Notizen über Stefan Aust

Jetzt erscheinen Artikel über Stefan Aust, die sich wie Nachrufe lesen. Und wenn schon Bilanz gezogen wird über sein bisheriges Lebenswerk und sein Wirken beim „Spiegel“, würde ich gerne an zwei Episoden erinnern.

Das eine ist die Geschichte, die Ulrike Simon in der „Welt am Sonntag“ aufgeschrieben hat über Stefan Aust als pflichtbewussten Testfahrer von Luxusautos. Das andere ist die Geschichte, wie Aust einen von Experten in seiner Redaktion geschriebenen Artikel über Windkraft kippte und stattdessen später einen „Spiegel“-Artikel veröffentlichen ließ, der nicht nur seinen persönlichen Interessen entsprach, sondern teilweise auch vor seiner Haustür spielte, was der Artikel natürlich verschwieg. (Die wunderbare Dokumentation der Vorgänge durch Martin Niggeschmidt für „Message“ hat die „Netzeitung“ dankenswerterweise einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht und bewahrt. Dort ist auch der von Aust verhinderte Windkraft-Artikel von Gerd Rosenkranz und Harald Schumann zu lesen.)

Der Windkraft-Fall ist ungleich gravierender, aber beide Geschichten geben eine Ahnung davon, wie egal Aust Kategorien journalistischer Verantwortung waren. Schon sich für seine Entscheidungen rechtfertigen zu müssen, scheint für ihn eine Zumutung zu sein. Die gereizten Antworten sind Bankrotterklärungen. (Unbedingt nachlesen in der „Netzeitung“: Wie Aust erst behauptet, gar nicht zu wissen, dass es in der Nähe seines Reiterhofs Windkraft-Projekte gibt. Wie er dann behauptet, er habe den Redakteuren gesagt, sie sollten einen Bogen um seine Nachbarschaft machen. Wie er schließlich zugibt, den Namen des Ortes getilgt zu haben — aber hinzufügt, sonst hätte er sich ja andere Vorwürfe anhören müssen, wie man’s macht, sei’s verkehrt.) Dass jemand, der sich mit einer solchen Wurstigkeit über solch gravierende Vorwürfe hinwegsetzt und sich in wichtigen Fragen demonstrativ auf das argumentative Niveau eines Zweitklässlers begibt, überhaupt „Spiegel“-Chefredakteur bleiben konnte, finde ich immer noch erstaunlich.

Ein Grund dafür, dass er sich diese Überheblichkeit und Scheinheiligkeit erlauben konnte, ist sicher, dass Aust lange schon kein „Vollblutjournalist“ mehr war, sondern ein Vollblutmachtmensch. Er hat sich ein Netzwerk geschaffen aus einflussreichen Leuten in vermeintlich konkurrierenden Häusern, die ihm den Rücken freihielten. Und er schämte sich auch nicht, bei Verantwortlichen anzurufen und zu fordern, dass (für ihn) lästige Berichterstattung abgestellt wird. (Nein, das ist nicht mir passiert.)

Ich weiß nicht, ob der Nachfolger von Aust die große Tradition des „Spiegel“ eher als eine Verpflichtung sehen wird als Aust. Und ich weiß nicht, ob die Menschen, die beim „Spiegel“ nun gegen Aust gewonnen haben, lautere Motive hatten oder es doch nur um die Macht ging. Ich bin bei beiden Fragen eher pessimistisch. Aber ich finde es beruhigend, dass auch jemand, der alles dafür getan hat, dass er sich alles erlauben kann, irgendwann an seine Grenzen stößt.

54 Replies to “Notizen über Stefan Aust”

  1. „Aber ich finde es beruhigend, dass auch jemand, der alles dafür getan hat, dass er sich alles erlauben kann, irgendwann an seine Grenzen stößt.“

    Sehr sympathischer Satz! :)

  2. Kommt ein wenig spät für „Kir Royal – VII“. Aber der Stoff reich allmählich auch für einen Spielfilm, den Abschluß einer großen Mediateska-Tetralogie: Nach „Schtonk!“, „Rossini – …“ und „Late Show“ jetzt „Auscht!“. Deutschland 2008, Regie Helmut Dietl, Drehbuch Stefan Niggemeier. Herrgott, das wär’s!

  3. Jetzt muss ich doch mal fragen.

    Ist Wurstig ein Journalistischer Fachbegriff und wenn ja.
    Was bedeutet das eigentlich?

  4. Auch dieser Artikel liest sich ein bisschen wie ein Nachruf. Und – wenn das, stimmt, was ich gelesen habe – ist er ja noch offiziell bis 31.12.08 der Chefredakteur.

    Aust als „lame duck“ kann ich mir allerdings nicht vorstellen…

  5. Unfaßbar, diese Häme. Journalistische Verantwortung, wenn ich dieses hochtrabende Diktum schon höre. Wo gibt´s die denn? Ich sehe überall nur Chefredakteure, die jeden Tag Anrufe von den Geldgebern bekommen. Kohle muß in die Kasse, Herr Niggemeier, und die hat Aust geliefert. Wie kommen Sie überhaupt auf die Idee, daß ausgerechnet der SPIEGEL traditionellen Journalismus bester Qualität liefern muß, während die übrige Journaille zu einem Verein verkommen ist, der Qualität mit Krawall verwechselt. Schreiben für den Leser? Das war mal.

  6. Passend zur Windkraftgeschichte ist auch die SPIEGEL-Kampagne gegen die Erweiterung des Airbus-Werkes in Hamburg-Finkenwerder. „Zufällig“ wohnen einige der beteiligten Redakteure gegenüber in Blankenese und hatten vielleicht Angst um den Wert ihrer Immobilien.

  7. @ Klaus:
    „…SPIEGEL-Kampagne gegen die Erweiterung des Airbus-Werkes in Hamburg-Finkenwerder. „Zufällig” wohnen einige der beteiligten Redakteure gegenüber in Blankenese und hatten vielleicht Angst um den Wert ihrer Immobilien.“
    Wenn das so ist: Schön für deren Nachbarn, so einflussreiche Fürsprecher zu haben! Solche publizistische Rückendeckung genießt nicht jeder Betroffene von kommerziellen Großprojekten. Und: Wenn Redakteure selbst betroffen sind, recherchieren sie wenigstens mal mit dem nötigen Engagement… ;-)
    Die logische Konsequenz daraus wäre eine dezentral-virtuelle Spiegelredaktion, deren Mitglieder in gleichmäßig über die Republik verstreuten Heimbüros säßen. Das hätte auch den Vorteil, dass jeder Haifisch sein eigenes Becken hätte, geschützt von den Bissen der Kollegen. :-)))

    @ Stefan:
    Wäre Aust Amerikaner, hieße es jetzt „Aust Ousted“ – oder „Austed!“.

  8. Beim Lesen dieser Beiträge von Niggemeier und Gehrs bekommt man ja das Gefühl Aust sei genauso unfähig, unbeliebt, opportunistisch und manipulierend wie Kai Diekmann ;-)

    Vielleicht war es in den Augen seiner Mitarbeiter zuletzt sogar so…

  9. Ich finde es krass, dass SpOn das überhaupt nicht gemeldet hat. Oder habe ich etwas verpasst?

    Gruß Johannes

  10. @scipio (6):

    wenn’s so wäre, wie sie sagten, wäre jede häme verdient. selbst wenn sie über herrn niggemeiers zustandsbeschreibung hinausginge.

    oder?

    .~.

  11. Ich finde es gut das an einer sog. Ikone der Gesellschaft gerüttelt wird bis der Putz bröckelt und diese dann die hässliche Fratze der Wahrheit preisgibt. Speichel lecken und Arsch kriechen ist Ihr Ding nicht, Herr Niggemeier, und dafür liebe ich Sie! Was für ein Glück das Sie freier Journalist in Zeiten von Internet sind, sonst währe es wohl ungleich schwieriger für sie tatsächlich unabhängig und frei zu arbeiten. Weiter so!

  12. Marcus, der Herr Stefan will doch selber Chefkommentator bei einer ihrer Ikonen -hoffentlich bröckelt da noch nichts- werden, da darf man nur Einem gegenüber unabhängig und frei sein. Dem Kontrahenten. Aber auch dann nur, wenn er am Boden liegt.

  13. Naja, wer sich täglich mit der ‚Bild‘ auseinandersetzt, die ja wohl alles andere als am Boden liegt, dem kann schwerlich Leichenfledderei vorgeworfen werden. Gut, jetzt ist die ‚Bild‘ keine Ikone in Person, aber im Wortsinne schon… Und das sich Stefan Aust ins Abseits katapultiert hat liegt ja wohl hauptsächlich an ihm selbst, seinem als mangelhaft bescheinigtem Führungsstil und dem folgerichtigen Mehrheitsbeschluß der Gesellschafter des Spiegelverlags.

  14. 16.November 2007 – 21 Uhr : Noch immer keine Zeile bei Spiegel online über Aust. Stattdessen:
    „Selbstmord-Sekte verschanzt sich in Erdloch“ – allerdings in Russland …

  15. Wollte gerade mal nachsehen, was die „Zeit“ zu diesem Thema so schreibt. Nix gefunden.Aber das: (Anzeige) Aust im Preisvergleich

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    Daneben eine Anzeige: „Tausende neue Jobs!“.Da braucht man nicht mehr viel dazu schreiben. Sehe ich ein.

  16. Was ich mich frage : Was macht Herr Aust nach seiner Zeit als Spiegel Chefredakteur ? Pferde züchten ? Alte Velorex-Modelle sammeln, restaurieren und bewegen (der alten Zeiten wegen)? Wieder einen eigenen TV-Kanal gründen „Aust-TV“, einen Web-TV-Sender, in dem er weiterhin mit hochgekrempelten Ärmeln vor einer Kamera stehen könnte bzw. sitzen würde. Oder bekommt er gar von den öffentlich rechtlichen Fernsehsendern ein Angebot für eine Talksendung ? Das ZDF könnte dann die Sendung „Stefan Aust“ schön gegen Anne Will positionieren. Ich stell mir das äußerst locker vor, Herr Aust mit hochgekrempelten Ärmeln in einem Sitzkreis mit den üblichen Talkshowgästen. Wobei da fällt mir ein, hat Erich Böhme nicht früher „Talk im Turm“ auf Sat1 moderiert?
    Der war doch zufälligerweise früher auch mal Chefredakteur beim SPIEGEL. Das wär’s ! Sat1 reanimiert Talk im Turm und nimmt Herrn Aust als Moderator. Das wäre eine schöne Meldung. Sat1 könnte sich dann wieder profilieren im Bereich der Informationssendungen. Aber so wie man Sat1 kennt, würde der schon nach kurzer Zeit zur „Allzweckwaffe“ von Sat1 erklärt. D.h. es würde nicht lange dauern, bis man eine Late-Night Show mit Herrn Aust ausprobieren würde oder zumindest eine Sendung als Konkurrenz für die Sendung von Herrn Kerner. Natürlich müsste man so einige klassische Elemente einer LNS herausnehmen, also z.B. kein „Stand-up“ am Anfang. Aber das wäre doch ein Bild, also Herr Aust mit hochgekrempelten Ärmeln hinter einem Schreibtisch sitzend und in einem Studio mit richtigem Publikum. Man könnte das Hochkrempeln der Ärmel zu einer Art Ritual stilisieren. Jawohl, er könnte am Anfang jeder Sendung hereinkommen, das Publikum begrüssen, zu seinem Schreibtisch schreiten, das Sakko locker über den ledernen Chefsessel werfen, die Ärmel hochkrempeln und währenddessen über die Gäste und Themen des Abends sprechen. Vielleicht könnte man ihn noch überreden „Hosenträger“ zu tragen, so schöne rote Hosenträger, so à la Larry King. Andererseits besteht als Moderator bei Sat1 immer die Gefahr bei eines dieser lustigen Kinderspiele wie „Promi-Schiffe-versenken“ oder „Promi-Mensch-ärgere-dich-nicht“ mitmachen zu müssen. Andererseits wäre das Bild eines Stefan Aust in Badehose und mit Schwimmflügelchen als Teilnehmer der „Schiffe-versenken“-Sendung auf Sat1 sicherlich nicht einer gewissen Komik entbehrend. Für dieses Bild würden einige Pressefotographen ihre eigene Mutter verkaufen. (Ich frage mich gerade, ob man, wenn Herr Böhme noch für Sat1 tätig wäre, auch Herr Böhme in Badehose und mit Schwimmflügelchen als Teilnehmer des „Schiffe versenken XXL“ sehen würde.)
    Könnte Herr Aust nicht vielleicht wieder bei der Zeitschrift „Konkret“ arbeiten ? Oder vielleicht wieder bei den St. Pauli Nachrichten ? Er könnte aber auch mit dem Bloggen anfangen ! Ich hätte da auch auch einen schönen Namen für solch einen Blog „www.austblick.de“. Ich weiß, ein meisterhaftes Wortspiel mit seinem Nachnamen und dem Wort „Ausblick“.

  17. was ich irgendwie nicht verstehe ist die Art wie der Springer Verlag mit dem Weggang Aust reagiert, ich empfand die Beiträge als sehr positiv für Aust formuliert. Ich dachte immer das der Spiegel den Springer Verlag und umgekehrt sich verachten würden?

  18. Warum kommt kaum ein Artikel über Aust (zumindest hier und auch bei Gehrs in der taz) ohne das ungewöhnliche Wort „Wurstigkeit“ aus? Was genau macht Aust so wurstig?

  19. In die Diskussion um die Nachfolge möchte ich einen neuen Namen werfen: Martin Sonneborn. Mitglied der irgendwie-auch-spiegel SPON-Redaktion, hat schon Erfahrungen als Chefredakteur gesammelt – und schlimmer als zuletzt kann es mit ihm auch nicht werden.

  20. ich glaube kola und ich sind da was auf der schliche! „Wurstig“, ist das ein CIA Codewort? oder ein Test? wenn Aust wurstig ist, wer ist dann der senf? der spiegel? und wenn ja wo ist das Brötchen?

  21. Uato: Das mit der Verachtung ist lange her. Stört auch nur beim Business, sowas. Aust und Springer-Chef Döpfner verstehen sich ziemlich gut und können auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit in den letzten Jahren zurückblicken. Um es mal freundlich auszudrücken.

  22. Das liest sich alles so als erwarte man wieder einen Hofberichterstatter wie Aust. Hallo wacht ihr mal auf und „denkt“ mal über die vierte Macht im Staate nach. Wer sein Auflage halten will muss was tun denn Gazetten wie Junge Welt preschen mit Wahrheiten nach vorn und das wurde erkannt. Da passt ein so in der Lobby verstrickter Redakteur nicht mehr ins Bild.

  23. King: Ja, der marktrevolutionäre Ansatz der nicht mehr ganz so jungen Jungen Welt wird dem alten Sturmgeschütz Spiegel sicher bald das Fürchten lehren. Was man bei der JW allein für klasse Ideen zur Leserbindung hat! Das mit den Spenden z.B., einfach genial:

    Manchmal kann ein journalistisches Projekt einfach nicht finanziert werden, weil das nötige Geld fehlt. Manchmal sind wir nicht in der Lage, einen neuen Bildschirm, ein neues Faxgerät zu kaufen, weil die Kohle fehlt. In all solchen Fällen ist es gut, wenn wir auf ein Spendenkonto zurückgreifen können.

    Oder die Aktion „60×60 Abos“, die Anfang des Jahres gestartet wurde, um dem Blatt auch noch ein 61. und 62. Jahr zu sichern. Ein voller Erfolg! Naja, fast.

    Mächtig gewaltig kann man das Ergebnis unserer Startwoche in die Jahreskampagne 2007 nicht gerade nennen, einen Flop aber auch nicht: Mit 36 Print- und Internetabonnements […]

    Doch, ich bin sicher, die Spiegelmacher blicken voller Neid und Angst vor der Zukunft auf das Geschäftsmodell der Jungen Welt. Wenn die JW nun noch ein paar Leute finden würde, die sich für ihre^H^H die „Wahrheit“ interessieren … nicht auszudenken!

  24. und wer begrüßt mich dann bei spiegel-tv..menno…?
    grade wo man sich mal an ein gesicht gewöhnt hat, und nu isser weg…;O(

  25. @ bkausde #43:

    Moderatoren kommen und gehen. erinnern Sie sich noch an die schöne Frau Gresz, die das vor Herrn Aust gemacht hat…?

    Sehen Sie.

    A propos, was macht eigentlich Frau Gresz?

  26. Sehr schönes, entlarvendes Feuilleton-Pressegespräch heute morgen im Deutschlandradio Kultur mit dem sehr eitlen Mattussek und wie er einfach nicht darüber hinweg kommt, dass ihn die Moderatorin als Vize-Kulturchef tituliert. Man kann sich das Gespräch anhören – es lohnt sich.

  27. Ich denke Aust ist nicht so traurig über seinen Rausschmiss, denn nun kann er sich ungestört um seine Pfede kümmern. Finanziell scheint er dabei momentan sowieso besser zu fahren: Allein im Oktober hat er auf den Verbandsauktionen des Hannoveranerverbandes in Verden drei Pfede im Gesamtwert von fast 500 000 € verkauft.

  28. bin heute zufällig auf das Forum hier gestossen, weil ich was aktuelles über Stefan Aust suche.

    Schade eigentlich, das erfolgreiche Menschen in Deutschland eher negativ beurteilt werden. Ich bin der Meinung, daß Stefan Aust durchweg einen guten Job beim Spiegel gemacht hat.

    Heute publiziert der Spiegel ja wortgetreu die Pressemitteilung von Mussen in Hamburg und ist auch noch begeistert über eine eher langweilige, schlecht präsentierte Ausstellung zu Wahlkampfplakaten.
    Im MKG Hamburg kann man auch mal reinschauen, wenn man darüber schreibt und keinen Kilometer davon entfernt arbeitet.

    Was machen die Journalisten heute eigentlich, außer abzukupfern und zu kopieren? Spiegel habe ich nicht mehr im Abo….:))

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