Lügen fürs Leistungsschutzrecht (4)

Anfang des Monats formulierte Christoph Keese, der Cheflobbyist der Axel-Springer-AG, in einem schriftlichen Interview einen bemerkenswerten Satz. „Die Spitzenverbände der Gesamtwirtschaft“, schrieb er, nähmen zum geplanten Leistungsschutzrecht für Presseverlage „eine neutrale bis aufgeschlossene Haltung an“.

Die Nachfrage eines Lesers in seinem Blog, ob er da konkrete Namen nennen könnte, ignorierte Keese. Er wird wissen, warum.

Im September 2010 veröffentlichten 25 Wirtschaftsverbände, darunter die Spitzenverbände des Handwerks (ZDH), des Handels (HDE) und der Industrie (BDI) eine vernichtende Stellungnahme zu Keeses Gesetzesplänen: „Ein ‚Leistungsschutzrecht‘ für Online-Presseverlage ist (…) in keiner Weise geeignet, den digitalen Herausforderungen Rechnung zu tragen.“ Es werde von ihnen „vollständig abgelehnt“.

Der BDI musste sich dafür von prominenten Verlagsvertretern als dumm beschimpfen lassen. Der Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner sagte, es könne sich da „nur um Missverständnisse handeln, die wir schnellstmöglich klären“.

Von wegen. Im Sommer vergangenen Jahres wiederholte der BDI seine Kritik und forderte die Bundesjustizministerin auf, auf das Gesetz zu verzichten. Die Zeitungen des Verlages, für den Keese arbeitet, haben ihren Lesern das sicherheitshalber verschwiegen.

Auch aktuell äußert sich der BDI extrem distanziert zu dem Vorhaben und verweist auf ein Gutachten, das er beim Düsseldorfer Institut für Wettbewerbsökonomie in Auftrag gegeben hat. Die Wissenschaftler Ralf Dewenter und Justus Haucap kommen darin zu einem vernichtenden Urteil. Das Leistungsschutzrecht sei „ökonomisch weder erforderlich, um die Produktion von hochqualitativen Inhalten anzureizen, noch ist es geeignet, den Qualitätsjournalismus zu befördern“:

Es behindert den Strukturwandel in der Presselandschaft und konterkariert die Einführung marktkonformer Bezahlmodelle, von denen dann positive Effekte für die Vielfalt und die Qualität der Angebote zu erwarten sind. Alles in allem ist das geplante Leistungsschutzrecht nicht nur überflüssig, sondern schädlich für Innovation, Meinungsvielfalt und Qualitätsjournalismus.

Man sollte annehmen, dass das eine berichtenswerte Wortmeldung ist: Haucap ist prominentes Mitglied der Monopolkommission, die die Bundesregierung in Fragen der Wettbewerbspolitik berät; bis Mitte 2012 war er sogar ihr Vorsitzender. Doch nicht nur bei Springer, auch in der sonstigen Verlegerpresse fand das Gutachten keinerlei Erwähnung.

Bis heute. Heute hat es Justus Haucap mit seiner ablehnenden Position zum Leistungsschutzrecht zum ersten Mal ins „Handelsblatt“ geschafft.

Nämlich so:

Justus Haucap Ein Professor auf Abwegen. Der Regierungsberater taucht in einer Google-Anzeige auf.

Er geißelte die Ökostrom-Förderung mit ihren staatlich festgesetzten Preisen. Er brandmarkte das Vorhaben Hamburgs, dreistellige Millionenbeträge in die Reederei Hapag-Lloyd zu pumpen, als Wettbewerbsverzerrung. Er plädierte bei der Bahn für die Trennung der Sparten Infrastruktur und Transport, um Wettbewerbsdefizite abzubauen. Justus Haucap, Mitglied der Monopolkommission, gerierte sich stets als Kämpfer für den Marktliberalismus — und vergaloppierte sich dabei selten.

Doch nun sorgt der 43-jährige Direktor des Instituts für Wettbewerbsökonomie als Unterstützer für Google für Aufsehen. „Das geplante Leistungsschutzrecht ist nicht nur überflüssig, sondern schädlich für Innovation, Meinungsvielfalt und Qualitätsjournalismus“, lässt sich Haucap in einer ganzseitigen Anzeige von Google zitieren. (…)

Haucap sieht in dem Anzeigenauftritt kein Problem. Das Zitat stamme aus einem Gutachten von ihm, Geld sei keines geflossen. „Ich unterstützen [sic] nicht Google bei einer Kampagne.“

Dennoch herrschte gestern in Berlin Verwirrung. Kritiker Haucaps monierten, so verliere die Monopolkommission als beratendes Gremium der Bundesregierung ihre Überparteilichkeit.

Bei wem gestern „in Berlin“ Verwirrung herrschte, lässt das „Handelsblatt“ vielsagend offen. Aber um anonyme „Kritiker Haucaps“ zu finden, die sein Engagement kritisieren, musste die Autorin vermutlich nicht einmal die Redaktion verlassen oder zum Telefonhörer greifen.

Das passiert also, wenn ein von dem Blatt sonst geschätzter Fachmann zu einem Urteil kommt, das der Verlagslinie widerspricht: Man ignoriert ihn erst und diskreditiert ihn dann, er sei auf „Abwege“ geraten und habe sich „vergaloppiert“.

Welch bittere Ironie: Das „Handelsblatt“ wirft Haucap vor, Google erlaubt zu haben, sein Zitat aus dem BDI-Gutachten zu verwenden, dabei waren die Zeitungsanzeigen offenkundig die einzige Chance, dass diese von den Verlagen unerwünschte Position überhaupt in den Zeitungen erscheint.

32 Replies to “Lügen fürs Leistungsschutzrecht (4)”

  1. Womit das Handelsblatt mal wieder gezeigt hätte, was Qualitätsjournalismus bei diesem Medium heißt. Und mir zeigt, warum ich Verlagsmedien nicht mehr traue, wenn es um Medienthemen geht. Das sieht ja ähnlich bei der Propaganda zur Rundfunkabgabe aus, wo die Verlagsmedien ja ähnlich laut sind.

    Was mir nicht klar ist: Selbst wenn das LSR-Gesetz kommt, und selbst wenn die Verleger irgend eine Art der Einigung mit Google erzielen sollten, wie wollen die überhaupt jemals wieder Vertrauen bekommen? Oder sind das nur die letzten Zuckungen vor dem Tod der Branche?

  2. […] Stefan Niggemeier: Auch aktuell äußert sich der BDI extrem distanziert zu dem Vorhaben und verweist auf ein Gutachten, das er beim Düsseldorfer Institut für Wettbewerbsökonomie in Auftrag gegeben hat. Die Wissenschaftler Ralf Dewenter und Justus Haucap kommen darin zu einem vernichtenden Urteil. Das Leistungsschutzrecht sei »ökonomisch weder erforderlich, um die Produktion von hochqualitativen Inhalten anzureizen, noch ist es geeignet, den Qualitätsjournalismus zu befördern«[..] […]

  3. man sollte nicht unerwähn lassen, dass der bundestag am freitag nun doch um 09.00 namentlich über das lsr abstimmt…..

  4. Und wo ist nun das Verwunderliche?
    Ich möchte doch auf den 6. Link in den heutigen „6 vor 9“ im Bildblog verweisen. Ein Link zum DJV mit Zitaten von Alexej Wolin, kürzlich entlassener Minister aus dem Kabinett Putin, der unter anderem sagte:

    „Der Journalist sollte begreifen, dass seine Aufgabe nicht darin besteht, die Welt besser zu machen, das Licht der wahren Lehre zu tragen, die Menschheit auf den besseren Weg zu führen. Das alles – ist nicht seine Aufgabe.
    Die Aufgabe des Journalisten besteht darin, Geld für diejenigen zu verdienen, die ihn eingestellt haben.“

    Lohnschreibertum. Mietstifte. So what?
    Das Ethos des Journalisten endet am Geldautomaten.

  5. Und die gesamte Presse schweigt sich aus. Kein Wunder… einmal den Mund aufgemacht, gilt man in einer Redaktion heutzutage meist als „schwierig“. Schon werden die großen Messer gewetzt. Der Archetypus des kritischen Journalisten, der viele Idealisten bewegt, das Studium oder den Ausbildungsweg zu ergreifen, ist im heutigen Redaktionsalltag ein „Störfaktor“.

  6. Als ich es gewagt hatte, mich in der FAZ per Kommentar, in durchaus höflichem aber entrüstetem Ton, über einen pro-lsr Propaganda-Artikel zu beschweren, wurde der Kommentar einfach nicht freigeschaltet. Soweit zur Diskurs-Kultur dort.

  7. Die eine große Wirtschaftszeitung Pleite und die verbleibende schreibt sich um Kopf und Kragen. Ich komme aus dem Kopfschütteln nicht mehr raus …

    Und noch schlimmer: Die selbsternannte vierte Säule der Demokratie lobbyiert gerade für ein mutmaßlich verfassungswidriges Gesetz. Und eine andere Säule stimmt dem zu. Das wird die Geschwindigkeit des Abstiegs dieses ganzen Molochs noch erhöhen.

  8. @12:
    Das habe ich dito so erlebt, die faz steht aber nicht alleine da.

    Absurde Ausmaße nimmt es aber an, wenn z.B. beim Spiegel 13 Seiten Foren-Diskussion angezeigt werden, aber ein Klick auf Seite 12 und 13 einen nur wieder zu Seite 11 führen. Weil so viele Kommentare nicht freigeschaltet werden.

    Bei anderen Seiten kann man es auch an Countern in der URL erkennen, »Ihr Kommentar [#48] wartet auf Freischaltung«, während nur 18 Kommentare sichtbar sind, und das auch bleiben. :)

  9. @egghat (und gar nicht mal so off-topic):

    Die selbsternannte vierte Säule der Demokratie schießt außerdem gerade quer durch die Bank aus vollen Rohren gegen die Italiener, die „nicht marktkonform gewählt haben“ – Ausnahmen sind mit dem Elektronenmikroskop zu suchen. Kein Wort zum Inhalt der Wahlprogramme (was fefe auch schon extrem aufregte), sondern nur Polemik gegen „Bunga Bunga“ und „den Clown“. Diese „Leistung“ soll schutzgerechtet werden?!?

  10. Ich hab den Überblick verloren. Wenn das Gesetz hier schon als verfassungsfeindlich beschrien wird, gibt oder gab es schon einen Versuch das ganze Ding deswegen zu kippen?

  11. @21 DDNNGWS:
    Das geht mMn ja erst, wenn’s da ist. Ich kann ja schlecht meinen Nachbarn früh am morgen anschreien, dass er heute Abend laut sein wird.

    Aber ich kann mir schon vorstellen, dass irgendwer es dann versuchen wird.

  12. […] werden kann, lässt sich nämlich auch gut zum Verschweigen verwenden. Ganz nach dem Motto: was nicht passt, wird passend gemacht. (Das Bild verlinkt den dazugehörigen Artikel bzw. den Demo-Aufruf der digitalen […]

  13. […] Nachdem die Deutschen Zeitungsverleger heute den Erfolg des Leistungsschutzrechtes (LSR) im Bundestag feiern konnten, wollen Sie nun sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen. Im Gegenteil! Gemeinsam wollen sie in das von Google zwangsgeräumte Geschäftsfeld vorstoßen. “Wir befinden uns im Gespräch mit einigen der kreativsten Köpfe der Medienbranche,” hieß es in einer Pressemitteilung des beim Leistungsschutzrecht führenden Verlages Axel Springer. […]

  14. Die bloße Aussicht (oder auch nur die Einbildung) auf große Gewinne führt dazu, dass beinahe sämtliche Medienkonzere jede Distanz und Redlichkeit verlieren. Das zeigt nur noch mehr, dass in unserer Medienwelt gewaltig was schief läuft.

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