Medienlexikon: Denkverbot

Der Spiegel

Denkverbot, das: Tabu-Attrappe zur Aufmerksamkeitssteigerung

Wenn immer mehr Menschen Dinge sagen, die man nicht sagen darf, weil man sie nicht sagen darf – müsste man sich nicht irgendwann von dem Gedanken verabschieden, dass man sie nicht sagen darf?

Verwirrenderweise scheint es heute mehr Tabubrecher als Tabus zu geben. Die Medien sind voll von Leuten, die sich einer angeblich herrschenden „Political Correctness“ widersetzen. Entweder haben die Strafen, die die vermeintliche Denk- und Sprechpolizei aussprechen kann, jede abschreckende Wirkung verloren. Oder die Tabus sind ohnehin nur imaginiert, um in die attraktive und aufmerksamkeitsstarke Pose des Widerstandskämpfers schlüpfen zu können.

Das Beste an dieser Rolle ist, dass in ihr jede Reaktion zur Bestätigung der eigenen Position wird. Je größer die Zustimmung, desto stärker der Eindruck, dass endlich jemand gesagt hat, was gesagt werden musste. Je heftiger die Ablehnung, desto offenkundiger, dass man, wie gesagt, eigentlich nicht sagen durfte, was man gesagt hat.

Die Schweizer Zeitung „Weltwoche“ hat unter ihrem Besitzer und Chefredakteur Roger Köppel in den vergangenen Jahren fast ihr ganzes publizistisches Image auf dem Gedanken aufgebaut, dass die Welt (und insbesondere die Schweiz) voller Denkverbote ist, und dass das, was zu denken verboten ist, vermutlich deshalb verboten ist, weil es wahr ist.

Aktuell tut sie so, als dürfe man nicht über kriminelle Banden von osteuropäischen Roma-Familien berichten. „Es muss doch möglich sein, ernsthaft und offen über solche Probleme zu reden“, klagt der stellvertretende Chefredakteur Philipp Gut, der als Autor einen Artikel zu diesem Thema mitverfasst hat. Nun gibt es gibt zahlreiche Beweise dafür, dass es tatsächlich möglich ist, ernsthaft und offen über solche Probleme zu reden. In die attraktive Rolle des Tabubrechers kam die „Weltwoche“ nur dadurch, dass sie einen Romajungen auf dem Cover zeigte, der mit einer Waffe auf den Betrachter zielt, und dazu titelte: „Die Roma kommen – Raubzüge in die Schweiz“ – als bestehe ein ganzes Volk aus Verbrechern.

Es ist leider überhaupt nicht möglich, mit Gut oder Köppel auch nur darüber zu streiten, weil sie jede Kritik an ihrer demagogischen Darstellung als Kritik an den Tatsachen oder ihrer Veröffentlichung behandeln. Man sollte annehmen, dass sie zwischen beidem unterscheiden können müssten, aber es ist, als hätten sie sich da ein Denkverbot auferlegt.