Nils Minkmar bloggt

Der kleine Siamkater hier heißt Ali — nach dem Boxer. Ähnliches Ego. Und die gefleckte ist die Alice — griechische Straßenkatze mit traumatischer Vergangenheit. Früh die Mutter verloren, dann die Schwester. Isst Weißbrot.


Alice ist klassisch sozialdemokratisch. Ali hingegen steht auf Nicolas Sarkozy und hält sich für ihn. Er könnte auch Frankreich ähnlich gut regieren.

Das politische Interesse dieser Katzen ist kein Zufall: Sie leben mit Nils Minkmar zusammen, dem politischen Redakteur im Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Nils ist ein guter Kollege und Freund. Ihm vor allem ist es zu verdanken, dass ich zur FAS gekommen bin, was ich nie bereut habe.

Ich kenne niemanden, der so über Politik schreibt wie er: klug, lustig und persönlich zugleich. In kleinen Anekdoten und Beobachtungen kann er einem das große Ganze erklären, er ist ungemein belesen und scharfsinnig, und er schafft es, gleichzeitig wütend und analytisch zu sein und seine Verzweiflung über die Verhältnisse (und insbesondere den Zustand der Sozialdemokratie, die theoretisch seine politische Heimat darstellen sollte), in beißenden Humor zu verpacken.

Er ist Saarländer und Halbfranzose, promovierte über „stadtbürgerlichen Ehrbegriff, Ehrenkonflikte und Habitus im Colmar des 16. Jahrhunderts in historisch-anthropologischer Perspektive“, und hat ein Chef-Versteher-Gen, das mir völlig abgeht und das er vermutlich entwickelt hat, als er für Roger Willemsen bei dessen ZDF-Talkshow gearbeitet hat, aber das tut hier gar nichts zur Sache. Wenn er eine journalistische Schwäche hat, dann die einer ausgeprägten Gleichgültigkeit gegenüber lästigen Details wie Punkt und Komma.

Er geht — wie ich — gerne in den Zoo und bringt — anders als ich — daraus kluge Miniaturen mit wie diese (die ich mir aus der FAZ ausgeliehen habe):

Unlängst wurde im Frankfurter Zoo ein Menschenaffenhaus eingeweiht. Die Szenen, die sich dort abspielen, sind in einer Familienzeitung kaum zu beschreiben. Die Bonobos scheinen mit dem gesammelten und projizierten Anthropomorphismus der Besucher derart überlastet zu sein, dass sie schlicht den Verstand verloren haben.

Ein schmales Männchen schmeißt Holzwolle auf einen großen gelben Gummiball. Dann besteigt er ihn mit irrem Blick. Kinder schauen umso besorgter, je verständnisvoller die Erklärungen der sie begleitenden Erwachsenen ausfallen: „Siehst du: der Affe macht jetzt Sex mit dem Ball.“ Es ist alles zu viel. Man möchte bitte aus dem Gattungszweig der Primaten austreten, sucht den Notausgang und wird erlöst: Völlig abseits rostet ein kleines Gehege mit einem einzelnen Lemuren vor sich hin.

Das ist ganz offenkundig nicht mehr der VIP-Bereich der Primaten, sondern eine Art Wartesaal zweiter Klasse der Evolution. Und wie leise und lustig geht es hier zu! Es gibt kaum anmutigere Tiere als Lemuren, diese Mischwesen mit ihren Hundeköpfen, Eulenaugen und schlanken Affenkörpern. Vom Totengeistdarsteller bis zum Comedystar neben John Cleese haben sie in der menschlichen Imagination kaum eine Rolle ausgelassen. Neugierig tauschen der einsame Katta und der von zu viel Affentheater genervte Zoobesucher freundliche Blicke.

Leider hat Charles Darwin nie einen lebend gesehen, dennoch hat er ihnen einen Platz eingeräumt, und zwar keinen Klappstuhl: In der „Abstammung des Menschen“ schreibt er 1871, es sei wahrscheinlich, „dass die Simiaden sich ursprünglich aus den Vorfahren der jetzt noch lebenden Lemuriden entwickelt haben“. Obwohl er ihren Charme nicht kennen konnte, hielt er diesen paar Halbaffen einen so wichtigen Platz frei. Das ist der Charme Darwins.

Wer Nils Minkmars Texte nicht kennt, könnte als Einstiegsdroge diesen Artikel über das Rätsel George W. Bush lesen oder diesen über die SPD nach dem Rücktritt Kurt Becks.

Und jetzt hat er ein Buch geschrieben. Es erscheint am kommenden Mittwoch, heißt „Mit dem Kopf durch die Welt“, und in der heutigen FAS stand ein vielversprechender Vorabdruck daraus, der so begann:

Es war am ersten Tag der Sommerferien 2006. Beim Einräumen meiner Sachen in den Wandschrank unseres Ferienhauses entdeckte ich zwischen alten Turnschuhen einen kleinen Karton, den jemand auf dem Fußboden abgestellt hatte. Auf diesem Karton stand mit dickem Filzstift der Vor- und Nachname meines Großvaters. Post für ihn war es nicht, er bekam kaum noch Post, schließlich war er schon drei Jahre tot.

Auf der Pappe klebte ein grüner Aufkleber, ein Firmenname, zusammengezogen aus Funerarium und Europa. Das Päckchen ging nicht an meinen Opa, das Paket enthielt meinen Opa.

Jahre nach seinem Tod hatte sich mein Cousin ein Herz gefasst, die Urne von Marseille, wo mein Opa während der Hitzewelle 2003 gestorben war, an die Atlantikküste zu dessen geliebtem Ferienhaus zu fahren. Der Mut hatte dann aber nicht mehr dafür gereicht, sich auch eine definitive Lagerstätte auszudenken.

Mein Großvater war, nach einer Kindheit im dunklen Schatten der Kirche, immer antiklerikal gewesen. In der Familie war man an Ritualen und Symbolen nur dann interessiert, wenn sie das Essen oder die Schulbildung betrafen, und selbst dann nur schwach. Der Tod fiel in keine dieser Kategorien, der eigene schon gar nicht.

(…)

Ich habe leider sonst noch nichts aus dem Buch gelesen, bin aber sicher, dass jetzt.de (ausnahmsweise) recht hat, wenn dort ein Rezensent dafür schwärmt.

In der nächsten Zeit wird Nils Minkmar hier ein bisschen gastbloggen, was mir eine große Freude und Ehre ist — nicht nur, weil ich jetzt endlich mal Katzencontent bieten kann.

30 Replies to “Nils Minkmar bloggt”

  1. Ich freue mich darauf, demnächst auch hier von Nils Minkmar zu lesen, denn er gehört zu den wenigen Journalisten, deren Namen ich mir gemerkt habe, weil sie mich mehrfach positiv beeindruckt haben. Und das will was heißen, denn mein Namensgedächtnis ist rudimentär.

  2. Schön, Glückwunsch!

    Faszinierend finde ich die Kommentatorenschlacht zu Nils‘ Artikel über Bush. Wie weit rechts muss man sein, um die Frankfurter als links zu empfinden?

  3. Nicht nur Katzen, sondern auch Apfel-Content, wenn ich richtig gesehen habe – ist mir beides äußerst sympathisch, das schon mal als Vorschusslorbeeren.

  4. [Ich gehe auch so gerne in den Zoo. Meine Freundin findet das immer langweilig. Und ich war schon seit Wochen nicht mehr im Zoo. Hab schon mit dem Gedanken gespielt nachmittags fernzusehen. Gehst du mit mir in den Zoo?]

    Ach, ich hab doch schon einen Stapel von vier Büchern, die ich noch zuerst lesen muss. Was ist das nur für ein Gott, der zuläßt, dass so viele offenbar gute Bücher nahezu gleichzeitig erscheinen?

  5. Der erwähnte Artikel über die SPD ist schon sehr angenehm, auch gut geschrieben. Seine Detailbeobachtungen sind wirklich lesenswert. Ich finde ihn aber zu unpolitisch. Warum die SPD heute so ist, wie sie ist, kann man mit einer politischen Analyse erklären.

    Dass Minkmar das kann, zeigt (beispielsweise) dieser Artikel über die Finanzkrise:
    http://www.faz.net/s/RubCF3AEB154CE64960822FA5429A182360/Doc~E6DE8370CE13D4DC0BD53F8E7D3912C79~ATpl~Ecommon~Scontent.html

  6. Minkmar macht immerhin die Mär vom Wortbruch mit. Die größte PR-Kampagne, die ich (mit meinen jungen Jahren) in der BRD mitgemacht habe.

  7. @steffenh / 10 – „Simiae“ = Affen (ist eine Unterordnung in der Primaten-Systematik), als ergänzendes Gegenstück gibts auch Prosimiae (Halbaffen).

  8. Cool – wieder was gelernt. Wird Herr Minkmar auch für die deutsche Daily Show schreiben? Und wird Alberto Green die Rolle des quaint Englishman alá John Oliver übernehmen?

    Danke für den Buchtip, Stefan. Ich quäl mich immer noch durch „Angler“ durch (UT: The Cheney Vice Presidency). Will das jemand haben wenn ich fertig bin?

  9. Die Kommentare zu dem Bush-Artikel in der FAS waren zum Teil tatsächlich erschreckend. Umso besser, dass Freund Minkmar dort schreibt; Gleichgesinnte überzeugen zu wollen wäre langweilig und überflüssig. Ich freu mich auf ihn, hier im Blog.

  10. Aus eigener Erfahrung weiß ich, daß Katzen zur Bildschirm-Sucht neigen – vielleicht auch hier, weil so ein hübsches Appetithäppchen wie Paul Krugman sie anpixelt?!

  11. jetzt hat mich die weltverschwörung doch hinterrücks erwischt. alles hängt zusammen und es ist kein zufall wenn es bei mir gleich zwei FAS-lieblingsautoren gibt.

  12. Endlich mehr Aufmerksamkeit für einen frankophon gefärbten Journalisten. Der deutsche Blickwinkel oder die amerikanische Sicht der Dinge brauchen dringend einer Ergänzung.
    Aber warum bloggt er denn nicht in einem eigenen Blog oder in den FAZ-Blogs?

  13. Toll! Endlich mehr Katzen!
    „Von einer Katze lernen
    heißt siegen lernen.
    Wobei siegen „locker durchkommen“ meint,
    also praktisch: liegen lernen.“ (R.Gernhardt, ist nur die erste Strophe)
    Der SPD-Artikel ist wirlich lesenswert, aber: Siehe Komm. 12 und sein Obama-Wunsch ist so lala…Brandt und Wehner waren auch immer in der Politik, sie waren aber vor allem politische Menschen: Sie wussten, was ausserhalb der Partei vor sich geht. Bestimmt wird kein zweiter Wehner gebraucht, vielleicht aber ein neuer: Jemand. der Tacheles redet und Fehler zugibt.
    Das wird bestimmt spannend (Ist es jetzt auch, nicht das ich falsch verstanden werde)

  14. na hoffentlich wollen wir danach auch noch den ollen Nigge lesen, nachdem sogar Stefan nur Positives zu sagen hat (andererseits isses ja auch e weng in eigener Sache, dass er das hier schreibt)

  15. Ohje, die Kommentare zu dem Bush-Artikel sind wirklich sehr unschön. Ich meine, jeder hat seine Meinung, aber der Ton, der dort auch angeschlagen wird, hui!
    Ansonsten muss ich sagen, mir scheint der Herr Minkmar sehr sympathisch und ich freue mich schon darauf, auch hier den einen oder anderen Text von ihm lesen zu können.

    Hrm, irgendwas fehlt .. irgendetwas … achja! Yay, Katzen!

  16. Welch wunderbare Einleitung zu dieser sehr guten Idee, hier einen politischen Blogger der FAS mitschreiben zu lassen. Einen besseren Platz hätte es (für mich) nicht geben können. Herzlich Willkommen, Nils Minkmar! Ich freue mich auf Ihre Beiträge.

    Als Schuljunge habe ich im Jugendklub des Bergzoo Halle u. a. mitgeholfen, die Gehege von afrikanischen Zwergziegen, Antilopen, Mufflons, etc. pp. von Geröll und Schlamm zu befreien, damit sich die Tiere nicht verletzen konnten. Auch heute zieht es mich immer wieder gern in die zoologischen Gärten. In diesem Jahr will ich mir unbedingt noch Carl Hagenbecks Tierpark in Stellingen (25 Hektar) ansehen. Ein fast schon legendärer Tierpark, der in seiner bald 150-jährigen Geschichte viele Höhen und Tiefen erlebt hat.

  17. Er will hier (HIER? *kreisch*) das Bloggen ausprobieren. Was hast Du dem Mann über dieses Blog erzählt? Och, nur so was privates, ein paar Urlaubsfotos, Katzencontent, Schafe…

    Na, ich bin gespannt. Und sehr erfreut.

  18. Stefan Niggemeier und Nils Minkmar (!) in einem Blog. Hach. Die Welt ist doch noch nicht verloren.

  19. Die Fotos haben am meisten gefallen, besonders das erste. Die Katz guckt mit so großer Aufmerksamkeit… Echt klasse Fotos.

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