Monster, unautorisiert

Gestern ist eine Beraterin von Barack Obama zurückgetreten, die Hillary Clinton in einem Interview ein „Monster“ genannt hatte. Samantha Power hatte unmittelbar hinzugefügt, die Bemerkung sei „off the records“, also nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Kritiker warfen der britischen Zeitung „The Scotsman“, die das Interview führte, deshalb vor, sie hätte das Zitat nicht verwenden dürfen. Der „Scotsman“ dagegen betont, es sei vereinbart gewesen, das Interview „on the record“ zu führen — was der Gesprächspartner dann sagt, dürfe auch veröffentlicht werden; ein nachträgliches Zurückziehen gebe es nicht.

In Deutschland ist es immer noch die Regel, dass alle Interviews nachträglich autorisiert werden. Wenn ein Interviewpartner (oder sein Pressesprecher) hinterher pointierte Bemerkungen und offenherzige Kommentare bereut, kann er sie in aller Regel und Ruhe nachträglich revidieren. Was Frau Power wirklich von Frau Clinton hält, hätte bei einem deutschen Printmedium vermutlich niemand je erfahren.

Andererseits kam auch die neue weiche Linie von Kurt Beck gegenüber der Linkspartei im Westen offenbar dadurch an die Öffentlichkeit, dass ein Journalist der „Neuen Presse“ gegen die Gepflogenheit aus einem Hintergrundgespräch mit dem SPD-Chef berichtete und die vereinbarte Vertraulichkeit brach.

Der „Monster“-Fall beschäftigte auch den konservativen amerikanischen Fernsehmoderator Tucker Carlson (mit dem sich der Komiker und Medienkritiker Jon Stewart vor Jahren eine denkwürdige Auseinandersetzung lieferte). In seiner MSNBC-Show „Tucker“ stellte Carlson die britische Journalistin zur Rede, die das Interview mit Samantha Power geführt hatte, und schuf einen dieser Fernsehmomente, die so schrecklich sind, dass man weder hin- noch wegsehen kann:

(„Acquiescent“ heißt übrigens „fügsam“ oder „ergeben“.)

Es lohnt, sich auf MSNBC.com auch einen längeren Ausschnitt aus der „Tucker“-Sendung anzusehen. Carson scheint ein größeres Problem mit britischen Medien zu haben — und schon den Gebrauch der Landesbezeichnung „United Kingdom“ für exzentrisch zu halten.

(via Huffington Post)

Nachtrag: Einige lesenswerte Gedanken zur „off the record“-Praxis stehen im Time-Blog von James Poniewozik.

49 Replies to “Monster, unautorisiert”

  1. Das Autorisierungsrecht von Interviews ist in Deutschland nur Spitzenpolitikern von Bund und Ländern vorbehalten. Lokale Journalisten bis hin zu den Landes-Radio- und Fernsehanstalten machen mit dem Material aus Interviews mit – sagen wir mal – Nicht-Prominenten was sie wollen.

  2. Das unten verlinkte Video lässt mich wieder schwelgen:

    Ich würde wirklich viel, viel Geld bezahlen für einen Mann wie Jon Stewart im deutschen Medienzirkus.

  3. Nirgends. Aber auch nirgends was anderes. Mir ist halt die Botschaft dieses Artikels nicht ganz klar.

  4. @Stefan (5): Genauer gesagt: Das ist meine persönliche Erfahrung (und die von einigen Leuten, die ich kenne). Es kann aber sein, dass ich da einfach zu wenig Autorisierungsrecht einfordere. Werde das beim nächsten Mal testen.

  5. @Georg: Die Botschaft dieses Artikels ist: Da ist was Interessantes passiert, da gibt es eine spannende Diskussion, da gibt es ein Hammer-Video.

  6. Verfall des seriösen Journalismus ,bla,bla …

    Auch dieser exzentrische, konservative Fernsehpfarrer bedient nur niederes amerikanisches Gedankengut gegenüber dem Vereinigten Königreich.

    Nur, der „Scotsman“ hat nichts gelernt. Sowas spielt man zuerst einer großen deutschen Boulevardzeitung zu …

    Autorisierungsrecht. pfffh, dass ich nicht lache.

  7. Ok nun muss ich fragen: Was bedeutet „Exzentrismus“? Wenn ich danach google wirds nicht klarer…

  8. 1. Ich denke dieses Interview hätten man nicht so freigeben dürfen, wenn die Interviewpartnerin hinterher sagt dass sie das nicht so haben möchte. Die Journalistin hat eine Sensation gewittert und gegen diese einfache Regel verstoßen. Wer weiß schon in welchem Zusammenhang bzw. Unterton die Obama-Beraterin Hillary ein „Monster“ genannt hat. Sarkastisch? Ironisch? Oder wirklich ernst gemeint?

    2. Schön zu sehen dass sich der unglaublich dämliche Tucker Carlson wenigstens einen Rat von Jon Stewart zueigen gemacht hat: Die bescheuerte Fliege ist weg.

    3. Hillary hat wirklich Gesichter drauf mit denen man Kinder erschrecken könnte: http://www.danzfamily.com/archives/blogphotos/07/hillary-clinton-faces-vertical.jpg

  9. Tucker zeigt ein schönes Beispiel, dass da, wo Amerika ist, immer oben ist. Wenn einer etwas anders handhabt, muss es (z.B. moralisch) schlechter sein als die Handhabe in den Staaten. Autorisierung hin oder her – wenn ein Interviewter etwas wesentliches erst sagt und dann verneint, oder das spannendste erst sagt und dann streichen will, gestehe ich dem Interviewer zu, das entgegen der Absprache zu veröffentlichen. Das kommt in D viel zu selten vor, leider. Ich erwarte, dass ein Interviewter von vornherein darüber nachdenkt, was seinem Munde entströmt.
    Der Playboy hats, glaub ich, mal mit Michael Stich gemacht.

  10. @ Thema: Bezüglich der deutschen Sitte, Interviews er autorisieren zu lassen, interessiert mich: wie ist das eigentlich mit Live-Interviews, wird da vorher noch exakter abgesprochen, was gefragt werden darf, und hat der Interviewer mit schlimmeren Konsequenzen zu rechnen, wenn er Grenzen überschreitet?

  11. US-Fernsehen ist wirklich immer wieder faszinierend. Zum Beispiel auch die Tatsache, dass man dort, soweit ich sehe, keine Probleme damit hat, einen Komiker als politischen Kommentator ernst zu nehmen. Ein anderes glänzendes Beispiel dafür ist Bill Maher. Gibt es in Deutschland vergleichbare Akteure? Mir fällt spontan keiner ein. Harald Schmidt hätte vielleicht mal das Zeug dazu gehabt, mehr zu sein als ein intelligenterer Pausenclown, aber der Zug ist wohl abgefahren. Er hat sich nie aus seiner Festung aus universeller Ironie herausgewagt, und heute sitzt er mit Pocher lästernd und kichernd in der Ecke.

    Es scheint in den US-Medien wirklich eine „Free Speech“-Kultur zu geben, die lebendige Debatten, eine Vielfalt an Persönlichkeiten und darunter auch viele Perlen hervorbringt, von denen wir hier nur träumen. Mit im Paket sind dann halt auch Holzhammerschwinger wie Tucker. Und denen kann man immerhin noch zugute halten, dass sie Farbe bekennen. Bei all dem Spin in den Medien ist es vielleicht gar nicht schlecht, wenn klar ist, wo einer steht.

  12. Bei Stern online sah ich zunächst eine ungeschminkte, frustierte Hillary Clinton über der Schlagzeile „Obama siegt haushoch in Wyoming“. Bei genauerem Hinsehen handelte es sich jedoch um Dagmar Metzger.

  13. Als (hauptsächlich Ex-)Journalist ist mir die Einstellung der Reporterin unverständlich – und es bereitet mir Zahnschmerzen, Tucker Carlson Recht zu geben: Auch während des Interviews muss natürlich die Möglichkeit bestehen, eine Aussage „off the record“ zu platzieren. Das ist eine grundsätzliche Vertrauensfrage. Die Vereinbarung, ein Interview „on the record“ zu führen, ist kein Freibrief nach dem Motto „Ab jetzt habe ich Sie am Sack, wenn Sie was Dummes sagen“.
    War die Beraterin dumm und unvorsichtig? Klar. Ist Tucker Carlson noch immer ein Arschloch? Klar. But don’t quote me on that…

  14. Wow, das ist ja wirklich spannend. Grundsätzlich finde ich, dass beide Parteien irgendwo recht haben: Einerseits kommt man wohl wirklich nicht „to the truth“, wenn man denen, über die man berichtet (oder die man interviewt), unter allen Umständen immer das letzte Wort über die Berichterstattung zugesteht. Aber in dem Fall muss ich sagen, dass sich die Dame vom „Scotsman“ wirklich nur aufführt wie die Axt im Walde: Wo ist denn da der Nachrichtenwert wenn jemand den Kandidaten aus dem gegenerischen Lager beleidigt? Dass die sich z.Zt. alle nicht liebhaben und die Nerven blank liegen, kann man sich ja wohl selber denken.

    Was anderes wäre es gewesen, wenn Powers was wirklich sensationelles von Neuigkeitswert gesagt hätte und es hinterher als „off the records“ deklariert hätte .. da würde ich dann von einem Journalisten schon eher erwarten dass er nicht so viel Rücksicht nimmt.

  15. Hier mal ein Bericht aus dem Lokaljournalismus:

    Autorisierung gibt es hier (leider) oft bei Wortlaut-Interviews. Ich würde gern darauf verzichten, denn wenn ein Politiker etwas ins Radio- oder TV-Mikro erzählt, kann er es ja auch nicht zurückholen.

    Dennoch gibt es gute Argumente fürs Autorisieren.

    Warum? Ich führe die Interviews normalerweise mit einem Aufzeichnungsgerät, bzw. Aufzeichnungssoftware bei Telefon-Interviews. Nun spricht leider niemand druckreif. Viele Ahs, Öhs, Grammatikfehler werden also gestrichen, bzw. geglättet. Außerdem muss oft ein 30- 45 Minuten-Gespräch auf 6-8 Fragen gekürzt werden. Da fällt oft die Hälfte der Antwort weg.

    Da ich den Gesprächspartner im Wortlaut wiedergebe, kann ich sein Interesse nach Autorisierung verstehen (a la: So spreche ich niemals…). Andererseits nutzen gerade Politiker die Autorisierung dazu, eventuell kontroverse Äußerungen nachträglich zu streichen. Und dann wird’s haarig: Mir bleibt dann nur zu sagen, dass wir das Interview SO nicht veröffentlichen werden… Schließlich ist das Interview für den Politiker eine tolle Form der Selbstdarstellung.

    Von mir aus biete ich die Autorisierung allerdings nur „einfachen“ Leuten an, bei denen ich fürchten muss, dass sie sich durch undurchdachte Äußerungen selbst schaden (z.B.: städtischen Angestellten, die wenig Erfahrung im Umgang mit den Medien haben).

  16. Ich hab ja nun auch schon einige Interviews geführt (die meisten allerdings mit Musikern, was natürlich schon etwas anderes ist als Politiker), bei keinem einzigen gab es den Wunsch nach einer Autorisierung. Aber wenn mir jemand im Laufe des Gesprächs „but don’t quote me on that one“ gesagt hat, oder ich aus rein persönlichem Interesse nachgebohrt habe (z.B. wie er dieses oder jenes Album eines Kollegen findet und als Antwort ein „Ich will die hier nicht bashen, kann damit aber gar nichts anfangen“ kam), dann hab ich solche Sachen auch rausgenommen (meistens waren sie eh unendlich langweilig). Ich persönlich halte das für einen fairen Mittelweg.

    Als sog. öffentliche Person muss man ja heutzutage auch noch immer darauf achten, dass nicht gerade eine Handykamera auf einen gerichtet ist, wenn man dumme Dinge tut oder sagt, da sollten wenigstens in einem Gespräch unter Profis noch ein paar Regeln gelten.

  17. @31/oko
    Da ich den Gesprächspartner im Wortlaut wiedergebe, kann ich sein Interesse nach Autorisierung verstehen (a la: So spreche ich niemals)
    Ich kann das Interesse verstehen, billige es aber nicht. Wenn er denn „niemals so spricht“, warum spricht er denn so? Doch nur, weil er weiss, dass es sowieso nicht verwertet wird. Und so sehen ja die Interviews in den Medien auch aus: Langweilig, gestelzt und stromlinienförmig.

    Der Drang zur Perfektionierung führt ja erst zu dem Phänomen, welches Luka (#32) beschreibt – die Lust nach dem „Ausrutscher“.

  18. Ich verstehe es ehrlich gesagt nicht. Ich mache viele Interviews und lasse die technischen mit Software- und Hardware-Entwicklern in dem Sinne autorisieren, dass ich das Abgetippte dem besagten Menschen schicke. Beispielsweise bei der Erklärung des neuen PACE-Protokolls des kommenden Personalausweises. Was untechnische Interviews anbelangt, passiert es immer wieder, dass ein Gesprächpartner U3 einwirft und Zusatzinfos gibt, die ich dann weglasse. Dafür müssen diese Interviews nicht autorisiert werden. Jemand, der U3 oder OTR ignoriert, bekommt kein weiteres Interview, so einfach ist das.

  19. „In Deutschland ist es immer noch die Regel, dass alle Interviews nachträglich autorisiert werden. “

    Ist zwar alt und OT: aber irgendjemand sollte das auch den Leuten von studivz sagen ;)

  20. „Das Autorisierungsrecht von Interviews ist in Deutschland nur Spitzenpolitikern von Bund und Ländern vorbehalten. Lokale Journalisten bis hin zu den Landes-Radio- und Fernsehanstalten machen mit dem Material aus Interviews mit – sagen wir mal – Nicht-Prominenten was sie wollen.“

    Kann ich nicht bestätigen. Sowohl als Praktikant bei versch. Medien als auch als Redakteur war es immer üblich Interviews authorisieren zu lassen. Ich finde das fair und richtig.

    Richtig ist aber auch, dass es viele gibt, die dann auch in die journalistische Arbeit eingreifen wollen auf lokaler Ebene. Dann zur Not eben nicht veröffentlichen.

  21. klar, man sollte sich vorher überlegen was man sagt, nur kann einem schon mal was rausrutschen was man nicht unbedingt öffentlich machen will.
    Das ist vielleicht nicht ganz ehrlich aber wie ich finde ihr gutes recht. Seine persönliche, neben der politischen Meinung geht nicht unbedingt die Welt was an.
    Von daher billig von den Briten

  22. Etwas spät, aber trotzdem: Der Fall Peev hat nichts mit sogenannten Wortlaut-Interviews zu tun, die es in der angelsächsischen und amerikanischen Presse kaum gibt (das ist eine deutsche Krankheit). Es geht um die Verwendung von Zitaten aus Gesprächen. Wer sich die Mühe macht und mal den fraglichen Artikel liest, wird das sofort erkennen.

    Warum ist das mehr als nur eine zarte Nuance? Zitat vom Anfang: „… Mr Obama’s key foreign policy aide, let slip the camp’s true feelings about the former first lady.“ Was ist daran bemerkenswert? Dass Ms. Peev behauptet, das von ihr eingesammelte Zitat gäbe – Plural – „wahre Gefühle“ des gesamten Lagers wieder und nicht die Einschätzung einer einzelnen Person. Warum ist das relevant? Weil im Laufe des gesamten Artikels diese Behauptung durch nichts belegt oder abgestützt wird. Ms. Peev ist eine fahrlässige, um nicht zu sagen lausige Journalistin. Und ihre Redakteure sind es auch. Keine andere Stimme aus dem Obama-Lager, kein anderes Zitat, kein Hinweis auf andere Veröffentlichungen, die bereits eine ähnliche Aussage aufgestellt haben. Nichts. Die Frage ist demnach gar nicht, ob man in Großbritannien etwas andere Gepflogenheiten im Umgang mit off-the-record-Bemerkungen hat. Die Frage ist, ob man solche Bemerkungen dazu benutzen sollte, um etwas zu behaupten, was man nicht belegen kann oder (noch schlimmer) nicht belegen will. Ms. Peev arbeitet mit den gleichen Mitteln wie andere tendenziöse und manipulative Journalisten. So ähnlich wie Judith Miller von der New York Times, übrigens, nur ein bis zwei Gewichtsklassen darunter.

  23. Ich finde die ganze Aufregung irgendwie albern. Eine Wahlkämpferin hat ihren Gefühlen gegenüber dem gegnerischen Kandidaten freien Lauf gelassen und eine Journalistin erzählt es weiter. Na, und?

    Eine Entschuldigung an die Clinton für die Wortwahl und gut is‘.

    Was ich viel interessanter finde, ist die Bemerkung, dass Journalisten sich bei Politiker anzubiedern hätten, damit die Politiker auch in Zukunft mit den Hofberichterstattern reden. Ist das wirklich die Auffassung von Journalismus in den USA? Wer braucht denn solche Journalisten? Doch wohl nur die Politiker. Man sieht ja, dass solche Journalisten sehr weit kommen in den USA, aber das kann doch nicht ernsthaft die Auffassung sein, die man öffentlich zugibt. Einfach nur peinlich. Aber nicht für Peev.

  24. >Eine Entschuldigung an die Clinton für die Wortwahl und gut is’.

    Das schein mir auch das eigentliche Problem. Jeder weiß doch, dass die Leute so voneinander denken. Freund, Feind, Parteifreund … Aber wenns mal eine sagt, wird sie scheinheilig medial hingerichtet.

  25. @34, d. borchers
    u3? du redest nicht von usb-sticks nehme ich an. was heißt denn das? (otr ist ja klar)

  26. Es gibt Unter 1, 2 und 3.

    U1 bedeutet, der Journalist kann die Quelle mit Namen zitieren. Also ganz normal.

    U2 bedeutet, dass man den Namen der Quelle nicht nennt, sondern: „Aus SPD-Kreisen hieß es…“ usw.

    U3 ist dann off the records, also ein Hintergrundgespräch, die Infos bleiben zwischen Quelle und Journalist.

  27. Schade, dass MSNBC beschlossen hat, sich eine Gesprächskultur a la Fox News zu eigen zu machen. Da ist Tucker natürlich der Richtige für.

  28. @Stefan (45)
    Die Diskussion in der Kommentarspalte finde ich fast interessanter als den Artikel.

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