Martin Reinl

Der Herr der Monster. Wiwaldi & die Kassler-Zwillinge: Martin Reinl läßt seine Puppen herrlich schlechte Witze machen

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Wer kann das schon sagen, als Dreißigjähriger, daß er nun wirklich lange genug die anspruchsvollen Rollen gespielt hat?

Martin Reinl kann das sagen. Drei Jahre lang hat er sie gespielt: die zickige Küchenrolle, die grummelige Klopapierrolle, die langweilige Nackenrolle und den unterschätzten kleinen Rollmops. Auf einem Putzwagen saßen sie und unterhielten sich mit den Gästen in der WDR-Show „Zimmer frei“, immer bereit, durch angemessen schlechte Laune zu demonstrieren, daß das alles hier eigentlich unter ihrem Niveau ist. Die Küchenrolle gestand Katja Riemann, daß sie ihr ganz, ganz großes Vorbild sei, schon seit ihrem Auftritt damals als „Das Superweib“, und als Riemann schüchtern darauf hinwies, daß sie das gar nicht gewesen sei, erwiderte die Küchenrolle: „Ach. Dann sind Sie auch gar nicht mein Vorbild.“ Sie pöbelten Udo Jürgens an, weil der nicht sofort begriff, daß er zum Klavier gehen sollte („Wer hat den denn hier reingelassen?“), und brachten Alice und Ellen Kessler dazu, für sie zu tanzen. Aber im vergangenen Jahr haben sich die vier Rollen dann doch tränenreich verabschiedet und das Angebot angenommen, zu diesem Lars Vegas in die Vereinigten Staaten zu ziehen.

Seitdem hat Wiwaldi ihren Platz eingenommen, ein brummiger Hundeflokati, der die Gäste blöde von der Seite anmacht, und Martin Reinl versteckt sich nicht mehr hinter dem Putzwagen, sondern hinter dem Sofa, vor sich einen Monitor, auf dem er verfolgt, was seine Hände oben machen. (Einmal, als er sich da verrenkte, raunte ihm Moderatorin Christine Westermann gut gelaunt zu, daß er den Job ja in zehn Jahren wohl auch nicht mehr machen könne.) Dieser Wiwaldi jedenfalls hat dem unrasierten Thomas Fritsch erzählt, daß er häufig mit ihm verwechselt werde. Dem Fernsehkoch Tim Mälzer wollte er ein lustiges Gespräch über den Hang der Chinesen aufdrücken, Hunde zu kochen. Mälzer ließ keinen Zweifel, daß das kein Thema war, über das er scherzen wollte, aber das bremste Wiwaldi kaum. Doch, doch, sagt Martin Reinl später, er habe Mälzers Unwillen gleich bemerkt. Aber er hätte halt unterm Sofa einen ganzen Din-A4-Zettel voller wunderbarer Hunde-im-Essen-Kalauer bereitliegen gehabt…

Ein „Kalauer-Fetischist“ sei er, sagt Reinl. „Sobald mir was einfällt, schreibe ich es auf.“ Er müßte das eigentlich nicht erklären – man muß nur ein paar Minuten einen seiner Auftritte gesehen haben, um ähnliches zu ahnen, etwa wenn Wiwaldi von den befreundeten Schweinen auf dem Bauernhof erzählt: den „Kassler-Zwillingen“. Schon daher ist es ein großes Glück, daß Reinl nicht einfach Komiker geworden ist, sondern auch Puppenspieler. Ein menschlicher Erzähler wäre längst von der Witzpolizei verhaftet worden, aber einem orangeflauschigen „Haselhörnchen“, einem schmutzigbeigen „Jammerlappen“ oder gar einem violetten Riesenmonster, das als Fernsehprogramme fressender „Serienkiller“ eigentlich ein eigenes Theaterstück bekommen sollte, verzeiht man vieles. So wie die Prominenten in „Zimmer frei“ ihm auch die Pöbeleien nie wirklich übel genommen hätten, erzählt Reinl. „Das warst doch nicht du“, hat er häufiger gehört, wenn er nach der Sendung kam, um sich zu entschuldigen.

Seine Monster baut er alle selbst. Schon als Kind hat er seine Teddybären aufgeschlitzt, um nachzusehen, was für ein Material darinsteckt, und auszuprobieren, wie die Schnauze verstärkt sein muß, damit man das Tier mit der Hand zum Sprechen bringen kann. Später hat er sogar die Original-Muppets von Jim Henson begutachten dürfen, die den Stil seiner eigenen Kreaturen unübersehbar prägen, und festgestellt, daß die aus ganz normalen Alltagsgegenständen hergestellt werden – und sich selbst an die Arbeit gemacht. Fortan bastelte er aus Schaumstoff, auf links gezogenen Pullovern und Tischtennisbällen eigene Puppen, kaufte sich eine alte Kamera und drehte kleine Filme. Alle Projekte, die er während seines Studiums an der Kölner Hochschule für Medien machte, hatten mit Puppen zu tun. Und als die Redaktion von „Zimmer frei“ jemanden suchte, der mit lustiger Stimme das Bilderrätsel der „anspruchsvollen Rollen“ sprechen sollte, nutzte er natürlich die Gelegenheit und baute – was eigentlich gar nicht verlangt war – gleich entsprechende Puppen. Nach und nach integrierte er die vielen Monster dann auch in sein Stand-up-Bühnenprogramm.

Vor drei Jahren hat Reinl für Super-RTL das Haselhörnchen als Maskottchen für dessen Kinderprogramm „Toggo TV“ entworfen. Die Haselhörnchen-Szenen sind anders als ähnliche Figuren im Kinderfernsehen: Es sind keine statischen Puppe-hinter-Schreibtisch-Situationen, sondern Szenen voller Aktion, inszeniert nicht wie kindische Pausenfüller, sondern als Miniaturfilme – und natürlich voller Mut zum Wahnsinn. „Wir denken nicht darüber nach, worüber Kinder lachen würden, sondern machen, worüber wir lachen“, sagt Reinl. Das ist für die besorgten Kinderprogramm-Menschen von Super-RTL manchmal ein bißchen beunruhigend, und es gibt eine klare Regel: „Nichts darf einzeln abgefressen werden.“ Ganz gefressen zu werden, geht aber in Ordnung, am liebsten natürlich so, daß man das Haselhörnchen hinterher noch aus dem Bauch so etwas sagen hört wie: „Mensch, hier muß ich erst mal ein paar Bilder aufhängen.“

Wenn man mit Martin Reinl spricht und er gerade zufällig eine seiner Puppen auf dem Arm hat, ist es schwer, sich nicht mit ihr statt ihm zu unterhalten. Sie gucken einen mit leicht wirrem Silberblick direkt an, und auch wenn Reinl als er selbst redet, und nicht als das Monster auf seinem Arm, werden sie nicht leblos: Er läßt sie den Kopf ein kleines bißchen schieflegen oder den Mundwinkel kaum merklich zucken, und es ist unmöglich, sich ihrem Charme und ihrer Lebendigkeit zu entziehen. Dazu kommt sein Talent, verschiedenste Stimmen zu modulieren, und seine Improvisationsfähigkeit, und man fragt sich plötzlich, warum er (oder Wiwaldi oder die Spaßbremse oder eine seiner Dutzenden anderen Figuren) nicht längst eine Abendshow im deutschen Fernsehen hat. Er selbst fragt sich das auch und klappert seit Monaten die Sender ab, „aber die haben immer noch Schiß“, sagt er. Und es hilft nicht, wenn er darauf hinweist, daß die „Muppet Show“ ein weltweiter Erfolg war und überall außer in Deutschland im Abendprogramm lief. Nach dem Erfolg von internationalen Puppensendungen für Erwachsene wie „Crank Yankers“ gab es eine gewisse Bereitschaft, Puppen ins Fernsehen zu bringen, die kiffen oder Sex haben, aber das ist eigentlich nicht, was er meint. „Mir geht es um Puppen, die sich wie Menschen aufführen, mit echten Gefühlen und Konflikten.“

Vielleicht klappt es ja mit nicht ganz so echten Gefühlen und Konflikten: Im Angebot hat Reinl auch die überfällige erste Puppen-Telenovela.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

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