„Laßt die Anzeigenseiten weg, und verdoppelt den Preis!“

Wie überleben die Qualitätszeitungen? Axel Zerdick, Professor für Medienökonomie an der FU Berlin, hat ein paar radikale Ideen

Herr Zerdick, Sie haben schon vergangenes Jahr den überregionalen Zeitungen gesagt, sie sollten nicht hoffen, daß bei besserer Konjunktur die Stellenanzeigen zurückkehren, denen sie bislang einen Großteil ihrer Einnahmen verdankten. Zwei Drittel würden nie zurückkommen.

Ja, aber die Prognose war wohl falsch.

Ach?

Die Zeitungen sollten sich darauf einstellen, daß es eher einhundert Prozent werden. Wir haben alle Rubriken durchgearbeitet – nur für Todesanzeigen sehen wir keine Konstruktion, wie sie im Internet veröffentlicht ihre Funktion erfüllen könnten. Die bleiben den Zeitungen. Die anderen Rubrikenanzeigen aber sind mittelfristig nicht zu halten, und das sollte sich auch niemand wünschen.

Wie meinen Sie das?

Datenbankgestützte Internet-Angebote sind nicht nur bei Immobilien- und Stellenanzeigen in jeder Hinsicht überlegen. Nehmen Sie ein besonders klares Beispiel: Handelsregister-Eintragungen sind für Geschäftspartner zwar nur selten wichtig, dann aber dringend. Jeder andere Weg als der Zugriff auf eine vollständige und zuverlässige Datenbank wäre nicht nur ineffektiv, sondern auch riskant.

Aber die Stellenanzeigen werden doch zumindest so lange noch gebraucht, wie nicht alle Menschen „online“ sind?

Das wäre für die Zeitungen ein Trost, aber mit zeitlicher Begrenzung. Wir kennen aber die Perspektive der Unternehmen; für die ist Rekrutierung und Personalentwicklung sehr viel wichtiger, als die Zeitungen zu glauben scheinen. Meine – zugegeben zugespitzte – These lautet: Unternehmen werden Stellenangebote bald nur noch aus Dummheit, Faulheit oder Mitleid in Zeitungen veröffentlichen.

Oh.

Ja. Niemand ist daran interessiert, möglichst viele Bewerbungen zu bekommen. Es geht darum, diejenigen Menschen zu gewinnen, die für die jeweilige Aufgabe besonders geeignet und vielversprechend sind. Bei Ausschreibungen wünschen Sie sich eine Handvoll guter Leute und möglichst wenige Bewerbungen allgemeiner Art von Menschen, die zwar gerne arbeiten wollen, aber keine besondere Aufgabe faszinierend finden.

Was hat das mit dem Internet zu tun?

Für große Firmen sind Bewerber, die sich aktiv zum Beispiel auf der Bayer-Homepage informieren und nach dort veröffentlichten Angeboten suchen, viel interessanter, als jemand, der zufällig über eine Anzeige gestolpert ist. Daß jemand sich auf eine Annonce meldet und so demonstriert, daß er nur eher vage interessiert ist und nicht die überlegenen Recherchemethoden nutzt, spricht gegen ihn.

Bislang sind Stellenanzeigen in den überregionalen Blättern doch gerade wegen der exklusiven Leserschaft interessant.

Die Exklusivität gilt für die Leserschaft insgesamt, und sie wirkt sich positiv aus für Anzeigen, die möglichst viele in dieser Zielgruppe erreichen sollen. Weitaus die meisten Leser brauchen aber gerade weder einen neuen Job noch ein neues Haus, noch ein neues Auto – die Rubrikenanzeigen sind ohnehin überwiegend „Streuverlust“. Jetzt gibt es bessere Wege, die richtigen Menschen mit den richtigen Aufgaben in Verbindung zu bringen. Je rascher die Zeitungen das begreifen, desto besser.

Was bleibt den Zeitungen dann vom Anzeigengeschäft, das doch klassischerweise zwei Drittel der Umsätze darstellt?

Ach, das ist erfreulicherweise schon längst nicht mehr so. Still und leise haben die Verlage in den letzten Jahren den Anteil der Vertriebserlöse erhöht – vernünftigerweise übrigens – und liegen jetzt eher bei 45 als bei 33 Prozent. Von den Anzeigenerlösen werden vor allem die Imageanzeigen bleiben. Eine stabile Stärke von Printmedien gegenüber anderen Medien wird auch in Zukunft die größere Genauigkeit in der Ansprache von Zielgruppen sein. Das werbefinanzierte Fernsehen hat da größere Probleme.

Gibt es also wenigstens im Bereich der Anzeigen von Markenartiklern Hoffnung?

Ja, das Potential ist nach meiner Meinung sehr groß, aber man darf gerade nicht versuchen, sie durch Sonderwerbeformen und Sonderveröffentlichungen zu erreichen – die sind ein typisches Zeichen von sterbenden Segmenten. Jede Aufweichung der Grenzen zwischen Redaktion und Werbung ist kontraproduktiv: Der Wert der Zeitungen auch für den Anzeigenkunden besteht ja gerade in ihrer Glaubwürdigkeit bei den Lesern.

Nun brechen den Verlagen durch das Internet nicht nur Werbeerlöse weg, auch inhaltlich haben sie neue Konkurrenz. Das klingt, als ob die Zeitungen in jeder Hinsicht einpacken können.

Einige schon, und nicht jedem Blatt wird man lange nachweinen müssen.

Und die anderen?

Zuerst: Die Krise ist nicht ganz so schrecklich, wie die meisten Journalisten glauben. Was ihre Verlage ihnen nie sagen, ist, daß es ihnen in Krisenzeiten im Vergleich zu anderen Branchen immer relativ gut geht. Wenn die Anzeigenumfänge sinken, vermindern sie auch die redaktionellen Umfänge – das ist für den Kunden ungefähr so, als würde VW sagen: Der Golf verkauft sich im Moment leider schlecht, deshalb können wir leider nur noch drei Sitze einbauen. Die Verlage sparen dadurch erhebliche Papier-, Satz- und Druckkosten. Und im Unterschied zu anderen Unternehmen veröffentlichen Zeitungen fast nichts darüber, wie es ihnen wirtschaftlich wirklich geht. Deshalb können sie die Krise besser nutzen, ihre eigenen Leute von der Notwendigkeit von Entlassungen, Kostensenkungen und härterer Arbeit zu überzeugen, und senken so die Kosten doppelt.

Und wie können sie der wachsenden Konkurrenz begegnen?

Sie werden überrascht sein: Gerade die traditionellen Medienunternehmen, insbesondere die Tageszeitungen, haben im Vergleich zu ihren neuen Konkurrenten bisher nicht wahrgenommene Stärken. Zeitungen haben Erfahrungen mit der Bildung und Bindung von communities, in denen sie die Teilaspekte unserer Rollen als Bürger, Verbraucher und Produzenten verbinden. Sie haben Erfahrungen im Umgang mit der Kombination ganz unterschiedlicher Erlösquellen, und sie können eigentlich durch wichtige Veränderungen ihrer Rahmenbedingungen nicht so leicht überrascht werden wie Industrieunternehmen – sie müssen für solche Analysen nicht bezahlen, sie werden dafür bezahlt: dies ist Teil ihres ureigenen Geschäfts.

Die Frage bleibt, wie die Qualitätspresse bei rapide wegbrechenden Anzeigenerlösen überleben kann. Woher sollen die Einnahmen kommen?

Lassen Sie mich die Sache zuspitzen: Interessierte und engagierte Menschen legen keinen Wert darauf, daß ihre Zeitungen eine Ko-Finanzierung aus Quellen erfahren, denen sie möglicherweise mißtrauen. Die finanzielle Abhängigkeit von Werbung war immer Ausdruck einer strukturellen Schwäche der Zeitungen.

Und was folgt daraus?

In einem – zu kurzen – Satz: Laßt die Anzeigen weg und verdoppelt den Preis! Und liefert mir dafür in eurem Internet-Angebot Überblick und Vertiefung, „variable Tiefenschärfe“ durch kluge Verweise, laßt eure guten Leute Blogs schreiben, wie der „San Jose Mercury“ das macht, gebt mir die Chance zur Vervielfältigung meines Wissens dann, wenn es mir darauf ankommt, wie „The Economist“ das macht! An dem dazu passenden Preismodell arbeiten wir gerade.

Also wird es auch die Qualitätspresse in ein paar Jahren noch geben?

Nur die. Die besten Chancen haben die Zeitungen, die einen Anspruch nicht nur behaupten, sondern auch erfüllen. Sie müssen allerdings den Kulturwechsel offensiv angehen und sich entscheiden: Wollen sie die Qualität so weit herunterschrauben, bis sie den niedrigen Einnahmen entspricht? Oder wollen sie die Qualität beibehalten und die Einnahmen durch einen höheren Preis anpassen? Da ist eine klare Entscheidung nötig, eine graduelle Strategie ist gefährlich. Weil man sonst möglicherweise die Stärken, die man hat, aus falscher Vorsicht beschädigt und dann bei einem späteren Strategiewechsel nicht mehr auf sie aufbauen kann. Wenn Sie bisher die besten Pferde gezüchtet haben, können Sie auf die Erfindung des Automobils auch nicht graduell reagieren und statt Hufe Räder unter Ihre Pferde schrauben und später vielleicht noch einen Auspuff anhängen.

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