Neue „Tatortreiniger“-Folgen: Der NDR hat schon Geschenke für Weihnachten


Dreharbeiten zur Folge „Auftrag aus dem Jenseits“: Regisseur Arne Feldhusen, Heiko Schotte (Bjarne Mädel), Kameramann Kristian Leschner (von links). Foto: NDR.

Es sind zwei neue Folgen vom „Tatortreiniger“ fertig, und sie sind sehr fein geworden. Aber im Fernsehen werden sie vorerst nicht zu sehen sein. Gestern konnte man sie sich in vielen Städten im Kino ansehen, und in ein paar Wochen sind sie auch auf DVD erhältlich. Aber der NDR, der sie in Auftrag gegeben hat, meint, im regulären Programm nach wie vor keinen Platz für seine preisgekrönte Serie zu haben.

Die fertigen neuen Folgen werden deshalb erst wieder im sogenannten „Weihnachtssonderprogramm“ im NDR-Fernsehen laufen, also grob in der ersten Woche des Jahres 2014. In dieser Weinachtsferienzeit bricht der Sender traditionell vorübergehend seinen Programmschemabeton auf und wagt das Unglaubliche: Er zeigt an einem Mittwochabend um 22 Uhr etwas anderes als eine Wiederholung des „Großstadtreviers“. (Morgen läuft zum insgesamt sechsten Mal die Folge 188 aus dem Jahr 2003.)

Ja: Wenn es dem deutschen Fernsehen schon mal gelingt, herausragende Serien zu produzieren, findet es dafür angeblich keinen Platz in seinem Programm. Die zweite Staffel der ebenfalls preisgekrönten DDR-Serie „Weissensee“ ist seit dem Sommer vergangenen Jahres fertig und wartet darauf, dass das Erste irgendwann damit aufhört, am Dienstag um 20:15 Uhr „Um Himmels Willen“ und „Tierärztin Dr. Mertens“ zu zeigen. Im September soll es endlich soweit sein – das ist dann knapp drei Jahre nach dem Ende der ersten Staffel. Auch die „Weissensee“ ist nun immerhin von der Produktionsfirma Ziegler Film vorab auf DVD veröffentlicht worden.

Man mag sich nicht ausmalen, was passieren könnte, wenn der NDR aufhörte, in seinem Programm nach einem Sendeplatz für den „Tatortreiniger“ zu „suchen“ und stattdessen einen schafft. Und dann umgekehrt nach Programmen suchen könnte, die dort auch hinpassen würden: Feine amerikanische Serien zum Beispiel, für die die ARD die Rechte hat, wie „Taras Welten“ (Erstausstrahlung war 2011 auf dem damaligen US-Serienplatz der ARD: Freitagsmorgens nach 2 Uhr.)

Und dann, womöglich, sogar gezielt Programme für einen solchen Sendeplatz in Auftrag zu geben: Kleine, besondere, humorvolle, genau beobachtete, liebevoll gemachte deutsche Serien, nicht zu teuer, die nicht unbedingt ein Viele-Millionen-Publikum ansprechen, aber eine treue Fangemeinde glücklich machen. Sowas wie den „Tatortreiniger“, bestenfalls.

In „Auftrag aus dem Jenseits“ trifft Bjarne Mädel als Schotty in einem heruntergekommenen, abgelegenen, alten Haus eine andere Art von „Tatortreiniger“: einen Schamanen, der der Seele des dort umgekommenen Obdachlosen helfen will, den Ort zu verlassen. Der bodenständige Schotty glaubt natürlich nicht an so einen ebenso okkulten wie geschäftsträchtigen Hokuspokus, aber dann entdeckt der Schamane mit seinen guten Verbindungen ins Jenseits einen erstaunlichen Zusammenhang zwischen ihm und dem Toten. Die Geschichte lebt vom wunderbar irre spielenden Milan Peschel und balanciert auf den Klischees — gerade, wenn es abgeschmackt werden könnte, nimmt sie einen unerwarteten Abzweig zurück in die schnöde Realität und auf den Boden der billigen Komik.

„Angehörige“ schafft einen ähnlichen Balanceakt zwischen Pathos und Witz. Hier landet Schotty in der Wohnung eines Verstorbenen, der nach vielen Jahren als vermeintlich heterosexueller Familienvater sein Coming-Out hatte. Sein bester schwuler Freund Fanny Fee (Florian Lukas) will nun die Leiche entführen, um ihm ein angemessen schwules Begräbnis zu verschaffen — im Kreise seiner wahren Familie, wie er sagt.

Durch einige sehr aberwitzige Zufälle sind Schotty und die Tunte dann in einer telefonzellengroßen Kiste gefangen — schätzungsweise die Hälfte der Folge spielt auf diesem engsten Raum, ein grandioses Kammerspiel in einem Kammerspiel.

Aus dem Aufeinandertreffen (und -liegen) von Schotty mit Fanny entwickeln sich einige erstaunlich tiefgründige Gespräche über Identität und Glück. Und immer, wenn die Geschichte gerade allzu moralisch zu werden scheint, schlägt die Handlung einen Haken zur Comedy und umgekehrt.

Christian Granderath, der zuständige Fernsehspielchef des NDR, ist sehr zufrieden damit. Und so sieht es danach aus, dass der Sender weitere Folgen in Auftrag gibt, auch ohne Sendeplatz. Granderath bestätigt die Absicht, diesmal sogar gleich sechs weitere Ausgaben zu bestellen – das wären die Folgen 10 bis 15. Drehstart könnte im Oktober sein, deutete Regisseur Arne Feldhusen gestern im Kino an. (Mit einer Ausstrahlung würde man dann vermutlich ungefähr im Januar 2015 rechnen können, nehme ich an, Weihnachtssonderprogramm, Sie wissen schon.)

51 Replies to “Neue „Tatortreiniger“-Folgen: Der NDR hat schon Geschenke für Weihnachten”

  1. Sie müssen Geduld haben, Stefan. In ein paar Jahren sehen wir dann „Die 25 schönsten Tatortreinigungen“ oder „Das Blutigste vom Norden“.

    Im Ernst: ich glaub, das hängt mit etwas Anderem zusammen als mit der Reihe selbst. Irgendwelche kleinen Machtkämpfe im Sender vielleicht, das wäre ja nicht untypisch für einen öffentlich-rechtlichen Apparat. Siehe Tatort/Saarländischer Rundfunk, wo es auch ein einzelner Redakteur schafft, ein Desaster anzurichten.

    Und wer sollte solche Leute auch von ihrem Tun abhalten? Sie sind unkündbar, sie sind eigenverantwortlich, sie sind Gott. Granderath ist der Gott des Nordens.

    Ich würde diese Reihe, vielleicht mit anderem Titel, einem anderen Sender anbieten. ZDFneo vielleicht. Denn warum Perlen vor die Säue werfen?

  2. Eine Schande, dass der NDR uns Fans so hängen lässt. Wir haben Lust auf unterhaltsame, sich nicht zu wichtig nehmende Kammerspiele, die dennoch mit viel Hingabe hergestellt werden (der schöne Quatsch mit der Abspannmusik(!)). Wir zahlen monatlich einen für uns beachtlichen Haufen Geld (das Publikum gestern in Berlin war relativ jung) an die Öffentlich-rechtlichen und müssen uns die eigentlich damit schon bezahlten Produkte auch noch im Kino abholen. Zum Dank zeigt man uns in allabendlichen Wiederholungen, was Fernsehen war, als man noch nicht HBO streamen konnte…

  3. Aber wenn die Folgen dann doch kurzfristig irgendwann einmal mittwochs morgens um halb vier im NDR-Fernsehen laufen sollten, sagst Du uns rechtzeitig Bescheid, Stefan? soll ja vorkommen, sowas.

  4. Ich kann das aber auch verstehen, gerade bei der 6. Wiederholung vom Großstadtrevier liegt die Priorität einfach nahe. Ausserdem ist das auch so teuer, alleine das riesige Ensemble beim Tatortreiniger und die Spezialeffekte.

    Ganz ehrlich? Wenn es nichtmal einen bösen, geldgierigen Konzern gibt der einen abziehen will, sondern einfach nur so eine völlige Sinnlosigkeit, ist es fast schwerer, damit klar zu kommen.

  5. Wahnsinn wie lernresistent und verkrustet der NDR sich präsentiert, nach all der medialen Aufmerksamkeit und dem Grimme Preis hätte ich auf jeden Fall einen prominenten Sendeplatz erwartet. Diese Weihnachtsgschichte ist ja wohl Realsatire.

  6. Irgendwie bin ich sehr unzufrieden damit, dass mit meinem Geld Dinge produziert werden, für die ich dann nochmal zahlen soll, um sie sehen zu können.

  7. Hab die beiden Folgen gestern im Kino gesehen und besonders mit „Angehörige“ viel Spaß gehabt. Die Schamanenfolge fand ich dann schon ein bisschen drüber. Ich mag’s lieber, wenn die Figuren eher unauffällig sind und sich das abgründig-skurrile erst langsam offenbart. Die Details des Tatortreiniger-Handwerks waren bislang immer sehr liebevoll inszeniert – ich hatte den Eindruck, dass das in der neuen Staffel weiter in den Hintergrund tritt und nur noch sehr lose den Rahmen für die außergewöhnlichen Begegnungen bildet. Da hat sich die Serie wohl weiterentwickelt…
    Zum NDR-Thema sag ich mal nix.

  8. „Kammerspiel im Kammerspiel..“
    Irgendwo habe ich schon mal von diesem Kammersutra gelesen.

  9. Da gibt es einen NDR-Fernsehspielchef, der findet die Serie ganz supi und dreht weitere Folgen.

    Aber der NDR-Programmchef (oder sonst einer aus der Chefetage) findet die Serie nicht so dolle und lässt sie daher nicht mal nachts ausstrahlen.

    Hab ich das Vorgehen des NDR richtig interpretiert?

  10. Ich finds ja irgendwie schlimm, dass der NDR Serien finanziert die man eigentlich gar nicht zeigen will oder nur gegen 4 Uhr nachts.

    Und der Produktionsfirma erlaubt man es noch vorab Geld mit der DVD zu verdienen.

    Aber in diesem Fall will ich mich gar nicht beschweren!

  11. Ärgerlich ist nicht allein die Wiederholung des Großstadtreviers, sondern die Verschiebung der NDR-Qualitätsformate Extra3 und ZAPP auf die Nachtstunden.

  12. @4 Stefan: Trotzdem nur halbgute Nachrichten meiner Meinung nach. Wird von unseren Gebühren finanziert, aber um es zu sehen muss man nochmal extra zahlen.

  13. Auffällig:

    „Mord mit Aussicht“: Dieses Frühjahr wird gedreht, im Herbst 2014 ausgestrahlt.
    Der „Stromberg“-Film kommt auch erst 2014.

    Da hat’s wohl jemand auf die Bjarne Mädel-Fans abgesehen!

  14. Ich hab die beiden Folgen am Montag auch im Kino gesehen – einfach sensationell. Und die Folge mit der alten Dame und ihrem Sofa, die danach noch gezeigt wurde, habe ich zum dritten Mal gesehen – und mich immer noch kaputtgelacht.

  15. Mir ist ehrlich gesagt völlig unklar, was alle am Tatortreiniger gut finden. Ist es einfach nur, dass er nicht ganz so dämlich ist, wie der Rest (sozusagen der Einäugige unter den Blinden)? Oder finden alle den gut, weil alle den gut finden? (sic)

    Oder habe ich einfach keinen Geschmack?
    (Doch, habe ich!)

    Ich habe nur wenige Folgen gesehen, aber fand nicht dass die Serie auf „Klischees balanciert“ „sondern einfach nur klischeehaft. Incl. aller Kalauer die bei drei nicht auf den Bäumen waren.

    Und die „sehr aberwitzigen Zufälle“ die dafür sorgen, dass Schotty und „die Tunte“in einer telefongroßen Zelle gefangen sind … sind vermutlich vor allem eines: Aberwitzig. Aber eben nicht witzig. Wobei: Diese Folge hab ich ja noch nicht gesehen. Kann mir nach den bisherigen Folgen aber gut vorstellen, dass ich mehr weinen als lachen müsste (würde ich mir das antun).

    Ja, okay, besser als Großstadtrevier wird das wohl sein. Aber im besten Fall würde ich den Tatortreiniger als „ganz nett“ bezeichnen. Und ist „nett“ nicht der kleine Bruder von… na, lassen wir das.

  16. Auf DVD, Blu-Ray und im Interwebs schätze ich mal. Auf den gängigen Download – bzw. Streamingseiten.

  17. @23: Vielleicht ist diese Serie einfach nichts für Sie?
    Denn „…die nicht unbe­dingt ein Viele-Millionen-Publikum anspre­chen…“

  18. @25: Danke für den Hinweis, aber ich sehe mich definitiv nicht als Teil eines Viele-Millionen-Publikums.

  19. @Tim (28):
    Damit du den Tatortreiniger und viele andere Filme auf Bluray oder im Web sehen kannst (von irgendwem muss das ja finanziert werden).
    *lol*

  20. Ich habe mich damit abgefunden, dass TV hierzulande im fiktiven Bereich schlicht unguckbar ist. Die wenigen Perlen werden nachts versendet und ausländische Produktionen gewohnt steril totsynchronisiert. Bestes Bsp. ist die erstklassige Polit-Serie „Borgen“ die auch mal wieder in der ARD in Doppelfolgen nachts unter Ausschluss der Öffentlichkeit gezeigt wurden. Man wird sicher auch ein solches Plätzchen für denwirklich gelungenen „Tatortreiniger“ finden.

    Wenn ich mal durch Berichte etc. auf ein interessantes Format im hiesigen Fernsehen aufmerksam werde (zuletzt z.B. „Real Humans“) besorge ich mir es eben (ggf. in OV und mit Untertiteln) im Netz anstatt mich über die Senderpolitik aufzuregen. Kostet nur Nerven.

  21. @JMK #30: Puh, da bin ich aber froh. Mir hat das auch gut gefallen – nach den schlechten Kritiken hatte ich schon Angst, einen schlechten Geschmack zu haben.

  22. Um Himmels Willen, Tierärztin, In aller Freundschaft, Grossstadtrevier – das sind alles Sendeplatzblockierer, da ist eine Folge wie die andere. Da ist man froh, arbeiten zu müssen.
    Die DVDs werde ich meiner Stadtbücherei zum Kauf vorschlagen, und da ich gelegentlich mit einer Bibliothekarin ins Bett gehe, könnte das klappen…
    Im übrigen ist das ZDF nicht viel besser. Wenn da mal Qualität läuft (KDD, Nachtschicht), dann nicht lange bzw. selten. Und stattdessen zum xten Mal dieser Müll „Notruf Hafenkante“.

  23. @SvenR
    War völlig okay, ist halt Zdf und kein Cobra 11. EIn bisschen langatmig, aber gute Figuren, geht völlig in Ordnung.

  24. „Wo sitzt,“ so frug der Globus leise
    und naseweiß die weite weise,
    unübersehbar weiße Wand,
    „Wo sitzt bei uns wohl der Verstand?“
    Die Wand besann sich eine Weile,
    sprach dann: „Bei Dir? Im Hinterteile!“

    Und seither dreht der Globus leise
    sich um und umherum im Kreise,
    als wie am Bratenspieß ein Huhn,
    so, wie auch wir das gern e tun.
    Dreht stetig sich und sucht der weil
    sein Hinterteil.
    (Ringelnatz)

    @marko:
    Meinten Sie vielleicht?

  25. Mädel hat in der Serie Nazis lächerlich gemacht. Offensichtlich darf man das in unserem Land immer noch nicht ungestraft.

  26. Der NDR hat doch glatt wieder kurz nach Neujahr drei neue Folgen vom Tatortreiniger versendet. Aus der Mediathek des NDR sind die Folgen natürlich auch schon raus genommen worden. Jetzt gibts nur noch die alten Staffeln im Shop des NDR oder bei itunes zu kaufen.

    Ist das eigentlich erlaubt, so eine Sendung des ÖR öffentlich so unzugänglich wie möglich zu machen und nur teure, unzureichende Alternativen anzubieten?

  27. @Tombadil: Die beiden(!) „neuen“ Folgen, die in der ersten Januar-Woche zusammen mit vier Wiederholungen gesendet wurden, sind die beiden letzten, die auf der „Staffel 2“-DVD, die bereits Mitte 2013 erschien, enthalten sind.

    Wirklich neue Folgen sind erst in Produktion.

  28. Danke für den Hinweis. Irgendwie bin ich dann doch beim Zählen und Vergleichen durcheinander gekommen.

    Diese verwirrende Mixtur aus neuen und alten Folgen erfordert einfach etwas mehr geistige Anstrengung für die RTL-Nation.

  29. Wieso müssen wir eigentlich für die DVD’s noch Geld bezahlen? Die Sendung ist doch bereits durch die Gebühren bezahlt!? 10 € für eine DVD ist vielleicht noch ok, für Produktion und Vertrieb, aber da ist ja nur die halbe Staffel drauf…

  30. Kurz vor knapp dann doch noch schnell das Wort des Jahres gesendet: Krumseltört.

    Aber es ist trotzdem traurig, dass das gesamte Deutsche Fernsehen nur noch einmal im Jahr so richtig genial sein kann.

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