteigertes Interesse am Füller. Bei einem Staatsbesuch in Chile hatte Klaus kürzlich während einer Pressekonferenz einen Kugelschreiber mitgehen lassen. Von Hamburgs zweiter Bürgermeisterin bekam er zumindest so etwas wie das passende Etui dazu. Zu beantworten ist dann noch die Frage, wo denn eigentlich Olaf Scholz, der ursprünglich eingeplante Gastgeber, so herumlief. In Washington. Im Schlepptau der Bundeskanzlerin auf Staatsbesuch in den USA, hier in der zweiten Reihe. Für so einen Termin versetzt man dann doch mal tschechische Präsidenten.“

Soviel Bemühtlaunigkeit ist natürlich immer noch besser als die schablonenhaft staatstragend-lokalpatriotische Fassung, mit der das „Hamburg Journal“ wenige Stunden zuvor dasselbe Ereignis aufbereitet hatte und in der der tschechische Präsident in Hamburg von den glänzenden Beziehungen seines Landes zur Hansestadt schwärmt und der Erste Bürgermeister in Washington von den glänzenden Beziehungen seiner Stadt zu Amerika.

Jedenfalls hat das dritte Programm des Norddeutschen Rundfunks seit einer Woche fast eine richtige Nachrichtensendung, was man prinzipiell begrüßen müsste, wäre es nicht so peinlich, dass es das all die Jahre nicht gab: regelmäßige tagesaktuelle Informationen im Hauptabendprogramm. Unter dem früheren Chef Volker Herres, dem heutigen Programmdirektor des Ersten, war zwischen all den „Tatort“-Wiederholungen und siebzigtausend Quiz-Shows aber auch einfach kein Platz für sowas.

„NDR-aktuell“ ist zehn bis fünfzehn Minuten lang, läuft werktags um 21.45 Uhr, wird im wöchentlichen Wechsel von Ellen Frauenknecht und Thomas Kausch moderiert und kommt aus Hannover. Das ist wohl ein Zugständnis der Vier-Länder-Anstalt an die niedersächsische Landesregieunrg und einigermaßen absurd, weil die Infrastruktur für die aktuelle Berichterstattung (auch des NDR-Fernsehens) sonst in Hamburg ist. Andererseits ist „NDR-aktuell“, wie es im Abspann heißt, ohnehin eine Sendung der vier Landesfunkhäuser. Die bestücken „NDR-aktuell“ mit umgestrickten und auf locker getrimmten Versionen von Beiträgen ihrer Regionalmagazine.

In der ersten Woche ging es, natürlich, immer wieder um EHEC, wobei sich die „NDR-aktuell“-Version eines Filmberichtes über Bauern, die ihr Gemüse am Freitag in der Hamburger Fußgängerzone an Pasasnten verschenkten, kaum wieder einkriegen konnte, wie ironisch das war, dass dann die Entwarnung für Gurken, Tomaten und Salat kam und die Landwirte ihr Zeugs plötzlich doch loswurden, aber wiederum nichts verdienten. Ein Bericht über die Überschwemmungen fragte am Anfang, ob die Menschen denn alle nicht am Tag vorher die Warnungen vor den Unwettern gehört hatten, um am Ende zu merken, dass man auch nicht wüsste, wie man darauf reagieren könnte. Der Sprecher formulierte gespreizt: „Bleibt die berechtigte Frage – und sie bleibt ohne Antwort: Was tun gegen Land unter?“

Weil auch ein Fitness-Studio überschwemmt wurde, hieß es aus dem Off: „Es wird eine ordentliche Kraftanstrengung werden, hier wieder alles fit zu machen.“ Als am Mittwoch starke Sonnenstürme entdeckt wurden, begann Moderator Kausch die Sendung mit dem Satz: „Heute morgen hatten wir schon Sorge, dass Sie uns heute abend nicht sehen können.“ Und zu den Standard-Aufnahmen von einer Experten- und Politikerrunde zum Thema EHEC hieß es mit erstaunlichem Zynismus: „Alle haben ein Wasser getrunken und einen Keks gegessen und sich dann selbst bescheinigt, so schlecht ist unser Krisenmanagement nicht. Sicher, es kann etwas verbessert werden, aber das klären wir nach der Krise.“

Fast alles ist auf eine thomaskauschhafte Art halb schnoddrig, halb wichtigtuerisch formuliert (er verabschiedet sich statt mit „Ciao“ wie früher in „heute nacht“ jetzt mit dem Satz: „Danke für Ihr Vertrauen“). Dieser Tonfall müsste nicht das Schlechteste sein, wenn in der hübschen Verpackung nicht regelmäßig der Sinn verloren ginge. So schön es ist, dass die Sendung Ambitionen hat und sich die Verantwortlichen offenbar bemühen, Inhalte in einer attraktiven und leicht zugänglichen Form zu präsentieren – warum, zum Beispiel, eine Hauptschule in Niedersachsen vor den Problemen mit ihren Schülern kapituliert und eine Gesamtschule am anderen Tag als Vorbild ausgezeichnet wird, vermag „NDR-aktuell“ nicht einmal im Ansatz zu erklären.

Die Sendung lässt es lieber menscheln und begleitet am Tag des Atomausstiegs eine Selbsthilfegruppe krebskranker Frauen in Krümmel. “ Nicht nur Überblick, sondern Durchblick, das wollen wir Ihnen bieten“, hatte Thomas Kausch am Beginn der Premierenausgabe gesagt, realitätsnäher war seine Überleitung wenige Minuten später: „Soweit die Fakten. Aber es ist auch ein Tag der Emotionen, heute, nirgendwo gibt es wohl so viel Erleichterung und zugleich auch Verbitterung wie in Krümmel. Nirgendwo sind nach ihren Beobachtungen so geballt Leukämiefälle aufgetreten, Krankheit und Tod.“ Fakten liefert der folgende Beitrag tatsächlich keine, nur ebenso verständliche wie blinde Wut der Betroffenen, die mit dem Ausstiegsbeschluss fast nichts zu tun hat. Immerhin hat „NDR-aktuell“ aus der „Hallo Niedersachsen“-Version des Berichtes den unerträglich kitschig-propagandistischen Teil herausgeschnitten, in dem ein kleiner Junge ein Gedicht vorliest, das er seinem vor einigen Jahren an Leukämie verstorbenen Freund geschrieben hat.

„NDR-aktuell“ informiert seine Zuschauer nicht so sehr mit Berichten, sondern erzählt ihnen vor allem Geschichten. Die Quote ist gut: Die Premierensendung hatte sogar deutlich mehr Zuschauer als der unmittelbar davor laufende Leipziger Zoo-Serienkitsch „Tierärztin Dr. Mertens“, für dessen Wiederholung im NDR-Fernsehen es sicher auch einen Grund gibt, wenn auch keinen guten.

Vorgerichterstattung und Nachverurteilung: Das Kachelmann-Urteil im Fernsehen

Reporterin: Wieso äußert sich Herr Kachelmann denn jetzt nicht vor der Presse?

Anwalt Johann Schwenn: Warum sollte er das tun? Damit Sie ihn fragen, wie es ihm geht?

* * *

Eines muss man den n-tv-Leuten lassen: Sie schaffen es, ihre eigene Hölle anzumoderieren, als sei sie das Paradies.

Stolz und Vorfreude spiegeln sich im Gesicht von Moderator Ulrich von der Osten, als er um 8.30 Uhr eine Sondersendung zum Kachelmann-Prozess mit den Worten eröffnet:

„Um 9 Uhr verkündigt die Strafkammer des Landgerichts Mannheim das Urteil gegen den ehemaligen Wettermoderator, und wir werden ganz viel bis dahin auch schon nach Mannheim schalten.“

Natürlich hatte n-tv auch zuvor schon „ganz viel“ nach Mannheim geschaltet, zu einem routinierten und doch bemitleidenswerten Reporter namens Thomas Präkelt. Erst dreizehn Minuten zuvor hat der Moderator ihn gefragt: „Wann werden die ersten Beteiligten im Gerichtsgebäude erwartet?“ Und Präkelt hat die Schlange von Zuschauern vor dem Gebäude gezeigt und die „relative Leere“ im Foyer: „Es sind also noch nicht so viele Kollegen reingekommen“, stellt er fest, als hätte das irgendeine Bedeutung für ihn, die Zuschauer, Jörg Kachelmann, das Gericht, die Welt.

* * *

Das tollste und schlimmste an Tagen wie diesen ist immer die Vorberichterstattung im Fernsehen. Der Zuschauer ist das von Sportereignissen so gewohnt, dass man nicht erst anfängt, wenn es losgeht, und für einen Sender wie n-tv ist so ein Prozess („einer der aufsehenerregendsten in der deutschen Nachkriegsgeschichte“) auch nichts anderes als ein Sportereignis. Konsequenterweise bezeichnet n-tv die Urteilsverkündung als „Finale“ im Kachelmann-Prozess.

8.32 Uhr, Nachfrage beim Reporter: „Thomas, was tut sich denn bei Ihnen? Herrscht so kurz vor dem Urteilsspruch weiter reger Andrang?“ Man wünschte sich, er antwortete nur einmal: „Nein, Ulrich, die Leute sind jetzt plötzlich alle nach Hause gegangen, um sich das lieber im Fernsehen anzusehen.“

Er weiß zu berichten, dass Kachelmann „in wenigen Minuten in die Tiefgarage des Landgerichtes einfahren wird“. Er habe den Kopf wieder auf die Hand gestützt, so dass man sein Gesicht nicht so gut erkennen könne: „Auch an diesem letzten, finalen Tag hat er sich der Öffentlichkeit verweigert.“ Im Gerichtssaal sei jede Form von elektronischen Gerät verboten, mit dem man die Urteilsverkündung aufnehmen könne, was streng kontrolliert werde, erzählt Präkelt und weiß auch wieso: „Ich glaube, dass YouTube und andere Verbreitungswege sehr dankbar wären, wenn es sowas gäbe.“ YouTube und andere Verbreitungswege, natürlich.

Zwei Stunden später wird der n-tv-Kameramann hinter dem Wagen hinterherlaufen, in dem Kachelmann und zwei seiner Anwälte sitzen. „Jeder versucht natürlich, jetzt nochmal ein Foto von Jörg Kachelmann in Freiheit zu bekommen“, erklärt Präkelt. Der n-tv-Kameramann beweist in dem ganzen Chaos besondere Sprintqualitäten, erwischt den Wagen noch einmal an der nächsten Kreuzung und filmt erneut ins Innere. Präkelt kommentiert: „Zufrieden, aber auch auf der Flucht vor der Öffentlichkeit, fährt Kachelmann jetzt nach 43 Verhandlunngstagen in die Freiheit.“

Wohin genau, weiß er nicht zu sagen, es klingt aber so, als hätte Kachelmann noch eine Verabredung mit dem Sonnenuntergang – und wer, wenn nicht Kachelman, wüsste, wo der zu treffen ist?

Etwas später, in „Punkt 12“, nutzt Moderatorin Katja Burkard die Gelegenheit, in dieser wichtigen Sache noch einmal nachzuhaken: „Thomas, wo ist Jörg Kachelmann jetzt? Was wird er heute und in den nächsten Tagen tun, was meinen Sie?“ Thomas Präkelt weiß es nicht, meint aber:

„Er wird sich jetzt natürlich Ruhe gönnen. Er wird auch seine Frau wiedersehen wollen und einige Tage der Ruhe seien ihm auch zu gönnen nach diesem Freispruch.“

Es bleibt unklar, was der RTL- und n-tv-Mann meint, wo Kachelmann in den vergangenen Monaten eingekerkert war.

* * *

Bei der Konkurrenz von N24 ergibt sich nach der Urteilsverkündung die verwirrende Situation, dass der Sender zu seiner Reporterin schaltet, die vor dem Gerichtsgebäude steht und deshalb leider noch nicht die Frage beantworten kann, wie genau das Gericht denn seine Entscheidung begründet habe. Gleichzeitig sieht man aber auf dem Split-Screen, wie Menschen vor dem Saal, aus dem sie gerade gekommen sind, genau das erzählen. Man sieht sie, aber man hört sie nicht, denn zu hören ist ja die N24-Moderatorin draußen. Bis die Regie sich endlich entschließt, sie einfach für den Moment rabiat vom Sender zu nehmen.

* * *

Aus Berlin ist bei n-tv, wie so oft, der Medienbewohner Jo Groebel zugeschaltet. Vor der Urteilsverkündung fragt ihn die Moderatorin, ob in der Berichterstattung über den Prozess oft über das Ziel hinausgeschossen wurde. Groebel antwortet:

„Ganz ehrlich? Ich möchte auch da mit meinem Urteil etwas zurückhaltend sein.“

Um unmittelbar hinzuzufügen:

„Aber mein Eindruck ist, dass hier sehr häufig übers Ziel hinausgeschossen wurde. Ich fand’s, ganz ehrlich, atemberaubend.“

Groebel hat irgendwas mit Medien studiert, deshalb kann er fundiert analysieren, warum dieser Prozess die Menschen und Medien so bewegt hat:

„Sex & Crime, das ist jetzt sehr flapsig formuliert, aber sehr ernst gemeint, Sex & Crime ist natürlich immer etwas, das sehr, sehr, sehr interessant für Menschen ist.“

Das klingt vielleicht banal. Andererseits hätte eine Fernsehserie mit dem Arbeitstitel „Dinge, die sich Jo Groebel vorstellen kann“ durchaus große surreale Momente:

„Ich kann mir gut vorstellen, dass [Kachelmann] im Sinne einer Fast-Rehabilitation auch für sich selbst durchaus vor die Kamera strebt. Nicht als der nette Mann, aber vielleicht als ein Talkmaster für eine Gesprächsrunde, in der schwere menschliche Dramen herauskommen. Und da weiß er dann wahrlich, was er fragen muss und wovon er spricht.“

* * *

Einig ist sich Groebel dennoch mit ungefähr allen Fernsehleuten, dass Kachelmann trotz oder wegen des Freispruchs, den insbesondere RTL konsequent als „Freispruch zweiter Klasse“ bezeichnet, erledigt ist:

„Kachelmann hat nicht nur einen Karriere-Knick, der hat einen kompletten Karriere-Einbruch, eine Karriere-Katastrophe erlebt.“

ZDF-Vormittags-Frau Nadine Krüger formuliert in „Volle Kanne“ volle Kanne:

„Gibt es eine Entschädigung für den verlorenen Ruf? Die Karriere ist ja nun hin, das kann man ja so sagen.“

Bei n-tv wusste die Moderatorin das schon morgens um sechs in den (offenkundig aufgezeichneten) Nachrichten:

„Eines ist klar: Ob das Ergebnis nun gut oder schlecht ausfällt für Kachelmann – Spott und Verachtung werden bleiben.“

Es ist eine typische Form einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung: Je häufiger Medien behaupten, dass Kachelmanns Rückkehr auf den Bildschirm undenkbar ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass das schließlich auch stimmt.

* * *

Aber für irgendeine Form von Selbstreflexion ist an diesem Vormittag keine Zeit, geben wir lieber noch einmal zu Thomas Präkelt, der vor dem Gerichtssaal gerade in Bezug auf Kachelmanns Anwalt Johann Schwenn formuliert:

„Verteidigung ist Krieg.“

Und Medienberichterstattung, mutmaßlich, auch. Bei RTL gibt man sich jedenfalls alle Mühe, den Eindruck zu erwecken, Kachelmann sei jedenfalls ein Täter. Gleich in der ersten Minute von „Punkt 12“ heißt es zweimal: „Sie konnten ihm die Tat nicht nachweisen“ bzw.: „Man konnte ihm die Vergewaltigung nicht nachweisen“ – so als habe sie zweifellos stattgefunden.

Die Zusammenfassung des Prozessverlaufes ist dann bemerkenswert:

Off-Sprecher: Zuerst sah es so aus, als würde sich die Schlinge um [Kachelmanns] Hals immer weiter zuziehen. Reinhard Birkenstock war Kachelmanns Verteidiger. Doch er hatte immer wieder Probleme, seinen Mandanten als glaubwürdig darzustellen.

Birkenstock: Dieser Prozess (…) wird zu dem Ergebnis kommen, dass Jörg Kachelmann unschuldig ist.

Off-Sprecher: Obwohl genau das jetzt eingetroffen ist: Kachelmann ist offenbar unzufrieden, wechselt den Anwalt.

Das ist eine hübsche Verrückung des Zeit-Kontinuums sowie der Kausalitäten: Obwohl Kachelmann heute freigesprochen wurde, hat er damals den Anwalt gewechselt.

Weiter im Text:

„Kachelmann punktet immer mehr. Und die Nebenklägerin, das angebliche Opfer Sabine W., gerät, wie es aussieht, immer mehr in die Situation, beweisen zu müssen, dass sie Opfer ist.“

Sie geben sich bei RTL also offensichtlich Mühe, dass die vorproduzierten Beiträge sich nicht zu positiv von den hektischen Live-Berichten absetzen. Und Katja Burkard formuliert den hübschen Satz:

„Dann stürmen Journalisten aus dem Saal, um die Nachricht wie ein Lauffeuer zu verbreiten.“

* * *

Bei n-tv hatte sich die Moderatorin, als alles vorbei war und alle alles gesagt hatten, von dem Reporter mit den Worten verabschiedet:

„Vielen Dank für den Moment. Und wir behalten die Lage in Mannheim natürlich weiter im Auge.“

Man weiß nicht, was da noch hätte passieren können. Aber als Abmoderation passt das natürlich immer. Ob da in Mannheim ein Haus brennt, ein Kind weint oder ein Prozess zuende geht.

Das Vorabendgrauen zum Eurovision Song Contest

Wie schwer kann es sein, eine kleine Show zu produzieren, die in der Woche des Eurovision Song Contest über das Spektakel berichtet?

Seit einer Woche wird hier in Düsseldorf geprobt. Delegationen aus 43 Ländern sind vor Ort, schrille Kandidaten und ernsthafte Künstler, es findet ununterbrochen irgendein Termin statt, um die Journalistenmeute mit Stoff zu versorgen, es ließe sich, wie in der Vorberichterstattung zu einer Fußball-WM, über Favoriten, Strategien, Technik und historische Parallelen diskutieren, man könnte die vielen unterschiedlichen Menschen miteinander musizieren lassen.

Selbst für einen Sender mit der Unterhaltungsinkompetenz der ARD müsste es möglich sein, aus diesem Grand-Prix-Zirkus eine sehenswerte oder wenigstens ansehbare oder immerhin doch nicht völlig peinliche Vorabendshow zu kondensieren. Es ist ihm nicht gelungen.

Alles, einfach alles an der Premiere der „Show für Deutschland“ war grauenvoll: Der Sendungstitel. Der Moderator. Das muffige Design. Das überflüssige Quiz-„Duell“. Der Moderator. Die Idee, Jan Feddersen als Experten in eine Ecke des Studios zu setzen, in die der Moderator nur mit Halsverrenkungen sehen kann. Der Moderator. Der Verzicht darauf, mit Katja Ebstein, wenn sie schon mal da ist, auch ein Gespräch zu führen. Hab ich schon „Der Moderator“ gesagt?

Wer kommt auf die Idee, eine solche Sendung von Frank Elstner moderieren zu lassen, einem Mann, der an besseren Tagen vielleicht weniger verwirrt durch eine Sendung stolpert, dem aber ohnehin jeder Bezug zu dieser Veranstaltung fehlt? Die Fassungslosigkeit von Lena Meyer-Landrut über die Ahnungslosigkeit und Ungeschicklichkeit des Mannes war unübersehbar und nachvollziehbar. Es entwickelten sich Dialoge wie der folgende:

Frank Elstner: Sie sind der einsamste Mensch da unten auf der Bühne.

Lena Meyer-Landrut: Nein, ich habe fünf Mädchen bei mir.

Elstner: Aber doch nicht auf der Bühne. Hinter Ihnen, die mit Ihnen tanzen!

Meyer-Landrut: Auf der gleichen Bühne, auf der ich auchsstehe, sind auch die fünf Mädchen.

Elstner: Ja, aber wenn Sie singen und Ihnen der Text nicht einfallen lassen würde, dann, kein Mensch kann Ihnen helfen. Dann sind Sie in dem Moment einsam.

Meyer-Landrut: Das ist richtig. Da werde ich dann in Fantasiesprache improvisieren.

(…)

Elstner: Der Herr Raab, der sich ja um Sie kümmert, Sie entdeckt hat, Ihr Pate ist, der für Sie viel produziert hat…

Meyer-Landrut: (lacht) Mein Pate! Der überweist mir jeden Monat zwei Mark fünfzig.

Elstner: Der Stefan, der wird doch irgendwo Kontakt zu Ihnen halten während Ihres Auftritts, oder? Gibt es Geheimzeichen?

Meyer-Landrut: Nein. Nein, tatsächlich nicht. Ich weiß auch überhaupt gar nicht, wo der ist, während meines Auftritts. Keine Ahnung, der wird vermutlich hier vorne irgendwo stehen und moderieren.

(…)

Elstner: Und jetzt wollen wir mal was ganz anderes zeigen. Das hier war ja früher mal ein Fußballstadion.

Meyer-Landrut: Isses auch immer noch.

Elstner: Wie hat man aus einem Fußballstadion so eine Showbühne gezaubert? Dahinter stecken natürlich sehr viele Handwerker, sehr viele fleißige Menschen, Hundertschaften, die hier wochenlang gearbeitet haben. Wollen Sie die Handwerker mal ganz herzlich grüßen und Danke sagen?

Meyer-Landrut: Danke, Handwerker.

Elstner war das größte Problem der Sendung, aber nicht das einzige. Er behauptete munter, es seien auch Länder aus Nordafrika dabei. In einem Einspielfilm wurde die Größe der LED-Wand auf 60 mal 80 Meter vervierfacht. Reporter Thorsten Schorn dokumentierte, wie die schrillen irischen Teilnehmer Jedward nichts anderes taten, als Lena Blumen zu überreichen. Seine Kollegin Sabine Heinrich musste in einem Filmbericht den Tagesablauf von Lena nacherzählen – über weite Strecken ohne Lena. Im Tonfall eines Unterrichtsfilms dokumentierte der Sprecher:

„Lena steigt mit Team und Presse direkt in den Bus. Der Zeitplan ist eng, wie an jedem Song-Contest-Tag.“

Danach konfrontierte Frank Elstner Lena noch mit einer Statistik, die zeigte, welche Farben die Kleider der Sieger in der Geschichte des Eurovision Song Contest hatten, und suggerierte, dass ihr Schwarz dann ja kein gutes Omen sei. (Dass sowohl Lena als auch Nicole ein schwarzes Kleid bei ihren Siegen trugen, war offenbar niemandem in der Vorbereitung aufgefallen.)

Es ist ein Programm voller Verzweiflung und zum Verzweifeln – in der zweiten Folge heute befragte man im Rausch der Ideen- und Sinnlosigkeit eine Kartenlegerin, wer den Wettbewerb gewinnen wird.

Schaut man in den Abspann, wer diesen Unfall zu verantworten hat, stößt man auf einen interessanten Namen: Die täglichen ARD-Vorabendsendungen zum Eurovision Song Contest werden von der Firma Brainpool produziert. Die produziert praktischerweise auch die täglichen ProSieben-Spätabendsendungen zum Eurovision Song Contest. Sie hat auch die (überaus uninspirierte) Aufzeichnung des Konzertes von Lena Meyer-Landrut produziert. Und sie ist der wichtigste Partner der ARD bei der Produktion des Eurovision Song Contest selbst. Ihr Chef Jörg Grabosch hat die entscheidende Funkton „Producer TV Show“ inne.

Die Beteiligten geben sich große Mühe, die Kooperation als unspektakulär darzustellen und betonen, dass Brainpool nur eine von mehr als hundert Firmen ist, mit denen der NDR zusammenarbeitet. Sie tun das aber so angestrengt, dass erst recht der Eindruck entsteht, dass es sich um ein Politikum handelt. Der ARD-Grand-Prix-Chef Thomas Schreiber sagte vor einigen Wochen, man arbeite mit Brainpool unter anderem deshalb zusammen, weil die Firma schon in der Düsseldorfer Arena produziert hat und es nicht viele Produktionsfirmen und Sender gebe, die mit solchen Dimensionen umgehen könne. Er räumte ein, dass es auch intern kritische Fragen gebe. Er hoffe aber, dass auch die Kritiker nach der gelungenen Show einsähen, dass es eine gute Kooperation war.

Nun ja. Tatsächlich macht das, was man in Düsseldorf von den Grand-Prix-Shows sehen kann, einen hervorragenden Eindruck. Drumherum gibt es aber einiges Grummeln bei ARD-Mitarbeitern, die sich als Mitarbeiter zweiter Klasse behandelt fühlen. Kameraleute vom NDR dürfen oder müssen vor Ort die Pressekonferenzen filmen und zusehen, wie dafür Brainpool-Leute beim Produzieren fürs Fernsehen das tun, was ihrer Meinung nach ihre Aufgabe wäre.

Für die „Show für Deutschland“ müssten sie sich jedenfalls beide schämen. Die ARD. Und Brainpool.

Der NDR als Taufkumpan: Wir zeigen doch nicht nicht jedes neue Schiff

Der Norddeutsche Rundfunk hat seine ausführliche, schwärmerische Berichterstattung über ein neues Schiff des von ihm seit Jahren werblich-wohlwollend begleiteten Kreuzfahrtunternehmens „AIDA Cruises“ verteidigt. In einem Kommentar in diesem Blog weisen Fernseh-Chefredakteur Andreas Cichowicz und Norbert Lorentzen, Fernsehchef im Landesfunkhaus Kiel, den Vorwurf der Schleichwerbung sowie nicht näher genannte „weitere Unterstellungen“ zurück. Sie schreiben:

„Traumschiffe beflügeln die Phantasie – das gilt auch ein bisschen für Ihren blog-Artikel. Die Zitate, die Sie von mir verwenden, bezogen sich auf die Live-Übertragung einer Schiffstaufe bzw. einer halbstündigen Zusammenfassung. Im Fall der AIDAsol hat es weder eine Live-Sendung noch eine längere Programmstrecke im NDR Fernsehen gegeben. Daran, dass ich besonders darauf achte, dass werbliche Effekte möglichst vermieden werden, hat sich nichts geändert. Ebenso wenig geändert hat sich auch an der Tatsache, dass ich ausschließlich die Sendungen der Zentrale in Hamburg verantworte, die Landesmagazine aber in der Verantwortung der jeweiligen Fernsehchefs in den entsprechenden Landesfunkhäusern stehen. Für das Schleswig-Holstein-Magazin ist dies Norbert Lorentzen in Kiel.

Im Norden erfreuen wir uns an Kreuzfahrtschiffen. Sie sind nicht nur schön anzuschauen, sie sind auch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor an der Küste, insbesondere für die Landeshauptstadt Kiel. 300.000 Menschen aus aller Welt kommen auf diese Weise in jedem Jahr nach Schleswig-Holstein. Eine Zahl, die sich in den letzten 10 Jahren verdoppelt hat. Mit 14 Mio. € profitiert das Land von dieser Entwicklung. Auch das war Gegenstand und Anlass für unsere Regionalberichterstattung. Wenn mehrere zehntausend Besucher zu einer Schiffstaufe kommen, dafür zum Teil lange Anfahrtswege in Kauf nehmen und vollauf begeistert sind, dann können wir ein solches Ereignis nicht schlichtweg ignorieren. Wir haben deshalb über die Taufe der AIDAsol angemessen, professionell und in großer Unabhängigkeit berichtet – und zwar aus der Perspektive der Besucher, nicht aus der des Veranstalters.

Wie heißt es dazu in einem der Kommentare Ihres Blogs: ‚Also rein vom Journalistischen her kann man dem NDR da keinen Strick draus drehen.‘

Den Vorwurf der Schleichwerbung, wie er im Blog vereinzelt geäußert wird, und andere Unterstellungen weisen wir mit aller Entschiedenheit zurück. Und im Übrigen ist Ihre Behauptung, dass nicht bekannt ist, ob ein NDR Kamerateam für eine Reportage an Bord ist, falsch. Eine solche Sendung ist nicht geplant. Hätten Sie gründlich recherchiert und uns gefragt, wäre es auch Ihnen bekannt gewesen.

Und im Übrigen: Dass auf der faznet-Seite u.a. auch ein Artikel über Traumyachten, tollen Luxus und die Nobiskrug-Werft in Rendsburg (Schleswig-Holstein), die diesen Luxus produziert, zu finden ist, zeigt, dass wir mit unserer Berichterstattung im NDR fernsehen über maritime Themen nicht völlig falsch liegen …“

In Wahrheit hatte Andreas Cichowicz seine Aussage „Wir zeigen nicht jedes neue Schiff“ im Fernsehblog-Interview keineswegs auf Live-Übertragungen oder Zusammenfassungen von mindestens dreißig Minuten Länge beschränkt. (Die Ausgabe von „Schleswig-Holstein 18:30“, die das NDR-Fernsehen vor eineinhalb Wochen den attraktiven Annehmlichkeiten auf dem neuen AIDA-Kreuzfahrtschiffes widmete, war nur 15 Minuten lang.)

Natürlich darf und soll der NDR über eine Schiffstaufe berichten, zu der mehrere zehntausend Menschen kommen. Warum bereits die Tatsache, dass einige Passagiere in Betten lagen, in denen vorher noch nie jemand gelegen hatte, Tage zuvor einen Nachrichtenwert für die Regionalmagazine des NDR hatte, lassen Cichowicz und Lorentzen hingegen offen.

Und weil es so schön und phantasiebeflügelnd war, hier noch ein einmal der Blick auf den Versuch des NDR, in nicht weniger als fünf Sendungen über das Schiff und seine Taufe werbliche Effekte zu vermeiden:

Der NDR als Taufkumpan: Und wieder eine Werbearie für AIDA

Es sind wieder AIDA-Festwochen im NDR-Fernsehen.

Die Rostocker Reederei hat am vergangenen Wochenende in Kiel mit dem üblichen Tamtam ein neues Kreuzfahrtschiff taufen lassen, und für den Haus- und Werbesender der Flotte ist das natürlich Pflicht zu flächendeckender Berichterstattung.

Der NDR-Fernseh-Chefredakteur Andreas Cichowicz hatte zwar im vergangenen Jahr gegenüber diesem Blog gesagt: „Wir zeigen nicht jedes neue Schiff“. Aber entweder meinte er das nicht so. Oder zu den „besonderen Kriterien“, die nach seinen Worten erfüllt sein müssen, damit der NDR berichtet („wenn es etwa das größte ist, das bisher gebaut wurde, wenn es um eine völlig neue Präsentation geht oder es für ein bestimmtes Klientel gemacht ist“) gehört auch der Superlativ, den die neue AIDAsol erfüllt: Sie hat angeblich den größten Wellnessbereich aller Kreuzfahrtschiffe an Bord. Sagt die AIDA. Und der NDR.

Dass das achte AIDA-Schiff, das im übrigen baugleich mit dem siebten ist, in Kiel getauft wurde, war ganz praktisch für den Vier-Länder-Sender NDR. Das Landesfunkhaus Niedersachsen kann immer schon die Ems-Überführungen der Schiffe von der Meyer-Werft in Papenburg begleiten, die Kollegen aus Mecklenburg-Vorpommern sind schon wegen des Sitzes der Reederei in Rostock zuständig, und die Hamburger NDR-Leute durften im vergangenen Jahr groß über die Taufe der AIDAblu berichten. Das Landesfunkhaus Schleswig-Holstein hatte, so gesehen, deutlichen Nachholbedarf in Sachen öffentlicher AIDA-Begeisterung.

Entsprechend früh begann es seine Aufholjagd. Schon am 3. April, fast eine Woche vor der Taufe, berichtete das „Schleswig-Holstein Magazin“ darüber, dass sich „die nagelneue AIDAsol“ bereits mit den ersten Passagieren gefüllt habe, die in Betten schliefen, in denen noch nie zuvor ein Mensch geschlafen habe.

Am nächsten Tag besuchte das Magazin „Schleswig-Holstein 18:00 Uhr“ das Schiff und ließ sich mal ausführlich erklären, wie toll das Ding ist. Die Reporter begleiteten den Club-Direktor bei seiner Arbeit, fragten den Kapitän, ob eigentlich oft Kinder auf die Brücke wollen, und interviewten den Mann, der im bordeigenen Brauhaus Bier herstellen darf. Und der Moderator sagte, nachdem er eine Gesprächspartnerin als „Spa-Supervisor“ vorstellte: „Aber gespart wurde auf dem Schiff auch nicht im Wellness-Bereich.“

Am Tag der Taufe schaltete das „Schleswig-Holstein Magazin“ dann live zu einer Reporterin vor Ort, zeigte Aufnahmen von den Proben und sprach mit Besuchern, die Sätze sagten wie: „Das Wetter ist einmalig. Direkt für die AIDA bestimmt.“ Eine Frau war eigens 500 Kilometer vom Niederrhein angereist. Die Taufpatin hat sich in Hamburg ein tolles Abendkleid gekauft für den Anlass. Und Stargast Kim Wilde sagt, sie sei noch nie auf einem Kreuzfahrtschiff mitgefahren, sie habe ein bisschen Angst, aber bei diesem Exemplar hier könne sie glatt in Versuchung kommen, „denn es sieht wunderschön aus“.

Am Tag danach informierte das NDR-Mischmagazin „DAS!“ dann die überregionale Öffentlichkeit über den Rekord mit dem größten Wellnessbereich. Der Filmbericht begann mit Aufnahmen, wie jemand das Schiff fotografiert, und dem Satz: „So einen properen Täufling fotografiert man doch gern.“ Im Anschluss schwelgte aber natürlich auch das „Schleswig-Holstein Magazin“ noch einmal ausführlich von der Show, die nach Veranstalter- und NDR-Angaben 50.000 Besucher anlockte.

Chefredakteur Cichowicz hatte vergangenes Jahr noch gesagt, er sei sich des Problems bewusst, dass durch die Berichte, die der Sender mit jedem neuen Schiff vom Stapel lässt, „werbliche Effekte“ entstehen können. Er hätte sich aber mit mit den verantwortlichen Kameraleuten und Regisseuren abgesprochen „und festgelegt, wie man Einstellungen so aufnimmt, dass werbliche Effekte möglichst vermieden werden. Seitdem achten wir in dem Bereich, den ich für die Programmdirektion Fernsehen verantworte, darauf besonders.“

Die Tauffeierlichkeiten wurden praktischerweise vom Landesfunkhaus Schleswig-Holstein verantwortet.

Ob bereits ein NDR-Kamerateam an Bord ist für die obligatorische dreiviertelstündige Werbereportage, ist dem Fernsehblog nicht bekannt.

„TV Total“ beweist: Stefan Raab versteht keinen Spaß

Es ist, zugegeben, ein bisschen absurd, sich als Watchblog von „TV Total“ gerieren und der Show sachliche Fehler vorhalten zu wollen. Andererseits: Wenn man etwas von einer Comedysendung erwarten darf, dann doch vielleicht, dass sie einen Witz als solchen erkennt.

Am vergangenen Donnerstag kündigte Stefan Raab den Zuschauern einen „Klassiker“ an:

„Der Reporter denkt, er ist noch nicht zu sehen mit seinem Mikrofon. Und sagt sich, okay, da erledige ich noch mal was. Man kann ihn aber leider schon sehen. Schauen Sie mal hier, das ist passiert beim NDR, in der Sendung ‚Hallo Niedersachsen‘.“

Es folgte ein Ausschnitt, in dem tatsächlich ein Reporter zu sehen ist, wie er sich großräumig in der Nase bohrt und scheinbar erschrocken „laufen wir?“ fragt, bevor er abrupt mit ernster Stimme mit seinem Aufsager beginnt: „Berlin hat seinen ersten handfesten Skandal im Jahr 2011…“


Großes Gelächter im „TV Total“-Publikum und beim Moderator. „Er ist sehr bekannt für seine bohrenden Fragen“, kichert Raab. „Spitzenszene, oder?“

Wie man’s nimmt.

Es hätte geholfen, noch einen Satz weiter zu hören. Der „handfeste Skandal“, den NDR-Reporter Olaf Kretschmer ausmachte, ist nämlich dieser:

„Obwohl der Bundesgesundheitsminister nicht genug auf die Waage brachte, um Oldenburger Kohlkönig zu werden, wurde er genau als solcher proklamiert. Ob der FDP das in diesem Wahljahr hilft, bleibt abzuwarten.“

Der Bericht handelt vom traditionellen Kohlessen in der Niedersächsischen Landesvertretung. Kretschmer war mit einer Waage dort aufgekreuzt und hatte vor dem Essen und danach das Gewicht der anwesenden Spitzenpolitiker miteinander verglichen. Weil Philipp Rösler während der Veranstaltung nur 1,1 Kilo zugenommen hatte, sagte er vorwurfsvoll zu dem Gesundheitsminister: „Wir haben Sie gewogen und für zu leicht befunden.“ Die Tatsache, dass Rösler dennoch, wie ausgekungelt, zum Kohlkönig ausgerufen wurde, prangerte der NDR-Mann in seinem vierminütigen Stück an.

Im Scherz. Es handelt sich um einen Witz. Der ganze „Hallo Niedersachsen“-Beitrag ist eine Glosse; ein Versuch, sich dem merkwürdigen Termin originell und unterhaltsam zu widmen. Das Beim-in-der-Nase-Popeln-erwischt-Werden war Teil der Komödie.

Und wenn die Redaktion von „TV Total“ das schon nicht erkannt hat, hätte sie es wenigstens daran merken können, dass die vermeintliche Live-Schalte, von der der Reporter überrascht wurde, gar nicht live sein konnte: Das Grünkohlessen hatte, wie in der Anmoderation erwähnt, schon am Abend vorher stattgefunden.

War das lustig? Meh. War es lustig gemeint? Ohne Frage.

Es gibt immer dösige Zuschauer, die sowas trotz diverser Hinweise im Film nicht verstehen. Dass sie auch bei „TV Total“ arbeiten und sich über die vermeintlichen anderen Deppen im Fernsehen lustig machen, ist aber ein bisschen beunruhigend.

Das Dschungelcamp und das Sich-Ekel-Fernsehen von „Spiegel-TV“

Es ist immer wieder ein Kulturschock, wenn im RTL-Programm „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“ an das Magazin von Spiegel-TV stößt. Auf der einen Seite diese läppische Sendung mit ihren albernen Witzen und schlechten Kalauern, die fast nur von Häme lebt. Und auf der anderen Seite das Dschungelcamp.

Dabei haben sich die Spiegel-TV-Leute viel Mühe gegeben in den vergangenen beiden Wochen, von der Aufmerksamkeit für die Dschungelshow zu profitieren. Sie haben einen Bericht gemacht über Rainer Langhans und einen über „Promis in der Schuldenfalle“. Sie haben berichtet über den „Dschungel unter deutschen Dächern“, über „Neues aus der Ekel-Forschung“ und, natürlich, über Hitler. Hitler war nämlich, genau wie Sarah Dingens im Camp, Vegetarier! „Die vegetarische Fangemeinde lässt es gern unter den Tisch fallen, doch es ist wahr: Adolf Hitler aß zu Lebzeiten kaum Fleisch.“

Und nun das Finale. Keine Werbepause, kein Sponsor, unmittelbar nach der letzten Szene aus dem australischen Dschungel wird die Temperatur auf Frösteln heruntergedreht:

Maria Gresz steht da und sagt:

„Jetzt ist es also soweit: Des Deutschen liebstes Hassobjekt ist am Ende und seine Hauptdarsteller irgendwie auch. Ab morgen können wir nur hoffen, dass im Kanzlercamp wieder die Post abgeht. Dass Angela mit Guido rumknutscht. Dass Claudia rot sieht und ausplaudert, dass die Regierungsarbeit nur Show ist und dass die Abgeordneten nur mitspielen, weil sie dafür Geld vom Privaternsehen bekommne. Ich weiß, das wird nicht passieren. Wär aber lustig. Derartige Unterhaltung gibt es eben nur im Dschungel. Dort wo die Zivilisation freiwillig ihre Hüllen fallen ließ und damit Millionen Zuschauer zu glücklichen Voyeuren machte.“

In zwei Wochen im Dschungel wird den Kandidaten, den Tieren und der Menschenwürde nicht so viel Gewalt angetan wie der deutschen Sprache in einer einzigen Spiegel-TV-Anmoderation. Wer danach nicht sofort abschaltet, steckt sofort knietief in einem Metaphernschlammbad, gefüllt mit gammeligen Teekesselchen. „Die vermeintliche Machtausübung“ der abstimmenden Zuschauer, sagt der Sprecher, „sorgt für besonderes Kribbeln – auch am Körper des Altkommunarden Rainer Langhans.“ Das Bild dazu:

Später heißt es: „Ehemalige Camp-Bewohner können ein Lied davon singen“ – bitte schön: Werner Böhm tut es.

Spiegel-TV-Leute leiden unter einer schlimmen Synonymzwangsstörung. Über Rainer Langhans darf nicht berichtet werden, ohne ihn mindestens einmal den „Apo-Opa“ zu nennen. Mit der Alternative „Gleichmut-Guru“ gibt es später noch Alliterations-Bonuspunkte. Und überhaupt, was ist der Dschungel? „Das Guantanamo der Z-Prominenz.“

Auf den ersten Blick ungewöhnlich ist es, dass Spiegel-TV ausgerechnet das Berliner Rumpelblatt „B.Z.“ als Beleg dafür zeigt, dass „das deutsche Feuilleton – ganz im Geiste Brechts – eine reflektorische Metaebene beim Miteinander von Mensch und Made“ entdeckt habe. Vermutlich bringt aber der Autor des entsprechenden Beitrags selbst die fehlende behauptete Fallhöhe mit:

Ross Antony, der die Show vor drei Jahren gewann und dabei auf sympathisch-schockierend-lustige Weise seine eigenen Phobien überwand, wird im Spiegel-TV-Deutsch zum „bekennenden Homosexuellen“, der „etwas Gutes für seine Community tun wollte“.

Und fast jeder Satz trieft von Herablassung. Es ist Sich-Ekel-Fernsehen bis hin zur Anmaßung, den Teilnehmern pauschal „verunglückte Lebensentwürfe“ zu unterstellen. Dann ist der Dschungelbeitrag vorbei (oder wie Spiegel-TV sagen würde: am Ende), und die Moderatorin leitet wie folgt zum nächsten Thema über:

„Es soll in dieser Welt noch Menschen geben, die weniger scharf auf Kameras sind. Waffenhändler zum Beispiel.“

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