Olympia und die Fragen der Journalisten

Channel 4 News, 14. August 2008:

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Thomas Kistner, „Süddeutsche Zeitung“, 19. August 2008:

Die Luft war täglich dicker geworden im Hauptpressezentrum der Spiele, jetzt verhängten Internationales Olympisches Komitee (IOC) und das Veranstalterbüro Bocog einen Presseboykott light. Nachdem die Sprecher beider Organe am Samstag und auch am Sonntag die täglich terminierten Konferenzen mit der Weltpresse gestrichen hatten, beendete Bocog-Sprecher Sun Weide die wie üblich stark kontroverse Gesprächsrunde am Montag mit dem Hinweis: „Die nächste Konferenz ist Mittwoch, die übernächste am Freitag.“ Fragen nach dem Grund der restriktiven Informationspolitik brachten IOC-Sprecherin Giselle Davies in Rage: „Es gibt doch Handys und E-Mail, oder?“ (…)

Der Bocog-Vize findet, es sei Zeit für die Gegenattacke. Er muss hier ein Problem lösen, das er dem IOC solange dargelegt hat, bis die es begriffen haben: Es geht nicht um die Ausländer, es geht um die eigene Presse, die von den Fremden infiziert werden könnte. Das ausländische Publikum hat man fern- und das Gros der Stadien halbwegs leerhalten können – die tägliche gemeinsame Medienkonferenz von Bocog und IOC aber ist das letzte gefährliche Fenster zur Außenwelt. Was hier abläuft vor all den Kameras und Mikros, ist offiziell und könnte nach innen berichtet werden, sofern sich einer traut. Das Fenster muss geschlossen werden, die Fragen der Weltpresse sind wie ein Virus geworden, das täglich in den Staatskörper einzudringen versucht. (…)

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Thomas Kistner, „Süddeutsche Zeitung“, 21. August 2008:

(…) Irgendwann (…) die Chance für eine Frage: „Warum sind die Transkripte der Konferenzen hier nie korrekt verfasst, wer entscheidet über die Veränderung der Inhalte?“

Bocog-Vize Wang Wei pariert die Peinlichkeit vorbildlich: „Das entscheidet die Internet-Redaktion, wir akzeptieren es.“

Der Nächste, bitte.

Der Nächste will zwecks Nachfrage das Mikrofon nicht wieder rausrücken, das ihm der Volunteer gereicht hat. Seine Frage gilt den 77 Protestaktionen, die bei Pekings Behörden für die freizügig angekündigten Protestzonen in der Stadt beantragt worden sind. 77 davon wurden abgeschmettert, zwei mit der Begründung, dass Kinder dabei gewesen wären, die sind vor Missbrauch zu schützen. Da blitzt sie auf, die neue Offenheit. Chinas Kinder werden ja sonst gern von klein auf zu harter Arbeit rangezogen, manche sogar in olympischen Drillcamps, dies ist bei den Spielen hier gut an den Gold-Küken um Turnerin Ke Hexin zu erkennen.

„Geben Sie das Mikro zurück!“, bellt Presseoffizier Sun Weide vom Podium, „Volunteers! Sie haben zu arbeiten!“

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Und ARD und ZDF senden Propagandafilme des IOC. Nicht irgendwo, nachts, versteckt im Digitalprogramm. Sondern zum Beispiel vor der „Tagesschau“. Anscheinend sind sie zur Ausstrahlung vertraglich verpflichtet. Aber sie senden sie nicht mit einem Vor- und Abspann, in dem es heißen könnte: „ARD und ZDF sind zur Ausstrahlung dieser Olympia-Werbespots verpflichtet. Verantwortlich für den Inhalt ist allein das IOC.“ Sie geben nicht einmal den Absender der Werbefilme an.

Auf Nachfrage von „Welt Online“ sagt Rudolf Küffner, Sprecher des Bayerischen Rundfunks, über die PR-Spots:

„Es handelt sich nicht um PR-Spots, sondern um redaktionell abgenommene Sendungen.“

Weiter berichtet „Welt Online“:

Eine Sprecher der bei der ARD verantwortlichen Sendeanstalt NDR sagte WELT ONLINE zu der Frage, wie oft die Spots schon verbreitet worden seien: „Wir haben die Trailer passend zum Programmfluss eingesetzt und werden dies auch weiterhin an geeigneter Stelle tun.“ Das ZDF antwortete auf eine schriftliche Anfrage gar nicht.

Auch Fragen des Branchendienstes epd-Medien zur Olympia-Berichterstattung wollte das ZDF in dieser Woche übrigens nicht beantworten. Man muss anscheinend aufpassen, wenn man vom ZDF Antworten haben will, dass man nicht die falschen Fragen stellt. Oder dass nicht der Falsche die Fragen stellt.

Ich weiß, dass der Vergleich hinkt, aber ich werde den Gedanken nicht los, dass manche Leute bei den öffentlich-rechtlichen Sendern den Umgang des IOC mit kritischen Journalisten ganz inspirierend fanden.

14 Replies to “Olympia und die Fragen der Journalisten”

  1. *mimimimi*

    Endlich ist Olympia rum, vielleicht besinnt man sich nun wieder auf die vielen anderen Länder die es noch gibt, in deren Angelegenheiten man sich einmischen kann, unabhängig davon wie wenig es uns angeht.

    (Wäre ja auch zu blöd sich mit den eigenen Problemen zu beschäftigen, solche Lappalien wie „was suchen deutsche Kriegswaffen in Georgien“)

  2. ich finde diesen Wang Wei spektakulär:

    „Everybody is happy! People are optimistic about their own future! Thats the fact!
    Of course their are exeptions like in any other country!“

    „I think a few, a very few people come here to peak, to be critical“

    „the hole country can see how china is progressing“

    Das ist einfach unglaublich. Dieser Wang Wei ist kein junger Mann mehr. Er hat sein ganzes Leben die Ideologie der chinesischen Staatsführung auf sich wirken lassen. Er weiß ganz genau was in China abläuft und trotzdem ist kein einziges seiner Worte gespielt!

    Er glaubt vollständig an das was er sagt. Er ist tatsächlich überzeugend. Faszinierend.

  3. Die Ö-Ris haben es auch geschafft, jahrelang die Tour de France schönzuberichten. Da fällt das chinesische Virus dort auf fruchtbaren Boden. Beide eint das Bestreben, sich die Spiele nicht kaputt(er) machen zu lassen.

  4. @Anne Kern: Haben Sie den „Welt Online“-Artikel gelesen? Es geht nicht um den langen Film, den die ARD im Programm versteckte. Sondern um die zu bester Sendezeit gebrachten kurzen, nicht gekennzeichneten Werbespots.

  5. Mal ne doofe Frage: auf welchem Planeten waren die Medienjournalisten die letzten Jahre, als ihnen diese PR-Filme des IOC und UEFA auf EUROSPORT, PHOENIX & Co. für Olympia und EM nicht auffielen? EUROSPORT „kooperiert“ derart mit dem IOC geschätzt seit dem Vorlauf von Athen 2004 (die WELT spricht von einem EBU-Rahmenvertrag der sogar seit 1996 besteht).

    Schlanke vier (oder zwölf) Jahre Reaktionszeit. Vermutlich hat es dazu ein chinesisches Regime als Neben-Zielscheibe gebraucht um auf dem Radarschirm der Medienredaktionen aufzutauchen. PR-Film alleine reicht nicht aus. Erst wenn man noch Peking daneben stellen kann. Das spricht nicht wirklich für die Sache.

  6. Wie sang nochmal Monty Python?

    …I like chinese,
    I like chinese,
    There’s nine hundred million of them in the world today,
    You’d better learn to like them, that’s what I say…

  7. Schade, dass bei diesen durchweg furchtbaren Popaganda-Doping-Spielen – das eine fiel auf, das andere noch nicht so – keiner der Sportler den John Carlos gemacht hat.

    Aber vielleicht gabs ihn doch, aber es wurde nicht gezeigt. Leider kein allzu abwegiger Gedanke.

  8. @2: aus chinesischer sicht geht die entwicklung auch gut voran.
    auf lange sicht ist es wichtiger ob die neuen „freiheiten“ anhalten oder nicht

  9. @9/2hochn:
    hihi, genau. erzähln Sie das mal denjenigen, die EXTRA für die Spiele weggesperrt wurden.

  10. Die Channel 4 News sind wirklich gut. Wenn Chef-Anchor Jon Snow mal in Fahrt kommt, dann kommen Politiker im Interview gerne mal ins Schwimmen oder brechen in räuende Tränen aus.

  11. Ich finde es vermessen, gerade vom Gros der deutschen Sportjournalisten zu erwarten auch nur in irgendeiner Form politische Zusammenhänge einordnen zu können, bzw. die Fähigkeit dazu besitzen, sich selbst, ihren Beruf oder das, was sie da präsentieren auch nur ansatzweise zu hinterfragen.

    Ein gutes Beispiel für Ethik und Moral im Umgang mit dem eigenen Tun (von der Absenz jeglicher Fachkompetenz mal ganz zu schweigen) fällt mir dazu nur Herr Emig und der Hessische Rundfunk ein.

    @dogfood
    Eurosport mag ich alleine deswegen, weil sie sich in ihrer Berichterstattung, nicht nur zu Olympia, wohltuend abheben vom dumpf-nationalen Geschreie der Öffentlich-Rechtlichen. Oft erfährt man dort vom sensationellen letzten Platz deutscher Athleten…wer denn eigentlich gewonnen hat, wird höchstens am Rande berichtet. Das hat mit Sport eher weniger zu tun.

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